Licht am Horizont
Annäherungen an die PKK
V. Rolle der Führung in geschichtlichen und revolutionären Prozessen
V.5. Führung gesellschaftlicher Prozesse in der kurdischen Gesellschaft
V.6.1. Entstehung und Entwicklung der PKK
V.6.2. Abdullah Öcalan als `Institution´

V.6. Abdullah Öcalan - Mensch und Führung

V.6.1. Entstehung und Entwicklung der PKK

Kurdistan - ein Land in einer Weltgegend, die auch als Wiege der Menschheit beschrieben wird. Die unterschiedlichsten Kulturen, Völker und Religionen existierten hier friedlich nebeneinander, bekämpften einander, lösten sich einander ab. Neben diesem historisch-kulturellen Reichtum existieren auch die Schätze der Natur. Von diesen angelockt, aber auch geführt von den Handelswegen zwischen Europa, Afrika und Asien war Kurdistan immer mit Besatzern, mit Ausbeutung, Zerstörung und Unterdrückung konfrontiert.

Die Völker dieses Landes werden früher oder später alle Fesseln abwerfen, alles, was ihnen Augen, Ohren und Stimme, Geist und Gefühle bindet. Ihre tiefe Sehnsucht nach Freiheit, nach einem aufrechten, wertvolleren Leben wird sie dazu bringen, in den eigenen Reihen die Führung für einen solchen Kampf zu entwickeln.

Wie bereits in den vorangehenden Teilen entwickelt wurde, greifen Widerstand und Verrat in der kurdischen Geschichte ineinander. Die kurdische Bevölkerung leidet unter dem Mangel an Führung, sie muß um die eigene Identität, das eigene Denken, die nationale Zugehörigkeit ringen. Die Alternative besteht darin, entweder den Kampf gegen die massive Unterdrückung, Repression und Assimilierung aufzunehmen oder aus der Weltgeschichte zu verschwinden.

Der Kapitalismus beginnt sich erst in den 40er Jahren in Kurdistan zu entwickeln, die modernen Klassen, Proletariat und Bourgeoisie, kristallisieren sich heraus - aber es bleibt ein kolonialistischer Kapitalismus. In dieser Zeit verläßt die kurdische Jugend ihre Dörfer, um in den Metropolen ein eigenes Leben zu beginnen und sich selbst zu retten. Die Jugend in der Türkei versucht, eine eigene Stärke zu entwickeln. Der Sieg Vietnams über die weltweit stärkste imperialistische Kraft erzeugt große Begeisterung, Hoffnung und neue Perspektiven. Auch die türkische Arbeiterklasse greift, nach anfangs noch friedlichen Aktionsformen (Streiks, Demonstrationen) zum ersten mal wieder nach 1961 zur Waffe gegen den Staat und einzelne Faschisten. Die Studentinnen, darunter auch kurdische Jugendliche, fangen an, sich stärker und verbindlicher zu organisieren. Jedoch erleiden sie eine Niederlage. International gerät der Realsozialismus mehr und mehr in die Defensive. Die linken Bewegungen orientieren sich auf Zentralen wie Peking, Moskau, Tirana. Während die Kurdistan-Politik der Imperialisten auf Vernichtung abzielt, gibt es von Seiten des Realsozialismus weder Aufmerksamkeit noch Unterstützung für das kurdische Volk. Der türkische Staat ist sich sicher: alles erfolgreich betoniert, alles gelöst, vernichtet zu haben - keine revolutionäre Gefahr mehr. Selbst wenn die türkischen linken Gruppen noch theoretisch vom kurdischen Volk reden, leugnen sie dessen Realität in der Praxis vollständig, vertreten eine sozialchauvinistische Linie. Das am schwersten zu begreifende Problem ist jedoch, warum sich das kurdische Volk selbst verleugnet. Erstmals versucht jetzt eine Gruppe, diesen Zustand zu überwinden. Abdullah Öcalan nimmt mit einigen Genossen den Kampf gegen diese depressive Stimmung auf.

Vorher hatten sich 'kurdische' Organisationen damit zufrieden gegeben, „Wasser und Elektrizität" für den Osten zu fordern, wodurch sie für eine Revolution nicht mal mehr als ein Klotz am Bein sind. Gleichzeitig wurde der Kemalismus von der türkischen Linken nicht richtig analysiert - der daraus resultierende Mangel einer stabilen Organisierung, führte schnell dazu, daß die Führer dieser Bewegungen in kurzer Zeit vom türkischen Staat ermordet wurden. Ihre Ziele und Vorhaben weiter zu verfolgen, ihnen damit Respekt zu erweisen, wurde von der neuen revolutionären kurdischen Generation, insbesondere von Abdullah Öcalan, als wichtig und bedeutungsvoll erkannt.

Zu Beginn unternimmt die Gruppe eine umfassende Untersuchung über alle gesellschaftlichen Bereiche in Nordwest-Kurdistan. Wissenschaftlich-kritisch wird die eigene, von sich selbst entfremdete, sich selbst verleugnende kurdische Realität aufgearbeitet. Ziel ist es, durch eine disziplinierte Organisierung die Grundlage für eine tiefgreifende Veränderung der Persönlichkeit und der Gesellschaft Kurdistans zu erreichen und dort den sozialistischen Menschen zu erschaffen.

Entscheidend ist die Tatsache, auf die Abdullah Öcalan gerade in dieser Situation zurückgreift: „Unsere einzige Rettung ist der wissenschaftliche Sozialismus." Die realistische Bewertung der Erfahrungen anderer Revolutionen in der Welt, einschließlich der des Realsozialismus, spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung des eigenen Kampfes.

1973 beginnen in der Gruppe die ideologischen Diskussionen. Die Ausgangsfeststellung lautet: „Kurdistan ist eine Kolonie, das Volk muß von dieser Kolonialherrschaft befreit werden." Um Abdullah Öcalan sammeln sich in dieser Phase mühevoller Überzeugungsarbeit einige wenige angehende Revolutionäre. Nach einer intensiven Untersuchung ist der Inhalt der oben genannten Sätze theoretisch gefüllt. Hierbei kommt einer der wichtigsten Eigenschaften von Abdullah
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Öcalan zum Tragen: Gegenüber den von anderen als gegeben verstandenen Erscheinungen der Wirklichkeit eine antagonistische Haltung einzunehmen, aus dieser heraus die Erscheinungen zu untersuchen und zu lernen, etwas zu entwickeln, ist bei ihm eine schon in Kindheit und früher Jugend hervorkommende Eigenschaft. Er setzte auch in dieser ideologischen Phase das Grundprinzip durch, daß diejenigen, die Geschichte verändern wollen, die Geschichte sehr gut kennen müssen.

Als 1975 eine der bis dahin stärksten kurdischen Parteien, die KDP, eine Niederlage erlitt, entstand damit nicht nur im Süden Kurdistans, im Irak, ein Führungsvakuum. Insgesamt war eine Kraft fast verschwunden, die kurdischen Menschen bis dahin als Orientierung mit nationalem Bezug gedient hatte. Während in Nordwest-Kurdistan schwierige Bedingungen für die politische Organisierung herrschten, war die Lage in der West-Türkei durch die umfassende ökonomische und politische Krise günstiger. Anstatt jedoch Bündnisse mit anderen revolutionären Kräften zu schließen, sahen bestimmte ideologische Gruppen die einzige Möglichkeit für ihr Fortbestehen darin, die Gruppe um Abdullah Öcalan zu zerschlagen. Und dies mit Methoden, die von der politischen Isolierung bis hin zur physischen Vernichtung reichten. Dagegen setzte die Gruppe immer wieder neue Versuche, den anderen Bewegungen nahezubringen, daß Kurdistan eine Kolonie ist.

1974 gründeten Abdullah Öcalan und Haki Karer einen Verein namens ADYÖD, der eine Art Sammelbecken für alle Reste revolutionärer Gruppen und Bewegungen bilden sollte. Dieser Schritt entstand in einer Situation, in der alle revolutionären Bewegungen auseinanderfielen, Revolutionäre ins Ausland und nach Europa flohen, viele festgenommen wurden oder sich zurückzogen. Abdullah Öcalan hatte das Anliegen, diese Menschen wieder zusammenzuführen, um politisch neu anzusetzen. In dieser Phase geschahen drei Dinge gleichzeitig: der Kampf gegen die Faschisten, die Wiederzusammenführung türkischer Revolutionäre - von Einzelnen und Organisationen - und die Diskussion der Kurdenfrage.

In dieser Zeit gab es auch Gespräche mit anderen kurdischen Organisationen. Kemal Burkay von der Sozialistischen Partei Kurdistans (PSK) hat Abdullah Öcalan gegenüber noch nicht einmal das Wort Kurdistan in den Mund genommen, sondern immer nur vom 'Südosten' gesprochen. Dr. Ferat, der Vertreter des türkischen Flügels der KDP, drohte der Gruppe: „ Wenn Ihr den Marxismus nach Kurdistan bringt, machen wir euch die Hölle heiß".

Nicht nur die anderen politischen Gruppen stürzten sich auf die entstehende PKK, sondern auch der Staat schleuste Agenten in sie ein. Die Burg sollte von innen besetzt werden. Die drei wichtigsten Figuren dieser Sorte waren der 'Pilot' - ein Flugzeugführer der türkischen Luftlinie im Rang eines Hauptmanns-, ein Mann namens Abdurrahman, Student der Politikwissenschaft an der Universität in Ankara, sowie Kesire Yildirim - Codename Fatma. Die türkische Regierung hatte diese Methode schon mehrfach in der Geschichte angewandt: gegenüber der TKP, wo sich selbst deren Generalsekretär als Agent mißbrauchen ließ, oder bereits während des türkischen Befreiungskampfes. Auch bei der Untersuchung der kurdischen Aufstände kann man in der Nähe der Führung immer einen Agenten finden. Diese geschichtliche Erfahrung wurde von Abdullah Öcalan in der Beziehung beachtet. Er versucht, den türkischen Geheimdienst ins Leere laufen zu lassen, was ihm auch gelang. Er ignorierte scheinbar die offensichtliche Agententätigkeit von Kesire Yildirim und nutzte sie seinerseits aus. Dabei spielt auch die Überlegung eine Rolle, möglicherweise ihre Familie, die aus Dersim stammt und sich bei den Aufständen in den 30er Jahren auf die Seite des Staates stellte, für die Revolution zu nutzen. Der Gegner, der türkische Staat ging wiederum davon aus, daß seine Rechnung aufgegangen war.

Der 'Pilot' wiederum versuchte alles, um in der Gruppe akzeptiert zu werden. Doch geriet er in Zusammenhang mit Aktionen, bei denen es zu Verhaftungen kam. Er förderte durch reiche Geschenke auch die Beziehung zwischen Abdullah Öcalan und Kesire Yildirim, die sich verlobt hatten. Eine Heirat, so die Hoffnung, könnte Abdullah Öcalan als Revolutionär neutralisieren. Jedoch fehlten dem Agenten bestimmte Eigenschaften, die ihn als Revolutionär hätten ausweisen können: Zum Beispiel ein ernstes Interesse an der Analyse der jeweiligen politischen Situation. Zudem zeigte er sich karrieristisch und pflegte nur die ihm nützlich erscheinenden Kontakte in der Gruppe.

Zu dieser Zeit war die Gruppe noch in Ankara aktiv. In den von Kurden bewohnten ärmeren Stadtteilen organisierte Kemal Pir viele Jugendliche, von denen die meisten später Revolutionäre wurden. Auch das gehörte zur Aufbauphase der PKK. Die ihr vorangehende Gruppe orientierte sich zu dieser Zeit bereits auf die künftige Arbeit in Kurdistan. Als 1975 die theoretische Entwicklung einen gewissen Abschluß erreicht hatte, war eine Art Kaderstamm entstanden, die den späteren Kern der PKK darstellte. Diese fünf Männer beginnen eine Reise nach Kurdistan; jeder von ihnen geht in eine andere Stadt, um weitere Revolutionäre zu gewinnen und sich dem Volk bekannt zu machen. Die ersten Aktivitäten werden in den Grenzstädten Kurdistans zur Türkei gestartet. Die Bewegung geht schon in dieser Zeit nach Plan und Programm vor. Einige Ersatzleute bleiben in der Türkei. Alle Vorhaben werden durchgeführt; wenn es Verluste gibt, wird an diesem Punkt weiter gearbeitet. Kemal Pir und Cemil Bayik gehen zum Beispiel nach Antep und suchen sich zuerst eine Arbeit als Lastenträger. Sie versuchen Strukturen der türkischen Linken zu einer Debatte über das Kurdistan-Problem zu bewegen, was zunächst mißlingt. Kemal Pir fängt an, die Lastenträger und Bauarbeiter zu organisieren. Andere Gruppenmitglieder wenden sich nach Dersim, Erzincan und Elazig. Überall arbeiten sie mit den eigenen Händen für den eigenen Lebensunterhalt und die politische Arbeit. Gleichzeitig wird in einem Umfeld des Sozialchauvinismus die Ideologie der späteren PKK diskutiert. Die Gruppe wächst und ist ideologisch bald nicht mehr zu besiegen, geschweige denn zu ignorieren.

In Ankara wurde 1977 zur Bewertung dieser Arbeit eine Versammlung vorbereitet, die Abdullah Öcalan leitete. Dort wurde im März des Jahres beschlossen, eine Zentrale zu bilden und in den kurdischen Gebieten zur Frontarbeit mit Beteiligung der anderen Mitglieder überzugehen. Der türkische Staat sieht nun die Notwendigkeit, größere Aktionen gegen die neue Bewegung einzuleiten. Haki Karer, ein türkisches Mitglied und einer der opferbereitesten Internationalisten im Kern der Gruppe, wurde in Antep erschossen. Auch auf Abdullah Öcalan gab es bewaffnete Anschläge. Dieses Vorgehen des Staates führte jedoch nur zu einem expiosionsartigen Anstieg der Aktivitäten in Kurdistan. Die Gruppe entwickelte selbst ein neues Aktionsverständnis, indem sie sich gegen alle Faschisten und Kollaborateure bewaffnet zur Wehr setzte. Dieses offensive Verständnis wurde von Abdullah Öcalan durchgesetzt. Bis Ende 1977 wurde in Antep das Programm der neuen Partei vorbereitet, darüber diskutiert und der Entwurf in die Distrikte verschickt. In der Gruppenphase, die in dieser Zeit ihrem Ende zuging, herrschte, den Berichten von Augenzeugen zufolge, eine ganz besondere Athmosphäre unter Genossen. Während sich Außenstehende noch über die Voraussetzungen der 'Apocus' lustig machten, entwickelten diese die späteren Wertbegriffe der Partei untereinander. Sich gegenseitig Schutz und Vertrauen zu geben, trotz noch amateurhaftem Vorgehen, selbst eine Lösung für die Entwicklungsschwierigkeiten darstellen zu wollen, gehörte, wie auch eine natürliche Disziplin, zu den Grundsätzen der Gruppe. Obwohl damals noch keine Satzung existierte, wurden die gemeinsamen Aufgaben mit großem gegenseitigen Respekt gelöst. Die Gründung der Partei konnte erfolgreich sein, weil die ideologische Selbstdisziplin auf angestrengter und ernsthafter Arbeit basierte.

Die Partei deklarierte ihre Gründung mit den Aktionen von Hilvan und Siverek, wo feudale Kollaborateure angegriffen wurden. Diese Aktionen sollten den Weg zum bewaffneten Widerstand, zur Guerilla, weisen; sie waren jedoch organisatorisch nicht gut genug vorbereitet. Als Gründungstag der PKK gilt der 27. November 1978. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich in der Türkei die sozioökonomischen Probleme zugespitzt. Zu ihrer Lösung waren stärkere, repressive Maßnahmen seitens des Staates absehbar. Abdullah Ocalan traf Vorkehrungen, die Parteikader 1979 in den Mittleren Osten zurückzuziehen. Diese Entscheidung verhinderte die Vernichtung der Partei und langfristig die ausschließliche Beherrschung der türkischen und kurdischen Gesellschaft durch die Militärjunta. Im Ausland konnten sich die Kader der Partei der Analyse der Mängel der eigenen ideologisch-politischen Arbeit und der militärischen Ausbildung widmen. Eine intensive Schulungsphase begann.
Von diesem Zeitpunkt an bis zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes 1984 wurde die moralische Kraft der PKK nach außen vor allem durch den Widerstand der politischen Gefangenen lebendig gehalten. Unter anderem durch das Todesfasten von Kemal Pir, die Aktionen von Mazlum Dogan und anderen Genossen. Dieser Widerstand war auf der einen Seite der Sieg des revolutionären Willens über die unmenschlichen Zustände, gegen die härteste Repression, zum anderen wurde er zu einer Quelle, aus der die Partei und viele kurdische Kämpferinnen bis heute Kraft schöpfen.
1981 beschloß die l. Parteikonferenz, die nun politisch und militärisch ausgebildeten Kader zurück in das Land zu schicken, um den Guerillakrieg zu beginnnen. Der lI. Kongreß der PKK 1982 bestätigte diesen Beschluß. Daraufhin wurden mit der KDP Verhandlungen aufgenommen, damit Gruppen der PKK über die Grenze in das Gebiet von Botan, das ist in Nordwest-Kurdistan, passieren konnten. Die KDP wiederum begann schon damals mit der Türkei zu kollaborieren, was zu Verlusten führte. Gleichzeitig gab es in der Partei eine Tendenz, die taktischen Beziehungen in strategische umzuwandeln, die Organisation nach Europa zu ziehen und den Kampf dort zu zentralisieren. Das hätte die Liquidierung der Partei bedeutet, wie man es am Beispiel der türkischen Linken gut sehen kann. Die Kräfte, die in der PKK für diese Linie eintraten, forderten zugleich, daß sich der bewaffnete Kampf auf den Süden Kurdistans begrenzen sollte.

Um diese Liquidierungsversuche zu neutralisieren, holte Abdullah Öcalan einige der wichtigsten Kader an die militärische Akademie, die später den Namen 'Mahzum Korkmaz' erhielt, mit dem Ziel, dort eine Analyse der Situation, die 'Kampferfahrung' für einen Neuanfang zu schaffen und die bisherigen Irrtümer zu korrigieren.

Um die Ideologie der Partei in die Bevölkerung zu tragen, wurden 1984 bewaffnete Propagandaeinheiten HRK gegründet. 1984 begann mit dem Angriff auf die Militärstationen in Eruh und Semdinli der bewaffnete Kampf. Durch einen organisatorischen Fehler wurde der Aufruf zur Gründung einer Volksfront der Ankündigung der HRK zur Aufnahme ihrer eigenen Aktionen nicht beigelegt. Das Gründungsdatum der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK - Eniya Rizgariya Netewa Kurdistana - wurde der 21. März 1985.

Nach diesem Aufbruch stagniert die Entwicklung zunächst, da die vorhandenen Kräfte nur teilweise zum Einsatz kamen, grundlegende Taktiken nicht angewandt oder weiterentwickelt wurden und die Propagandaeinheiten sich nicht über ihren Anfangszustand hinaus entwickelten, nicht zur Guerilla wurden. Erneut kamen die ZK-Mitglieder zur Analyse und Intensivausbildung in die Militärakademie, wo unter der Leitung von Abdullah Öcalan die reformistische Linie analysiert wurde. Einziges ZK-Mitglied, das im Land in seiner Funktion belassen wurde, war Mahzum Korkmaz, der die Guerilla-Offensive 1986 begonnen und damit große Wirkungen bei der Bevölkerung ausgelöst hatte, die zuvor nicht mehr an die Möglichkeit von Widerstand und den Sieg geglaubt hatte. Mahzum Korkmaz, bekannt auch unter seinem Kampfnamen Agit, fiel Newroz 1986 als Märtyrer. Dies verpflichtete die Partei noch mehr zur Fortsetzung des Kurses der eigenen Erneuerung, der auf dem III. Kongress der Partei 1986 in vielen Aspekten vertieft wurde. Vorangegangen war eine Phase, in der wichtige politische Entwicklungen stattgefunden hatten: Die Guerilla erlebte einen großen Zulauf, die Volksmassen wollten sich am bewaffneten Kampf beteiligen. Nach dem 15. August 1984 hatte es in der Guerilla eine unübersehbare quantitative Entwicklung gegeben, der die Organisierung in den HRK--Einheiten nicht mehr entsprach, sie hatten ihre Mission erfüllt und die ARGK - Artesa Rizgariya Gele Kurdistana - konnte gegründet werden. Ein eigenes Rekrutierungsgesetz war ein weiterer Schritt zur Institutionalisierung der Guerilla.

Auch die ERNK wurde erneut analysiert und ihre Orientierung auf eine Politik mit und unter dem Namen festgelegt. Die Sitzungen an der 'Mahzum Korkmaz Akademie' wurden offiziell als akademische Ausbildung anerkannt. Ein weiterer Beschluß, orientiert auf regionale Bündnisse mit demokratischen und linken Organisationen, wurde gefaßt.

