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Postdam: Postdam: Antifaschistisches Wochenende vom 26-27.6.98

Dem rechten Konsens entgegentreten!
Für eine emanzipierte und antifaschistische Jugendkultur !

(K)ein Alptraum - die deutsche Realität

Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten stieg 1997 auf
einen neuen Rekordstand. Im Land Brandenburg verzeichnete man bei
Vorfällen, bei denen es zur Anzeige kam, eine Zunahme von 20 Prozent;
das bedeutet 570 Übergriffe, Körperverletzungen und sog.
Propagandadelikte wie Hakenkreuzschmierereien.

Potsdam und Umgebung stellen hier selbstverständlich keine Ausnahme
dar. Einige Beispiele: Im Februar 1997 überfallen 13 rechte
Jugendliche auf dem Regionalbahnhof Rehbrücke einen 28jährigen Türken.
Sie fordern ihn auf, seinen Ausweis vorzuzeigen. Als er dies ablehnt,
prügeln sie auf ihn ein und berauben ihn.

Ein 57jähriger Asylbewerber wird im Dezember 1997 von 3
Rechtsradikalen krankenhausreif geschlagen.

Mitte Januar 1998 wird der jüdische Friedhof in Potsdam mit
Hakenkreuzen, SS-Runen und ,,Sieg Heil`` beschmiert.

Von rechten Skinheads organisierte Konzerte und Feiern erfreuen sich
hierzulande wachsender Beliebtheit. Für Nazi-Kader ist die rechte
Subkultur die Grundlage, auf der sie erfolgreich agieren, rekrutieren
und mobilisieren. Hier ist der Einstieg in Nazistrukturen für
Jugendliche vorerst unverbindlich und spaßorientiert, er fällt
leichter als der Schritt zur Parteimitgliedschaft.

Angeführt von der ,,Nationaldemokratischen Partei Deutschlands`` (NPD)
und ihrer Nachwuchsorganisation ,,Junge Nationaldemokraten`` (JN)
marschieren Neonazis beinahe jedes zweite Wochenende irgendwo im Osten
auf. Die ,,Deutsche Volksunion`` (DVU) erhielt bei den Wahlen in
Sachsen-Anhalt 13% der Stimmen.

Die Akteptanz faschistischer Orientierungen hat weiter zugenommen und
rechte Denkmuster sind weit verbreitet. Inzwischen gehören Überfälle
auf AusländerInnen, Obdachlose, linke Jugendliche und alle Anderen,
die nicht ins rechte Weltbild passen, für einen Großteil der
Bevölkerung zur Normalität.

Es waren und sind vor allem Politiker, die den Rechts(d)ruck und den
Aufschwung der extremen Rechten mit ständiger Verharmlosung und
rassistischer Hetze vorantreiben. Beispiele sind die praktische
Abschaffung des Artikel 16 GG (Recht auf Asyl) und die Änderung des
Asylbewerberleistungsgesetzes. Dabei werden oft Argumente der rechten
Propagandisten übernommen und der Sprachgebrauch den rechten Parteien
angepaßt (,,Scheinasylanten``, ,,Sozialschmarotzer``,
,,Ausländerproblem``...). So will die DVU zu den Wahlen in Bayern
nicht antreten, weil die regierende CSU inzwischen dieselben
Positionen vertritt... Die städtische Vertreibungspolitik, in deren
Zusammenhang Bedrohungsszenarien durch ausländische Mafiabanden,
agressive Bettler, Graffitiverbrecher etc. heraufbeschworen werden, um
der Bevölkerung den Ausbau der sog. ,,Inneren Sicherheit`` schmackhaft
zu machen, tut ihr übriges. ,,Tugenden`` wie Ordnung, Sauberkeit und
Herrenmenschentum stehen hoch im Kurs. Wenn Jungnazis aktiv werden,
tun sie das in der Überzeugung, daß sie ausführen, was der Großteil
der Bevölkerung sowieso denkt... .

Von Verharmlosung, Betroffenheit und Alibiprojekten

Währenddessen üben sich Politiker in Schadensbegrenzung: Sie
beschönigen die Vorfälle, indem sie von unpolitischen Einzeltätern
reden oder behaupten, Alkohol sei ein vordergründiger Tatauslöser.

