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Hannover: Die Kontrolle verlieren - Expo No ! - Ho, Ho, Ho ?

                          

Die Kontrolle verlieren - Expo No ! - Ho, Ho, Ho ? Emanzipierte Verantwortungslosigkeit und Visionen globalisierter Bewegung im Expo-Widerstand Hannover Wer zur Aktionswoche nach Hannover kommt sollte dem angekündigten Konzept folgen und sich tatsächlich auf eigene Strukturen verlassen - denn in Hannover ist wirklich nichts sicher. Weil die anstehende Woche nicht nur politisch ein Desaster zu werden droht, vielmehr um die Sicherheit der in mangelhaft organisierte Strukturen anreisenden FreundInnen und GenossInnen gefürchtet werden muß, sehen wir uns als Teil der revolutionären, undogmatischen radikalen Linken (und manche von uns eben als Autonome), gezwungen, über den Zustand des autonomen EXPO-Widerstands in Hannover aus unserer Sicht aufzuklären. Und das, entgegen den zu erwartenden Affekten nicht als Entsolidarisierung oder gar Denunziation, sondern selbstverständlich in Solidarität zum EXPO-Widerstand und Anti-EXPO-Plenum. Seit Anfang 2000 existiert in Hannover das Anti-EXPO-Plenum - der EXPO-Widerstand mit neuem, bzw. ausgetauschtem Personal. Das Plenum bildet den Rahmen für eine handvoll etablierter AktivistInnen und einer weit größeren Zahl an widerständischem Nachwuchs. Sowohl Altersstruktur und als auch politische Herkunft des EXPO-Widerstandes wandelte sich im Vergleich zu vormaligen Jahren. Dieser Vorbereitungskreis repräsentiert selbst innerhalb der radikalen Linken nur ein sehr eng begrenztes Spektrum. Gesellschaftlich gesehen ist die dort vertretene Minderheit ohnehin irrelevant. Die drängende Zeit zwingt das Plenum zur Eile und verhindert Aufklärung wie Diskussion. Es muß funktioniert werden. Pragmatisch wird sich ausschließlich auf die Bewältigung der Aktionswoche vorbereitet, das aber mit Begeisterung. Nichtsdestotrotz mangelt es an Personal und Erfahrung. Der EXPO-Widerstand ist in der Organisation von Struktur und Logistik des ambitionierten Vorhabens -Aktionswoche- überfordert. Nicht einmal das Mindestmaß an Sicherheitsvorkehrungen kann eingehalten werden. Die politische Betrachtung kann nicht übersehen, daß der bisher praktizierte Widerstand nicht nur allgemein gesellschaftlich, sondern auch von anderen emanzipatorischen Kämpfen isoliert ist. Ein gesellschaftspolitisches Ziel kann sich in keinen der bisher angekündigten Aktionen wiederfinden. Der EXPO-Widerstand hätte eigentlich seinen Bankrott zu erklären. Die Kampagne gegen die EXPO ist, wie auch in der Jungle World (JW, Nr. 18, "Nachhaltig exponiert") richtig bemerkt, die dauerhafteste aller Kampagnen der Autonomen. Seit 1989 hatten verschiedenste hannoversche Gruppen, Initiativen und Einzelne an entsprechenden Debatten und Aktivitäten teilgenommen, nicht nur Autonome. Im Verlauf der 90er Jahre veränderte sich jedoch mit abnehmendem öffentlichen Interesse und positiv gewendeter Meinung zur EXPO auch der Widerstand inhaltlich wie personell. Ende 1998 ließ sich bereits feststellen, daß der EXPO nur noch innerhalb eines eingeschränkten Kreises bestimmter Teilbereichskämpfe eine höhere Bedeutung beigemessen wurde. Schon in dieser Phase wurde zwischen den in der Diskussion verbliebenen Gruppen bezüglich gesellschaftspolitischer Verortung und Einordnung der Ausstellung und der davon abhängigen Praxis für das Jahr 2000 konträr diskutiert - in jedem Falle aber durch Streit und ausbleibende Vermittlung kontraproduktiv. Eine erneute Etablierung des Projekts EXPO-Widerstand scheiterte trotz teilweise verzweifelter Anstrengung aber letztlich nicht an den Konflikten, sondern an Interesselosigkeit der, bzw. Ablehnung durch die hannoverschen Restlinken. Die EXPO galt als