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Oberhausen: 1 Jahr Wanderkirchenasyl

Grenzen auf für Alle
Ein Jahr Wanderkirchenasyl in Oberhausen - Essen - Gelsenkirchen - Münster

Vor ungefähr einem Jahr wurden in Oberhausen zwei Kirchen von kurdischen
Menschen besetzt, die in der Bundesrepublik illegalisiert wurden. Wir
unterstützten die Aktion und gründeten deshalb und zu diesem Zeitpunkt
die Oberhausener Gruppe "kein mensch ist illegal". Ziel dieser Aktion
war die Flüchtlinge aus der Illegalität heraus legal werden zu lassen
und ihnen ein Forum zu geben, um ihre Situation der Illegalität zu
veröffentlichen. Unser Ziel parallel dazu war die herrschende
Asylpolitik anzugreifen, die ja genau diese Illegalität produziert.
Nach einem Jahr sind immer noch viele Flüchtlinge im Wanderkirchenasyl
und nicht in die Türkei abgeschoben worden. Für einige wenige hat sich
die Situation verbessert, aber für die meisten der Flüchtlinge ist sie
unverändert, ja vielleicht verschlechtert. Grund für uns mit der
derzeitigen Situation nicht zufrieden zu sein.
Kurz nach der Besetzung der Kirchen haben die KurdInnen aus dem WKA
(Wanderkirchenasyl) beschlossen, sich auf eine erneute Einzelfallprüfung
einzulassen. Vorausgegangen war ein einjähriger Kampf mit u. a.
Hungerstreik und Besetzung des Grünen-Büros in Düsseldorf von den
Flüchtlingen des WKA aus Köln, Aachen, Düren u.a.. Ursprünglich war das
Ziel des WKA ein Bleiberecht für alle zu erreichen. Weiteres Ziel war
eine Öffentlichkeit über Illegalisierung herzustellen, und dies hieß für
die kurdischen Flüchtlinge eine Öffentlichmachung der eigenen Person und
die Verfolgung vom KurdInnen in der Türkei. Durch den politischen und
den persönlichen Druck (ein Jahr in den Kirchen) sahen sich die
Flüchtlinge gezwungen der sogenannten erneuten Einzelfallprüfung
nachzugeben.

Was bedeutet Einzelfallprüfung?

Einzelfall bedeutet einmal viel Arbeit, wenig Erfolg. Zum anderen
bedeutet es das, was das Wort schon ausdrückt. Nämlich die Vereinzelung
und dadurch eine Entsolidarisierung der Flüchtlinge untereinander. Für
die herrschende Politik ist die Einzelfallprüfung ein wichtiges
Instrument der Selektion. Diese Selektion erfolgt nach den Kriterien der
Verwertbarkeit und Anpassung von Flüchtlingen und der Kontrolle der
"Flüchtlingsströme". Es geht nie wirklich um "alle raus", sondern "wer
darf hier bleiben".
Für die Flüchtlinge im WKA bedeutete die erneute Einzelfallprüfung nach
dem letzten Strohhalm zu greifen, um nicht in die Türkei abgeschoben zu
werden oder wieder in der Illegalität und Anonymität zu sein.

Was bedeutet Illegalisierung?

In der BRD leben über fünfhunderttausend(!) Menschen, die illegalisiert
sind. Sie bilden in dem hierarchischen System die unterste Stufe. Durch
ihre Rechtlosigkeit sind sie gezwungen für billigste Löhne im
Verborgenen zu arbeiten, illegal Handel zu treiben oder sind auf Almosen
angewiesen. Hier zeigt sich das wahre Gesicht des alltäglichen
Rassismus. Für Illegale gibt es keine Tarifverträge oder Arbeitsrechte.
Sie werden benutzt, um Löhne zu drücken und um die Konkurrenz um die
miesesten Jobs zu verschärfen.
Nach klassischem rassistischen Muster werden Flüchtlinge bei der
Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft in ethnische und
geschlechtsspezifische Gruppen selektiert. Ein sehr gutes Beispiel ist
in Oberhausen sichtbar. Ein Besuch des Centro's vermittelt einen
Überblick über die unterschiedlichen Beschäftigungsfelder der
Illegalisierten.

