„Verantwortung der EU so groß wie die der Türkei“

Mit einer Erklärung hat die Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans, Koma Komelên Kurdistanê (KKK), kritisiert, dass sich im Dokument zum Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei keine Perspektive oder auch nur Feststellung zur Lösung der kurdischen Frage befindet. „Mit Beginn der Beitrittsverhandlungen ist die kurdische Frage kein Problem der Türkei mehr, sondern zu einem der Hauptprobleme der EU geworden“, heißt es in der KKK-Erklärung. Mit keinem Wort werde der Krieg niedriger Intensität erwähnt, der zwischen der kurdischen Guerilla und der Armee des türkischen Staates läuft. Damit komme das EU-Papier einer Zustimmung der staatlichen Politik gleich, mit der die Türkei dazu ermutigt werde, ihre Verleugnungs- und Vernichtungspolitik gegen die kurdische Bewegung fortzusetzen. „Damit sind die Kurden ein weiteres Mal von Europa in Verhandlungen geopfert worden. Es handelt sich dabei um einen Rückfall in die seit 200 Jahren traditionell fortgesetzte europäische Kurdenpolitik. Im Kern dieser Politik steht der wirtschaftliche und politische Profit, den Europa aus dem Kampf zweier Völker im Mittleren Osten schlägt.“

Die europäische Herangehensweise komme einer Erneuerung des Abkommens von Lausanne gleich, das bereits auf der Verleugnung der kurdischen Existenz aufgebaut habe. „Europa als Partei im Abkommen von Lausanne, das die Teilung Kurdistans und eine Verhärtung der kurdischen Frage ermöglicht hat, ist auch für die aktuellen Probleme des kurdischen Volkes verantwortlich. Aber die Kurden sind nicht mehr die gleichen wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit dem Kampf des kurdischen Volkes hat das Abkommen von Lausanne heute seine Gültigkeit verloren. Mit seiner Führung, seinem Bewusstsein, seiner Organisiertheit und seinem Kampf wird das kurdische Volk diese Politik nicht anerkennen und ist entschlossen, für seine demokratischen Rechte, die sich aus seiner Existenz ergeben, weiter zu kämpfen“.

Die kurdische Seite habe in dieser Zeit intensivierter Militäroperationen der türkischen Armee das ihre getan, um die Atmosphäre zu entspannen und den Eintrittsprozess der Türkei in die EU zu erleichtern. „Als Bewegung haben wir den EU-Beitritt der Türkei seit Helsinki 1999 immer unterstützt. Diese Haltung und ihre Bedeutung für den Beginn der Beitrittsverhandlungen darf nicht übersehen werden. Wir betrachten es als historischen Fehler, die kurdische Frage als das Hauptproblem der Türkei in den Dokumenten nicht zu erwähnen. Mit Beginn der Beitrittsverhandlungen übernimmt die EU auch die Verantwortung für die kurdische Frage und muss eine Rolle bei der Lösung dieses größten Handicaps der Türkei spielen. Mit den von uns ausgerufenen einseitigen Waffenstillständen wollten wir eine Grundlage für eine Lösung bereiten. Aber der türkische Staat ist nicht darauf eingegangen. Aus der Verantwortung für die kurdische Frage ergibt sich die Notwendigkeit für die EU, auf einen zweiseitigen Waffenstillstand zu drängen, damit sich Frieden und eine demokratische Lösung entwickeln können“.

In diesem Sinne müsse die EU auch von dem Konzept einer „Lösung ohne Öcalan“ absehen, bei dem es sich nur um eine andere Bezeichnung von Vernichtung und Unfähigkeit zu einer Lösung handele. Der EU müsse bekannt sein, dass der Hauptansprechpartner in einer Lösung Abdullah Öcalan sei. Sie solle deshalb eine realistische Politik machen. „Keine Entwicklung in der Türkei kann von kurdischer Seite als Demokratisierung anerkannt werden, solange sie nicht die Lösung der kurdischen Frage beinhaltet“, heißt es in der Erklärung, in der weiterhin darauf verwiesen wird, dass Besuche bei Abdullah Öcalan seit 18 Wochen verhindert werden.

„Wir haben eine Stufe erreicht, auf der das Vorgehen als Teil des Vernichtungskonzepts die Geduld unseres Volkes und unserer Bewegung auf das äußerste strapaziert. Wir verwarnen den türkischen Staat und die EU ein letztes Mal, ihre provokative Haltung aufzugeben, mit der ein Zusammenleben der Völker und ihre Zukunft gefährdet wird.“ Bevölkerung und demokratische Öffentlichkeit seien dazu aufgerufen, gegen dieses Konzept zu kämpfen und ihre demokratischen Forderungen zum Ausdruck zu bringen.

„Der türkische Staat lehnt eine gleiche und freie Beziehung zu den Kurden ab und will sein Sklavenverhältnis fortsetzen. Demgegenüber wird das kurdische Volk sein demokratisches Widerstandsrecht auf der Linie einer aktiven Selbstverteidigung nutzen, um sich selbst und seine Würde zu schützen“.

Quelle: MHA, 06.10.2005, ISKU


Übersetzung aus dem Türkischen
ISKU | Informationsstelle Kurdistan