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Göttingen: Antifa-Kongress

Antifakongress 2001
das Jahr in dem wir Kontakt aufnehmen.

 http://www.antifakongress.de

Vom 20. bis 22. April 2001 findet in Göttingen ein Kongress statt, der eine Diskussion um die Perspektive antifaschistischer Politik einleiten soll.
Die organisierte Antifa besteht in ihrer jetzigen Form seit fast zehn Jahren. Sie kann, was ihre Mobilisierungsfähigkeit, ihre Mitgliederstärke und ihre öffentliche Präsenz angeht, eine gewisse Kontinuität vorweisen.
Dennoch ist die Bewegung in einigen Bereichen an ihre Grenzen geraten.
Organisierungsversuche wie die AA/BO haben es nicht geschafft, sich als relevante Kraft zu etablieren. Die Erfolge der Organisation bleiben auf einzelne Schlaglichter im Antinazibereich beschränkt, die aktive Beteiligung an der Gestaltung der Politik stagniert. Der Wille, sich zu organisieren, besteht zwar allenthalben, doch kann er kaum in die Tat umgesetzt werden.
Will sich die Antifa momentan in der Gesellschaft politisch verorten, steht sie vor dem Problem, dass der Kampf gegen Nazis, der in der Vergangenheit als Ansatz zur Vermittlung antikapitalistischer Positionen geeignet war, nunmehr Staatslinie ist.
Antifaschismus als Synonym linksradikaler Politik steht inzwischen zur Disposition. Antifaschistische Bündnissse werden mehr denn je geschluckt, wenn es nicht gelingt, sich zum Beispiel durch Angriffe auf staatliche Asyl- und Abschiebepolitk deutlich als linksradikal zu positionieren.
Andere Politikfelder, wie der Kampf gegen die Überwachungsgesellschaft oder gegen die aggressive Außenpolitik der BRD, wurden bislang sowohl innerhalb der Bewegung, als auch von außen eher am Rande wahrgenommen.
Der antifaschistische Kongress im Frühjahr soll eine Positionierung der Antifabewegung leisten und eine Diskussion über ihre Neubestimmung initiieren.
Er knüpft an das Camp "Organisiert den revolutionären Widerstand!" im Sommer 1998 in Göttingen und an den "Verstärkerkongreß gegen die postbananischen Zustände", Herbst 1999, in Leipzig an.
Im Vordergrund wird die Frage der Standortbestimmung der Bewegung stehen:
Wo steht die Antifabewegung heute? Wie haben sich die gesellschaftlichen Bedingungen für eine radikale Antifapolitik verändert?

Die Neue Mitte und die deutsche Vergangenheit

In der Öffentlichkeit der BRD war man lange Zeit die Forderung nach einem Schlussstrich unter die nationalsozialistische Vergangenheit nur von faschistischer bis konservativer Seite gewöhnt.
Nun meint sich die Neue Mitte nach fünfzigjähriger Vergangenheitsbewältigung die "Rückkehr zur Normalität", das heißt zum deutschen Machtstaat, redlich verdient zu haben. Auch um international als Weltmacht anerkannt zu werden, muss sich die BRD glaubhaft als demokratisch geläuterte Gesellschaft zeigen. In diesem Sinne wurde z.B. auch für eine Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien argumentiert.
Und gerade weil Völkermord deutsche Tradition ist, wird Auschwitz benutzt, um unter "der Bürde deutscher Verantwortung" wieder Angriffskriege zu führen.
Politische Kreise im In- und Ausland, die sich dem Bild der geläuterten Zivilgesellschaft immer noch entgegenstellen, werden in ihre Schranken verwiesen: So werden die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen, die über fünfzig Jahre, nachdem sie von deutschen Firmen ausgebeutet wurden, mit einem Almosen abgespeist. Damit sollen zugleich alle zukünftigen Forderungen unterbunden werden, soll einer "Kampagne gegen den Ruf unseres Landes und der deutschen Wirtschaft der Boden entzogen werden".
Durch die rot-grüne Regierungskoalition wirkt die Präsentation der deutschen Nation als Zivilgesellschaft besonders glaubhaft: Die VertreterInnen der 68-Bewegung, welcher die aufklärerische Leistung einer demokratischen Läuterung vom Nationalsozialismus zugeschrieben wird, überzeugen bei dieser Darstellung um so mehr. Und so spricht Schröder in seiner ersten Regierungserklärung auch vom "Selbstbewusstsein einer erwachsenen Nation".

