Quelle: BdA - Die PrenzlbergerInnen/Prenzlberger Zündschnüre Oktober 1998
Die Gruppe 43
- Antifaschistischer Kampf in Großbritannien 1946-50
Von Morris Beckmann
(Rezension aus: Red Action Nr. 65, Übersetzung: FreundInnen
Irlands)
"Die Nachkriegsfaschisten bildeten eine intelligente
Organisation, angeleitet von einem cha-rismatischen Führer
und unterstützt von fähigen Leutnants. Die meisten von
ihnen waren ex-zellente Redner. Sie wußten genau, was sie
taten. Ihr erster Schritt war, eigene Sturmtruppen aufzubauen, die
Straßenschläger, um ihre Versammlungen zu schützen
und ihre GegnerInnen einzuschüchtern. Genau diese
Straßenschläger machten wir uns zum Ziel. Zwischen 1947
und '48 sammelten sie neue Mitglieder. Erst durch unsere
ununterbrochenen und nicht nachlassen-den Angriffe, bei denen wir
sie planmäßig außer Gefecht setzten, zerschlugen
wir sie."
AntifaschistInnen wird dieses Buch sehr interessieren, weil es die
Phase zwischen 1946 und '50 beschreibt, die in heutiger
antifaschistischer Literatur kaum mehr vorkommt. Die Vorstellung,
daß der Faschismus am Ende des zweiten imperialistischen
Weltkriegs zerschlagen wurde, wird hier gut und wirklich beerdigt.
Schon vor Kriegsende hielten die Faschisten in London
öffentliche Versammlungen ab, tatsächlich
frühestens 1944. Männer und Frauen, die die vergangenen
Jahre in den britischen Streitkräften dafür verbracht
hatten, die
"faschistische Bedrohung"
zu bekämpfen, kehrten nun nach Hause zurück, nur um
mitanzusehen, wie die Faschisten ungehindert auf den
Straßen aktiv waren.
"Aus einem Kino kommend, wo die Wochenschau Berge von
jüdischen Frauen, Männern und Kindern zeigte, wie sie in
den Massen-gräbern der Konzentrationslager einplaniert wurden
und dann an einem faschistischen Treffen vorbeigehen oder
mitansehen zu müssen, wie Hakenkreuze an jüdische
Häuser und Synago-gen geschmiert wurden, ging diesen
ehemaligen Soldatinnen und Soldaten unter die Haut, ihre
Gefühlsausbrüche reichten von cholerischer Wut bis zum
kaltblütigem Wunsch, die Übeltäter zu
töten."
Nachdem schließlich vier junge jüdische ehemalige
Soldaten im Februar 1946 ein faschistisches Treffen in Hampstead
Heath aufmischten, wurde einige Wochen später ein Treffen
einberufen, das
"sich darauf einigte, eine Organisation zu schaffen, um die
Faschisten zu bekämpfen. Diese Organisation wird unpolitisch
sein - jede und jeder, der/die Faschismus und Antisemitismus
bekämpfen will ist willkommen, ungeachtet ihrer/seiner
politischen Ansichten."
Desweiteren einigte sich die Versammlung darauf,
"im Parlament dafür zu werben, daß die
Aufstachelung zum Rassenhaß verboten und zu einer Straftat
gemacht wird, die mit Gefängnis bestraft wird."
