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Türkei: Trotz Massaker:Der Kampf geht weiter

Folgende Presseerklärung, die unseren Informationsstand vom 27.12.2000 13.00 Uhr
wiedergibt, wurde heute auf einer Kundgebung mit ca. 50 TeilnhemerInnen in
Nürnberg als Flugblatt verteilt:

Trotz Massaker - Kampf gegen Isolationshaft geht weiter

Seit dem 20. Oktober 2000 befanden sich etwa 2000 politische Gefangene in
türkischen Gefängnissen in einem unbefristeten Hungerstreik. 240 Gefangene
beteiligten sich an einem sogenannten Todesfasten, als letztes Mittel, um die
Verlegung in sogenannte F-Typ-Isolationsgefängnisse zu verhindern.
Isolationshaft, bei Menschenrechtsorganisationen als "weisse Folter" bekannt,
soll politische Gefangene in ihrer Identität brechen, sie psychisch und physisch
vernichten. Die neuen F-Typ-Gefängnisse sollen das ohnehin schon brutale
Knastsystem ergänzen, in dem Übergriffe, Massaker und Folter alltäglich sind
Boten bisher die Gemeinschaftszellen, in denen etwa 50-100 Menschen auf engstem
Raum unter miserablen Bedingungen zusammengepfercht waren, doch einen gewissen
Schutz vor den Zugriffen der Folterer, so sind die Gefangenen in Isolationshaft
auch der blutigen Folter, wehrlos ausgeliefert.
Forderungen der Hungerstreikenden :
- Schliessung der F-Typ Isolationsgefängnisse
- Der Erlass vom Januar, der u.A. das Recht auf Verteidigung faktisch abschafft,
muss aufgehoben werden
- Schliessung der Staatssicherheitsgerichte
- Die verletzten und kranken Gefangenen müssen behandelt werden
- Die Folterer müssen bestraft werden.

Das Massaker
Am 19 Dezember haben nun türkische Polizeieinheiten 18 Gefängnisse, in denen der
Hungerstreik stattfand, mit Waffengewalt und unter Einsatz von Panzern und
Bulldozern gestürmt. Vorwand war, das Leben der Hungerstreikenden retten zu
wollen, das Ergebnis war ein brutales Massaker: 29 Tote sind namentlich bekannt,
es gab unzählige Verletzungen. Eine Gefangene ist inzwischen im Krankenhaus
gestorben Die Verletzten wurden in Krankenhäuser gebracht und dort von
Polizisten an die Betten gekettet. Die Überlebenden wurden in die F-Typ-Knäste
verlegt. Dies war wohl der wahre Zweck dieser Operation. Entgegen anders lautendenden
Versprechen der türkischen Regierung war es nur Täuschung. Die "Konsensgruppe",
bestehend aus Mitgliedern der Menschenrechtskommission des türkischen
Parlaments und von Berufsverbänden wie Anwalts und Ärztekammer, die bisher mit
den Gefangenen verhandelt haben, erklärten nach dem Massaker, sowohl sie, als
auch die Gefangenen wären weiterhin an einer Verhandlungslösung interessiert
gewesen, worin freilich nicht die Verlegung in F-Typ-Gefängnisse enthalten sein
sollte.

