Die
GewerkschaftlerInnen in der Türkei bedroht wie noch nie!
von Maxime Azadi
„Wir leben unter Umständen, die schlimmer sind als jeder Putsch. Noch
nicht einmal beim Putsch von 1980 wurde der Vorsitzende einer Gewerkschaftskonföderation
festgenommen.“ Mit diesen Worten fasst der Generalssekretär der KESK,
İsmail Hakkı Tombul, nachdem insgesamt 71 Gewerkschaftler festgenommen
wurden, die aktuelle Situation in der Türkei zusammen.
Der 25. Juni 2012 markiert in der Geschichte der Türkei den Tag der größten
antigewerkschaftlichen Operation. Hierbei wurden bei einer Festnahmewelle
insgesamt 71 Gewerkschaftler festgenommen. Das, was die Festgenommenen
alle teilen, ist, dass sie alle KurdInnen und gemeinsam aktiv gegen die
neoliberale Politik des Regimes sind.
67 Gewerkschaftler in den Gefängnissen
Während am 28. und 29. Juni 28 der Festgenommenen inhaftiert wurden, sind
Lami Özgen und die übrigen Festgenommenen freigelassen worden. Damit hat
sich die Zahl der inhaftierten GewerkschaftlerInnen unter der AKP-Regierung
auf 67 erhöht. Alle 67 Gewerkschaftler wurden im Rahmen der sogenannten
„KCK-Operationen“ festgenommen und inhaftiert. Ein Großteil von ihnen
ist noch nicht verurteilt und sie sitzen hinter Gittern, obwohl es keinerlei
Beweise gegen sie gibt.
Des KESK Vorsitzende Özgen sprach nach seiner Entlassung folgende Worte:
„Wir stammen aus einer Widerstandstradition und werden keinen Schritt
zurückweichen. Das haben wir gestern nicht gemacht, das werden wir auch
heute und morgen nicht tun.“
Im Fadenkreuz der „KCK-Operationen“:
Alle Oppositionelle
Die GewerkschaftlerInnen wurden also im Rahmen der „KCK-Operationen“ festgenommen
und inhaftiert. Diese Operationen hatten 2009 nach den Kommunalwahlen
ihren Anfang genommen. Damals war das primäre Ziel die legale kurdische
Partei. Binnen einiger Wochen entwickelten diese Operationen allerdings
solch eine Dynamik, dass sie sich bis heute zur größten Festnahmeoperation
der türkischen Geschichte entwickelte.
Diejenigen, welche die legitimen Forderungen der KurdInnen zum Ausdruck
bringen, an Protesten für den Frieden teilnehmen, die repressive Politik
des Staates kritisieren oder auf die Rolle der Gülen-Gemeinde innerhalb
des Staates verweisen, geraten ins Visier dieser Operation. Heute scheint
es so, als gäbe es kein Tag mehr ohne Festnahmen.
Allein durch die „KCK-Operationen“ wurden mehr als 8 000 Mitglieder der
BDP festgenommen, darunter 35 Bürgermeister und 6 Abgeordnete. Hinzukommen
etwa 40 AnwältInnen, hunderte SchülerInnen und Studierende, dutzende JournalistInnen
und hunderte FrauenaktivistInnen. Durch das AKP-Regime ist die gesamte
Türkei praktisch zu einem Freiluftgefängnis geworden. Als die AKP-Regierung
2002 an die Macht kam, gab es in der gesamten Türkei weniger als 60 000
Inhaftierte. Heute sind es mehr als 130 000.
Kışanak: Eine ethnische Operation
Die BDP-Co-Vorsitzende Gültan Kışanak umschreibt die Operationen mit folgenden
Worten: „Es ist offensichtlich, dass die AKP-Regierung gegen die KurdInnen
eine Operation führt. Unter dem Befehl der AKP führt die Justiz mit ihren
Gerichten mit Sonderbefugnissen eine ethnische Operation durch.“ Zu den
Festnahmen der GewerkschaftlerInnen sagte sie: „Die KESK führt den entschiedensten
Kampf in der Türkei für die Rechte der Beamtinnen und Beamten. Sie führt
auch den entschiedensten Widerstand gegen die neoliberale Politik der
Regierung. Aber wie wir heute gemerkt haben, kann die Regierung einfach
nach Lust und Laune die Zentralen der KESK stürmen und 71 Gewerkschaftler
festnehmen. In keinem Land der Welt, welches sich selbst als demokratisch
begreift, können und dürfen solche Festnahmeoperationen stattfinden.“
Französische Gewerkschaft solidarisiert
sich mit KESK
Die französische Gewerkschaft Union syndicale Solidaires hat in einer
Solidaritätsbekundung mit der KESK die Festnahmen mit folgenden Worten
verurteilt: Wir fordern, dass die festgenommenen GewerkschaftlerInnen
umgehend entlassen werden. Ihre einzige Schuld ist es, für gewerkschaftliche
Freiheiten, Frieden und Demokratie eingestanden zu sein. Wir als Union
syndicale Solidaires verurteilen aufs Entschiedenste die willkürlichen
Festnahmen von GewerkschaftlerInnen, SchülerInnen, Studierenden, JournalistInnenen
und den AktivistInnen der kurdischen Freiheitsbewegung durch die türkischen
Offiziellen.“
ITUC: Sie müssen sofort
und bedingungslos entlassen werden
Auch der internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) hat in einer Erklärung
am 25. Juni die Festnahmen mit klaren Worten verurteilt. In der Erklärung
heißt es unter anderem: „Wir können nicht akzeptieren, dass GewerkschaftlerInnen
festgenommen, inhaftiert und ohne Grund kriminalisiert werden. Die Regierung
muss davon ablassen, die Gewerkschaften in die Kategorie einer Terrororganisation
zu stecken. Die Gewerkschaften müssen das Recht haben ohne Furcht vor
Repression ihrer legitimen Rolle gerecht zu werden.“ In einem weiteren
Brief an den Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan forderte ITUC die
Freilassung der inhaftierten GewerkschaftlerInnen. Der Internationale
Gewerkschaftsbund hatte bei der Veröffentlichung ihres Jahresberichts
über die Verletzung von gewerkschaftlichen Rechten angegeben, dass die
Türkei in Europa auf Platz eins rangiere, was Einschränkung von gewerkschaftlichen
Rechten angeht.
Quelle: ANF, 29.06.2012,
ISKU
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