Autor: Steffen Mayer, Mai 98

Rot=Braun, Stalin=Hitler, Konzentrationslager=Gulag?
Totalitarismusdoktrin mit geschichtsrevisionistischen Tendenzen am Beispiel der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Buchenwald


Die vielzitierte Totalitarismustheorie, die in den letzten Jahren dominierendes Thema der Historikergilde war, scheint in aller Munde und omnipräsent zu sein. Sie gilt nahezu unhinterfragt als Erklärungsschema aller "Menschheitskatastrophen" des ausgehenden Jahrhunderts.
Alle demokratischen Ausführ- und Kontrollorgane sind beseitigt, die gesamte gesellschaftliche Unterwerfung der sozialen und politischen Umwelt zugunsten der Machtfrage einzelner Diktatoren bzw. deren Umfeld, polizeistaatliche Maßnahmen bis hin zum offenen Terror, so lautet die Kurzdefinition der Doktrin. Die Rolle des bürgerlichen Staates und seiner Organe ist nicht länger eine vermittelnde zwischen verschiedensten Interessengruppen, nein, er selbst bestimmt die Interessenlage, installiert alle ausführenden Institutionen ohne den Umweg des Parlamentarismus, im günstigsten Fall gibt es einen Scheinparlamentarismus, im Prinzip eine Diktatur der klassischen Schule mit dem Hang zur Barbarei.
Klingt auf den ersten Blick recht plausibel, die Stoßrichtung der vorwiegend aus dem neurechten und erzkonservativen Spektrum stammenden Protagonisten dieser historischen Heilslehre, ist freilich eine andere. Es geht um die Entpolitisierung der Geschichte, Ideologien, Epochen und gesellschaftliche Zukunftsmodelle aller Couleur werden einem vergleichenden Ansatz unterworfen und letztendlich aus dem geschichtlichen Kontext gerissen.
Der wohl am häufigsten angestellte und zugleich umstrittenste Vergleich, ist der zwischen dem deutschen Faschismus und den sozialistischen Versuchen in der Sowjetunion und später in vielen Ländern der Welt. Dieser hat immer, ob gewollt oder nicht, Relativierungscharakter. Es wird behauptet, im Grad der Barbarei seien gewisse Ähnlichkeiten vorhanden, Konzentrationslager hätte die Sowjetunion erfunden, Hitler sei beim Überfall auf die SU Stalin nur um Tage vorausgekommen, der "Kommunismus" hat doppelt so viele Opfer wie der Faschismus hervorgebracht, in den sowjetischen Internierungslagern nach Beendigung des 2. Weltkrieges wäre der KZ-Betrieb weitergeführt worden usw.. Das alles gipfelt in der These, die soz./komm. Idee fähre quasi per Naturgesetz ins Verbrechen, ein kriminologischer Ansatz, der Marx zum ersten Massenmörder der Moderne degradiert.
Im "Schwarzbuch des Kommunismus" wird die Totalitarismustheorie konsequenterweise einseitig modifiziert und erweitert. An ungezählten Stellen des Machwerkes werden dem deutschen Faschismus Entschuldigungs- und Verharmlosungszettel ausgestellt. Hier nur kurz zwei Beispiele. Die Autoren behaupten, sie hätten glaubhafte Dokumente, die beweisen würden, daß der Lagerkommandant des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz, Höß, beim Bau und der Konzeption des Konzentrationslagers detaillierte Pläne sowjetischer Gulags berücksichtigte, diese Erfahrungen der Sowjets als Vorbild nahm. Es wird suggeriert, solche Lagersysteme seien eine Erfindung der Kommunisten. Mal abgesehen davon, daß bei allen Verbrechen und Unmenschlichkeiten die im Gulag vorherrschten, doch nie fabrikmäßig Massenmord adäquat zu den deutschen Vernichtungslagern betrieben wurde, ist die Behauptung, solche Lager hätte es zuerst auf dem Territorium der ehemaligen SU gegeben, schlichtweg falsch. Sogenannte "Concentration Camps" hat die Menschheit den Amerikanern während der Indianeraufstände und den britischen Kolonialherren in ihren Überseegebieten zu verdanken.