Es kam zu einer Verurteilung von kleinbürgerlichen, intellektuellen, sektiererischen und kollaborationsbereiten reformistischen Auffassungen, durch welche die Schaffung und Entwicklung militanter, revolutionärer Persönlichkeiten verhindert wurde. Dieser Beschluß wurde in der Folgezeit jedoch teilweise fehlinterpretiert, in dem sich grobe, dem dörflich-feudalen Begriff entsprechende Ansichten durchsetzen konnten. In dieser kritischen Phase setzte der Feind auf neue Methoden des Spezialkrieges, um die Partei zu vernichten. Größeren Schaden richtete jedoch das falsche Verständnis Einzelner von der Parteidisziplin an, die in der Praxis zu einem willkürlichen Herangehen an die Bevölkerung und an die eigenen Genossinnen führte. Die Folge waren Verluste an guten Kadern, Vertrauensbruch auf Seiten der Bevölkerung und damit Entwicklungsmöglichkeiten für das sogenannte 'Dorfschützersystem'. Die aus dieser Praxis resultierenden Schäden haben bis heute ihre negativen Auswirkungen.

Dies war eine der schwierigsten Phasen in der Parteigeschichte, die von 1986 bis 1989 dauerte, als in allen Bereichen des Kampfes, sei es in Europa, in den Gefängnissen, in der Akademie oder in Kurdistan selbst die Existenz der Organisation bedroht war.

Bis 1989 konnte die Parteiideologie jedoch wieder durchgesetzt, die Guerilla gefestigt, das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen und dadurch die Möglichkeit geschaffen werden, wieder auf allen politischen Ebenen aktiv zu sein.

Organisatorisch abgesichert und ideologisch-politisch analysiert wurde diese Entwicklung auf der IV. Konferenz der Partei und auf dem damit verbundenen IV. Kongreß der Partei. Bei letzterem versammelten sich Parteikader aus allen Teilen Kurdistans. Eines der hier formulierten Ziele war die Ausdehnung der Guerilla über die Region Botan hinaus. Die ersten vorbereitenden Schritte für ein Nationalparlament wurden unternommen. In der bisherigen Parteigeschichte zu Unrecht Verurteilte wurden auf dem Parteikongreß im Rahmen einer umfassenden Selbstkritik der Partei gegenüber dem Volk rehabilitiert.

1991 führte die PKK die Konferenz des Gefängniswiderstandes durch, ein in der politischen Geschichte bisher einmaliger Vorgang. Auf der Konferenz wurden die Aktionen der politischen Gefangenen bewertet, ihr kämpferischer Geist gewürdigt und dessen Fortsetzung gesichert.

Die vielschichtigen Provokationen von Mehmet Sener, der sich im Gefängnis dem Staat ergab und den Widerstand dort zu brechen versuchte, konnten wirkungslos gemacht werden - ein Beweis für die innere Festigung und organisatorische Stärke der Partei zu diesem Zeitpunkt.

Eine Erneuerung wurde in diesen Bereichen durchgeführt: im Kampf gegen linkes Sektierertum und rechten Reformismus, im Parteileben, im Bezug auf die weitere Zentralisierung der Partei, in den genossenschaftlichen Beziehungen, bei der Organisierung der Armee. Die Partei hatte sich in nunmehr größeren, neuen Bereichen der kurdischen Gesellschaft verankert. Inneres und äußeres Ziel der Partei kristallisierten sich klarer heraus, die Bedingungen für deren Verwirklichung waren geschaffen.

Die mit dem Ausbrechen der Golf-Krise entstehenden Möglichkeiten wurden jedoch nur unzureichend genützt. Die passive Haltung der Einsatzgruppen, ihre mangelnde Einsatzbereitschaft verhinderten die Nutzung der beim Gegner entstandenen Lücken, des Freiraumes, der durch den 'Förderativen Kurdischen Staat' im Süden Kurdistans und durch die Intervention der NATO entstanden war.

1992 verkündete der türkische Staat den totalen Vernichtungskrieg gegen die PKK. Der 'Südkrieg' -Auseinandersetzungen mit der KDP, PUK, türkischer Armee im September 92 - war zwar keine Niederlage, doch wegen militärischer und taktischer Mängel, auf die vorher Abdullah Öcalan hingewiesen hatte, führte er zu einer Schwächung der Guerillakräfte in diesem Gebiet, die Chance zur Machtergreifung blieb ungenutzt, was sogar dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Özal zu der Bewertung veranlaßte, daß eine große Gefahr abgewendet worden sei. Das schützte diese Regierung, die aber die Entwicklung der PKK nicht mehr stoppen konnte, nicht davor, mit einem internen Putsch von einer Inönü-Demirel-Koalition ersetzt zu werden. Diese wandte sich verstärkt den Methoden des Spezialkrieges zu. Das Waffenstillstandsangebot der PKK von 1993 hatte die türkische Republik unbeantwortet in eine Sackgasse geführt.