43 Personen waren damals anwesend, deswegen der Name der Gruppe.
Vom März 1946 bis April 1950 führten die Kommandos der
Gruppe 43 einen gnadenlosen Krieg gegen die Faschisten: bis zu 15
Treffen in der Woche wurden ange-griffen. Den ursprünglich
43 Mitgliedern schlossen sich alsbald viele mehr an, 1948 bestand
die Gruppe aus 1000 Mitgliedern! Straff organisierte Kommandos
nahmen an wirklich jedem faschistischen Treffen mit der Absicht
teil, sie zu beenden. Darin waren sie höchst erfolgreich. Nur
ein einziges Mal mußten sie "die Beine in die Hand
nehmen": eine angeworbene Gruppe mit Malteserkutten lauerte
ihnen in Romford auf und griff sie mit Rasierklingen an, die sie
in Kartoffeln gesteckt hatten. Regelmäßig wurden
Zeitungsverteiler der Faschisten enteignet und faschistische
Buchläden, von denen es eine ganze Reihe gab, gestürmt
und deren Inhalt angesteckt. Ihr Aufklärungsnetzwerk war
genauso entscheidend und exakt wie effektiv, sie infiltrierten
praktisch jede faschistische Gruppe. Selbst ein persönlicher
Leib-wächter von Mosley war ein Mitglied der Gruppe 43! Nach
Kriegsende waren sich die wiederauflebenden faschistischen Gruppen
über die Bedeutung im Klaren, sich nicht offen mit den gerade
besiegten faschistischen Mächten in Verbindung bringen zu
lassen. Also tauchte das Wort "Faschist" selten auf, und
aus Juden wurden "Fremde". Um das zu durchkreuzen, gab
die Gruppe ein Magazin namens "ON Guard" heraus, das den
tatsächlichen Charakter solcher Gruppen wie "British Legion
of Ex-Servicemen & Woman" und der "British People's
Party" entlarvte. Wichtigster Kritikpunkt Red Actions an der
Gruppe 43 wäre ihre politische Strategie. Es gibt ja nun bei
uns Gesetze, die die Aufstachelung zum Rassenhaß verurteilen,
von denen sie annahm, daß sie das Problem lösen
würden, doch auch heute noch steht der Faschismus sehr auf
der Tagesordnung.
Ohne eine Klassenanalyse kamen sie niemals zu den Wurzeln des
Problems
.
(Hervorhebung von FreundInnen Irlands)
Dieses Buch gibt einen guten historischen Abriß über
die Aktivitäten der Gruppe 43, und die Vielzahl von Anekdoten
sorgen da-für, daß es nie zu einer trockenen
wissenschaftlichen Abhandlung wird. (...) Red Action
unterstützt voll und ganz körperlichen Einsatz gegen
Faschisten, betont aber ebenso die Bedeutung einer politischen
Strategie, um zu verhindern, daß Auseinandersetzungen
zwischen Faschisten und AntifaschistInnen in Bandenkriege ausarten,
die dem Rest der Bevölkerung fremd sind. Es ist ganz
entscheidend zu erklären, warum diese Auseinandersetzung
politisch gesehen so eminent wichtig ist und größere
fortschrittliche Kräfte zu gewinnen sind, um zu verhindern,
daß sich die Militanten isolieren. Isoliert zu sein
erleichtert es, sowohl vom Staat wie von den Faschisten
abgegriffen zu werden. Die Erfahrung der Gruppe 43 belegt
allerdings auch, wie umsichtig geplant effektive körperliche
Einsätze sein müssen. Selbst wenn es dir gelingt,
tausende zur Unterstützung gewaltätiger Aktivitäten
mobilisieren zu können, so benötigst du doch immer noch
straff organisierte Gruppen, die die Initiative ergreifen und die
den Verlauf der Ereignisse bestimmen. Das ist nicht elitär
oder antidemokratisch. Dieses Buch über die Körperlichen
Auseinandersetzungen mit den Faschisten könnte kaum zu einer
günstigeren Zeit herausgekommen sein, wo doch die Debatte
über wirkungsvolle antifaschistische Taktiken immer
entscheidender wird. Die Gruppen, die meinen "keine
Plattform" heißt, hinter 'ner Absperrung
stehenzubleiben und mit 'nem Plakat zu wedeln, täten gut
daran, dieses Buch zu lesen. Doch viel bedeutsamer ist: es ist
ermutigend für wirklich Militante, daß wir Teil einer
fortdauernden Tradition sind und daß sich diese Tradition
als erfolgreich erwiesen hat.
Bestelladresse: Harald Kater Verlag, Dieter Brünn,
Görlitzer Str.39 ,10997 Berlin
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