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Potsdam: Preussen bleibt Scheisse :Demonstration 24.03.

Preussen bleibt Scheiße!

Sa 24.03.01 :Demonstration
14 Uhr Potsdam Platz der Einheit Denkmal für den unbekannten Deserteur


Als die frisch gewählte NS-Regierung am 21. März 1933 mediengerecht
die "Versöhnung des preussischen Geistes mit der neuen Bewegung"
inszenierte, war die Vollendung des deutschen Sonderweges besiegelt.
Der Händedruck von Hitler und Hindenburg als Vertreter des
preussischen Adels symbolisierte das Bündnis zwischen preussischen
Nationalkonservativen und Nationalsozialisten, das Aufgehen Preussens
im "Dritte Reich". Nur allzu gut demonstrierte dieser
propagandistische Staatsakt die Kontinuität und Brauchbarkeit
preussischer Tugenden im Zweiten Weltkrieg und im neuen Volks- und
Staatsprogramm Holocaust.

Deswegen konnte sich im postfaschistischen Deutschland auf Preussen
spätestens nach seiner 1947 erfolgten Auflösung durch die Alliierten
und lange Zeit nicht mehr positiv berufen werden. Während
Vertriebenenverbände und andere deutschnationale Organisationen nicht
müde wurden, neben Gesamtpreussen auch den Verlust preussischer
Identität zu bejammern, erhielt die Preussenrenaissance erst mit der
Wiedervereinigung Deutschlands Relevanz.

Mit großem Pomp wird nun der 300. Jahrestag der Selbstkrönung
Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg, zu Friedrich I., König von
Preußen, begangen und fleißig an der Geschichte vom anderen,
aufgeklärten Preussen und seinen Tugenden gebastelt. Wieder einmal
wird die deutsche Fähigkeit unter Beweis gestellt, Geschichte neu zu
schreiben. Der autoritäre Militärstaat soll, mit frischem Glanz und
einem Toleranzsiegel versehen, positive Bezugspunkte für die nationale
Identitätsstiftung liefern. So wird die Geschichte zum "Erbe", das in
der aktuellen Diskussion um Rechtsextremismus und Alltagsrassismus als
Toleranzquell gegen den rassistischen Mob auf der Straße pädagogischen
Zwecken dienen soll. Militarismus wird zu einer universalen
Erscheinung der Moderne, wenn auch ein Übel so doch ein notwendiges,
dass in allen Staaten, besonders während derer Enstehung,
wirkungsmächtig war.


Die preussischen Werte,

... wahlweise auch Tugenden genannt, gelten als das Vermächtnis
Preussens. Disziplin, Sauberkeit und Gehorsam gab es aber weder nur in
Preussen, noch sind sie Ergebnis bloßer Ideologieproduktion. Vielmehr
sind diese "Tugenden" dem frühkapitalistischen Ideologiegebäude
"Protestantismus" entlehnt. Der Rest ist eine Mischung aus
Exerzierreglement und Grundsätzen lokaler Wirtschaftsförderung.

Die preussischen Tugenden als ein tragendes Element des
preussisch-deutschen Nationalismus werden erst seit dem frühen 19.
Jahrhundert beschworen. Sie dienten als eine Art
Herrenmenschenideologie und als Erwiderung auf das Menschenbild der
französischen Revolution, das von Südwesten her nach Deutschland
getragen wurde. Das, was heute als preussische Tugenden verwertet
wird, ist historisch in einem militaristischen Staatsgebilde
entstanden. Die Armee war in Preussen nicht der Staat im Staate,
sondern sie war der Staat; und der preussische Unteroffizier als
Träger ebendieser militärischen Eigenschaften war die bestimmende
Instanz des zivilen Lebens. Dabei wurden die Untertanen durch stetige
Androhung von Gewalt und Strafe dazu gezwungen, dieses männerbündische
System zu unterstützen. Preussen ist der Inbegriff von Kategorisierung
von Menschen anhand von Tauglichkeit und Wehrhaftigkeit. Alles, was
nach dessen Definition als "unmännlich" und damit untauglich galt,
wurde der Verachtung preisgegeben. Als Strafe für eine diesbezügliche
Unverwertbarkeit musste Steuergeld entrichtet werden; und wer sich der
Wertevermittlung durch das preussischen Militärstaates durch Desertion
zu entziehen suchte, dem wurde schnell verdeutlicht, was es heißt,
sich der Gemeinschaft zu verweigern.