"... Was Gewalttätigkeiten angeht, scheint dieses Jahrhundert seine Vorgänger übertroffen zu haben. ... Dies war das Jahrhundert der großen Menscheitskatastrophen - zwei Weltkriege und der Nationalsozialismus. In diese Epochen der Tragödien gehört der Kommunismus, ja, er ist einer ihrer stärksten und bedeutendsten Momente. ... der Kommunismus bestand vor dem Faschismus und vor dem Nationalsozialismus, er hat sie überlebt... .". Ein Zitat aus der Bibel der Antikommunisten, das offensichtlich keiner weiteren Erklärung bedarf.

Seit der feindlichen Übernahme der DDR machen solche Entwicklungen logischerweise auch nicht vor den Toren diverser Gedenkstätten, die den Terror der deutschen Faschisten dokumentieren, halt. Die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald wurde faktisch das Lieblingsprojekt der geschichtlichen Säuberungs- und Verdrehungsakrobaten. Die Teilbereiche der geschichtsrevisionistischen Großoffensive sind so mannigfaltig, daß hier nur anhand von drei exemplarischen Beispielen die Gesamtkonstellation dargelegt werden kann. Buchenwald war eines der wenigen Konzentrationslager, wo sich die Häftlinge aus eigener Kraft selbstbefreiten. Bei allen nachträglichen Mythen, die solche militärischen Aktionen immer mit sich bringen, ist es eine unumstößliche Tatsache der Geschichte. Nun paßt es nicht so recht in das gängige Geschichtsraster von ausgemergelten, völlig gebrochenen und willenlosen Häftlingen, daß solche geknechteten Menschen in der Lage sind, unter unmenschlichsten Bedingungen einen solchen Militärschlag vorzubereiten und durchzuführen. Was liegt näher, als dieses Faktum flugs zu bestreiten. Es hätte gar keine richtige Selbstbefreiung gegeben, nur eine symbolische Geste in Absprache mit den nahen amerikanischen Truppen. Nun bezweifelt niemand, daß diese Aktion ohne das Wegbrechen des deutschen Hinterlandes, bedingt durch die amerikanische Militärpräsenz, angesichts flüchtender und demoralisierter SS-Wachmannschaften, nie möglich gewesen wäre. Genau dieser Umstand zeigt eindrucksvoll, daß es um keinen spontanen Kamikazestreich ging, sondern alles von langer Hand vorbereitet wurde. Das Internationale Lagerkomitee, daß in der Illegalität des Lageralltags tätig war, plante lange, es wurden Waffen beschafft, und erst zu einem erfolgversprechenden Zeitpunkt schlug man zu.
Das Internationale Lagerkommitee ist ein weiterer Aspekt, der neuerdings dämonisiert und ideologisch zurechtgestutzt wird. Die klandestin agierende Organisation setzte sich zu einem großen Teil aus inhaftierten, kommunistischen Funktionären vieler Länder Europas, russischen Kriegsgefangenen, aber auch aus Menschen mit anderen politischen Weltanschauungen, zusammen. Die relativ hohe Zahl von Kommunisten war, wie häufig postuliert, nicht ideologischen Begrenzungen geschuldet, es spielten rein praktische Erwägungen die Hauptrolle. Viele dieser Funktionäre besaßen bereits Erfahrungen in der Illegalität, sie waren prädestiniert für diesen Job und konnten den permanent existierenden Repressionsdruck am besten erdulden und ihm ausweichen. Hier wittern Historiker vom Schlage eines Niethammers kommunistische Unterwanderung und lassen ihrem Drang zu Verschwörungstheorien freien Lauf. Von Roten Kapos ist die Rede, die ausschließlich ihre Genossen im Rahmen ihrer Möglichkeiten vor drohendem Terror und tödlichen Deportationen beschützten, mit der SS gut zusammenarbeiteten und sich um die anderen Opfergruppen im Lager einen Dreck kümmerten. Offene Lügen und Verleumdungen, die durch nichts zu belegen sind. Kein Wort davon, daß die kurz nach der Errichtung des Konzentrationslagers dominanten Kapos aus den Reihen der sogenannten "Kriminellen" äußerst brutal gegen Häftlinge vorgingen und willige Vollstrecker der SS waren. Erst nachdem viele sozialdemokratische und kommunistische Häftlingsvertreter und Vorarbeiter etabliert waren, änderte sich diese primäre Situation. Ein Umstand, der noch heute von den meisten ehemaligen Häftlingen und deren Verbänden bestätigt wird. Ohne das illegale Lagerkommitee wäre es auch nicht möglich gewesen, viele Juden vor dem sicheren Tod in Außenkommandos oder bei Evakuierungsversuchen zu retten. Daß, wenn man etwas bewegen will, eine distanzierte Kommunikation mit den Schlächtern der SS unumgänglich war, wird im Nachhinein als solidarische Zusammenarbeit umgelogen.
