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Steinen: Anklageerhebung wegen Schusswaffeneinsatzes

Information des Arbeitskreis Miteinander über einen Beschluss des
Amtsgerichts Lörrach zur Anklageerhebung gegen einen Polizisten, der am
1.September 1999 in Steinen einen Algerier mit zwei Schüssen
lebensgefährlich verletzt hat.
Geschäftszeichen 31 Ds 90 Js 10424/99

Das Amtsgericht Lörrach hat in seinem Beschluss vom 18. Dezember 2000 eine
Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den vom Rechtsanwalt des Opfers wegen
schwerer Körperverletzung im Amt angezeigten Polizisten abgelehnt. Die
Staatsanwaltschaft hatte nach einem Jahr ein Verfahren wegen fahrlässiger
Körperverletzung beantragt. Der Amtsrichter begründete seinen Beschluss im
Wesentlichen damit, dass die Schüsse des Polizeibeamten zur Verhinderung
eines von ihm vermuteten Suizid des Algeriers durch Sturz aus dem Fenster
gerechtfertigt waren. Dem Angeschuldigten könne in dieser Situation auch
nicht der Vorwurf der Fahrlässigkeit gemacht werden.
Bereits in der Anklageschrift gab es mehrere anzuzweifelnde Behauptungen,
die im Prozess zu klären gewesen wären. So bezieht sich der Staatsanwalt in
seiner Anklage und auch jetzt der Richter auf die Aussage einer anwesenden
Polizeibeamtin zum Tathergang. Dagegen bezeugt die Ehefrau des Algeriers,
dass diese Beamtin mit ihr während des gesamten Geschehens bei
verschlossener Tür im Schlafzimmer war, da sie Kleider für die Abschiebung
zusammenpacken sollte. Die Schilderungen des Tathergangs durch die
Staatsanwaltschaft erinnert sehr an einen Fall, der sich etwa drei Wochen
vorher in Schopfheim zugetragen hat, als sich ein algerischer Asylbewerber
in der Tat ein Messer an die Kehle hielt und sich zum Fenster begab, als er
abgeschoben werden sollte. Die Polizei dort brach daraufhin die Abschiebung
ab, um ein Suizidrisiko auszuschalten.
Er habe überhaupt kein Messer in der Hand gehabt, sagte dagegen in diesem
Fall der Algerier aus, und bisher scheint auch am Ort des Geschehens kein
solches sichergestellt worden zu sein. Ein medizinisches Gutachten zum
Schusskanal im Körper des Opfers, mit dem die Staatsanwaltschaft ihre
Version des Tathergangs belegt, ist zumindest fragwürdig und vor Ort nicht
nachstellbar. Der zweite lebensgefährliche Schuss drang in den rechten
Oberschenkel ein und blieb nach Durchdringung der Blase in der linken
Beckenschaufel stecken. Der nicht gerade kleinwüchsige Polizeibeamte hat im
Stehen geschossen. Der Algerier soll angeblich seitwärts auf dem schmalen
Fensterbrett gesessen haben, das rechte Bein nach unten hängend. Die
Schusslinie müsste demnach von unten nach oben verlaufen sein. Dagegen hat
der als Nebenkläger auftretende Algerier angegeben, dass er durch den ersten
Schuss bereits zu Boden fiel in einen engen Gang zwischen zwei Küchenzeilen
und auf der linken Seite lag. Da e!
in Hauptverfahren nicht eröffnet werden soll, wird eine Klärung dieses und
anderer Details verhindert. Im Gerichtsbeschluss wird der Algerier als
unglaubwürdig bezeichnet. Niemand, außer dem Angeklagten und dem Opfer aber
konnte den Tathergang gesehen haben. Der angeklagte Polizeibeamte hat sich
seit dem Tag der Tat, soweit bekannt, nicht mehr dazu geäußert.

Den Beschluss des Gerichts fand der Algerier am Samstag vor Heilig Abend in
seinem Briefkasten. Als Beschwerdefrist wurde eine Woche genannt. Durch die
Feiertage verbleiben dem Mann nur noch drei Tage. Zudem steht zu vermuten,
dass sein Rechtsanwalt in Urlaub ist, da er bis jetzt noch nicht zu
erreichen war. Der Algerier hat mit Unterstützung des Arbeitskreis
Miteinander Beschwerde eingelegt.

Der Arbeitskreis Miteinander ist empört und besorgt über die juristische
Praxis in diesem Land, dass eine Polizeiaktion, bei der ein Mensch
lebensgefährlich verletzt wird, ohne öffentlichen Prozess zu den Akten
gelegt werden soll. Die Duldung des Algeriers und seiner fünfköpfigen
Familie wurde zwar Ende November um drei Monate verlängert, doch sie gilt
ausdrücklich nur, solange er für einen Prozess als Zeuge benötigt wird.


Arbeitskreis Miteinander e.V.
Ansprechpartner: Ingrid Jennert
Rechbergstr. 23
79585 Steinen

Tel. 07627/7792
Fax 07627/970365
e-mail: ingrid.jennert@t-online.de

 

31.12.2000
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