Preussen war Vorbild bei der späteren Gründung des deutschen Reiches
und dessen ideologischer Konstruktion. Die dem Militär typische
Unterscheidung von "Tauglichen" und "Untauglichen" bildet
dementsprechend auch heute noch eine Demarkationslinie für die
unterwürfige StaatsbürgerIn, anhand derer die Feinde der Nation
beliebig neu definiert werden können. Denn die Abgrenzung gegen das
vermeintlich Andere bildet die Grundlage für nationale Identität. Die
preussischen Werte werden einerseits als Code für alle nicht dem
deutschen Leitbild entsprechenden Menschen und andererseits als
Integrationspunkt für diejenigen benutzt, die nach der deutschen
Auslese übrig bleiben. Eine solche Projektion des negierten
Selbstbildnisses auf andere Menschen ist zum Beispiel in den in
(Ost-)Deutschland grassierenden antipolnischen Vorurteilen deutlich zu
erkennen.

Heute sieht sich Deutschland als klassisches Nationalstaatskonstrukt
zum Existenzkampf gefordert; Globalisierung und Europäisierung
konfrontieren die autoritären Deutschen mit einem Verlust an gewohnten
Machtstrukturen und territorialer Identifikation. Traditionelle Werte,
die zur Aufrechterhaltung der Definition und des Wertgefühls als
"Deutsche" notwendig sind, gehen dadurch verloren und finden sich
allenfalls in der deutschen Kleingartenkolonie wieder. Es muss also
ein Wertekodex her, den sich nicht jeder zu eigen machen kann, so
etwas wie ein geschichtlicher Konsens über das Deutschsein.

Diesem Werteverfall wird die Rückkehr zu den guten alten deutschen
Tugenden entgegengehalten. Dass ein Bezug gerade auf Preussen
hergestellt wird, verwundert allerhöchstens auf den ersten Blick. Die
Werte und Tugenden, auf die sich hier bezogen wird, entsprechen
zuallererst der Fähigkeit der Deutschen, sich einerseits unterzuordnen
und andererseits allem Nichtdeutschen und Nichtverwertbaren die
Integrationsgrenzen - wenn nötig, auch tätlich - darzulegen. Zudem
sind die preussischen Werte hervorragend als ideologische Grundlage
für den "schlanken Staat" geeignet. Die Standortlogik verlangt
einerseits nach Rückbau des Sozialsystems und andererseits nach einer
schlagkräftigen Staatsgewalt, um den Folgen der Verarmung Herr zu
werden. Das Wertgefühl als Deutscher und damit als Teil der Autorität
muss deshalb so wichtig für die eigene Identität sein, dass sich der
Einzelne dem System nicht verweigert.

Gerade bei dem was die Politik als Jugendprobleme ansieht, sei es
Neonazismus, Kleinkriminalität oder illegalen Graffities, wird von
Parade Preussen á la Schönbohm gerne auf einen angeblichen Mangel an
preussischen Tugenden verwiesen. Eine entpolitisierte
Ursachenforschung lässt es zu, dass alles in einen Topf geschmissen
wird. So macht es dann auch keinen wesentlichen Unterschied mehr, ob
ein Sprayer die Rokokofassade verziert oder Nazi-Schläger
AsylbewerberInnen zusammenschlagen. Der weiteren autoritären
Zurichtung im Sinne Preussens, im zweiten Fall wahrscheinlich der
Opfer, steht dann nichts mehr im Wege.


Selektion und selektive Wahrnehmung

Die preussische Geschichte ist in letzter Zeit zu einem ideologischen
Selbstbedienungsladen geworden, in dem jeder nach seiner Facon selig
werden kann. Seit neuestem werden nämlich die guten Seiten des
Königreichs auch einzeln verramscht. Wenn sich in der Vergangenheit
Preussenjubelei anbahnte, war die politische Ausrichtung klar und
deutlich: das ganze Königreich musste es sein. Alle es
konstituierenden Elemente wurden zu "guten Seiten", von den
protestantischen Werten bis zum Militarismus. Neben dieser klassisch
konservativen Aneignung, macht sich eine weitere selektive Wahrnehmung
breit: immer häufiger wird Preussen - dank des vermeintlich
aufklärerischen Wirkens seiner Herrscher - als Hort der Toleranz
dargestellt. Eine Ansicht, die als Argument eben gerade noch
ausschließlich der Abwehr etwaiger Kritik an dem einseitigen
Geschichtsbild diente, und trat deshalb nur im Zusammenhang mit dessen
aggressiver Bewunderung auf. Der Toleranzmythos besitzt mittlerweile
eine aktuellere Funktion. Wer vom toleranten Preussen redet, ist
schnell beim "Toleranten Brandenburg" und hat die Affirmation heutiger
Verhältnisse im Sinn. Aus kritischer Sicht lohnt sich also ein
Vergleich: Einwanderung-, Flüchtlings- bzw. Minderheitenpolitik waren
damals genauso wenig wie heute humanistisch motiviert.