Nationaler Konsens - jetzt ohne Nazis

Der politische Wille, sich als geläuterte Demokratie zu präsentieren, äußert sich nun auch in der veränderten Funktion, die Stiefelnazis in der politischen Öffentlichkeit innehaben. Dienten kurz nach der Wiedervereinigung die Nazihorden auf der Straße noch als Stichwortgeber und Vorreiter für gesellschaftliche Diskurse, stören sie inzwischen das Bild der neuen deutschen Zivilgesellschaft, das ins In- wie Ausland transportiert werden soll. Ihre politische Bedeutung ist seit der Abschaffung des Asylrechtes 1993 und den großen Aufmärschen in den Jahren 1997/98 stetig gesunken.
Dies drückt sich auch in ihrer Mobilisierungsfähigkeit aus. Auch wenn Naziaufmärsche inzwischen zum "normalen Bild" auf der Straße geworden sind, selten erreichen sie über 500 Teilnehmer, die selbstverständlich immer noch 500 Nazis zu viel sind.
Die staatliche Abgrenzung gegenüber Faschisten scheint tiefgreifender als je zuvor. Den Nazis drohen Repressalien, die von Linken seit Jahren kritisierte "Glatzenpflege auf Staatskosten" kommt aus der Mode. Zumindest die organisierten Nazis befinden sich in der Defensive. Ein Verbot der NPD würde die Nazis wahrscheinlich entscheidend schwächen und es ist unklar, ob sich die organisierten Nazis in ihrer jetzigen Form von ihrer derzeitigen Schwäche erholen werden.
Die Gesellschaft kann inzwischen gut und gerne auf die standortschädigenden prügelnden Horden verzichten, ihre rassistischen Interessen werden mit anderen Mitteln durchgesetzt. PolitikerInnen der Neuen Mitte stellen fest, dass Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt und debattieren im gleichen Atemzug über Asylrecht und Einwanderungsgesetz.

Antifa - jetzt endlich ohne Nazis?

In den 80er und insbesondere in den 90er Jahren waren Antinaziaktionen ein geeignetes Mittel, viele Menschen auf die Beine zu bringen und gleichzeitig antikapitalisitische Inhalte zu vermitteln.
Militantes Auftreten auf Demonstrationen und direkte Gegenwehr gegen Nazis konnten klarmachen, dass es sich bei autonomen AntifaschistInnen um militante Linksradikale handelt, die das staatliche Gewaltmonopol nicht anerkennen. Anschläge und Angriffe gegen Nazistrukturen untermauerten dies.
Antifa konnte, ob zurecht oder unrecht, als ein Markenzeichen antikapitalistischer Politik gelten, auch wenn antifaschistische Aktivitäten in der Öffentlichkeit in der Regel nur anlässlich von spektakulären oder Großaktionen Erwähnung fanden.
Inzwischen stößt antifaschistisches Engagement durchaus auf Interesse der Medien, Autonome Antifaschistische Initiativen tauchen dort allerdings eher im Nebensatz auf. In Bündnissen findet sich seit dem Sommer 2000 eine bislang ungekannte politische Breite zusammen und dieselben Leute, die für ein rassistisches Einwanderungsgesetz und Angriffskriege der Bundeswehr plädieren, scheinen nun mit den Linksradikalen einen Konsens gegen die Nazis gefunden zu haben. Die Antifa droht als bunter Farbtupfer in der Zivilgesellschaft gegen rechts unterzugehen.
Auf der anderen Seite ist durch die staatliche Antinazikampagne das Potential für Antifas nicht geringer geworden. Es gilt, sich die allgemeine Stimmung zunutze zu machen und sich mit den eigenen Inhalten zu positionieren.
Weder der Kampf gegen Nazis ist jetzt gänzlich überflüssig geworden. Gerade für kleinere Gruppen besteht hier oft die einzige Möglichkeit sich politisch zu artikulieren, noch sind Bündnisse mit bürgerlichen Gruppen generell zu verwerfen. Sie müssen genutzt werden, um in unserer Kritik über den Konsens gegen Nazis hinaus zu vermitteln, dass die Ursachen für Faschismus in der Gesellschaft zu suchen sind.

