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Kiel: Neonazi-Gewalt erreicht neue Qualität


Enough is enough
Zeitung für antifaschistische und antirassistische Politik in
Schleswig-Holstein
c/o Schweffelstraße 6 (Hof)
24118 Kiel

Kiel, den 26. August 2001

Pressemitteilung

Neonazi-Gewalt erreicht neue Qualität:
NPD-Landesvorsitzender sucht aktive Antifaschistin zu Hause auf und
verletzt unbeteiligten Nachbarn.

Kiel. Der NPD-Kreisverband Kiel-Plön führte am Samstag, den 25. August
2001 im Kieler Stadtteil Mettenhof eine Flugblattverteilaktion durch.
Gegen 10 Uhr bauten sie hierfür auf dem Kurt-Schumacher-Platz einen
sogenannten Informationsstand auf und versuchten ca. zwei Stunden lang,
ihre rassistischen und menschenverachtenden Pamphlete an die Mettenhofer
Bevölkerung zu verteilen. Allerdings stießen sie dabei auf eher geringes
Interesse seitens der dort einkaufenden Menschen. Da die Neonazis in den
vergangenen Monaten bei ähnlichen Aktionen in der Kieler Innenstadt fast
immer mit protestierenden AntifaschistInnen konfrontiert wurden, und die
Nazis dabei meist den Kürzeren zogen und flüchten mussten, waren sie
diesmal besser vorbereitet. Während einige Nazis äußerst zögerlich
versuchten, ihre Flugblätter zu verteilen, postierte sich der weitaus
größere Teil der insgesamt ca. 15-20 Nazis in den umliegenden Straßen,
um die Propagandaaktion abzusichern. Nach knapp zwei Stunden brachen die
Neonazis ihre Aktion sichtlich gelangweilt ab, da sich kaum jemand für
ihre Hetzschriften zu interessieren schien. Mittlerweile hatten sich
einige MettenhoferInnen am Kurt-Schumacher-Platz eingefunden, um die
Nazis zum Abbruch ihres NPD-Standes zu bewegen. Als die Nazis, die
gerade mit dem Einpacken ihres Materials beschäftigt waren, die
Mettenhofer Jugendlichen erblickten, sprangen sie hektisch in ihre
Fahrzeuge und rasten davon. Dies konnte jedoch nur unter lautstarkem
Protest stattfinden. Wenig später ließ der Landesvorsitzende der NPD,
Peter Borchert, seiner offensichtlich entstandenen Wut über das jähe
Ende der Propagandaaktion freien Lauf und warf –während der Rotphase an
einer Ampel- willkürlich die Heckscheibe eines neben ihm wartenden Autos
mit einem größeren Gegenstand ein und flüchtete. Durch einen glücklichen
Zufall wurde keiner der PKW-Insassen oder der nachfolgenden Autos
verletzt; die Insassen des geschädigten PKW erstatteten daraufhin
Anzeige gegen Borchert.
Peter Borchert ist für die Polizei kein unbeschriebenes Blatt: der 27
jährige hat bereits als Jugendlicher zwei jeweils dreijährige
Gefängnisstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung, räuberischem
Angriff, schwerer räuberischer Erpressung sowie Volksverhetzung
abgesessen. Seit seiner Entlassung Anfang 1998 hat er sich innerhalb der
militanten Neonaziszene Norddeutschlands zu einem der führenden Kader
hochgearbeitet. Eng eingebunden in das Netzwerk der sog. „Freien
Kameradschaften“ um die Hamburger Neonazikader Christian Worch und
Thomas Wulff, trat er anfangs v.a. als Koordinator faschistischer
Ordnertrupps auf und beteiligte sich regelmäßig an Aufmärschen der
militanten Neonaziszene. Mittlerweile gehört er selbst zu den
Organisatoren diverser Naziaufmärsche, bei denen er oftmals auch als
Redner auftritt. Außerdem ist er einer der MacherInnen des Nazi-Treffs
Club 88 in Neumünster, als dessen Sprecher er seit anderthalb Jahren
fungiert. Des weiteren war er maßgeblich am Aufbau der Kieler
Kameradschaft beteiligt, deren Mitglieder überwiegend dem neu
aufgebauten NPD-Kreisverband Kiel-Plön angehören. Dieser gehört, als
Teil des NPD-Landesverband Schleswig-Holstein zu den radikalsten und
gewalttätigsten in Deutschland. Dies wurde spätestens durch die
Machtübernahme des Landesvorstandes durch Mitglieder der Freien
Nationalisten deutlich: Peter Borchert übernahm den Landesvorsitz,
Jürgen Gerg aus Lübeck, der ebenfalls aus dem Umfeld des Hamburgers
Christian Worch kommt, übernahm die Rolle des Schriftführers. Seit
ungefähr einem dreiviertel Jahr tritt der Kieler NPD-Verband fast jedes
Wochenende v.a. in der Kieler Innenstadt auf, um dort NPD-material zu
verteilen. Versuchten sie anfangs noch, sich als ehrbare Demokraten
darzustellen, zeigen sie inzwischen ihr wahres Gesicht. Aufgrund der
meist erfolgreichen Gegenaktionen von AntifaschistInnen, die oftmals zum
Abbruch der NPD-Aktionen führten, mussten sie zunehmend auf Verstärkung
von außerhalb zurückgreifen. Außerdem bewaffneten sie sich mit in
Jutebeuteln versteckten Bierflaschen und anderen Schlagwerkzeugen, um
etwaige Gegendemonstranten anzugreifen. Peter Borchert beteiligte sich
mehrfach an diesen Aktionen, indem er sich ankommende Antifaschistinnen
ausguckte und diese dann gezielt körperlich angriff. So trat er z.B.
einem Antifaschisten, der sich in der Kieler Fußgängerzone aufhielt, im
Beisein der Polizei in die Genitalien. Diese Gewaltbereitschaft
manifestierte sich auch gestern wieder. Nachdem die Neonazis aus
Mettenhof verschwunden waren, tauchten zwei von ihnen vor dem Haus einer
dort wohnenden aktiven Antifaschistin auf und wohlwissend, dass sie zu
diesem Zeitpunkt nicht zuhause war, betraten sie das Haus und brachten
so den vollständigen Namen der Person in Erfahrung. Zufälligerweise
trafen sie im Treppenhaus auf einen Nachbarn, der gerade im Begriff war,
das Haus zu verlassen. Sich wohl auf frischer Tat ertappt fühlend,
folgten sie dem Mann auf die Straße und Peter Borchert schlug ihm
unvermittelt ins Gesicht. Von Nachteil für die Nazis war jedoch, dass
diese Szene auch von einer Person beobachtet wurde, die umgehend die
Polizei verständigte und sich als Zeuge zur Verfügung stellte. Borchert,
der Anfang des Jahres wegen des Besuchs einer Kieler Diskothek mit
einer geladenen Waffe zu einer einjährigen Haftstrafe (auf drei Jahre
zur Bewährung ausgesetzt) verurteilt wurde, war seitdem mehrfach an
gewaltsamen Übergriffen auf AntifaschistInnen und anderen einschlägigen
Delikten mit neonazistischem Hintergrund beteiligt. Allein gestern
wurden mindestens zwei Anzeigen gegen ihn erstattet. Bleibt abzuwarten,
wie lange Borchert und Seinesgleichen noch ihren Terror gegen
Andersdenkende oder nicht in ihr Weltbild Passende ausüben können, ohne
auch nur irgendwie dafür belangt zu werden. Zwar zeigt dies, dass die
Kieler bzw. schleswig-holsteiner Nazisszene bereit ist, auf Methoden des
individuellen Terrors zurückzugreifen, nichts desto trotz ist dies kein
Grund für Antifaschistinnen, nicht auch weiterhin gegen die Aktivitäten
der Neonazis in Kiel und anderswo Widerstand zu leisten. Wir werden
weiterhin dafür sorgen, dass Nazis -jeglicher Couleur- der Raum für ihre
faschistische und rassistische Propaganda und Aktivitäten genommen wird.
Dies kann auf Dauer aber nur dann erfolgreich sein, wenn sich möglichst
viele Menschen nachhaltig am Widerstand gegen Faschismus und
Rechtsextremismus beteiligen.

Mit antifaschistischen Grüßen

Enough is enough-Redaktion

 

27.08.2001
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