Quelle: R.O.T.K.Ä.P.C.H.E.N. 1999 Umgestaltung und Verfall in der Gedenkstätte Buchenwald seit 1990 Schon im ersten Jahr der Wiedervereinigung begann eine Historikerkommission im Auftrag des deutschen Bundestages, Richtlinien für die Neukonzeption der KZ-Gedenkstätten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu erarbeiten. Die für die Gedenkstätte Buchenwald relevanten Leitlinien wurden im September 1991 von der Historikerkommission des Thüringischen Wissenschaftsministeriums veröffentlicht. Darin empfahlen die Kommissionsmitglieder, daß in Buchenwald "der Schwerpunkt auf dem Konzentrationslager (zu) liegen" habe. Trotzdem beschäftigen sich die Leitlinien fast ausschließlich mit der Zeit nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt des Papiers steht die Planung einer zusätzlichen Gedenkstätte zum Speziallager Nr. 2 mit eigenem Ausstellungsbau und einer neu zu errichtenden Dauerausstellung zur "Vorgeschichte und Geschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald 1950- 1990", mit deren Fertigstellung 1999 zu rechnen ist, außerdem die 1995 fertiggestellte "Neukonzeption und Neugestaltung der Dauerausstellung zum Konzentrationslager". Schon die Wortwahl der "Leitlinien" läßt vermuten, worum es den staatlich bestellten Neugestaltern geht. Die Ausdrucksweise der Historiker, die sich im Kampf gegen die "Parteilichkeit der DDR-Geschichtsschreibung", "Staats-Propaganda" und "politische Instrumentalisierung" wähnen, lassen erkennen, daß der geschichtliche Ort zur Legitimation der neuen staatsoffiziellen Geschichtsversion mißbraucht werden soll. Heutzutage ist das die Totalitarismus-Theorie, die Deutsche als unschuldige Opfer von zwei Diktaturen darstellt und mit der Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus die Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen betreibt. Die Umsetzung der Leitlinien bestätigt die Vermutung. Hinter der "Effektenkammer", in der sich die Hauptausstellung befindet, entstand eine Gedenkstätte für "Opfer des Stalinismus", die bundesweit ihresgleichen sucht. Trotz internationaler Proteste wurden auf dem Gelände des Konzentrationslagers ein Ausstellungsgebäude, ein persönlicher Friedhof, eine aufwendige Flächenskulptur und eine reguläre Gedenkstelle mit Großkreuz (geplant) eingerichtet. Wichtige Veränderungen auf dem Gedenkstättengelände seit 1990
Der Verfall des Häftlingslagers
Kurz gesagt, verfällt das nordwestliche Häftlingslager, genaugenommen das "kleine Lager" und der "Häftlingskrankenbau". Erosion und Hanglage bewirken, daß die noch spärlich vorhandene Bausubstanz der ehemaligen Häftlingsbaracken langsam, aber sicher den Ettersberg hinabrutscht. Während in den vergagenen Jahren große Summen in die Rekonstruktion von SS-Bauten, den Neubau des Ausstellungsgebäudes und der Gedenkstätte für angebliche und tatsächliche Opfer des Stalinismus flossen, wächst buchstäblich Gras über einen zumindest noch rudimentär erhaltenen interessanten Teil des Häftlingslagers. In diesem Bereich führte die SS ihre mörderischen Fleckfieberversuche durch, litten zigtausende in der Quarantäne des "kleinen Lagers", befand sich der Häftlingskrankenbau als Ort des Widerstands und auch das Lagerbordell, auf das noch heute keine Tafel hinweist. Die TeilnehmerInnen der Antifa- Workcamps haben bis zum Arbeitsverbot durch Gedenkstättenleiter Knigge im Jahr 1997 (Siehe S. ) zahlreiche Praxisprojekte im Bereich des nordwestlichen Hauptlagers durchgeführt. Dazu gehörten Ausgrabungen, Instandsetzungs- und gartenpflegerische Tätigkeiten. Bis auf letztere wurden die Arbeiten seit 1997 kaum weiter geführt. Eine Ausnahme ist die durch ein Workcamp ausgeführte Entfernung von "inszenierten", d.h. aus der DDR-Zeit stammenden Zaunpfosten. AntifaschistInnen, die selbst auf dem Gelände gearbeitet haben, erbittert es besonders, den Verfall zu beobachten. Die Aussage der Gedenkstättenleitung, es bestehe "kein Bedarf" an Praxisprojekten von Workcamps, wirken angesichts des Zustands zynisch und politisch motiviert. Der untersuchte Bereich befindet sich an der Nordkante des Häftlingslagers und läßt sich in
