Fortsetzung
des KCK-Verfahrens: Sprachverbot und Schikane im Gericht, Polizeigewalt
draußen
Der größte Massenprozess
seit dem Militärputsch in der Türkei von 1980 gegen kurdische Politiker_innen,
Bürgermeister_innen, Journalist_innen und Menschenrechtler_innen, ist
in seiner Breite ein Prozess gegen die gesamte kurdische Zivilgesellschaft.
Es wurden seit Beginn der Festnahmewelle im April 2009 mittlerweile nahezu
2000 Gefangene in türkischen Gefängnissen inhaftiert, allein wegen Teilnahme
an Kundgebungen, Reden, journalistischer Arbeit etc. Damit stellt er für
viele einen Gradmesser der Bereitschaft des türkischen Staates zu einer
friedlichen Lösung der kurdischen Frage dar. Daran gemessen hat der türkische
Staat heute, am 13.01.11 weitere Schritte gegen eine Lösung des Konflikts
getan. Im Gericht wurde wieder das Benutzen der kurdischen Sprache durch
die Angeklagten verboten, die Angeklagten wurden von der Militärpolizei
schikaniert und vor dem Gericht, wie auch in vielen anderen kurdischen
Städten, kam es zu schweren Polizeiübergriffen auf die demonstrierende
Bevölkerung.
1. Prozesstag 2011 vor dem
Schwurgericht in Amed (Diyarbakır): Einschüchterungen und Sprachverbot
„Das Gericht und die Welt sollen wissen, dass ohne diese Problem zu lösen,
auch die kurdische Frage nicht gelöst werden kann.“
Der Prozess, der unter großer internationaler Beteiligung am 18.Oktober
2010 begonnen hatte, war vertagt worden, da sich die allein in diesem
Prozess über 152 Angeklagten von denen heute 117 anwesend waren, für eine
Verteidigung in ihrer kurdischen Muttersprache entschieden hatten. Deswegen
wird der erneuten Verhandlungseröffnung in der kurdischen Öffentlichkeit
eine große Bedeutung beigemessen. Vor dem Gericht versammelten sich schon
am Morgen Tausende und begrüßten die Angeklagten mit Parolen und Jubel.
Das Gericht verbot die Benutzung „einer Sprache, von der Gedacht wird,
sie sei Kurdisch“ erneut und entzog denen, die kurdisch Sprachen die Möglichkeit,
sich zu verteidigen. Auch der im Prozess als Angeklagter teilnehmende
Bürgermeister von Amed (Diyarbakır), Osman Baydemir erklärte: „Wir wollen
weder Gnade noch Unterdrückung. Wir wollen nur Gerechtigkeit. Ich werde
meine Verteidigung auf Kurdisch machen.“ Daraufhin wurde ihm das Mikrofon
abgestellt und ihm verweigert sich zu verteidigen. Als der Angeklagte
Yüksek Kamuran auf Kurdisch mit seiner Verteidigung anfing, entgegnete
der Richter: „Soweit ich das verstanden habe sprechen sie Kurdisch.“ Dieser
Antwortete daraufhin: „Ja, ich spreche Kurdisch. Wir sind Kurden und leben
schon seit tausenden von Jahren hier.“ Daraufhin wurde auch ihm das Mikrofon
entzogen. Trotz dieser Repression entschieden die Angeklagten, sich weiterhin
nur auf Kurdisch vor Gericht äußern zu wollen. So ging es allen Angeklagten,
die sich auf Kurdisch äußern wollten. Der Angeklagte Hüseyin Yilmaz erklärte
bevor ihm auch das Mikrofon abgedreht wurde: „Das Gericht und die Welt
soll wissen, dass ohne diese Problem zu lösen, auch die kurdische Frage
nicht gelöst werden kann.“ Auch im Allgemeinen war das Klima im Gericht
von Repression geprägt, so wurden männliche und weibliche Angeklagte durch
einen Kordon von Militärpolizei getrennt.
