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Jena: Erklaerung zum Anschlag auf die Erfurter Synagoge

Erklaerung zum Anschlag auf die Erfurter Synagoge


Am 20.04.2000 wurde in Erfurt ein Brandanschlag auf die dortige Synagoge
veruebt. Dazu gab es ein Bekennerschreiben, das mit den Worten "Heil
Hitler" schloss. Trotzdem erklaerten die ermittelnden Stellen bei LKA
und Staatsanwaltschaft, dass es moeglich waere, dass diese Tat von
einer "linksextremen Gruppe" begangen worden waere, um einen
rechtsextremen Hintergrund vorzutaeuschen. Diese Unterstellung, und
auch ihre blosse Behauptung, ist nicht zufaellig in einem Land, in
welchem trotz anderslautender Zahlen die rechtsextremen Gewalttaten
schoengeredet, verniedlicht, verharmlost - und immer als Einzelaktionen
verwirrter EinzeltaeterInnen oder "Racheaktionen" nach linken Aktionen
bezeichnet werden. So werden insbesondere die Opferzahlen bei
rechtsextremen Morden und Mordversuchen seit Jahren von den Behoerden
verfaelscht. Allein fuer 1998 werden gerade mal 3 ermordete Menschen
gezaehlt, dabei gibt es mindestens sechs weitere Opfer.

Diese Strategie der Verfaelschung wird gerade in den sogenannten Neuen
Bundeslaendern propagiert - kein Wunder, schliesslich sind diese auch
so schon Spitzenreiter in Sachen Rechtsextremismus. Und so wundert es
wohl niemanden mehr, wenn Brandenburgs Innenminister Schoenbohm (CDU)
den Rechtsextremismus nur bekaempfen will, wenn auch der
Linksextremismus dran glauben soll. In Thueringen ist diese Strategie
schon seit laengerem aktuell: Der damalige Innenminister Dewes (SPD)
benutzte sie, als in der rechtsextremen Hochburg Saalfeld demonstriert
werden sollte. Trotz ueber 200 rechten Gewalttaten allein in dieser
Stadt in einem Jahr mussten die gerade mal ein Zehntel davon
ausmachenden linken "Straf"-Taten inklusive Grafitti 1997 fuer ein
Verbot der Antifa-Demonstration und die Verhaftung von mehreren hundert
Menschen herhalten.

Jetzt ist Dewes nicht mehr Innenminister, sondern der CDU-Mann
Koeckert. Geaendert hat sich freilich nichts, weder an der
Haeufigkeit rechter Straftaten (1.118 in Thueringen 1999) noch an der
Verfolgung derselben:

Zwei Monate vor dem jetzigen Anschlag auf die Synagoge wurde in Erfurt
bereits ein juedischer Friedhof geschaendet. Und nach dem Anschlag
wurden nicht nur mindestens acht Menschen, darunter auch ein
PDS-Landtagsabgeordneter, von Nazis bedroht, sondern auch ein
tuerkischer Jugendlicher ueberfallen. Am Abend des 20.4. feierten in
einer efurter Kneipe etwa zwei dutzend Nazis lautstark den
"Fuehrergeburtstag". In Rudolstadt-Schwarza randalierten fuenf
betrunkene Neonazis vom "Jungsturm Schwarza" am Bahnhof unter
"Sieg-Heil"-Gegroele, ohne dass die Polizei eingriff. In Jena
sammelten sich am Abend des Ostermontags etwa 15 jugendliche Neonazis am
Zelt des Karawane-Kongresses und provozierten. Und nur ein paar Tage vor
Beginn des Kongresses wurde ein Journalist aus Zaire offenbar gezielt
vor seiner Wohnung ueberfallen. Doch die rechtsextreme Gewalt geht noch
weiter: Am Montag, den 24.04.2000 gegen 21.00 Uhr befanden sich zwei
Jugendliche, ein Junge und ein Maedchen im Alter von 17 und 16 Jahren,
auf dem Weg nach Hause. Als sie an einem Jugendclub mit akzeptierende
Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen vorbeikamen, stiegen aus einem
schwarzen BMW zwei Nazis und verfolgten die zwei fluechtenden
Jugendlichen. Nach etwa 200 Metern wurden die zwei eingeholt,
festgehalten, bedroht und geschlagen. Das Maedchen wurde massiv
eingeschuechtert: "Wir kennen dich und besitzen ein Foto von dir." bzw.
"Wenn ihr zur Polizei geht, machen wir euch fertig."