überbewertet. Das Potential der EXPO für die Linke, die Verknüpfung der einzelnen notwendigen gesellschaftlichen Kämpfe hatte keine ausreichende Ausstrahlungskraft mehr, um zu einer kontinuierlichen gemeinsamen Zusammenarbeit zu kommen. Wir sind an unserer Kraftlosigkeit gescheitert, eine demonstrativ zur Schau gestellte Stärke ist Theater und unverantwortlich. Dieser Verlauf war keinesfalls ein speziell hannoversches Phänomen. Ein derartiges Projekt entsprach nicht mehr dem politisch desolaten Zustand der deutschen Linken von 1998 und schon gar nicht dem der Autonomen. Das anvisierte Ziel der Zusammenführung gesellschaftlich relevanter Kämpfe, repräsentiert durch die Betroffenen selbst, hätte, wie uns die Erfahrung gelehrt hat, einen organisatorischen und politischen Vorlauf von mindestens einem Jahr gebraucht, um mit diesem Anspruch kampagnenfähig zu werden. Kampagnenfähigkeit hätte auch die zeitige Plazierung von radikaler Kritik an der EXPO 2000 im öffentlichen Raum vorausgesetzt. Das ist bis heute nicht gelungen. Über die subkulturelle Geste, mit MigrantInnen und Lohnabhängigen, Erwerbslosen, SozialhilfeempfängerInnen und Flüchtlingen, Obdachlosen und "Behinderten" zusammenzuarbeiten - und zu -kämpfen - hinauskommen zu wollen, war einmal gesetztes Ziel. Stattdessen werden diese Gruppen jetzt, einmal mehr, als bloße Referenz zitiert. Unser Ziel sollte es sein, vor Ort in gesellschaftliche Konflikte einzugreifen um wirkmächtig zu werden, nicht die folkloristische Präsentation einer Minderheitenmeinung. Die substanzielle Unfähigkeit und Bodenlosigkeit der undogmatischen radikalen deutschen Linken (also nicht nur die der Autonomen) zu einem solchen Vorhaben wurde 1999 in Köln bestätigt. Die weitgehende Ignoranz des NATO-Krieges und deutschen Kriegseintritts gegen die BR Jugoslawien bekräftigte eindrucksvoll den Entschluß, in einem solchen Zustand zu verharren. Die Sprachlosigkeit zu den Bomben auf Belgrad war ein Bekenntnis zur eigenen Inhaltslosigkeit. Die Möglichkeit zur politischen und logistischen Vorbereitung eines gesellschaftlich relevanten Widerstandes gegen die EXPO hatte sich u. E. also spätestens 1999 erledigt. Zwei Dinge ergaben sich für uns daraus: 1. Eine Zäsur, ein Innehalten der Betriebsamkeit ist allgemein notwendig; und 2. - im konkreten Fall - will sich die Linke nicht an den Verhältnissen blamieren, nutzt sie die EXPO als "Kristallisationspunkt" vornehmlich zu Reflexion und Debatte und verzichtet auf überstürzte Massenaktionen. Eine einmalige schlichte Großdemonstration hätte als üblicher Kommentar davon die Ausnahme bilden können. Mit der Arbeit des Anti-EXPO-Plenums sind die Hoffnungen auf eine entsprechende Entwicklung zerstört worden. Formulierte Erkenntnisse werden nun konterkariert, nicht diskutiert. Das autonome Spektrum Hannovers ist an dieser Situation in Lager zerfallen und zieht damit eigentlich nur in einer Entwicklung nach, die bspw. in Berlin längst läuft. Die Diskussionen zur Praxis am 1. Mai ist in den wesentlichen Punkten die gleiche (vgl. auch JW Nr. 18, Disko). Die Linke wird sich, so oder so, zumindest in Gestalt der Autonomen in Hannover blamieren. Aus Köln werden keine Schlüsse gezogen, ein verpaßter Krieg gar nicht erst begriffen. Nun also das alte Lied: die Autonomen machen sich einmal mehr zum "Kampagnenheinz" (wer nicht versteht, frage nach dem "Heinz-Schenk-Papier" in ihrem/seinem Info-Laden) und bleiben sich treu, zur ewigen Wiederholung verdammt. Die Schärfe dieser Kritik trifft aber heute mehr denn je. Die einstigen Stärken sind längst abgestriffen, jetzt geht das Minimum verloren. Mensch ahnt schon die Legenden und Mythen der 'irgendwie schon' spektakulären Aktionswoche, die zum nächsten Event überleiten, wenn der aktuelle