[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]




Gegen die Militärdemokratur in der Türkei —
Für eine Solidarität jenseits von "Völkerrecht" und "Volk"
"Keine Auslieferung der Fregatte an die Türkei! Für eine politische Lösung in Kurdistan!" war das Motto eine Kleindemo von 160 Leuten am 12. Dezember in der Hamburger Innenstadt. Der Anlaß dieser kurzen Unterbrechung im Weihnachtskaufrausch war die feierliche Übergabe der auf der Hamburger Werft Blohm & Voss für das türkische Militär gefertigten Fregatte "Salihreis". Mit diesem Rüstungsexport auf High-Tech-Niveau bleibt Blohm & Voss der Tradition als Kriegswerft treu, und die türkische Marine freut sich schon. Der zukünftige Kommandant Eser Cimenderoglu erklärte gegenüber der Welt: "Wir haben unsere besten Leute zusammengezogen, um die Salihreis sofort als unser Flaggschiff nutzen zu können." Für die Militärdemokratur ist die Unterstützung durch die NATO und insbesondere durch die BRD kriegsnotwendig: 40 % des Haushaltes der Türkei gehen für militärische Zwecke drauf. Die staatliche Hermes-Kreditanstalt mit Sitz in Hamburg sichert die Finanzierung der Fregatte mit einem günstigen Kredit ab, im Auftrag der Bundesregierung.
Ein guter Grund für linken Protest — wenn nicht in so verquerer Weise dafür argumentiert worden wäre.
Organisiert wurde die Demo vom Hamburger Forum für Völkerverständigung & weltweite Abrüstung e. V., einem Überbleibsel aus der Friedensbewegung der 80er Jahre. Wir riefen zur Demo mit auf.
Den Aufruf konnten wir allerdings nicht unterzeichnen. Auf einen Brief vom 20. November, in dem wir unsere Kritik dargelegt haben, antwortete das Hamburger Forum bis heute (20. Dezember) nicht. Unser Vorschlag, dass wir gerne in einer Rubrik "Zur Demo rufen weiterhin auf..." die Aktion unterstützen wollten, wurde ignoriert. Bei der konkreten Forderung — Keine Fregatte an die Militärdemokratur in der Türkei -waren wir mit den OrganisatorInnen einig. In der Begründung gibt es Widersprüche:

Die Verabsolutierung von "Recht"
Im Aufruf wird "Völkerrechtswidrigkeit" als abstrakte Kategorie benutzt. Das entscheidende Kriterium für Recht/Unrecht sei die Einhaltung/Nichteinhaltung von Völkerrecht. Das gipfelt in der Forderung "Auslieferungsstopp der Fregatte ‚Salihreis‘ bis die türkische Regierung die Bedingungen eines völkerrechtlichen Zusammenlebens erfüllt!".
Unklar bleibt dadurch, ob die Militärdemokratur in der Türkei, wenn sie das gesamte geltende Völkerrecht einhalten würde, nicht mehr das seit dem Militärputsch 1980 eingesetzte reaktionäre repressive, antikommunistische Regime wäre. Gegen das Protest weiterhin gerechtfertigt und angesagt wäre.
Mit der einfachen Entgegensetzung von Völkerrecht und türkischem Militärregime wird der Eindruck erweckt, das Völkerrecht sei etwas per se Fortschrittliches und nicht einfach die Festschreibung der Spielregeln für Nationalstaaten im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes. Außerdem suggeriert der Begriff Völkerrecht die Illusion einer möglichen "fairen Kriegsführung" — gerade so, als könnten nicht unter Berufung auf die Haager Landkriegskonvention von 1907 staatliche Armeen gegen PartisanInnen ganz völkerrechtlich abgesichert im Verhältnis 10 : 1 (d.h. 10 PartisanInnen pro getöteten Soldaten) hinrichten. Gerade Wehrmachtssoldaten beriefen sich bei ihrem Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung auf das Völkerrecht.