Aus einem Bericht der türkischen Ärztekammer:
- Es wurden viele Gefangene auf dem Weg in die F-Typ Knäste gefoltert und
misshandelt. Viele, die aus den Krankenhäusern in die F-Typ-Gefängnisse verlegt
wurden waren 2-3Tage lang verschwunden und wurden offensichtlich gefoltert
- 9 Menschen, die sich bisher im Todesfasten befanden, sind seit dem Massaker
spurlos verschwunden.
- Es existieren 2 unterschiedliche Listen, eine auf Computer, eine
handschriftlich, auf denen unterschiedliche Angaben stehen, wer bisher aus den
Krankenhäusern in die Knäste verlegt wurde
- Manche Namen sind in den Namenslisten der im Gefängnis Einsitzenden
verzeichnet, sogar unter Angabe der Zellennummer, aber in Wirklichkeit dort
nicht zu finden. Wo sie wirklich sind ist unklar
- Anwälten, die mit Gefangenen Kontakt aufnehmen wollten, wurde mitgeteilt, die
Gefangenen seien nicht in der Lage, mit ihnen zu reden und mit dieser Begründung
die Kontaktaufnahme verweigert. Es unklar, ob die Betreffenden überhaupt dort
oder am Leben sind.
- Es funktioniert keine Heizung, sogar das Wachpersonal hat gesundheitliche
Probleme. In der Türkei ist Winter und es hat Minusgrade.
- Die Gefangenen haben bis jetzt keine Kleidung erhalten, zu Anwaltsterminen
erschienen sie halbnackt oder in Laken gehüllt. In den Zellen gibt es nur eine
Decke. Für verletzte Gefangene besteht wegen der Kälte Lebensgefahr
- Während der Überführungen von Krankenhäusern oder Gefängnissen in Gefängnisse
wurden die Gefangenen nackt ausgezogen und misshandelt. Verletzungen davon sind
Nasenbeinbrüche, Fingerbrüche Platzwunden. Weiterhin Hautausschläge herrührend
von Gas, da bei der Erstürmung der Knäste oft nicht nur Tränengas, sondern auch
andere, bisher unbekannte Giftgassorten eingesetzt wurden.
- Auch in den Isolationszellen gehen die Übergriffe weiter .Vorwand sind
Zellendurchsuchungen.

Hungerstreik geht weiter
Der Widerstand der Gefangenen wurde auch mit diesem Massaker nicht gebrochen, im
Gegenteil: alle politischen Gefangenen, die sich mit dem Kampf bisher
identifiziert haben sind jetzt im Todesfasten.
Zudem sind jetzt auch 10000 PKK-Gefangene in einen Hungerstreik getreten.
Damit ist zugleich die Behauptung widerlegt, die Gefangenen seien von ihren
Organisationen zum Hungerstreik gezwungen worden.

Politische Situation in der Türkei, Hintergründe
Der türkische Staat versucht inzwischen, jede Kritik an dem Einsatz und allem,
was mit dem Thema Isolationshaft zu tun hat, zu unterbinden. Es wurde eine
Pressezensur erlassen, also ein Verbot, kritisch zu berichten, die meisten
Zeitungen halten sich daran.
16 politischen- und Menschenrechtsorganisationen wie aber auch Berufsverbänden
und Gewerkschaften
wie z.B. Ärzte- und Architektenkammer wurden offizielle Verlautbarungen
zugestellt in denen ihre bisherigen Erklärungen und Kritik an Isolationshaft und
dem Massaker an den politischen Gefangenen als Unterstützung von Terroristen
bezeichnet wurde. Es wurde ihnen bei Fortsetzung mit Repressalien bis hin zur
Schliessung wegen Verstoss gegen das Antiterrorgesetz gedroht.
Mittlerweile wird aber auch in bürgerlichen Kreisen in der Türkei die Kritik
wegen der offensichtlichen Widersprüche in der staatlichen Propaganda lauter.
Die Rolle des Westens:
Bezüglich Isolationshaft von politischen Gefangenen übt sich die Bundesregierung
bisher in Zurückhaltung. Kein Wunder stammt doch das Modell der
F-Typ-Gefängnisse aus Deutschland, Stammheim. Die Türkei veranstaltete also das
Blutbad, um europäische Standarts einzuführen.
Gleichzeitig mit dem Massaker an den politischen Gefangenen begann eine
Operation der türkischen Militärs gegen die PKK im Nordirak, unterstützt von
US-Militärberatern.
Zeitgleich mit dem Beginn des Massakers wurde der Türkei ein IWF-Kredit in Höhe
von 25 Milliarden Dollar gewährt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...

Solidarisieren wir uns mit den Kämpfen gegen Isolationshaft
Widerstand gegen Isolationshaft ist ein Kampf für Menschenwürde und gegen Folter
Kein Stammheim am Bosporus
Freiheit für alle politischen Gefangenen

Bündnis für internationale Solidarität Nürnberg



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27.12.2000
Bündnis für internationale Solidarität Nürnberg   [Aktuelles zum Thema: Int. Solidarität]  [Schwerpunkt: Kampf gegen die F-Typ Gefängnisse in der Türkei]  Zurück zur Übersicht

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