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Heidelberg: 30. April 2000 - Marktplatz links!

Heidelberg: 30. April 2000 - Marktplatz links!
Antifaschistisches Straßenfest
Zusammen kämpfen - Zusammen feiern
Burschenschaften abschaffen - Autonome Zentren aufbauen!


In Heidelberg lange Zeit umkämpft war der Vorabend des 1. Mai
- - des historischen ArbeiterInnenkampftags, welcher seit mehr
als 100 Jahren weltweit für emanzipatorische, linke
Bestrebungen und Auseinandersetzungen um eine revolutionäre
Umgestaltung unterdrückerischer und ausbeuterischer
Gesellschaften steht.

Den Hintergrund hierfür bildete die Tatsache, dass dieser
Abend traditionell durch das reaktionäre Treiben rechter
Burschenschaften in der Heidelberger Innenstadt geprägt
wurde. Alljährlich zogen sie nachts mit Fackeln auf den
Marktplatz, um gegen Mitternacht durch Singen den Mai zu
begrüßen. Dort war dann neben so genanntem volkstümlichen
Liedgut auch das "Deutschlandlied" in allen drei Strophen zu
hören. Grölend und pöbelnd zogen die Burschen - uniformiert
und ausgestattet mit Degen - durch die Altstadt. Dabei
stellten Angriffe auf Andersdenkende oder rassistische
Übergriffe keine Ausnahme dar.Das Maiansingen der
Verbindungsstudenten bezeichnet eine vor 107 Jahren
begründete Tradition, die der Darstellung der
nationalistischen und frauenfeindlichen Ideologie dieser
Männerbünde diente. Es verwundert auch nicht, dass aufgrund
zahlreicher Verstrickungen zwischen Burschenschaften und
anderen rechtsextremen Organisationen (vor allem bei der
Normannia und der Alemannia) stets auch Nazis diesem
Spektakel beiwohnten, die dann auch gerne mal den Hitlergruß
zum Besten gaben.

Durch permanenten und immer entschlossener und breiter
werdenden, antifaschistischen Widerstand seit den 80er Jahren
gelang es letztlich, diese reaktionäre Tradition der
Burschenschaften zu brechen. In den Jahren 1991 bis 1994 kam
es jedes Jahr zu Auseinandersetzungen zwischen
AntifaschistInnen und Burschen. Dabei beteiligten sich auf
Seiten der Burschen auch immer rechtsextreme Hooligans und
bekannte faschistische Aktivisten aus der Region. Da das
Maiansingen folglich nur noch unter erheblichem Polizeischutz
möglich war und Bursche sich auch sonst an diesem Tag in der
Heidelberger Innenstadt nicht mehr wohl fühlen konnte, musste
es bald aus der Innenstadt verlagert werden. (1994 waren
"nur" noch 30 Normannen vor das Rathaus gezogen.)1997 fand
das Maiansingen schließlich zum ersten Mal nicht auf dem
Marktplatz statt. Nachdem eine Demonstration, die von der
Antifa-Hochschulgruppe und der Autonomen Antifa HD unter dem
Motto "Die Verbindungen kappen - Burschenschaften
abschaffen!" organisiert worden war, bereits am frühen Abend
mehr als 300 AntifaschistInnen auf die Straße gebracht hatte
und um Mitternacht ca. 1000 Menschen den Marktplatz
bevölkerten, ließen sich die Verbindungen, wie bereits vorher
angekündigt, nicht mehr auf dem Marktplatz blicken. Lediglich
die bekanntermaßen ultrarechte Burschenschaft Normannia
führte auf den Schlossterrassen einen Fackelzug mit etwa 60
Teilnehmern durch. Der Marktplatz war burschenfrei. Seither
konnte der damit frei gewordene öffentliche Raum von linken
Inhalten in Form antifaschistischer Straßenfeste (1998, 1999)
und Demonstrationen (1997, 1999) besetzt werden.Entsprechend
der Erfolge der letzten Jahre werden wir den 30. April auch
in Zukunft als linken, antifaschistischen Aktionstag
etablieren und unter dem Motto "Marktplatz links - Zusammen
kämpfen - Zusammen feiern" die Nacht zum 1. Mai jeweils
entsprechend gestalten. Unsere Ziele sind noch lange nicht
erreicht - daher gilt es auch weiterhin, gemeinsam für die
Abschaffung der Burschenschaften zu kämpfen und für unsere
emanzipatorischen Ziele auf die Straße zu gehen. Den
diesjährigen 30. April wollen wir darüber hinaus zum erneuten
Male nutzen, um der Forderung nach einem neuen Autonomen
Zentrum in Heidelberg entschieden Nachdruck zu verleihen!