Die Forderung der "Einhaltung der Menschenrechtsstandards entsprechend der Mitgliedschaft der Türkei im Europarat" läßt sich so lesen, als ob diese papierenen Rechte im Rest der Europaratsländer eingehalten würden. Dies gilt ja aber weder für die BRD noch beispielsweise für Spanien, wo bekanntlich Staatsterrorismus und Folterungen von Untersuchungsgefangenen zum staatlichen Ordnungsrepertoire gehören, geschweige denn für Britannien mit seiner Aufstandsbekämpfungsstrategie in Nordirland.
Ist es nicht möglich, Menschenrechte zu fordern ohne sich zum Anhängsel eines fragwürdigen Völkerrechts oder des Europarates zu machen?

Das Subjekt kurdisches Volk
"Schluss mit dem Krieg in Kurdistan" ist eine dringende und zentrale Forderung, aber warum schließt sich daran nach einem "und" direkt die "unverzügliche Aufnahme von politischen Verhandlungen mit Vertretern des kurdischen Volkes!" an? Damit wird Volk zu einem realen Subjekt erklärt. Diese Sichtweise liegt auch dem Völkerrecht zugrunde, dessen angebliche Subjekte auch Nationen bzw. Völker sind. Nun gibt es aus gutem Grund viele Linke, die aus der Kritik von Rassismus und Nation in Deutschland heraus die Kategorien ablehnen, die imaginäre homogene Gemeinschaften vortäuschen. Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse werden vom Begriff Volk verschleiert. Wer Volk zum Subjekt erklärt, dass er/sie vertreten will, legitimiert damit die eigene Machtpolitik, die damit losgelöst von sozialer Befreiung emanzipatorischen Interessen zuwiderläuft. Mehr dazu steht z. B. in einem Buch, dass wir vor ein paar Monaten veröffentlicht haben.
Das "Völkerrecht" - Falle für die "Volksbefreiung"
Wie sehr das Völkerrecht das Recht der Herrschenden ist, wird deutlich an der Debatte um einen Internationalen Strafgerichtshof, die von der deutschen Außenpolitik forciert wird: Unter der scheinbaren Legitimation Völker zu vertreten, wird eine neue Institution zur Absicherung und Aufrechterhaltung der Geschäftsbedingungen des kapitalistischen Weltmarktes Gerichtssitzungen abhalten. Wie sehr internationales Recht ein ideologisches Konstrukt ist, hinter dem ein Gewaltverhältnis verschwinden soll, zeigt sich an der heuchlerischen Ausschlachtung des Ermittlungsverfahrens gegen den Ex-Diktator Chiles, Pinochet. Nachdem Pinochet seine Aufgabe erfüllt hat, die sozialistische Bewegung in Chile mit offener Aufstandsbekämpfung zu unterdrücken, lassen seine früheren Protegés aus Westeuropa ihn jetzt fallen. Er nützt Ihnen jetzt mehr bei ihrem Interesse, gegenüber der Ordnungsmacht USA als Europäische Union mit einem internationalen Strafgerichtshof auftrumpfen zu wollen, in dem die EU internationales Recht mitdefinieren will. In der "Süddeutschen Zeitung" endete der Leitartikel "Öcalan und der Rechtsstaat" vom 25. November mit folgender demagogischen Wendung, die anzeigt, daß Völkerrecht eben auch gegen Volksführer genutzt werden kann: "Genau deshalb ist ja auch der Plan so wichtig, für alle diese Fälle, für die Pinochets und Öcalans und Karadzics dieser Welt ein Welttribunal zu etablieren, mit eigener Strafprozeßordnung für die internationale Gemeinschaft. Eine der wichtigsten Säulen eines Friedens zwischen den Völkern wäre nämlich genau dieser Versuch..." Die Sozialdemokratische Internationale (SI) begründete die Notwendigkeit eines internationalen Gerichtshofes auf ihrem Ratstreffen am 24. 11. 98 noch mit Pinochet, aber Bundeskanzler Schröder und Schily fordern bereits, dass der PKK-Vorsitzende Öcalan vor diesem neu zu schaffenden internationalen Gerichtshof angeklagt werden soll. Wie leicht Menschenrechtsorganisationen, die sich wie das Hamburger Forum ständig auf das Völkerrecht beziehen, dabei aufs Glatteis geraten und herrschende internationale Gewaltverhältnisse legitimeren, zeigt Human Rights Watch: Diese Menschenrechtsorganisation forderte in einem Brief an den italienischen Ministerpräsidenten D‘ Alema dazu auf, "Öcalan wegen der Überschreitung der Grenzen im Guerrillakampf zur Verantwortung zu ziehen. Nach Ansicht der Organisation hat die PKK seit 1984 genau 768 außergerichtliche Exekutionen vorgenommen und 360 Zivilisten ermordet. Aktionen, die nach "Human Rights Watch" Teil der ‚offiziellen Politik der PKK‘ gewesen seien."