Wo nichts mehr zu verharmlosen ist, werden medienwirksame Verbote
einzelner Naziorganisationen und exemplarische Großeinsätze der
Polizei (z.B. ,,MEGA``-Truppe) durchgeführt. Mit einzelnen
abschreckenden Verurteilungen wird der starke Staat präsentiert, der
angeblich konsequent gegen Rechtsextremismus vorgeht. Die Angst vor
ausbleibenden Investoren ist groß.

Im Zusammenhang mit den Überfällen auf Campingplätze werden in einem
vom Innenministerium herausgegebenen Faltblatt für Touristen die
brutalen Übergriffe mit der Bemerkung, ,,die Täter sind häufig die
ganz normalen jungen Leute von nebenan``, noch nachträglich
verharmlost. Brandenburgs PolitikerInnen versichern, der Osten sei das
ideale Urlaubsziel. Verlassen will sich auf solche Beteuerungen jedoch
niemand: In Berlin gibt es eine offizielle Empfehlung, daß
Schulklassen mit ausländischen Kindern keine Ausflüge mehr nach
Brandenburg unternehmen sollten. 1997 beschloß auch die Berliner
Arbeiterwohlfahrt, Ferien mit Behinderten im Umland zu streichen...

Einen weiteren Versuch, das Land Brandenburg in ein anderes Licht zu
rücken, startete der SPD-Landesverband im April mit seinem
Jugendwettbewerb ,,Vielfalt statt Einfalt``. Die Sozialministerin
berichtet von ,,...aberhunderten Jugendlichen, die sich für die
Integration der Ausländer einsetzen...``. Sie schiebt die Schuld auf
die Medien, die der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild vermitteln
würden. Tatsache ist, daß es kaum einen Ort ohne rechte Schlägertruppe
gibt und mehr als die Hälfte der ,,fremdenfeindlich motivierten
Straftäter`` Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren sind.

1997 gründete sich mit großem Tamtam ein ,,Aktionsbündnis gegen
Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit``, an dem u.a.
Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Justiz und Kirche beteiligt
sind. Ein halbes Jahr nach seiner Gründung befindet sich das Bündnis
immer noch in der Planungsphase und auch beteiligte Experten gehen
davon aus, daß Konzepte zur Bekämpfung rechter Gewalt davon nicht zu
erwarten sind.

Nazis? voll akzeptiert

Projekte zur Betreuung rechter Jugendcliquen durch SozialarbeiterInnen
sind ebenfalls fester Bestandteil staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung
des Rechtsextremismus. Für bundesweite Programme wie das
,,Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt`` (AgAG) werden
Millionen von Mark zur Verfügung gestellt. Von 1992 bis 1996 wurden im
Rahmen der AgAG 13 Projekte im Land Brandenburg gefördert, die zum
Teil speziell auf gewalttätige rechte Jugendliche zugeschnitten waren.

Die ``akzeptierenden Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen`` basiert
auf einem Erklärungsmuster, das in der Öffentlichkeit schnell
aufgenommen wurde, da es anstatt die gesellschaftlichen Hintergründe
faschistischer Gewalt umfassend zu kritisieren, die Jugendlichen als
deren Urheber ausmacht und die Gründe dafür in deren Orientierungs-
und Perspektivlosigkeit sieht (z.B. kaputte Familienverhältnissen oder
Arbeitslosigkeit).

Die Projekte beginnen oft damit, daß StreetworkerInnen Kontakt zu den
durch faschistische Parolen und Angriffe auf MigrantInnen etc.
auffällig gewordenen Jugendlichen aufnehmen und ihnen feste
Räumlichkeiten als Treffpunkte anbieten. Vor allem dem Umstand, daß
die Jugendlichen dadurch von der Straße verschwinden und so
,,Brandherde befriedet`` werden, verdanken diese Projekte ihre
Popularität. Denn selbst wenn auf dem Papier Konzepte vorhanden sind,
in die Praxis umgesetzt werden sie so gut wie nie. Die Projekte sind
bis auf wenige Ausnahmen alles andere als erfolgreich und beschränken
sich auf Zuhören und Akzeptieren. Im Vordergrund stehen die Probleme,
die die Jugendlichen haben, nicht die, die sie machen. Anstatt die
politische Dimension zu sehen, rechte Denkmuster zu hinterfragen, zu
kritisieren und Gegenwerte zu vermitteln werden ihnen (Frei-)Räume
überlassen, wo sie ungehindert rechtes Gedanken- und Kulturgut, zum
Beispiel Musik mit rassistischen Texten verbreiten können. Da die
(rechtsradikale) Clique als soziale Organisationsform der Jugendlichen
akzeptiert und stabilisiert werden soll, werden oft Nazi-Kader in
solche Projekte miteinbezogen, die dann das Meinungsbild prägen.