größenwahnsinnige Schlachtruf zum letzten Gefecht "London-Seattle-Hannover" demnächst getoppt werden muß. Die sind auch notwendig zur Aufrechterhaltung des Betriebes, denn trifft die AktivistInnen erst die Erkenntnis über die Vergeblichkeit ihres mühevollen Tuns, ist der Schritt in die ausgeruhte Bürgerlichkeit nur konsequent. Der frustrierte Rückzug aus dem gesellschaftlichen Geschehen ist also vorprogrammiert. Aus dem Spannungsbogen solcher Erfahrungen gehen auch in Hannover sowohl die Initiativen, wie Kritik und Klagen hervor. "Seattle hat gezeigt, daß der Widerstand machbar ist. Eine emanzipatorische Bewegung beginnt mit der eigenen Struktur - es bedarf keiner Steuerungsgruppen oder Vorstände. Gegenmacht von unten ist dann stark, wenn Basisgruppen und die regionalen Zusammenhänge agieren, unabhängig und widerständig sind, wenn neben Ein-Punkt-Bezügen auch ein gemeinsamer Kampf entsteht, wenn Visionen langweilige Realpolitik und direkte Aktionen die Anbiederei hinwegfegen. Die Aktionen rund um den EXPO Eröffnungstag sollen das deutlich zeigen - und damit das Ende einer elendigen Phase einläuten, in der der neoliberal modernisierte Kapitalismus unangefochten dominierte." (EXPO-NO! Mobilisierungszeitung gegen die Weltausstellung 2000 in Hannover, S.1) Emanzipiert werden soll sich, wie es scheint durch Mythen, fernab eines Begriffes von Gesellschaft, Emanzipation und politischer Vermittlung. Daran besteht auch kein Interesse, denn nach Seattle "war das Ohnmachtsgefühl weg" (ebd.). Die Ereignisse in Seattle werden zum anleitenden Spektakel vereinnahmt, als seien sie ein ortloses, transferierbares Phänomen, das den US-AmerikanerInnen nur zufällig als Erste in den Schoß gefallen wäre. Losgelöst von Ort, Zeit, Geschichte und gesellschaftlicher Zusammenhänge feiert mensch eine - entgrenzte - Widerstands-Globalität, die sich in ihrer Fiktion in nichts von der halluzinierten Eine-Welt-Globalisierungs-Ideologie des eben noch denunzierten "neoliberalen" Kapitalismus unterscheidet, nein, im Gegenteil voll drauf reingefallen ist. Was des einen Markt, ist des anderen Wider-Stand - mensch wohnt im gleichen globalen Dorf. Die erfassende Wirkung von Fiktion und/oder Mythos soll hier nicht bestritten werden, auch nicht das grenzüberschreitende Moment heutiger Herrschaftsstrukturen oder Machtformationen - daß es emanzipiert, wenn das Soziale und Politische konkreter Arbeits- und Lebensverhältnisse verloren geht, dagegen schon. Alltägliche Interesselosigkeit an gegenwärtigen gesellschaftlichen Konfliktlinien nötigt zu einer Mobilisierung, die ein fiktives Szenario zu ihrer Erklärung benötigt. Das verrät Standortlosigkeit. Wer ohne Ort und ohne Stand ist, kann keinen Widerstand leisten, bestenfalls Widersicht. Die ,Widerständischen' bleiben im wahrsten Sinne >utopisch< ( d.h. eben "ohne Ort"). Also wird Widerstand imitiert, mensch hat ihn ja im Fernsehen gesehen und weiß wie er aussieht. Zweifellos kann der Blockade-Tag ein ,militärisch-taktischer' Erfolg werden, es braucht nicht einmal ein Dutzend entschlossene Leute, um mehrere entscheidende Bahnen lahmzulegen, doch was ist damit gewonnen ? Sicher, eine schöne direkte Aktion erfreut das Herz, bindungslos und freischwebend aber bleibt sie politisch folgenlos. Wozu also der Aufriß ? Das einzige was das Festival Expo vom Festival Expo-Widerstand nachhaltig unterscheidbar machen wird, ist die "langweilige realpolitische" Repression des Staatsapparates. Also, zu unserem Aufruf - kommt am 27.5. ganz eigenverantwortlich zur Demo. Den Rest überlegt euch gut. M.A.D., mamba, Rote Aktion Kornstraße (RAK) und Einzelne/ Hannover Kontakt: M.A.D. c/o Infoladen Kornstr. 28/30 30167 Hannover

 

05.05.2000
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