Eine linke Kritik an der PKK und Öcalan müßte genau entgegengesetzt argumentieren: Zuerst einmal wäre die Forderung nach einem Bleiberecht für Öcalan wie für alle anderen Flüchtlinge auch die Minimalforderung. Zum zweiten kann es nicht angehen, die PKK für ihre Taten im Guerrillakampf zu bestrafen, während Militärapparat und Geheimdienste der Türkei überhaupt nicht sanktioniert werden. Human Rights Watch macht sich so selbst zum verlängerten Propagandainstrument der Kriegsführung der NATO gegen die PKK. Die unserer Meinung nach notwendige Kritik der PKK kann nicht der bürgerlichen Justiz überlassen werden. Für die Kritik des internationalen Rechts ist es notwendig, die scheinbare Legitimation als Vertreter/Führer von Völkern zu demontieren. Das gilt als grundsätzliche Kritik sowohl für die sogenannte Völkergemeinschaft und ihre Retter wie Bundeskanzler Schröder als auch für Oppositionelle, die ihre eigene Bedeutung durch die Berufung auf ein Volksinteresse aufwerten wollen — wie Öcalan und seine ParteigängerInnen.
Auch wenn die VeranstalterInnen der Demonstration "Keine Auslieferung der Fregatte an die Türkei! Für eine politische Lösung in Kurdistan!" eine antiinstitutionelle, antinationale Herangehensweise nicht teilen und deshalb unsere Kritik vielleicht schwer nachvollziehen können — eine Einbeziehung weiterer, linksradikaler Kreise in den Protest gegen den Fregattenbau für die türkische Militärdemokratur hätte ein Verzicht auf den positiven Bezug auf Volk sowie das ständige Pochen auf Völkerrecht sicher erleichtert. Die Alternative dazu ist, sich als Zielgruppe ein bürgerliches Publikum zu suchen, imaginäre Massen, die an die Rechtschaffenheit von Völkerrecht und Europarat glauben und die einen Kampf für legitimer halten, wenn er im Namen eines Volkes und nicht im Namen einer sozialen Revolution geführt wird. Es gibt sicher viele Menschen, die so denken — aber ist für die Frieden mehr als die Abwesenheit von kriegerischer Bedrohung, beteiligen die sich an linken Protesten? Am 12.12. jedenfalls nicht — trotz 40 AufruferInnen, darunter die Landesverbände von DKP und PDS sowie Teile der GAL, Friedensgruppen und die Kurdistan-Solidarität. Imaginäre linksdeutsche Massen protestieren nicht. Viele Linke haben sich aus Aktionen gegen den Krieg des türkischen Staates zurückgezogen, weil die kritiklose Unterstützung der nationalistischen Volksbefreiung der PKK zum Dogma erklärt worden ist. Auch die mehrmals wiederholte Rede auf der Demo gegen die Auslieferung der Fregatte kam nicht ohne die Beschwörung "unserer Heimat Kurdistan" aus.
