GegenDruck Nr. 20 - Januar/Februar 1998
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Nach dem Brandanschlag in der Walther-Rathenau-Straße

Solidarität und Ablaßzahlung

Das Haus in der Walther-Rathenau-Straße
während der Löscharbeiten

Nach dem Brandanschlag auf das Wohnhaus in der Walther-Rathenau-Straße halten offizielle Stellen weiterhin an ihrer Sprachregelung fest, es gebe keine Hinweise auf einen "fremdenfeindlichen Hintergrund“. Die Bemühungen, einen rassistischen Anschlag von vorneherein auszuschließen, begannen bereits in der Brandnacht. Noch während der Löscharbeiten gab die Polizei bekannt, daß die Brandursache ein Kabelbrand sei; eine glatte Lüge, die über den dpa-Ticker ihren Weg in die überregionale Presse fand. Nachdem diese Version nicht mehr zu halten war, war kurzfristig von Versicherungsbetrug die Rede, bis dann die derzeit aktuelle Darstellung verbreitet wurde, daß es keine Hinweise auf den oder die Täter gebe. In der NW vom 15. Januar schloß der Bielefelder Staatsanwalt Hans-Dieter Heidbrede einen "fremdenfeindlichen Hintergrund“ jedoch bereits aus. Verhindert wurden damit zumindest unliebsame Schlagzeilen in der bundesdeutschen und internationalen Presse.
Bei dem Brand in der Nacht auf Mittwoch, den 14.1. wurde ein sechsjähriger Junge getötet, weitere 25 Menschen wurden verletzt, 19 davon schwer. Die Mutter des getöteten Jungen befindet sich nach Angaben des Chefarztes des behandelnden Krankenhauses inzwischen außer Lebensgefahr. Sie liegt jedoch weiterhin auf der Intensivstation.

Selbstversicherung

Derweil hält sich die lokale Medienlandschaft nicht lange mit den Ungereimtheiten der polizeioffiziellen Mitteilungen auf und übt sich stattdessen im Abfeiern des eigenen Gutmenschentums. Einzig die NW vom 17.1. läßt ihren Kommentator auf Polizei und Staatsanwaltschaft los: diese "hinterlassen ein Vakuum für Spekulationen, das interessierte Scharfmacher für sich nutzen“. Die Möglichkeit eines rassistischen Anschlages wird von vorneherein ausgeschlossen, schlimm ist nicht der Brand selbst, sondern die Kritik an den rassistischen Verhältnissen hier. Der Zynismus, angesichts der Brandkatastrophe über das x-te als Spende "anvisierte Schlafzimmer“ in Begeisterungsstürme auszubrechen (NW vom 17.1.), wirft ein bezeichnendes Licht auf den Bielefelder Normalzustand. Natürlich ist es eine Notwendigkeit, Menschen in solchen Notlagen zu helfen. Wenn es sich dabei allerdings um Flüchtlinge handelt, mutiert diese Hilfe offenbar zur Selbstversicherung der eigenen weißen Weste. Angesichts des alltäglichen Rassismus in der BRD und der von der SPD maßgeblich mitgetragenen Abschiebemaschinerie gerät z.B. die Spende der SozialdemokratInnen an die betroffenen Familien zur Ablaßzahlung.

Solidaritätskundgebung

Einen Kontrapunkt versuchten am Freitag ca. 150 Menschen auf einer Solidaritätskundgebung in der Bahnhofstraße zu setzen. Auf Flugblättern und in Redebeiträgen wurde darauf hingewiesen, daß es in Bielefeld eine ganze Reihe von Brandanschlägen auf von MigrantInnen bewohnte Häuser gab, die nie aufgeklärt wurden. In dem Flugblatt heißt es, "ein rassistischer Hintergrund kann in diesem Land nie ausgeschlossen werden!“ Auf der Kundgebung und einer spontanen Demonstration zum Jahnplatz wurde zur "Parteinahme für und Solidarität mit MigrantInnen“ aufgerufen.
Außerdem wurde daran erinnert, daß die kurzfristigen Hilfsbemühungen die langfristige Situation der Betroffenen nicht bessern. So haben die vom Brandanschlag in Lübeck vor zwei Jahren betroffenen Familien noch immer keinen gesicherten Aufenthaltsstatus in der BRD.

Verschärfte Hetze

Der Brand in der Walther-Rathenau-Straße fällt in eine Zeit, in der die öffentliche Hetze gegen MigrantInnen wieder einmal verschärft wird. Unter Hinweis auf die größtenteils kurdischen Flüchtlinge, die per Schiff nach Italien fliehen, drängt die Bundesregierung vor allem Italien und Frankreich auf verschärfte Grenzkontrollen. Österreich sicherte seine Grenze in vorauseilendem Gehorsam bereits unmittelbar nach dem Eintreffen der ersten Flüchtlinge an der italienischen Küste.
Was staatliche Stellen von Solidarität und Parteinahme angesichts dieser Abschottungspolitik halten, mußten kurz vor Jahreswechsel ein Diakon und ein Pfarrer aus Bethel erfahren. Sie wurden bei dem Versuch festgehalten, Flüchtlingen über die dänische Grenze zu helfen und landeten sofort in Untersuchungshaft.
So sieht die Normalität in diesem Land aus - ganz gleich, wer die Brandstiftung in der Walther-Rathenau-Straße begangen hat.

gd

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