In der Nacht vom 25./26.04.2000, begegneten gegen 0.15 Uhr zwei
Jugendliche, Brueder im Alter von 20 und 16 Jahren, kurz vor ihrem Haus
einer auf der Strasse laufenden Gruppe von ca. 14 Jugendlichem. Der
16-jaehrige Jugendliche wurde ploetzlich von einem Nazi hinterruecks
angefallen. Als ihm sein Bruder zur Hilfe kommen wollte, wurde dieser
selbst von drei anderen massiv zur Seite gestossen und mehrfach ins
Gesicht geschlagen und getreten. Schon am Boden liegend traten die
Taeter noch mehrfach auf ihn ein. Ebenso wurde sein Bruder
zusammengeschlagen und mit Tritten auf den ganzen Koerper traktiert.
Drei Orte - fuenf Tage - 14 Gewaltstraftaten. Eben Thueringen.

Zurueck zu Erfurt: Besonders interessant an den Reaktionen deutscher
Strafverfolgungsbehoerden sind die Presseverlautbarungen. So wurde die
ermittelnde Staatsanwaeltin von der Nachrichtenagentur AP mit den
Worten zitiert, dass die Ausfuehrung des Anschlags zwar die
Moeglichkeit zur Einzeltaeterschaft biete, dies aber szeneuntypisch
sei. Mit anderen Worten: Die bisher immer angefuehrte These verwirrter
rechter EinzeltaeterInnen ist endlich auch von oben verworfen.

Bleibt nur noch die Frage nach "den Anderen", den MittaeterInnen. Der
18jaehrige Gothaer, dessen Fingerabdruecke auf dem Bekennerschreiben
gefunden wurde, gehoerte bis vor Kurzem der NPD und danach dem "Bund
Deutscher Patrioten" an. Dieser wurde von ehemaligen NPDlerInnen aus
Thueringen gegruendet. Das beide einigende Band ist aber der
Thueringer Heimatschutz, eine militant-nationalsozialistische
Vereinigung, deren Fuehrungskader auch die Thueringer NPD dominieren.
Einer der Gruender ist Tino Brandt, der als Mitarbeiter im Verlag
"Nation+Europa" aktiv an den Einigungsbestrebungen der rechten Szene
beteiligt ist. Drei Jenaer THSlerInnen sind seit der Aushebung ihrer
"Bombenwerkstatt" 1998 auf der Flucht. Der Grossteil der Mitglieder des
THS sind keine Nazi-Skins, sondern aeusserlich relativ unauffaellige
Personen, oftmals mit braunem oder weissem Hemd und Schlips sowie
schwarzem Mantel bekleidet. Und mit Scheitelfrisuren! So ist es auch
nicht verwunderlich, dass Christian Kapke, Bruder des Jenaer NPD- und
THS-Funktionaers AndrE9 Kapke und Musiker in einer rechtsextremen
Popband, sich selbst einmal mal als "Scheitel-Man" (sprich: maen)
bezeichnete.

Die Reaktionen des Staates auf den ersten Aschlag auf eine Synagoge seit
1995 in Luebeck werfen noch mehr Fragen auf. Mal abgesehen davon, dass
die am "Hitlergeburtstag" eigentlich bewachte Synagoge tatsaechlich nur
stundenweise abgesichert wurde und die TaeterInnen dies irgendwie ja
gewusst haben muessen, wird der Anschlag seitens der Regierung dazu
benutzt, die Forderung nach ausgedehnter Videoueberwachung zu
transportieren. Auch die Forderung nach einem Verbot der NPD wurde durch
den Thueringer Innenminister gestellt, gleichzeitig aber darauf
hingewiesen, dass das ja Bundesangelegenheit sei. DCber ein Verbot des
vor Ort wesentlich relevanteren THS wollte oder konnte der Minister
offensichtlich nicht nachdenken. Wir fordern dagegen eben nicht das
Verbot des THS, der NPD oder ihrer Demonstrationen, weil dies auch gegen
unsere Strukturen verwendet werden kann (gerade mit der absichtliche
Unterstellung, autonome Gruppen koennten eine solche Straftat
vorgetaeuscht haben!), sondern eine radikale Aufklaerung und
Auseinandersetzung mit rechten Gruppierungen und der rechtsextremen
Vergangenheit des Staates BRD. Gerade durch rassistische Aeusserungen
von (Ex-)Regierungsparteien wie CDU/CSU oder SPD wird der Alltag in
Deutschland rassistischer, nationalistischer, rechter... Gerade Kanzler
Schroeder ("Wer das Gastrecht missbraucht, fuer den gibt es nur eins:
Raus, und zwar schnell!") und sein Inneminister Schily ("Das Boot ist
voll!") sollten das wissen.

Wir als Teil der autonomen und antifaschistischen Bewegung lassen uns
nicht durch SchreibtischttaeterInnen diffamieren und benutzen! Von uns
hat keineR Interesse daran, dass Synagogen brennen!


Infoladen "Schwarzes Loch" Jena, PF 100841, 07708 Jena - e-mail:
aag-j@gmx.net

 

27.04.2000
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  Zurück zur Übersicht

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