Für die Demontage der Kriegswerft Blohm & Voss
Völlig ausgeblendet wurde die Kritik an der deutschen Geschichte der Kriegswerft, die im "Schwarzbuch Hamburg - Dritte Welt" von 1983 dargelegt worden ist: Blohm & Voss begann schon 1892 mit dem Bau großer Kriegsschiffe für den Kampf um die Beherrschung der für die koloniale Ausbeutung wichtigen Weltmeere. Während des I. Weltkrieges baute Blohm & Voss 100 U-Boote, 6 Torpedoboote, sowie 9 schwere Kreuzer und Schlachtschiffe. Für den zweiten Weltkrieg wurden dort 230 U-Boote gebaut. Die U-Bootbunker wurden 1945 gesprengt, aber die Werft leider nicht demontiert. Auch die Hamburger KPD sprach sich etwa 1948 im Bürgerschaftswahlkampf gegen die Demontagemaßnahmen aus, obwohl diese zentraler Bestandteil der alliierten Vereinbarungen zur Entnazifizierung Deutschlands waren. Das totale Rüstungsverbot nach 1945 hinderte die Firma nur ein Jahrzehnt an der Wiederaufnahme der Kriegsproduktion. In den 80er Jahren warb die Werft mit dem Slogan "Wir haben die Erfahrung." Mittlerweile ist Blohm & Voss die größte Kriegsschiffwerft der BRD. Daneben wird der Kampfpanzer Leopard II produziert, seit 1982 auch für die Türkei. Wer jetzt meint, die rotgrüne Bundesregierung würde Rüstungsexporte an Diktaturen stoppen, sollte wissen, dass Blohm & Voss in den 70ern unter der Schmidt-Regierung Fregatten für die Militärdiktaturen in Argentinien und Nigeria baute. Begründung des SPD-"Friedenspolitikers" Egon Bahr damals: Die BRD bräuchte "aus sicherheitspolitischen Gründen" deutsche Kriegsschiffwerften, die sich mit Exporten finanzieren müßten. Ein Verbot von Rüstungsexport ist nur die halbe Miete: Für Deutschland hatten nach dem 8. Mai 1945 die Alliierten aus gutem Grund den Abbau der Rüstungsindustrie beschlossen, aber nicht konsequent umgesetzt.
Unser erster Text zur Fregattendemo, mit dem wir trotz Kritik zur Demo aufriefen, endete mit den Forderungen: Für einen Protest gegen die Auslieferung der Fregatte "Salihreis" an die Türkei — Schluß mit dem NATO-Krieg in Türkisch-Kurdistan! Gegen die Kriminalisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen, Bleiberecht für Öcalan wie für Alle — für offene Grenzen! Für eine Aufhebung des PKK-Verbotes, weil die BRD kein Recht dazu hat, rassistisch ausgegrenzte Minderheiten zu kriminalisieren!

Demo für den Vertreter des kurdischen Volkes
Den von uns kritisierten Demoaufruf des Hamburger Forums zum 12.12. unterstützte aus dem linksradikalen Spektrum der Rote Aufbruch. Bereits auf der Demonstration gegen die Verhaftung von Öcalan in Rom am 21. November war der Rote Aufbruch die einzige erkennbare Gruppe, die sich nicht über Konflikte in der Türkei definiert: Von 5.000 DemonstrantInnen hielten 4.600 Öcalan-Portraits hoch oder hatten den Aufkleber für die von der türkischen Armee ermordete Andrea Wolf in den kurdischen Nationalfarben an der Jacke oder am Mantel. Dahinter lief ein Block verschiedener sich auf die Türkei beziehender Parteien, die Revolutionäre Vereinigte Einheit Plattform — 300 Leute, unter anderem die beiden TKP/MLs friedlich nebeneinander. Dahinter folgte der Rote Aufbruch mit etwa 100 Leuten. Neben den Plakaten für die Märtyrerin Andrea Wolf klebten im Schanzenviertel im November Plakate vom Roten Aufbruch, auf denen neben einem Foto von Apo Öcalan u.a. stand: "Die PKK kämpft für die Interessen des kurdischen Volkes und perspektivisch für eine sozialistische Gesellschaft." Die erste Forderung lautete: "Unterstützt das kurdische Volk!".
Im zentralen Aufruf zur Demo am 21. 11. wurde zustimmend das ZK der PKK zitiert: "Sein Ziel ist nicht das Suchen nach einem sicheren Aufenthaltsort, ein Aufenthaltsort kann für unsere nationale Führung in erster Linie in unserem Land gefunden werden." Nachdem so in vollendeter Form die Forderung nach Asyl oder Bleiberecht umschifft wurde, steht die Versicherung: "Die jetzige Phase beweist, wie sehr das kurdische Volk hinter dem Befreiungskampf der PKK und ihrem Vorsitzenden Abdullah Öcalan steht." Bei den Forderungen am Ende des Flugblattes steht auch nichts von einem Bleiberecht für die Flüchtlinge aus Kurdistan, die keine "Vertreter unseres Volkes" sind — dafür lautet die erste Forderung: "Solidarität mit dem kurdischen Volk in seinem Kampf für Selbstbestimmung und Befreiung!" Und die letzte: "Solidarität mit der PKK!"