Burschenschaften abschaffen!


Burschenschaften sind Teil eines reaktionären Konsenses
zwischen wirtschaftlichen, militärischen, parteilichen,
kulturellen und gesellschaftlichen Eliten. Entsprechend
werden zahlreiche Schlüsselpositionen in diesen
Politikfeldern von Verbindungsangehörigen eingenommen, die
wiederum durch weit verzweigte Seilschaften gewährleisten,
dass diese führenden Machtpositionen auch in "korporierten
Händen" bleiben. Erklärtes Ziel der Korporationen ist die
Aufrechterhaltung einer nationalistischen,
bürgerlich-kapitalistischen Elite, deren Zugehörigkeit durch
die Mitgliedschaft in einer Verbindung ermöglicht wird.Ihre
Ideologie ist geprägt von offenem Nationalchauvinismus,
zahlreichen militaristischen Elementen und sexistischem
Männergehabe und schließt daher jegliche fortschrittliche
Politik aus: Somit bleibt in aller Regel Frauen,
"Nicht-Deutschen", Kriegsdienstverweigerern oder Menschen,
die deren völkischen Nationalismus nicht teilen, die
Mitgliedschaft verwehrt. Eine hierarchisch-autoritär
aufgebaute Binnenstruktur, Uniformen und so genannte Mensuren
(gemeint sind Fechtkämpfe mit scharfen Waffen) zählen
hingegen zum Standard zahlreicher Verbindungen (auch in
Heidelberg).Nach außen geben sich die Korporationen gerne
"unpolitisch" oder schmücken sich mit dem Mythos
freiheitlicher, demokratischer Ideale. Dieser beruht auf der
Verdrehung historischer Tatsachen und verkennt
nationalistische Kontinuitäten der Verbindungen, die seit
einer absoluten Kaisertreue durch Burschenschaften ab 1871
bestehen und auch über die NS-Zeit hinweg bis heute keine
Brüche aufweisen.

Auch der Stadt Heidelberg ist am Mythos studentischer
Verbindungen durchaus gelegen, lebt sie doch vom romantisch
verklärten Bild der Idylle einer traditionellen
Universitätsstadt, welche die Existenz zahlreicher
Burschenschaften als "touristisches Aushängeschild" benutzt.
Entsprechend betreibt die Stadt denn auch einigen Aufwand,
dieses Bild aufrecht zu erhalten und durch nichts zu trüben.

Autonome Zentren aufbauen!


Nicht in das saubere Bild der traditionellen
Universitätsstadt Heidelberg passte allerdings das Autonome
Zentrum (AZ). Folglich lag es auch kaum im Interesse der
Stadt, eine ernsthafte Suche nach adäquatem Ersatz zu
betreiben - und so blieb es bis zur Schlüsselübergabe am
01.02.1999 bei den scheinheiligen Versprechungen der
Oberbürgermeisterin Beate Weber (SPD), sich rechtzeitig um
einen Ersatz für die Räume in der ehemaligen Weber-Druckerei
zu bemühen.


Der Rhein-Neckar-Region ist damit wieder ein
selbstverwalteter Ort verloren gegangen, an dem über acht
Jahre hinweg zahlreiche politische und kulturelle Gruppen
ihre Vorstellungen einer linken, nicht-kommerziellen,
solidarischen Gesellschaft (vor) zu leben versuchten.
Verloren gegangen ist ein freier Treffpunkt, an dem
selbstbestimmtes, eigenverantwortetes Arbeiten, Organisieren
und Feiern kollektiv aufrechterhalten und acht Jahre lang
verteidigt wurde.

Verloren gegangen ist ein stark frequentiertes
Kommunikationszentrum, von dem aus acht Jahre lang aktiver
Widerstand organisiert wurde gegen großstädtische,
neoliberale Ausgrenzungsmethoden, Privatisierungsmodelle und
Sicherheitswahn.

Verloren gegangen ist ein von der Stadt, von allen Parteien,
von SozialarbeiterInnenstrukturen unabhängiger Freiraum, in
dessen Rahmen die Perspektive eines solidarischen,
herrschaftsfreien Zusammenlebens gemeinsam entwickelt werden
konnte.