Das kleine Lager bestand aus ca. 20 Baracken und wurde seit 1943 von der SS als Quarantänelager für neuankommende Häftlinge genutzt. Rund ein Drittel aller Gefangenen von Buchenwald waren hier eingepfercht. In Folge der Verschleppung von Häftlingen aus den östlichen Konzentrationslagern wuchs die Belegung einzelner Baracken auf über 1500 an, später errichtete die SS einen "Zeltplatz" genannten Stacheldrahtverhau, wo tausende auf nacktem Boden vegetieren mußten. 18000 Insassen hatte das "kleine Lager" bei der Befreiung Buchenwalds im April 1945. Im Auftrag der sowjetischen Militärbehörden wurden die Holzbaracken bis auf zwei abgerissen, wobei die Fundamente erhalten blieben. Heute zerfällt das ursprünglich zusammenhängende Lager in den oberen Teil südlich des "Weges durch das Häftlingslager", der von Baum- und Buschbewuchs freigehalten wird, und den unteren Teil, der nicht mehr als zum Lager gehörig erkennbar ist, weil er bis auf einen Trampelpfad und eine Lichtung im Wald verschwindet. Der obere Bereich ist eine planierte Fläche, die zum Häftlingslager mit einer unbefestigten Erdstufe abschließt. Auf der Fläche befinden sich, gekennzeichnet durch Eckpfosten von ca. 50 cm Höhe, die Fundamente der ehemaligen Baracken und Reste der gepflasterten Lagerstraßen. Die noch erhaltenen Fundamentteile aus Beton sind ungeschützt der Witterung ausgesetzt und im Sommer wegen des dichten Bewuchses nicht zu erkennen, fehlende Hinweisschilder erschweren die Orientierung zusätzlich. Auf der ganzen Fläche verstreut finden sich, teils achtlos aufgetürmt, Fragmente der ehemaligen Baracken. Das eindrucksvolle Fundment der ehemaligen Latrine wurde vor wenigen Jahren von TeilnehmerInnen des Antifa- Workcamps ausgegraben und erwies sich als reich an Fundstücken. Erst 1998- drei Jahre später- wurde es durch eine Abdeckung vor Witterungseinflüssen geschützt. Leider verdeckt diese das Objekt völlig und auch hier fehlen Hinweisschilder. Anders die Situation im unteren Bereich. Die ehemaligen Baracken 57-59 und 62-67 sind vollständig mit Wald und ungemähter Wiese überwachsen. Nur ein schmaler Pfad führt zu der Lichtung, wo TeilnehmerInnen des Antifa- Workcamps ein ca. 10 m langes gemauertes Fundamentstück des "Kinderblocks" freigelegt haben. Wie wertvoll dieser einzige nachvollziehbare Ort den BesucherInnen der Gedenkstätte ist, beweisen zahlreiche Gedenkkerzen auf dem Mauerrest. Bis auf dieses Fundamentfragment ist die ehemalige bauliche Situation nicht durchschaubar, da hier nicht nur Barackenmarkierungen, sondern auch Hinweisschilder fehlen. Bei einem Besuch im April 1999 warnte stattdessen ein Schild vor dem "Betreten der Baustelle". Einbrüche im Gelände und teils gut erhaltene Fundamentreste lassen vermuten, daß aufschlußreiche Grabungen möglich wären. Auch ohne Werkzeug lassen sich leicht Spuren der NS-Vergangenheit finden. Die Wegequalität im "kleinen Lager" ist sehr schlecht. Zugang ist der nördliche "Weg durch das Häftlingslager", der in diesem Bereich unbefestigt und bei Regen voller Pfützen ist. Die teils erhalte- nen historischen Wege und Treppen aus Bruchsteinen verfallen trotz ihres relativ guten Zustands, weil keine Bemühungen zur Konservierung unternommen werden. Fazit: Der geschichtliche Ort "kleines Lager" ist in kein nachvollziehbares museumspädagogisches Konzept eingebunden, es sei denn das, "Gras über die Sache wachsen zu lassen". Der Ort ist schwer zu ereichen, die Beschilderung ohne Vorkenntnisse verwirrend, die historische Gebäudekonstellation nicht mehr nachvollziehbar. Bauliche Reste von Baracken und Wegen sind dem Verfall preisgegeben oder werden durch Abdeckungen dem Blick der BesucherInnen entzogen. Seit 1997 ist die Sicherung vorhandener Fundstücke ebenso unterblieben wie weitere Forschung auf dem Gelände. Der Häftlingskrankenbau erschließt sich ebenso wie das "kleine Lager" über den "Weg durch das Häftlingslager". Die auf Drängen der kommunistischen Häftlinge errichtete ehemals aus 7 Baracken bestehende Anlage diente als Krankenhaus und war ein wichtiger Treffpunkt der illegalen Widerstandsorganisation im Konzentrationslager. Diesem Umstand ist es zu verdanken, daß schon zu Zeiten der DDR die Fundamente einer Baracke aufgemauert, Wege angelegt und ein Gedenkstein gesetzt wurde. Die Flächen außerhalb dieser Anlage sind dicht