nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Berlin Moabit: 9.November Demonstration

Es folgt der Aufruf

64.Jahrestag der Reichspogromnacht

Wir rufen auf zu einer Demonstration und Gedenkkundgebung zum Andenken an
die Opfer
der Reichspogromnacht und des Holocaust.
Wir rufen auf zu einer Demonstration gegen Antisemitismus, Rassismus und
Faschismus.

Samstag 9.November 2002
14 Uhr Gedenkkundgebung
mit Zeitzeugen
Mahnmal Levetzowstraße

Moabit Levetzowstraße /Jagowstraße
U-Turmstraße / Bus 245
danach
Antifaschistische Demonstration

Die Auftaktkundgebung der Demonstration findet am Mahnmal für die ehemalige,
zerstörte Synagoge in der Levetzowstraße statt.
Wie fast alle Synagogen in Deutschland wurde auch diese in der Pogromnacht
in Brand gesetzt und beschädigt. Sie war die größte Synagoge in Berlin. Ab
1941 mißbrauchten die Nazis sie als Sammellager, in dem Berliner Juden und
Jüdinnen vor ihrer Deportation zusammengepfercht wurden. Unsere Demonstration
orientiert sich an dem Weg, den die Jüdinnen und Juden von dort am hellichten
Tag, unter aller Augen, bis zum Deportations-bahnhof Putlitzstaße gehen mußten.

Dort am Mahnmal auf der Putlitzbrücke findet die Abschlußkundgebung statt.

Seit der Pogromnacht vom 9.November 1938 sind inzwischen 64 Jahre vergangen.

In dieser Nacht wurde den in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden
gewaltsam klargemacht, dass sie endgültig nicht mehr zur deutschen Gesellschaft, die
sich inzwischen als Volksgemeinschaft definierte, dazugehörten.
Mit bisher nicht gekannter Brutalität zog der nationalsozialistische
deutsche Mob, an der Spitze die SA, durch die Straßen, zündete Synagogen an,
zerstörte und plünderte jüdische Geschäfte, drang in Betriebe und Wohnungen ein,
verprügelte, vergewaltigte und tötete jüdische Menschen. Etwa 30 000 wurden
willkürlich verhaftet und in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und
Sachsenhausen verschleppt. Hunderte starben an den Haftbedingungen.
Mit der Pogromnacht war der Schritt von der pseudolegalen Enteignung,
Entrechtung und Ausgrenzung der Juden und Jüdinnen in Deutschland, hin zum
Holocaust, der Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen, getan.

Doch auch nach der militärischen Beendigung des Holocaust und der Befreiung
der Überlebenden durch die Armeen der Anti-Hitler-Koalition 1945, ist kaum
eine Woche vergangen, in der nicht Übergriffe und Anschläge auf Gedenkstätten,
Gräber und auch jüdische Menschen in Deutschland stattgefunden haben.
Allein in Berlin sind fast alle Mahnmäler und alle jüdischen Friedhöfe
einmal oder mehrmals angegriffen, geschändet, beschmiert, mit Bomben oder
Brandsätzen attackiert und schwer beschädigt worden. Sei es das Grab des verstorbenen
Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Heinz Galinski, der Friedhof in
Weißensee, die Gedenkstätte für ein ehemaliges jüdisches Waisenhaus in Mitte oder
das Deportationsmahnmal auf der Putlitzbrücke in Moabit, das in
erschreckender Regelmäßigkeit das Ziel von Angriffen wird.

Antisemitismus ist nach wie vor ein verbreitetes Denkmuster in der deutschen
Gesellschaft. Diese scheint nicht willens und fähig zu sein, den
Antisemitismus zu bekämpfen.
Gerne wird versucht Antisemitismus und Rassismus auf die Gewalttaten
glatzköpfiger Schläger zu reduzieren und ausschließlich in neofaschistischen
Publikationen zu verorten. Doch Antisemitismus und Rassismus kommen aus der Mitte
der Gesellschaft. Antisemitische Argumentationen und Vorurteile finden sich
bei PolitikerInnen von CDU und FDP, Grünen und SPD, im bürgerlichen Feuilleton
und am Stammtisch, an dem Martin Walser davon träumt, jüdische
Literaturkritiker zu ermorden. Sie kommen daher als historisch verzerrte Vergleiche mit dem
Vernichtungskrieg der Nazis, im Gewand der Kritik an der Politik der
gegenwärtigen israelischen Regierung. Prominentestes Beispiel zur Zeit sind die
antisemitischen Äußerungen des FDP-Politikers Möllemann. Er betätigt sich als
angeblicher 'Tabu-Brecher', indem er antisemitische Ressentiments in der
deutschen Gesellschaft bedient und durch seine Behauptung, die Juden würden durch
ihr Verhalten selbst zur Zunahme des Antisemitismus beitragen, das
antisemitische Vorurteil, der Hass auf Juden, rationalisiert. Durch seine Angriffe auf
den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Paul Spiegel und
seinen Stellvertreter Michel Friedman wird den Antisemiten auch noch ein genaues
Ziel präsentiert.