Zu einer Politik, die immerzu ein kurdisches Volk beschwört, führt ein kurzer Weg dahin, dieses Volk in seinem Anführer verkörpert zu sehen. Von der Behauptung eines homogenen Volkskörpers hin zum Personenkult um Apo Öcalan führt der gerade Weg einer Ideologie, die keine Abweichung kennt und Kritik nicht akzeptiert. Bei der großen Demonstration am 19. 12. In Bonn gab es Transparente, auf denen stand: "Apo Öcalan ist das Volk — Das Volk lässt sich nicht verbieten".

Märtyrer für das "Volk": Selbstverbrennungen
Die Gleichsetzung von Partei — Volk — Anführer hat sich auf fatale Weise in den zahlreichen Selbstverbrennungen nach der Festnahme von Öcalan im November in Rom gezeigt: "Dagegen (=Krieg der Türkei in Kurdistan) leisten wir weiter entschlossen Widerstand...Und über vierzig Kurden verbrannten sich aus Protest gegen die türkische Politik.".Mehr als 40 AktivistInnen und Gefangene aus der PKK nahmen das Symbol wörtlich, das auf den Fahnen der PKK Hammer und Sichel ersetzt hat: Das heilige Feuer. Nachdem Öcalan aufgerufen hatte, mit den Selbstverbrennungen aufzuhören, gab es nur noch vereinzelte Selbstverbrennungen. Dass diese aber ein integraler Bestandteil der politischen Praxis der PKK sind, bekräftigte er wenig später in einem Interview mit der italienischen Zeitung "La Stampa": "Gefragt, ob er eine Auslieferung an Deutschland befürchtet habe, sagte Öcalan: ‚Wenn das geschehen wäre, dann hätte in Deutschland alles passieren können. Mehr als 50 Menschen hätten sich selbst angezündet, Hunderte wären zum Hungerstreik bereit.‘"
Wir möchten an dieser Stelle nicht alle katastrophalen Interviewpassagen von Öcalan aus den letzten Wochen auflisten, nur noch zwei Punkte:
"Die Idee des realen Sozialismus — zuerst die Partei, dann der Staat und dann der Mensch — wird aufgegeben." Apo erklärt, wo‘s langgeht für die ganze PKK, und: Seine Kritik an der Sowjetunion geht nach rechts — er kritisiert die mit dem Personenkult um Stalin verbundene Nationalitätenpolitik nicht wegen der Nationendoktrin, sondern wegen des "Chauvinismus einer großen Nation gegenüber kleinen Völkern" zurück. Das bereits oben zitierte Interview aus der "Weltwoche" 48/98 wurde geführt von Ali Özserik, Journalist bei der "Özgür Politika". Die Antwort auf die letzte Frage konterkarierte unmittelbar antirassistische Politik hierzulande. Wir zitieren sie deshalb vollständig:
Frage an Öcalan: Wie soll Europa auf die kurdischen Flüchtlinge reagieren?
Öcalan: "Die Menschen werden aus politischen Gründen vertrieben. Daher sind sie politische Flüchtlinge. Einige versuchen, daraus wirtschaftlichen Profit zu schlagen. Hier können wir mit Europa zusammenarbeiten. Die Menschen, die sich an uns halten, kommen nicht auf illegale Weise nach Europa. Nur wenn sie wegen des Krieges geflohen sind, sollten sie Asyl erhalten, weil sie politische Flüchtlinge sind. Die Türkei wird dann nicht den Mut haben, die Menschen zu vertreiben, und die Flüchtlinge werden nicht glauben, dass sie in Europa leicht zu Geld kommen. Eine politische Beurteilung des Flüchtlingsproblems ist ebenso wie eine politische Beurteilung des Kurdenproblems eine Herausforderung für Europa." So gesehen ist es kein Zufall, wenn unter den Solidaritätsflugblättern für Öcalan viel von "Bewegungsfreiheit für Abdullah Öcalan" die Rede ist, aber nicht von einem Bleiberecht für Alle.