Organisierung - aber wie?

Die Entwicklung organisierter antifaschistischer Politik ist an einem Punkt angelangt, der einige grundlegende Überlegungen und eine Neuorientierung notwendig macht. Es muss eine Antwort darauf gefunden werden, wie und an welchen Themen linksradikale Positionen vermittelt werden können.
Eine bundesweite antifaschistische Organisation, in deren Rahmen eine grundlegende Neuorientierung diskutiert und vorangetrieben werden könnte, existiert momentan nicht. Die bisherigen Organisierungsversuche der Antifa waren nicht ausreichend erfolgreich: In der BRD gibt es über 200 Antifagruppen. Einige dieser Gruppen beschränken ihre Politik auf Antinaziarbeit. Doch der Großteil und vor allem die aktivsten unter ihnen sehen sich als linksradikale antifaschistische Gruppen, das heißt sie haben zumindest den Anspruch, in ihrer Politik weitergehende Positionen zu vermitteln.
Nur ein kleiner Teil dieser Gruppen ist zusammen organisiert und auch in den bestehenden Organisationen findet keine kontinuierliche Diskussion statt. Dies hat zur Folge, dass den Positionen häufig eine gemeinsame Plattform fehlt, wodurch nicht das Bild einer Bewegung, sondern vieler vereinzelter Splittergruppen entsteht.
Auch gelingt es mittels der bestehenden Organisationsansätze nicht, die vorhandenen Kräfte zu bündeln. Die Reaktion auf aktuelle politische Entwicklungen erfolgt nur langsam und vereinzelt.

Der Kongress

Der Kongress im nächsten Frühjahr verfolgt das Ziel, revolutionäre linke Gruppen, auch über das Antifaspektrum hinaus an einen Tisch zu bringen und nach gemeinsamen Ansätzen zu suchen.
Es soll ein Rahmen geschaffen und gestaltet werden, in dem antifaschistische Gruppen in der BRD zusammen mit VertreterInnen anderer linksradikaler Politikansätze eine kontinuierliche Diskussion über die Neuorientierung antifaschistischer und linksradikaler Politik einleiten können.
Längerfristig muss eine Struktur entstehen, die gleichzeitig auch die Möglichkeit bietet, die angestellten Überlegungen bundesweit umzusetzen, um so die vorhandenen Kräfte zu einigen. Politikbereiche, die bisher bestenfalls behutsam angetestet wurden, können und müssen in Zukunft zu Schwerpunkten werden. Die Eröffnung neuer Themenfelder und Perspektiven kann aber nicht bedeuten, alle Brücken hinter sich abzubrechen: eine linksradikale Bewegung, die bei der aktuellen gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit ihrer Positionen versucht, wieder bei Null anzufangen, macht sich nicht nur das Leben, sondern das Überleben schwer. Bei dem Kongress muss es deshalb darum gehen, Anknüpfungspunkte in der bisherigen Antifapolitik zu finden, die Perspektiven eröffnen.

Die Diskussion soll sich an folgenden Leitfragen bewegen:

- 10 Jahre Antifapolitk - theorieloser Teilbereich oder revolutionäre Bewegung?
- Die Entwicklung der BRD - "normalisierter" Kapitalismus oder völkischer Sonderweg?
- Wie kann die Antifa antikapitalistische Praxis entwickeln?
- Welche Organisationsform braucht die Antifa?
- Kann Antifa mehr als eine Jugendbewegung sein?
- Wie sieht eine europäische Perspektive des linksradikalen Widerstandes aus?

Um diese Punkte zu diskutieren sind alle AntifaschistInnen, aber auch andere linksradikale Gruppen, die sich nicht explizit dem Antifa- Spektrum zuordnen, im Frühjahr 2001 nach Göttingen eingeladen.


Es ist allerhöchste Zeit, mal wieder Kontakt aufzunehmen!


 

01.03.2001
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