Großkundgebung und heftige
Polizeiübergriffe in Amed (Diyarbakır)
An der vom Demokratischen Gesellschaftskongress (DTK) organisierten Kundgebung
für „Demokratische Autonomie“, die im direkten Kontext zur Fortsetzung
des KCK-Verfahrens steht, nahmen mehr als 50.000 Menschen teil. Die Kundgebung
fand unter Parolen wie: „Lasst uns die, die unsere Sprache verleugnen,
verurteilen und die demokratische Autonomie aufbauen“ oder „Die PKK ist
das Volk und das Volk ist hier“ und „Die die verurteilt werden sind nicht
die kurdischen Politiker_innen, sondern das ganze Volk.“
Die Menschenmenge formierte sich zu einem Demonstrationszug mit der Forderung
nach Freilassung der Gefangenen in Richtung Gericht. Tausende Polizisten
behinderten den Weg der Demonstration mit Barrikaden. Schließlich versammelte
sich die Menge vor dem Gericht. Die Menschen tanzten, riefen Parolen und
hörten Redebeiträge, als die Polizei plötzlich ohne Vorwarnung mit einem
massiven Beschuss mit Tränengasgranaten begann. Gleichzeitig begann der
Einsatz von Panzerfahrzeugen und Wasserwerfern. Aufgrund dieses Angriffs
und der daraus resultierenden Panik wurden etliche Menschen verletzt,
von denen sich viele in stationärer Behandlung im Krankenhaus befinden.
Viele Hundert Menschen, unter denen sich auch viele alte Frauen und Kinder
befanden, flohen in das neben dem Gericht gelegene Rathaus. Aufgrund des
Gedränges zerbrachen die Eingangstore und deren Scheiben. Die Polizei
setzte nach und schoss ebenfalls Gasgranaten in das Rathaus. Etliche Personen,
insbesondere ältere Menschen fielen aufgrund des massiven Gaseinsatzes
und des Gedränges in Ohnmacht.
Auch der Bürgermeister von Amed (Diyarbakır) Osman Baydemir wurde leicht
verletzt, als er anderen helfen wollte. Aufgrund des Polizeiangriffs entstanden
heftige Straßenkämpfe, die sich bis in die Abendstunden auf mehrere Stadtteile
ausweiteten. Die Jugendlichen reagierten auf die Polizeiangriffe mit Molotowcocktails,
Steinen und Feuerwerkskörpern und versuchten auf diese Weise die Menschen
vor der massiven Polizeigewalt zu schützen. Viele Läden in der Gegend
wurden durch Gasgranaten und Wasserwerfer beschädigt bzw. zerstört. Viele
Menschen, die vorher nicht einmal an der Kundgebung teilgenommen hatten,
mischten sich aufgrund des Polizeieinsatzes unter die Jugendlichen und
warfen ebenfalls Steine. Aufmerksamkeit erregten Jugendliche, die einen
Wasserwerfer bestiegen und die Wasserdüse zerstörten.
Polizeiangriffe und Straßenkämpfe
u.a. in Mersin, Êlîh (Batman), Gever (Yüksekova), Colemêrg (Hakkari) und
Cizîr (Cizre)
Auch in anderen kurdischen Städten griff die Polizei Protestdemonstrationen
zum Prozessbeginn an. In Êlîh (Batman) versammelten sich viele tausend
Menschen, die gleich zu Beginn der Demonstration von der Polizei angegriffen
wurde. Eine große Anzahl Personen, darunter auch Kinder wurden verletzt.
Die folgenden Straßenkämpfe weiteten sich aus und dauern bis in die Nacht
an.
In Cizîr (Cizre) wie auch in Nisêbîn (Nusaybin), Qoser (Kızıltepe), Bismil
und anderen Städten blieben heute die Läden aus Protest geschlossen. In
Cizîr (Cizre) wurde eine Demonstration gegen das stadtweit verhängte Demonstrationsverbot
ebenfalls von der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas angegriffen.
Die Jugendlichen antworteten auch hier mit Molotowcocktails und Steinen.
In Mersin kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, als die Polizei hier
ebenfalls eine Demonstration zu den Prozessen angriff.
In Gever (Yüksekova) wie auch in Colemêrg (Hakkari) griff die Polizei
ebenfalls eine Protestdemonstration gegen den KCK-Prozess an. Aufgrund
des Angriffs entwickelte sich insbesondere in Gever (Yüksekova) eine heftige
Straßenschlacht. Die Jugendlichen antworteten auch hier mit Feuerwerkskörpern,
Molotowcocktails und Steinen. In beiden Städten dauerten die Auseinandersetzungen
bis in die Abendstunden an.
Quellen: ANF, 13.01.2011, sowie:
http://www.hakkarinews.com/video.php?id=134
http://www.yuksekovaguncel.com/haber_detay.php?id=17886
http://www.hakkarinews.com/video.php?id=133 |