Der Holocaust wird indessen relativiert durch den Vergleich von
Flüchtlingslagern im ehemaligen Yugoslawien mit den Konzentrationslagern der Nazis, um
ihn so für die rot/grüne Außen- und Kriegspolitik dienstbar zu machen. Unter
der Parole "Nie wieder Auschwitz" bombardierte die deutsche Bundeswehr Belgrad,
einen Ort, an dem noch fünfzig Jahre zuvor die Wehrmacht die "Endlösung der
Judenfrage" vorangetrieben hatte und mit grausamem Terror gegen die
Zivilbevölkerung vorgegangen war. Nach 1945 waren "Nie wieder Krieg" und "Nie wieder
Auschwitz" noch untrennbar miteinander verbunden. Damit war etwas Anderes
gemeint, als militärisches Eingreifen je nach eigener Interessenlage. Mit dem
Schwur von Buchenwald schrieben die Überlebenden die "Vernichtung des Nazismus
mit seinen Wurzeln" als drängendste Aufgabe fest. Die Gesellschaft sollte so
eingerichtet werden, dass "nichts ähnliches geschehe" (Adorno)
Doch die bundesdeutsche Gesellschaft entdeckt sich unterdessen als Opfer
unter Anderen wieder. Inspiriert von der reaktionären Wühlarbeit der
"Vertriebenenverbände" wurde der Transfer der Deutschen aus Polen und der
Tschechoslowakei, in einem "Spiegel Extra" und in den Feuilletons von FAZ bis Süddeutsche,
als "Todesmärsche" und "wilde Vertreibungen" bezeichnet und so mit den
antisemitischen Pogromen der Nazis und den tatsächlichen Todesmärschen der letzten
überlebenden Insassen der Konzentrations-lager im April 1945 parallelisiert.
Dies wiederrum war eine günstige Vorlage für die nächste Auflage der
erpresserischen Forderung an die Tschechische Republik durch konservativer
Politiker, wie den Ex - Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU), die Benes-Dekrete
aufzuheben, wenn Tschechien der von Deutschland dominierten EU beitreten wolle,
um so den Weg für deutsche "Entschädigungsforderungen" frei zumachen.
Den Stiefelnazis wiederum war dies ein Fanal zur Tat. In dem Städtchen
Below zerstörten sie Anfang September ein Mahnmal, das an den Todesmarsch der
Gefangenen des Konzentrationslagers Sachsenhausen erinnern sollte.

Jean Améry, Überlebender von Auschwitz, der sich 1978 das Leben nahm,
schrieb bereits 1966 über den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte: "Alles
wird untergehen in einem summarischen "Jahrhundert der Barbarei". Als die
wirklich Unbelehrbaren, Unversöhnlichen, als die geschichtsfeindlichen Reaktionäre
im genauen Wortverstande werden wir dastehen, die Opfer, und als
Betriebspanne wird schließlich erscheinen, daß immerhin manche von uns überlebten."

Die Aufgabe einer antifaschistischen Bewegung ist, sich den Imperativ
Adornos zu eigen machen und ihr
"Denken und Handeln so einzurichten, daß sich Auschwitz nicht wiederhole,
nichts ähnliches geschehe."
Sonst ist sie keine.
Wir wollen und müssen den Juden und Jüdinnen in Deutschland, in Israel und
in der ganzen Welt unsere Solidarität versichern. Denn sie trifft der
Antisemitismus, ihnen gelten die Anschläge und sie werden bedroht.

Den antisemitischen Tätern und denjenigen, die ihre Taten verharmlosen oder
sogar billigen,
gilt unserer Kampf.
Solidarität mit den Opfern von Antisemitismus und Rassismus !
Sofortige Entschädigung für alle Opfer des deutschen Faschismus!
Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!

Antifaschistische Gruppe im Prenzlauer Berg [AGIP], Antifaschistische
Initiative Moabit [AIM],
Autonome Antifa Nordost [AANO], B.O.N.E., Bündniss gegen Antisemitismus und
Antizionismus, die agentur, FreundInnen des Sachsenhausen Komitees, gruppe
venceremos, gruppe international webteam, Stand 11.10.2002

 

11.10.2002
a_i_m@gmx.de   [Aktuelles zum Thema: Antifaschismus]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht