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OKTOBER 2003

FREE PAULO


Vor über 8 Monaten, am 21. Januar 2003 wurde der 29jährige Baske Paulo Elkoro unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft und Unterstützung der ETA in Nürnberg festgenommen und befindet sich seither unter verschärften Sonderhaftbedingungen im Gefängnis München-Stadelheim. Ihm wird per spanischem Haftbefehl vorgeworfen, u.a. an einem ETA-Anschlag auf einen spanischen Militärstützpunkt 1997 in Araca beteiligt gewesen zu sein. Nach seiner Festnahme stellte die spanische Regierung einen Auslieferungsantrag. Während das Nürnberger Oberlandesgericht am 4. August seine Auslieferung an Spanien für zulässig erklärte, kämpfen Solidaritätsgruppen, UnterstützerInnen und Rechtsanwälte für seine Freiheit. Denn im Baskenland steigt die Repression des spanischen Staates gegen die linke Unabhängigkeitsbewegung Tag für Tag: Verbote, Verhaftungen und Folter stehen auf der Tagesordnung.

Folter und Deutsche Gerichte

Ganz konkret um Folter geht es auch im Fall Paulo Elkoro, denn die Aussagen gegen ihn wurden in Spanien durch Folter erpreßt. Während die spanischen Behörden von „rechtmäßigen Verhören“ sprechen, erheben zwei in Spanien verhaftete Mitbeschuldigte, die einzigen, die Paulo belasten, schwere Vorwürfe gegen den spanischen Staat. Sie wurden von der Guardia Civil während der sog. Incomunicado-Haft misshandelt, gefoltert und gezwungen, gegen Paulo auszusagen, u.a. mit Elektroschocks an den Hoden und unter den Achseln und der sog. „Tüte“, das Überziehen einer Plastiktüte über dem Kopf, die am Hals festgebunden wird, bis die Erstickung droht. Für die Entscheidung des Nürnberger Strafsenats beim Oberlandesgericht spielten diese Aussagen allerdings keine Rolle, denn es gibt keinerlei Gründe, so das OLG, den Angaben der spanischen Behörden zu misstrauen. Schliesslich sei Spanien ein Rechtsstaat und EU-Mitglied.

Laut dem baskischen Antifolterkomitee TAT wird in Spanien aber systematisch gefoltert und die Liste der Foltermethoden könnte noch beliebig erweitert werden: Scheinhinrichtungen, Schlafentzug, der sog. „Aufzug, bei #dem nackt und unter Schlägen Kniebeugen gemacht werden müssen, sexuelle Misshandlungen oder die sog. „Badewanne“: Hierbei werden die Opfer bis zum Verlust des Bewusstseins unter Wasser getaucht. Über 5000 Folterfälle wurden im „demokratischen“ Spanien der letzten 25 Jahre registriert, 112 davon alleine im vergangenen Jahr. Selbst amnesty international, die UNO-Kommission für Menschenrechte und das Antifolterkomitee des Europarates kritisieren die Anwendung von Folter in Spanien. Gegen die Auslieferungsentscheidung des Nürnberger Oberlandesgerichts wurde nun eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, da schliesslich auch in der EU die Antifolterkonvention der UN gilt, die ein Beweisverwertungsverbot bei Folter vorsieht. In einem ähnlichen Gerichtsverfahren in Frankreich hatte erst im Mai diesen Jahres ein Gericht die Auslieferung von mutmaßlichen ETA-Aktivisten an Spanien genau aus diesen Gründen verweigert. Dass Paulo selbst bei einer Auslieferung an Spanien von Folter bedroht ist, zeigt der Fall eines baskischen Flüchtlings, der kürzlich von Mexiko nach Spanien abgeschoben und gefoltert wurde.

Paulos Hungerstreik

Paulo Elkoro selbst streitet die Vorwürfe gegen ihn ab, im Gegenteil, er erhebt seinerseits schwere Anklagen gegen den spanischen Staat und vergleicht die aktuelle Situation sogar mit der Zeit der Franco-Diktatur: „Es gibt mit 670 mehr politische Gefangene als unter Franko. Mehr als 2000 Basken und Baskinnen befinden sich aus Angst vor Diskriminierung, Verhaftung oder Folter auf der Flucht oder im Untergrund und ihre Zahl wird immer größer“. Als linker Unabhängigkeitsaktivist war er u.a. Mitglied der mittlerweile verbotenen baskischen Jugendorganisation Jarrai. Aus Angst vor Verhaftung und Folter ging er in die Illegalität und floh als 1998 die Guardia Civil in seiner Heimatstadt Bergara eine 2-tägige Razzia durchführte und dabei willkürlich mehrere Menschen verhaftete und folterte. Nachdem auch Paulos Asyl-Antrag als politisch Verfolgter, den er nach seiner Festnahme in Deutschland stellte, vom Nürnberger Bundesamt Mitte August als „unbegründet“ abgelehnt wurde, begann er am 1. September 2003 einen 30-tägigen Hungerstreik im Gefängnis München-Stadelheim, um auf seine Weise und mit seinen Möglichkeiten gegen die Gerichtsentscheidungen zu protestieren. In seiner Hungerstreikerklärung schreibt er:

„Wer hat dem spanischen König das Recht gegeben, das Baskenland die Unabhängigkeit zu geben oder zu verweigern, wenn nicht Franko, der erfolgreichste Diktator Westeuropas. Mit Hilfe von Hitler und Mussolini liess er im sog. „spanischen Bürgerkrieg“ die baskische Zivilbevölkerung bombardieren oder dachte sich andere Grausamkeiten aus. Wer hat der Madrider Regierung das Recht gegeben, unsere Zeitungen und politischen Parteien zu verbieten und deren Repräsentanten zu foltern? Oder die tapferen baskischen Jugendlichen zu kriminalisieren? Und wer hat dem autoritären spanischen Präsidenten Aznar das Recht gegeben, die Basken in Europa und in der Welt zu vertreten? Nicht das Baskenland!

Ein völkerrechtliches Prinzip ist das sog. Selbstbestimmungsrecht, das jedem Volk - also auch den Basken - garantiert, über seine Angelegenheiten selbst zu bestimmen. Wenn Madrid dieses Recht nicht respektiert (obwohl Spanien die entsprechenden Verträge unterschrieben hat), werden wir es uns eben selber nehmen, denn das ist heute der einzig sichtbare Weg, um den Konflikt zu beenden. Die Frage, die sich Deutschland stellt, ist nicht, ob Madrid dem Baskenland sein Selbstbestimmungsrecht gewährt, sondern ob Deutschland dieses Selbstbestimmungsrecht anerkennt oder ob es die aggressive Haltung der Regierung Aznar unterstützt. Seit Anfang September bin ich im Gefängnis München/Stadelheim im Hungerstreik. Das ist meine Form des Protestes gegen die rechtswidrige und blinde Zusammenarbeit des OLG-Nürnberg mit dem Folterstaat Spanien.“

Die Solidaritätsaktionen

Nachdem bereits im März eine Kundgebung zur Solidarität mit Paulo vor dem Münchner Gefängnistrakt stattfand, versammelten sich auch am 14. September zahlreiche UnterstützerInnen vor der Knastmauer in Stadelheim, um Paulo in seinem Hungerstreik-Protest zu unterstützen und dafür Öffentlichkeit zu schaffen. In ihrem Redebeitrag ging die organisierte autonomie (oa) dabei auch auf die aktuelle Situation im Baskenland ein: „Der spanische Staat geht mit allen erdenklichen Mitteln gegen die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung vor. Die gesamte Bewegung wird kriminalisiert. Parteien und Organisationen werden verboten, die bis zu 15% der WählerInnenstimmen hinter sich hatten, Zeitungen und Schulen, Unternehmen und Kultureinrichtungen, sie alle stehen unter dem Pauschalvorwurf der Unterstützung der ETA. Doch sie werden verboten und verfolgt, weil sie ein unabhängiges Baskenland wollen, jenseits der Jahrhunderte alten Unterdrückung durch den spanischen Staat. Sie werden verboten und verfolgt, weil sie Unabhängigkeit und Sozialismus wollen, weil die Rebellion tief in der Bevölkerung verwurzelt ist und sie mitunter die größte linke Bewegung in Europa darstellen“. Bereits im April fanden in Nürnberg und München Informationsveranstaltungen zur aktuellen Situation im Baskenland statt, wo u.a. Vertreter des baskischen Antifolter-Komitees TAT, der verbotenen Jugendorganisation SEGI und der baskischen Gewerkschaft LAB von den unterschiedlichen Kämpfen im Baskenland und über die Repression des spanischen Staates berichteten. Die Nürnberger Ortsgruppe der Roten Hilfe e.V. organisierte eine Postkartenaktion zur Solidarität mit Paulo, eine Nürnberger Solidaritätsgruppe wendete sich an Medien und PolitikerInnen und auch im Internet wird unter www.intsol.de/paulo hintergründig und aktuell berichtet. Während des 30-tägigen Hungerstreiks fanden in Paulos Heimatstadt Bergara täglich Kundgebungen statt und in den baskischen Medien wird über den Fall breit informiert.

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