Wer bejahend von Identität als positiver Kategorie spricht und von einem "Selbstbestimmungsrecht der Völker" ausgeht, untergräbt damit die Grundlage des Antirassismus. Ein Bezug auf "Scholle/Heimat", die ethnopluralistische Kategorie "Volk" führt direkt zum Dogma "jedeR an Ihrem Platz", Das Begriffspaar "Verwurzelte — Vertriebene" steht einem Ansatz, der von den Interessen eingewanderter/geflüchteter Menschen ausgeht, entgegen.
Öcalan hatte den Rassismus gegen kurdische Flüchtlinge in Deutschland bereits früher mit der illegalen Flucht dieser Menschen gerechtfertigt und sich dafür entschuldigt, daß Kurden mit ihren Aktionen "die Gefühle des deutschen Volkes verletzt" hätten. Solange sich PKK und Solibewegung weiterhin auf Kategorien wie Volk und Ethnie beziehen und antirassistische Ansätze nicht zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Politik machen, ist eine umfassende Befreiung jenseits von nationalen Identitätszuschreibungen nicht möglich.

Die kritiklose politische Praxis
des Großteils der Kurdistan-Solidarität trifft sich mit den homogenisierenden Tendenzen des PKK-Befreiungsnationalismus.
Die hiesige Solibewegung zu Kurdistan hat in großen Teilen ein unkritisches Verhältnis zum kurdischen Befreiungskampf: Im Kampf gegen die Repression in Kurdistan und der BRD wird eine eigenständige Einschätzung häufig durch die Übernahme von Durchhalte- und Erfolgspropaganda ersetzt. Trotz der kontroversen Diskussion der PKK-Politik in den letzten zwei bis drei Jahren scheint es weiterhin möglich zu sein, Soliarbeit zu machen, ohne sich in irgendeiner Form auf diese Kritik zu beziehen. Vielmehr wird die Kritik an der Politik der PKK schlicht als Spaltung durch die Herrschenden interpretiert.
Christiane Böhm vom Kurdistan-Bündnis Mainz im März 1998 dazu: »Wir bieten Informationen über die Situation der Kurden und Kurdinnen in ihrer Heimat an ... Wir erreichen dabei oft eher die normale Bevölkerung als die linken und demokratischen Bewegungen und Organisationen. Das ist ein bundesweites Phänomen.«
Die Chance, Kritik aus der Linken aufzugreifen und so eine kritische Solidarität zu fördern, wird vertan: Antinationale, antirassistische wie auch sozialrevolutionäre Ansätze ignoriert.
In dem zitierten Interview wird die Zurückhaltung vieler Linker gegenüber unkritischer Kurdistan-Solidarität nur unter »Spaltung der oppositionellen Bewegungen« verbucht: Kritik = Spaltung, mit dieser bekannten Gleichsetzung zeigt sich, dass eine Solidarität von Seiten antinationalistischer KritikerInnen der PKK nicht gewollt ist. Auf dem Autonomiekongreß 1995 in Berlin versuchte die gruppe t.e.r.z. aus Marburg eine Kritik an der PKK zur Diskussion zu stellen, was von Leuten aus der Kurdistan-Solidarität abgeblockt wurde. Die gruppe t.e.r.z. in ihrer Auswertung dazu: »Ginge es einzig um die Unterdrückung durch den türkischen Staat, die patriarchalen (Familien u.a.) Strukturen, den Großgrundbesitz und das Kapital, so wäre der Widerspruch ‚kurdisch-türkisch‘ (zumindest in der eigenen Praxis) irrelevant; andersherum verschwinden diese Verhältnisse, treten in den Hintergrund oder werden beliebig austauschbare Beispiele, wenn ein angeblicher (oder von der mächtigen Seite behaupteter) Widerspruch ‚kurdisch-türkisch‘ zum Thema und zur eigenen Position gemacht wird. Genau diese Entscheidungsfrage zeigt sich, wenn jede kritische Auseinandersetzung von manchen PKK-AktivistInnen mit der Forderung nach 'Solidarität mit dem kurdischen Volk' geradezu erledigt oder für politisch belanglos erklärt wird. Mit diesem Leitgedanken verfängt desweiteren