bewaldet. Wie im "kleinen Lager" findet auch im Häftlingskrankenbau nur noch Gartenpflege statt, das heißt, daß Wege, der ehemalige Garten und die beiden komplett erhaltene Fundamente halbwegs von Unkraut frei gehalten werden. Der bauliche Zustand der Anlage ist dem entsprechend. Die aufgemauerten Ziegelfundamente der "chirurgischen Abteilung" zerbröseln, umgebende Wurzeln drücken die Mauern ein. Ähnlich ergeht es einer freigelegten Fundamentplatte aus Beton, die langsam überwaldet. Im Wald verborgen liegt auch das Fundament der geschichtlich interessanten, weil kaum erforschten Bordellbaracke . Die Qualität der Wege ist dank der DDR- Gedenkstätte relativ gut. Die beiden freigelegten Barackenflächen sind gut zu erkennen und relativ detailiert Beschildert. Durch die Überwaldung eines Großteils des Bereichs und das Fehlen von Markierungen ist die ursprüngliche Situation allerdings nicht mehr nachvollziehbar, mensch fühlt sich außerhalb des Häftlingslagers. Deutlich abgetrennt von dem bewaldeten Bereich wurde nach 1990 eine Krankenbaracke aus historischen Bauteilen aufgestellt, die seit kurzem mit großem technischen Aufwand vor Anschlägen geschätzt wird. Leider ist das Gebäude nicht zu betreten, keine Hinweistafel informiert über Funktion und Geschichte. Unweit davon lagert seit einigen Jahren ein Stapel mit zahlreichen historischen Barackenteilen aus Holz ungeschützt im Freien. Fazit: Auch die Situation im "Häftlingskrankenbau" zeigt, daß die Gedenkstättenleitung diesen Teil dese Lagers offenbar aufgegeben hat. Die Gesamtanlage ist kaum zu erkennen, die baulichen Reste bleiben fragmentarisch und verfallen, Pläne zur weiteren Erforschung des Areals gibt es offenbar nicht. Auch die Aufstellung der Krankenbaracke erfolgte ohne ausstellungspädogogisches Konzept, ohne Hintergrundwissen ist der Bezug zum "Häftlingskrankenbau" kaum herzustellen. Die Gedenkstättenleitung vernachlässigt die Erhaltung authentischer Orte des nationalsozialistischen Konzentrationslagers. Entgegen der Empfehlung der Historikerkommission, das Gedenken an Speziallager Nr. 2 dem an das Konzentrationslager "nachzuordnen", wird in Buchenwald viel getan, um Unterschiede zu verwischen. Der beschriebene bauliche Verfall und die museumspädagogische Ideenlosigkeit im nordwestlichen Hauptlager sind Indizien dafür. Andere "passive" Maßnahmen haben ebenfalls das Ergebnis, das NS-Lager verschwinden zu lassen. Schon die Tatsache, daß auf Beschilderungen und in Publikationen Konzentrations- und Speziallager gleichberechtigt nebeneinanderstehen, gibt zu denken. Dazu kommt die Tatsache, daß durch die jetzige Wegführung das Häftlingslager kaum mehr wahrgenommen wird. Die meisten BesucherInnen betreten das Lager durch das Haupttor, überqueren den Appellplatz zum Kremtorium, sehen sich an der "Effektenkammer" mit drei Ausstellungen konfrontiert und stehen schließlich vor der Gedenkstätte für deutsche Internierte des Speziallagers Nr. 2, die zu 80% überzeugte Nazis waren. Das eigentliche Häftlingslager mit den unauffälligen Mahnmalen verschiedener Opfergruppen wird häufig schon aus zeitlichen Gründen nicht angesehen. Die beschriebenen authentischen Orte, schlecht erschlossen und beschildert und im Zustand des Verfalls, bleiben unsichtbar. Vor dieser Situation stehen BesucherInnen, die aus der ganzen Welt nach Buchenwald kommen, um sich der 240000 Gefangenen und 56000 Toten des NS-Konzentrationslagers zu erinnern. Das Resultat ist, daß sich heute manche ehemalige Häftlinge von den Gedenkstätten "nicht mehr repräsentiert" fühlen. Dafür besuchen jetzt Neonazis, oft in Gruppen, die Folterstätten ihrer ideologischen Vorbilder. Die Leitung der Gedenkstätte Buchenwald ist aufgefordert, ihre ideologisierende Geschichtsdarstellung aufzugeben. Sie muß sich ihrer Aufgabe stellen und in Vermittlung, Erhaltung und Erforschung des NS-Konzentrationslager investieren. Die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus ist heute so nötig wie immer, die ehemaligen KZ als sichtbare Orte des NS-Terrors spielen hierbei eine wichtige Rolle. Wer sie bagatellisiert und einreiht, beweist, aus der Geschichte nicht gelernt zu haben.
Berlin, 1.6.1999
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