Politische und soziokulturelle Zentren wie das AZ waren und
sind nicht nur als Treffpunkte für Jugendliche oder "billige"
Veranstaltungsorte wichtig, sondern auch, um die (mit
gesichertem und ungestörtem Konsum einher gehende)
Verdrängung der verschiedenen "Submilieus" aus den
Innenstadtbereichen in Frage stellen zu können. Sie sind
wichtig, um die flächendeckenden Raumverbote für
marginalisierte Gesellschaftsgruppen effektiver durchbrechen
zu können. Sie sind wichtig, um aus der (dort stattfindenden)
Entlarvung des bürgerlich-kapitalistischen Systems als
patriarchal, nationalistisch, rassistisch und imperialistisch
bestimmte revolutionäre Handlungsanweisungen erarbeiten zu
können. Sie sind wichtig, um den daran Beteiligten zu
ermöglichen, die an Unterdrückungsverhältnisse geknüpften
Verinnerlichungen von Verhaltensweisen, die als Ausleben von
Macht interpretierbar sind, mit anderen zusammen abbauen zu
können. Und sie sind wichtig, um der kontrollpolitischen
Hierarchisierung und Fragmentierung des sozialen Raums
kollektiv entgegen arbeiten zu können.


Diese wichtige Funktion (innerhalb der Linken) kam in
Heidelberg seit Anfang der Neunziger Jahre eben diesem
Autonomen Zentrum (AZ) zu. Dort bestand die Möglichkeit,
jenseits des Mainstreams und Konsumzwangs eine Alternative zu
schaffen und - basierend auf Kollektivität - das AZ mit zu
gestalten. Daneben hat das AZ wesentlich dazu beigetragen,
linke und nicht-kommerzielle Kultur in Heidelberg zu einem
relevanten Faktor zu machen. Auch für Gruppen, die primär in
gesellschaftliche Diskurse intervenieren wollten, war das AZ
stets ein wichtiger Rahmen.Die Linke in Heidelberg hat im
Februar 1999 einen bedeutenden Bezugspunkt verloren.

Trotz verschiedener Massenproteste und Aktionsformen im Kampf
um ein neues Autonomes Zentrum hielt die Stadt an ihrer
Taktik des Hinhaltens fest und unterbreitete (über den
Gemeinderat) schließlich ein absolut inakzeptables Angebot in
Form von 25qm-Containern als "Ersatz". Seither sind die
Verhandlungen mit der Stadt(verwaltung) eingeschlafen.
Der Kampf um ein neues Autonomes Zentrum ist das allerdings
keinesfalls.

Dies zeigen:
- - die zwölfstündige Besetzung des seit längerem leer
stehenden Rangierbahnhof-Verwaltungsgebäude auf dem
Güterbahnhof-Areal durch das »Unabhängige Komitee "Take Your
AZ"« und mehr als 250 Personen in der Nacht vom 05. auf den
06.02.2000,

- - die nicht angemeldete Protestkundgebung auf dem
Heidelberger Theaterplatz und die anschließende spontane
Demonstration durch die Hauptstraße zum Bismarckplatz am
Abend des 06.02.2000,

- - die entschlossene, kämpferische, von der AIHD organisierte
antifaschistische Demonstration am 12.02.2000, an der sich
unter den Mottos "Ein Jahr Räumung des Autonomen Zentrums -
Der Kampf geht weiter! Für eine starke Linke!" weit über 1000
Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet beteiligen,

- - die militanten Aktionen (in der Nacht zum 13.02.2000), in
deren Verlauf etwa 50 vermummte Personen aus dem
AZ-SympathisantInnenumfeld fünf Polizeibeamte verletzen, zwei
Polizeiwagen, eine Sparkassenfront und eine
Mc-Donald's-Fastfood-Filiale entglasen und einen
Molotowcocktail gegen das Rathaus werfen.

Zusammen kämpfen - Zusammen feiern!

Auch im Jahre 2000 geht es wieder darum, den erkämpften
öffentlichen Raum am 30. April mit antifaschistischen
Inhalten zu besetzen, ihn also erneut zu einem linken
Fixpunkt in Heidelberg zu machen. Es geht darum, den
historischen ArbeiterInnenkampftag, den 1. Mai, seiner
klassenkämpferischen Tradition entsprechend zu beginnen. Es
geht darum zu zeigen, dass es nicht nur möglich ist, dem
reaktionären Treiben rechter Burschenschaften effektiven
antifaschistischen Widerstand entgegen zu setzen, sondern
auch, dass darüber hinaus ein grundlegender Wandel des von
der Systemauseinandersetzung befreiten Akkumulationsregimes
BRD angestrebt werden sollte. Es geht darum zu zeigen, dass
wir kein bisschen leise geworden sind und uns weiterhin nicht
aus dem Bild der Stadt Heidelberg verdrängen lassen, sondern
auch künftig vehement auf allen Ebenen für den Aufbau eines
neuen Autonomen Zentrums in Heidelberg kämpfen.Darum geht es!

Burschenschaften abschaffen!
Autonome Zentren aufbauen!
Zusammen kämpfen - Zusammen feiern!

Antifaschistische Initiative Heidelberg AIHD
(Stand: 03. April 2000)


 

25.04.2000
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