Die Jugendlichen erleben, daß sie nicht trotz, sondern wegen ihrer
Auffassungen ernstgenommen und gefördert werden. Rassistische und
faschistoide Äußerungen und Taten der Jugendlichen, die eine
Vorraussetzung für solche Sozialarbeit sind, werden so verharmlost,
entschuldigt und entpolitisiert. Rassistische TäterInnen werden zu
Opfern gemacht, während an die tatsächlichen Opfer rechtsradikaler
Gewalt niemand denkt.

Es ist zu beobachten, daß solche Projekte zur Etablierung der rechten
Szene beitragen und an vielen Punkten Konzepte und Strategien der
Nazis (z.B. ,,nationale Jugendarbeit`` und ,,national befreite
Zonen``) unterstützen. Andere Jugendliche werden ausgegrenzt,
verdrängt und bekämpft.

Potsdam und die ,,Proissenheads``

Im Rahmen solch einer ,,akzeptierenden Sozialarbeit mit rechten
Jugendlichen`` hat auch das Potsdamer Jugendamt mit der Naziband
,,Proissenheads`` gearbeitet. Von 1995-98 wurde ihnen ein Proberaum in
einem städtischen Jugendklub zur Verfügung gestellt. Ein Jahr zuvor
wurde Uwe Menzel, der Sänger der Band und schon damals bekennender
Nazi, durch ein Sozialarbeiterprojekt zu ersten musikalischen
Versuchen ermutigt.

Die ,,Proissenheads`` zählen inzwischen zu den Aufsteigern in der
rechten Musikszene, treten regelmäßig bei illegalen Skinheadkonzerten
auf und fungieren somit als Multiplikatoren für rassistische und
ausländerfeindliche Hetze.

Von all dem will im Nachhinein niemand etwas gewußt haben: Bei ihren
Proben im Jugendclub sind die ,,Proissenheads`` nie negativ
aufgefallen - wie soll man da Verdacht schöpfen? So richtig zuständig
fühlt sich keiner, das Bild ist von gegenseitigen Schuldzuweisungen
geprägt. Am Ende wird die Sache als bedauerlicher Einzelfall
hingestellt. Dabei handelt es sich hier um ein typisches Beispiel,
weil sich die in der Jugendarbeit eingesetzten SozialarbeiterInnen
meist nicht dafür interessieren, welche Aktivitäten ihre Schützlinge
außerhalb des Clubs entfalten.

Hauptsache alles bleibt ruhig...

Eins stellt das Jugendamt aber von Anfang an klar: An der Praxis
akzeptierender Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen wird
festgehalten, da man damit bereits ,,große Erfolge`` erzielt habe.
1993 wurde im Bereich Jugendarbeit eine ,,Strategie der Integration``
beschlossen - um die Ruhe in Potsdams Plattenbauvierteln
wiederherzustellen, wie es so schön heißt. Zuvor fielen dort die
rechten Schläger neben den üblichen Pöbeleien und Übergriffen auch
durch Messerstechereien und Schutzgelderpressung auf. Eine Zeit lang
kam es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Nazis und
Jugendlichen, die sich gegen den braunen Mob zur Wehr setzten.

Der ,,Erfolg`` der Integrationsstrategie: Nazis und ihre Einstellung
wurden zur ,,Normalität`` erklärt; mit gestärktem Selbstbewußtsein
konnten sie sich etablieren und festsetzen. Für die Jugendlichen, die
sich nicht unterordnen und den Mund halten wollen, ist es inzwischen
zur Selbstverständlichkeit geworden, diverse Diskos, Clubs und andere
als Nazitreffpunkte bekannte Örtlichkeiten großräumig zu meiden. Linke
Kultur ist in Potsdam fast nur in der Innenstadt zu finden; die
Vorstädte sind fest in Nazihand.