Ins Land gelassen wurde damals nur, wer von Königs Gnade war. Und das
waren die wenigsten; auf märkischem Sand sesshaft werden durften die,
welche von meist unmittelbar ökonomischen Nutzen waren. Der Übergang
von Feudalismus zur kapitalistischen Produktion bedurfte einer
Regulierung; die Bildung staatlicher Strukturen wurde notwendig. Ob
hugenottische Handwerker, böhmische Weber oder holländische
Meliorateure, sie wurden ins Land geholt, um bestimmte Funktionen im
Modernisierungsprozess zu besetzen, für die die einheimische,
Ackerbau- und Viehzucht betreibende Bevölkerung zu unqualifiziert war.

Abgesehen von den unmittelbar ökonomischen spielten andere
Motivationen eine Nebenrolle: Nicht nur dass die Einwohnerzahlen für
das dünn besiedelte, stadtarme Land erhöht wurden (d.h. mehr
Steuereinnahmen, von denen bis zu 85% wieder für die Armee ausgeben
wurden); die Einwanderer brachten neben der Kartoffel überhaupt etwas
Zivilisation mit. Am Hof sprach seine Majestät französisch und hielt
sich ein paar Afrikaner als leibeigene "wilde Exoten". Doch nicht nur
sie waren zwangsweise im Dienste des Hofes. So auch viele Soldaten;
welche ebenso wenig freiwillig kamen wie sie blieben: von ihren
Familien verschleppt wurden sie unter Androhung von Gewalt an einer
Desertion gehindert.

Wie tolerant es tatsächlich zuging, zeigte sich in der Behandlung der
jüdischen Bevölkerung; diskriminiert durch Berufs -und
Siedlungsverbote, konnten ausschließlich jene ein Auskommen finden,
die in der Lage waren, Schutzgeld zu zahlen. Sie wurden trotz
steigender Zahlungsforderungen schikaniert; Erb- und Geburtsrecht
waren soweit eingeschränkt, das seine Majestät praktisch jederzeit das
Recht hatte, ihre Duldung für beendet zu erklären. Die armen anderen,
sogenannte "Betteljuden", wurden gnadenlos ausgewiesen. Mit der
missglückten bürgerlichen Revolution 1848 scheiterte auch die jüdische
Emanzipation, und damit trat auch der Antisemitismus auf die
politische Bühne; da halfen auch keine formalen Aufhebung beruflicher
und religiöser Beschränkungen. Er hatte sich schon lange als
Alltagskultur entfaltet, die Ausgrenzung erfolgte nun informell auf
allen gesellschaftlichen Ebenen. Der weitere, dennoch nicht
zwangsläufige, geschichtliche Verlauf ist bekannt.

Toleranz bedeutet immer, dass aus einer Machtposition heraus etwas
Anderes geduldet wird. Sie stellt somit ein Herrschaftsverhältnis dar,
in welchem das Dominante die Möglichkeit besitzt, über das Schicksal
des zu [Er]duldenden zu entscheiden. Im absolutistischen Preussen war
die richtende Instanz die edikterlassende und -aufhebende
Königsperson, im heutigen föderalen Brandenburg ist es neben der
Staatsmacht deren außerparlamentarische Konkurrenz in Form eines
völkischen Alltagsbewusstseins.