Alle Flüchtlinge im WKA haben ihre eigene Geschichte

Was die Flüchtlinge verbunden hat und verbindet ist die Illegalität und
drohende Abschiebung. Die Gründe von Flucht und Illegalisierung sind so
unterschiedlich wie die Menschen unterschiedlich sind.
Unter den KurdInnen in Oberhausen sind ein großer Teil Familien mit
Kindern. Weiterhin gibt es einige alleinstehende Männer und nicht
zuletzt gibt es wenige Frauen, die ohne Ehemann mit Kindern sind. Diese
Frauen mussten aus ihrer Situation heraus nicht nur die Verantwortung
für die Versorgung der Kinder übernehmen, sie mussten und haben sich
auch an öffentlichen Aktionen beteiligt. Dies erfordert viel Mut und Stärke.
Den größten Teil der Fluchtbewegungen stellen Frauen. Gelingt es Frauen
in die reichen Industrieländer zu gelan-gen, so sind hier die
Bedingungen häufig härter als für Männer. Illegalisierte Frauen sind
bereit, um Geld zu verdienen prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen auf
sich zu nehmen. Haben sie von vornherein keine Möglichkeit der
Arbeitserlaubnis arbeiten sie in Haushalten, in der Landwirtschaft, in
der Gastronomie oder in der Prostitution. Sie sind rechtlos und
ungeschützt. Die, die das große Geld verdienen, sind dann die
Bordellbesitzer und Zuhälter. Der Versuch sich zu wehren bedeutet für
eine alleinstehende Frau die sichere Abschiebung. Die Asylpolitik und
hier im speziellen die Politik gegen Migrantinnen macht es denen Frauen
quasi unmöglich sich von ihrem Ehemann zu trennen, ihren Zuhälter oder
Freier anzuzeigen. Es ist notwendig gegen die Gewalt an Migrantinnen
vorzugehen und die rassistischen und sexistischen Strukturen anzugehen.

Fluchtgründe und der Umgang damit

Allgemein bekannt ist, dass die Kapitalinteressen der westlichen Länder
ursächlich sind für Vertreibungsprozesse, Bürgerkriege und
Naturkatastrophen. 90% der Migrationbewegungen finden im Trikont statt.
Nur die wenigsten schaffen den Weg nach Europa. Dort erwartet sie die
Illegalität oder der Abschiebeknast.
Die Anerkennung auf Asyl jeder Art bedeutet, sich und seine persönliche
Fluchtgeschichte zu veröffentlichen. Je eindrucksvoller, desto größer
die öffentliche Wirkung.
Barmherzigkeit hat auch in den Kirchengemeinden seine Bedingungen.
Politische Verfolgung alleine weckt eher Misstrauen, Mitgliedschaft oder
Sympathie zur PKK sollte möglichst verschwiegen werden.
Foltergeschichten hingegen lösen Betroffenheit aus. Kann erst ein
Bericht über eine Vergewaltigung durch türkische Soldaten vor den
Mitgliedern einer kirchlichen Gemeinde zur Anerkennung des Fluchtgrundes
führen?
Allein die Tatsache, dass Flüchtlinge eine Begründung für ihre Flucht
liefern müssen, für die sie Strapazen aufgenommen haben, um unter
unwürdigen Bedingungen in Europa leben zu müssen, ist eine Farce. Alle
Fluchtursachen sind politisch.

Wanderkirchenasyl - politisch???

Die Aktion des WKA hat zu einer Welle der Solidarität und des
öffentlichen Protestes geführt. Stellvertretend haben die kurdischen
Menschen gezeigt, dass auch die Illegalisierten in der Solidarität stark
sein können. Wir UnterstützerInnen und die Flüchtlinge in den Kirchen
waren aber nicht stark genug, um dem Druck der Landesregierung und der
politischen Parteien zu widerstehen und um die Forderung nach einem
Bleiberecht durchzusetzen.
Die kurdischen Flüchtlinge im WKA sind nur durch ihren harten Kampf
kurzfristig, nämlich durch "Duldungen", legalisiert. Die "Duldungen"
können jedoch jederzeit aufgehoben werden. Das bedeutet wiederum
Illegalität oder Abschiebung.
"Duldungen" werden vergeben, wenn die Ausländerbehörden einen Grund für
den derzeitigen, und dann einen auch nur zeitlich eng begrenzten
Aufenthalt in der BRD sehen.
Zur Unterstützung der Flüchtlinge gehörte die Betrachtung der
Einzelfälle und das Studieren der Akten. Wenn wir uns aber auf die
Asylrechtgebung einlassen, stellen wir unsere politischen Handlungen
nach einem generellen Bleiberecht in den Hintergrund. Und nur selten
wird der "Einzelfall" dann auch zeitweise politisch, wie bei Sevki
Akgöl.
Wir verlassen uns nicht auf das Asylrecht. Nur durch die Bekämpfung der
Fluchtursachen kann ein Gleichgewicht zwischen den Kontinenten
hergestellt werden. Und dies wird nur durch eine Veränderung der
politischen und wirtschaftlichen Macht erreicht. Unsere Forderung heißt:
Grenzen auf und Bleiberecht für Alle.

Unsere solidarischen Grüße gehen an die Menschen in Italien, die vor
wenigen Tagen in Mailand, Genua, Florenz gegen Abschiebeknäste und die
Asylpolitik demonstrierten. Nur durch die Stärke und die Kraft sich auch
gegen Tränengas und Polizeigewalt zur Wehr zu setzen, ist es den 20.000
Menschen in Mailand gelungen, zum via Corelli, dem Abschiebeknast
Mailands, vorzudringen. Um 18.00 Uhr wurde in den Nachrichten über die
Unmenschlichkeit im via Corelli berichtet. Um 20.00 Uhr hat der
Innenminister Italiens die Schließung des via Corelli bekannt gegeben.

kein mensch ist illegal, westliches Ruhrgebiet im Februar 2000

Dieser Text ist auch als PDF- Datei ( Flugblatt mit Photos
erhältlich!)
zu beziehen unter:  k.m.i.i.r@gmx.net


 

17.02.2000
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