1994 entwickelte die türkische Regierung andere Kriegsmethoden, die sich auf massive Repression gegen die Bevölkerung und den Einsatz schwerer Waffen stütze, mit dem Ziel, die Guerilla zur Kapitulation zu bewegen. Doch auf diese Weise konnte der weitere Zulauf zur Guerilla nicht verhindert werden, ganz im Gegenteil, die Entwicklungen dehnten sich weiter aus. Mit den entsprechend notwendigen Taktiken setzte sich die III. Nationalkonferenz der PKK und deren V. Kongreß auseinander. Dieser Kongreß, Anfang 95 abgehalten, verurteilte jegliche interne Praxis in der Partei, die zu ihrer Liquidierung beitragen könnte. Die Auseinandersetzung wurde mit einer Vielzahl klassenfeindlicher, bewußter und unbewußter Ansichten und Auffassungen geführt. Die Beschlüsse des Kongresses stellten die umfangreiche Durchsetzung der Linie der Partei und die Nutzung aller damit geschaffenen Möglichkeiten in den Vordergrund. In allen Bereichen des Kampfes und des Lebens sollten die Regeln und Normen der Partei gelten. Unter anderem durch Volksaufstände, sogenannte Serhildans, sollte die Machtergreifung des Volkes- und damit die Schaffung roter Zonen, befreiter Gebiete, angestrebt werden.

Da der türkische Staat vergeblich versucht hatte den V. Kongreß zu verhindern, bemühte er sich nun darum, wenigstens die Umsetzung der Kongressbeschlüsse zu blockieren. Dazu wurde eine Offensive in Gang gesetzt, die über das Ausmaß der Zypern-lnvasion hinausging. Die -Operation Stahl wurde gestartet; die Guerilla erlitt dabei - weil sie von Abdullah Öcalan schon vorausgesehen wurde - jedoch so gut wie keine Verluste. Im Gegenteil, die Türkei geriet noch tiefer in die ökonomische Krise und auch außenpolitisch in Bedrängnis.

Trotz so vieler faschistischer Offensiven, trotz gehäufter Mängel und großer Unerfahrenheit in der Bewegung, trotz Liquidierungsversuchen innerer und äußerer Gegner und der noch nicht erreichten Überwindung der an das System gebundenen Persönlichkeit und dem Verharren in Unorganisiertheit - der Befreiungskampf des kurdischen Volkes hat sich in geschichtlich kurzer Zeit weit entwickelt.

In den kritischen Phasen ihrer Geschichte, immer dann, wenn die PKK von Niedergang und Vernichtung bedroht war, wurde durch das Eingreifen der Parteiführung die Krise überwunden. Deren Einsatz und die zum jeweiligen Zeitpunkt entwickelten Perspektiven zeigen die Fähigkeiten und Eigenschaften, die für eine erfolgreiche Politik notwendig sind. Nur die so dargestellte Kampf- und Lebensart hat die Entwicklung soweit vorangetrieben, daß das Ziel der Machtergreifung durch die Bevölkerung bald erreicht sein kann.

Es ist wichtig zu untersuchen, mit welchen Mitteln und Methoden die Führung der PKK, und insbesondere Abdullah Ocalan, den Anforderungen der Geschichte an die Partei gerecht worden sind, um diese Erfahrung auch in den internationalen Klassenkämpfen nutzbar zu machen.

Die zentrale Rolle im genannten, hier dargestellten Prozeß der Parteientwicklung spielte, wie schon erwähnt, Abdullah Öcalan. Die besonderen Voraussetzungen und Leistungen seiner Persönlichkeit sollen im Folgendem dargestellt und untersucht werden.

Abdullah Öcalan - einer der meist gesuchten und bestgehaßten Männer, eine der am extremsten mit Klischees versehene politischen Führungspersönlichkeiten der Gegenwart und zugleich am tiefsten verehrten Menschen des Mittleren Ostens. Wir konnten ihn und sein politisches Handeln über mehrere Monate kennenlernen, wir versuchten, sein Denken zu verstehen. Wie das gesamte Buch, so ist besonders dieser Ausschnitt das Resultat einer Annäherung, welche erst begonnen hat. Hier soll versucht werden, diesen Prozeß nachvollziehbar zu machen.