Jeder Dorfnazi fühlt sich wie der König von Deutschland, wenn er im
Auftrag eines keineswegs nur vermeintlichen Volkswillens, die
Existenz(berechtigung) alles "Undeutschen" praktisch in Frage stellt;
z.B. das Leben von Asylbewerber/innen, dass nebenbei auch von
staatlicher Duldung durch die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung
abhängt. Abgedrängt in abgelegene Lager, werden sie mittels dem in
Brandenburg miterfundenen Asylbewerberleistungsgesetzes und der
Residenzpflicht im gesellschaftlichen Abseits gehalten. Auch das
kürzlich formal aufgehobene Arbeitsverbot stellt keine wirkliche
Verbesserung dar, sondern legalisiert nur einen jahrzehntelanges
Faktum: Drecksarbeit zuerst für Nichtdeutsche. Ebenso weist die
aktuelle Debatte um ein zukünftiges Einwanderungsgesetz in die
ökonomistische, preussische Richtung: eine Regulierung der Immigration
soll nach demographischen und arbeitsmarktfunktionalen Anforderungen
erfolgen.

Das können die Nazischläger nicht begreifen. Anstatt ihre
Toleranzgrenze zwischen den Ausländern "die uns nützen und denen, die
uns ausnützen" zu ziehen, richten sich ihre Selektionskategorien nach
nationalsozialistischem Vorbild, welches im Jahr 1842 durch das in
Preussen eingeführte Blutrecht auf den deutschen Sonderweg gebracht
wurde. Pogrome sind trotzdem unpreussisch; der absolute Staat braucht
eine auf ihn ausgerichtete Gewissenhaftigkeit, also Beamtentum,
ehrenamtliches Engagement kann sich bei der Denunziation von
vermutlich illegalen Flüchtlingen nützlich machen. Wer über die
Stränge schlägt und den ordentlichen Staatsablauf tatsächlich oder
symbolisch gefährdet, der wird diszipliniert- auch wenn er es, wie der
gemeine Nazischläger, "gut gemeint" hat.

Noch einmal: Wer von preussischer Toleranz redet, der lügt, egal
warum; ob diese Legendenbildung nun einen positiven Bezug auf die
deutsche Geschichte ermöglichen soll oder sich gleich mit dem
aktuellen Status quo versöhnt. Das einzige, was von preussischer
Toleranz nachhaltig gewirkt hat und aufgrund eines unvollzogenen
Bruchs mit der Geschichte dementsprechend in tradierter Form auch
heute wirkungsmächtig ist, war deren Ambivalenz.

Wenn Toleranz als Mittel gegen sogenannte "Fremdenfeindlichkeit"
beschworen wird, dann ist alles zu spät. Denn ihre Realisierung
benötigt die Anderen, um sie zu dem Anderen zu machen. So gemeint muss
das Andere fremd bleiben. Ein Zustand tatsächlicher Toleranz kann aber
nur durch die Abschaffung des durch den Begriff beschriebenen
Verhältnisses realisiert werden. Dieses theoretische Paradox bedingt
den bewussten Bruch mit dem Bestehenden und seiner Geschichte;
praktisches Engagement für Toleranz muss konsequenterweise
antipreussisch und intolerant sein.


Der Bezug auf preussische Werte ist eine Manifestation des Ordnungs-,
Gehorsams- und Gewaltdenkens in der deutschen Mentalitätsgeschichte
und muss politisch bekämpft werden! Das Gegenteil
protestantisch-preussischer Werte sind die Muße, das
Sich-Gehen-Lassen-Können, die Abneigung gegen Hierarchien, die
Verspottung der Obrigkeit, die Geringschätzung jeglicher Arbeit und
die Suche nach dem Genuss. Solidarität ist ebenfalls zutiefst
unpreussisch. Preussische Tugenden vertragen sich nicht mit der
Assoziation einer von Dominanz befreiten Gesellschaft.

... in diesem Sinne:

Nie wieder Krieg! Nie wieder Nationalsozialismus! Nie wieder Preussen!


Aufruferinnen:
AJAP Antifa Jugend Aktion Potsdam; AAPo Antifaschistische Aktion
Potsdam; Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär,
Potsdam;

UnterstützerInnen:
Infowagen Potsdam; [Solid]; JungdemokratInnen/Junge Linke; AAB
Antifaschistische Aktion Berlin; JAN Jugend Antifa Neuruppin; EIS
Eberswalder Infosystem; Viva Boumanns - Straße der Jugend e.V.; DKP
Deutsche Kommunistische Partei;

weiterhin rufen auf:
T.I.P. Potsdam; PULK Potsdamer Unabhängiger Linker Kreis


Plakate:
 http://www.antifa.net/aapo/download/preussen.pdf

und Aufrufe
können sofort per eMail bestellt werden.
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03.03.2001
Antifa Aktion Potsdam   [Aktuelles zum Thema: Antimilitarismus]  Zurück zur Übersicht

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