Vor allem die Wohngebiete Schlaatz, Stern und Waldstadt zeichnen sich
durch eine kaum zu übertreffende Monotonie aus: Ob Fußballplatz,
Jugendclub, Imbißbude oder Tankstelle, an ihren öffentlichen
Treffpunkten geben die Nazis vor, was angesagt ist und was nicht. Sie
bestimmen mit ihrem Auftreten und ihrem Aussehen das öffentliche Bild,
ihr Gedankengut und ihre (Einheits-)Kultur dominiert. Wer nicht dem
rechten Weltbild entspricht, hat dort nichts zu suchen.

Am 19.5.98 wurde am Waldstadtcenter, einem beliebten Treffpunkt
rechter Jugendlicher, der türkische Imbißstand abgefackelt; bereits im
Februar 98 brannte dort ein Verkaufsstand von Vietnamesen ab. Der
Otto-NagelClub (ONC) hat sich zur ,,No-go-area`` für alternative
Jugendliche entwickelt.

Im Schlaatz treffen sich regelmäßig Jungnazis am Sportplatz hinter der
Kaufhalle, wo sie saufen, Leute anpöbeln und rechte Parolen grölen. Es
kam bereits mehrmals zu Übergriffen; so zum Beispiel im Dezember 97,
als 8 Nazis einem Punk vor dessen Haus auflauerten, ihren Kampfhund
auf ihn hetzten und ihn zusammenschlugen.

Die Nazis haben mit unserem Widerstand zu rechnen!

In einer Zeit, in der brauner Terror zur substantiellen Bedrohung für
viele Menschen wird, ist es notwendig, aktiv zu werden und die
gesellschaftliche Akzeptanz rechtsextremer Orientierungen
aufzubrechen. Unser Ziel ist eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und
Unterdrückung, in der ein solidarisches Miteinander möglich ist.

Gerade dort, wo Nazis das Alltagsleben bereits zu großen Teilen
dominieren und sich niemand mehr traut, ihnen offen entgegenzutreten,
wollen wir mit einer entschlossenen und lautstarken Demonstration
zeigen, daß wir ihnen nicht stillschweigend die Straße überlassen und
daß es noch etwas anderes gibt als die braune Einheitskultur.

Kein Fußbreit den Faschisten!

Kommt alle zur Demo und beteiligt euch am antifaschistischen
Wochenende in Potsdam !

26.Juni

21.00 Uhr: Party mit verschiedenen DJs, internationalem Essen und
Filmvorführung im Casino (FH), Pappelallee

27.Juni

14.00 Uhr: Demonstrationsbeginn am S-Bahnhof Babelsberg

anschließend VoKü und Filmvorführung im Archiv, Leipziger Straße 60

21.00 Uhr: Solikonzert und Disco im Archiv, Leipziger Straße 60

AufruferInnen:

Antifa-Jugendaktion Potsdam (AJAP); Infowagen Potsdam; Kampagne gegen
Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, Potsdam; Hochschulgruppe
T.i.P., AG Antirassismus an den Hochschulen Potsdams; Studierendenrat
der Universität Potsdam; Casino AG; Studierendenrat des Fachbereichs
Sozialwesen an der Fachhochschule Potsdam; AG Junge GenossInnen in und
bei der PDS (AGJG) Potsdam; Antifaschistische Jugend Brandenburg
(Havel); Antifa Havelland; Jugendantifa Eberswalde; AGJG Brandenburg
(Havel); AGJG Falkensee; Antifaschistische Aktion Berlin (AAB);
Antifa-Jugendaktion Kreuzberg (AJAK); Antifa Süd-Ost (ASO), Berlin;
Antifa Jugendaktion Mitte-Prenzlberg-Pankow, Berlin; Antifa Neuruppin
und weitere.

UnterstützerInnen:

Harald Petzold, Mitglied des Landtages für die PDS; Kreisverband der
SJD, "Die Falken", Potsdam; Bauwagen-Projekt Potsdam-Bornim; Archiv
e.V. und weitere.

 

13.06.1998
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