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Erfurt: Offener Brief Landesjugendring Thueringen

Erfurt, 13.07.00


Offener Brief an die Landesregierung

Verbreitung des Films "Jugendlicher Extremismus in der Mitte Deutschlands -
Szenen aus Thüringen" von Reyk Seela muss verhindert werden

Sehr geehrter Herr Ministerprisident,
sehr geehrte Frau Ministerin Prof. Schipanski,
sehr geehrte Minister,


der Vorstand des Landesjugendring Thüringen e.V. hat sich mit dem Film
"Jugendlicher Extremismus in der Mitte Deutschlands - Szenen aus Thtringen"
beschiftigt und fordert die Landesregierung auf, eine Verbreitung des Filmes
zu verhindern und bei Interesse der Landesregierung, eine Neuproduktion mit
einer seriusen und sachgerechten Darstellung in Auftrag zu geben.

Die Grtnde ftr diese Aufforderung liegen im folgenden:

Der vorliegende Film geht von der Grundthese aus, dass Gewaltbereitschaft
ein Jugend(kultur)phinomen ist. In Folge davon kommt er zu einer
unzulissigen Gleichsetzung verschiedenartiger Gruppierungen sowie zu einer
Verharmlosung der mit rechtsideologischem Hintergrund begangenen Gewalt an
Personen. Der Film verkennt damit die Gefahr, die von neofaschistischen
Organisationen ausgeht. Er kommt weiterhin zu der Behauptung, dass
jugendliche Antifaschisten und Neonazis nur zwei Seiten einer Medaille sind,
die den jeweiligen Gegner ftr eine Auseinandersetzung brauchen.

Das Problem einer mitten in der Gesellschaft verbreiteten
Auslinderfeindlichkeit (vgl. Studie der FSU Jena, Prof. Wolfgang Frindte)
und der Angst vor dem Fremden, die einen Nihrboden ftr Rechtsextreme
darstellen, wird in keinster Weise aufgegriffen.

Die Nebeneinanderstellung von Auseinandersetzung auf dem Schulhof,
neofaschistischen Aufmirschen und antifaschistischen Jugendprotesten als
jugendliche Gewalt differenziert nicht nach den unterschiedlichen Ursachen
und Wirkungen. Die damit durch den Film zum Ausdruck kommende Verharmlosung
lisst den Eindruck aufkommen, als handelt es sich lediglich um ein
sozialpidagogisch zu lusendes Jugendproblem. Die gesellschaftspolitisch zu
lusende Aufgabe, die durch den jtngsten Bericht des
Bundesverfassungsschutzes untermauert wird, wird nicht vermittelt.

Mit keinem Wort erwihnt der Film, dass Personen durch Rechtsextreme gezielt
oder zufillig angegriffen, zusammengeschlagen, terrorisiert und sogar
getutet wurden. Jugendliche Proteste gegen Neofaschismus werden vullig
undifferenziert als "Linksextremismus" dargestellt und damit diffamiert.
Auch die Darstellung der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte in diesem
Zusammenhang entspricht in keiner Weise der dort geleisteten Arbeit.

Protagonisten rechtsextremer Gruppen kommen direkt und unkommentiert zu
Wort; eine Auseinandersetzung/pidagogische Wertung der ~ueerungen erfolgt
nicht. Dartber hinaus wird die Gefahr des Rechtsextremismus, der nach
Einschitzung des Bundesverfassungsschutzes inzwischen zu einem mit der RAF
vergleichbaren Terrorismus fihig ist, nicht erwihnt. Der Film unterschligt
die Darstellung der Menschenrechte als Grundlage der Demokratie und lisst
die antihumanen Haltungen neofaschistischer Gruppen unbewertet und damit als
beliebige Form jugendlicher Subkultur erscheinen.

Als besonders bedenklich erscheint die Einschitzung des suspendierten
Leiters des Thtringer Verfassungsschutzes Roewer, dass rechtsextreme
Straftaten v.a. Propagandastraftaten sind (Zeigen von Symbolen, die in
Deutschland verboten sind). Gleichzeitig kommentiert er, dass das Zeigen
solcher Symbole in anderen Lindern nicht verboten ist.

Ein Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands zeigt
vorwiegend Bilder getuteter Soldaten aus dem 2. Weltkrieg, die mit dem Satz
kommentiert werden: "Deutschland zahlte einen hohen Preis". Lediglich am
Ende dieser Passage wird kurz allgemein erwihnt, dass die "Verbrechen"
Deutschlands noch lange nachwirken.

Dieser Film entspricht nicht der sachgerechten Aufarbeitung der
Vergangenheit und schon gar nicht der aktuellen Situation in Thtringen. Von
einem in Schulen einzusetzenden Film muss erwartet werden, dass nicht
verktrzt von Extremismus als Randerscheinung der Gesellschaft ausgegangen
werden darf, sondern die dahinterstehenden Phinomene wie
Auslinderfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft, Neofaschismus differenziert
beleuchtet und damit zu einer konkreten Auseinandersetzung verhilft.


Mit freundlichen Grüßen

Matthias Sengewald
Peter Weise
Mitglied des Vorstand LJRT
Geschiftsfthrer


 

18.07.2000
Michael.Ebenau@t-online.de   [Aktuelles zum Thema: Antifaschismus]  Zurück zur Übersicht

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