Den entscheidendsten und öffentlichkeitswirksamsten Teil des Geschichtsrevisionismus in Buchenwald stellt zweifellos die Beschäftigung mit dem sowjetischen Internierungslager nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus dar. Ein Schlaraffenland für Relativierungsfanatiker, daß fleißig genutzt wird. Die Errichtung von Internierungslagern für zivile Funktionsträger der Nazis, hohe Wehrmachtsangehörige, Mitglieder der SS, des SD und der Gestapo war kein isolierter Husarenritt der Sowjets, dieses Handeln wurde auf der Alliierten Potsdamer Konferenz beschlossen und in allen Besatzungszonen praktiziert. Daß ehemalige Konzentrationslager - mangels anderer Unterbringungsmöglichkeiten - dafür verwendet wurden, war auch in den westlichen Besatzungszonen (z.B. in Dachau) durchaus verbreitet.
Drei wesentliche Fragen in der historischen Bewertung des Internierungslagers auf dem Ettersberg sind besonders relevant.
Saßen in den Internierungslagern wahrhaft schuldige Nazis, oder wurden sie willkürlich gefüllt.
Für Buchenwald gibt es Untersuchungen, die ergeben, daß 80% der Insassen unter die obengenannte Definition zu fassen sind, also Täter im Sinne der Potsdamer Konferenz waren. Strittig sind solche Internierungsgruppen wie die sogenannten Wehrwölfe, das letzte, jugendliche Aufgebot der faschistischen Wehrmacht, niedere zivile Funktionsträger und solche Menschen, die auch schon im KZ inhaftiert waren. Von Willkür und praktischer Kollektivstrafe kann also nicht die Rede sein. Wie sah es mit dem praktischen Lageralltag im Vergleich zum Konzentrationslager der Nazis aus? Gab es Parallelen oder gar eine qualitative Fortsetzung des Terrors?
In Internierungslagern wurde nicht systematisch, zielgerichtet durch Arbeit, Gaskammer oder Massenerschießungen getötet. Die Todesrate war trotzdem relativ hoch, was zum größten Teil der prekären Gesamtversorgungslage mit Lebensmitteln und Medikamenten geschuldet war - eine Folge des faschistischen Angriffskrieges und nicht etwa vorsätzlich praktiziertes Handeln. Schwangere Frauen wurden entlassen, es gab Tageszeitungen und andere Vergünstigungen, die im KZ unvorstellbar gewesen wären.
Wie geht man heute mit der historischen Aufarbeitung des Internierungslagers um, wie stellt man es angemessen dar?
In der praktischen Umsetzung dieses Komplexes kulminiert der Geschichtsrevisionismus am deutlichsten. Gegen den Willen der Häftlingsverbände wird dem Internierungslager ein Raum eingeräumt, der zwangsläufig zur Relativierung und Verharmlosung des Konzentrationslagers führt. Unmittelbar auf dem Gelände des KZ´s wurden Ausstellungen installiert, die eine Vermischung, wenn nicht gar beabsichtigen, so doch praktisch werden lassen. Es werden Portraits von Nazigrößen gezeigt, auf anderen Schautafeln werden die armen, unschuldigen Opfer der sowjetischen Willkür bemitleidet. Ewiggestrige Trachtenvereine wie die "Opfer des Stalinismus" werden nicht müde, die geschichtliche Singularität der Internierungslager zu betonen und werden dabei noch von Politikern und begleitenden Historikern hofiert.
Sollte gegen solche geschichtsfälschenden Strategien nicht energisch und ausdauernd angegangen werden, wird in den folgenden Generationen vom Verbrechersystem deutscher Konzentrationslager nur ein überdimensioniertes, entpolitisiertes Freiluftgefängnis der Seelen übrigbleiben.