jede Politik für ein staatliches Unterdrückungsverhältnis, welches als ‚Materialisierung‘ der völkischen Identität begriffen und in einer Parteiorganisierung mit Führerkult, Nivellierung aller Unterdrückungsverhältnisse und einer konsequenten Aufopferungsbereitschaft für die zukünftige Nation vorweggenommen wird." Diese von uns geteilten Positionen einer kritischen Solidarität wurden auf dem Autonomiekongreß brüsk zurückgewiesen von AnhängerInnen einer kritiklosen Solidarität: "Denn hier sollte nicht nachgewiesen werden, wie die konkreten Bedingungen in Kurdistan die Analyse inhaltlich verändern, sondern die Politik der PKK für im Prinzip unangreifbar gemacht werden.«
Die einzige innerhalb der Kurdistan-Solidarität diskutierte Kritik dreht sich nicht etwa um die Ausblendung sozialer Widersprüche zwecks Homogenisierung zum Volk, dem der Alleinvertretungsanspruch der PKK auf dieses Volk wie auch der Personenkult um Öçalan entspricht. Vielmehr beschränkt sich die Kritik darauf, dass die PKK der Diplomatie einen zunehmend höheren Stellenwert beimisst als der linksradikalen Soliszene: »Die Kritik vieler deutscher Soligruppen [gilt dem] ... Kurswechsel der PKK in Richtung diplomatischer Bemühungen gegenüber dem deutschen Staat und den damit verbundenen Deals mit Verfassungsschutz, rassistischen Politikern der Regierungsparteien, wie Heinrich Lummer, oder auch den Justizbehörden im Prozeß von Kani Yilmaz«. Das eine auf offizielle internationale Anerkennung und Staatlichkeit ausgerichtete Befreiungsbewegung wie die PKK gar keine Alternative hat im Rahmen einer diplomatischen Logik, zu dieser Erkenntnis kann sich die Kurdistan-Solidarität nicht durchringen: Wäre die Konsequenz doch ein Hinterfragen an der grundsätzlichen Ausrichtung der PKK, wie sie Öcalan in Rom so formulierte: "Wir sind aus Ankara herausgegangen und haben die Partei gebildet, wir gingen in den Nahen Osten und wurden zur Armee, nun werden wir auf die Weltbühne treten und zum Staat werden".
Udo Wolter setzte im März 1998 der Entwicklung der PKK und ihrer Soliszene entgegen: »Es dürfte evident sein, dass die bisher in der Solidaritätsarbeit zu nationalen Befreiungsbewegungen wie der PKK anzutreffende Übernahme ethnisch-kultureller Identitätsmuster für eine antirassistische Perspektive nicht trägt.«
Die Kurdistan-Solidarität erschwert aber eine solche kritische Solidarität. In einem ähnlichen Muster wie in den 70/80er Jahren bei den Anti-Imps mit ihrem Dominanzanspruch auf Solidarität mit den Gefangenen aus der RAF gibt es drei Leitdogmen:
1. Das Monopol in Türkisch-Kurdistan hat die PKK.
2. Es ist Krieg/Repression: Wer die Dominanz der PKK-freundlichen Solidarität infrage stellt und dabei Kritik von links übt, entsolidarisiert sich und nützt der Türkei/ NATO.
3. Kritik von rechts an Militanz und Aktionsformen der PKK ist aus Bündnisgründen erlaubt, unantastbarer gemeinsamer Nenner ist das "Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes«.
Es ist kein Zufall, daß Teile der Anti-Imps sich nach dem Ende der RAF politisch auf die PKK umorientiert haben. Das Monopol PKK-freundlicher Kurdistan-Solidarität plus bürgerlichem Bündnisspektrum mit Sympathien für »unterdrückte Völker« erschwert eine antinationale oder sozialrevolutionäre Solidarität mit den sozialen Kämpfen und gegen den NATO-Krieg in Türkisch-Kurdistan.
Die Informationsstelle Kurdistan in Köln zementiert den Monopolanspruch der PKK, indem sie ihr eine über Kurdistan hinausweisende weltweite Bedeutung zuschreibt: »...stellt die PKK mit ihrer lebendigen sozialistischen Perspektive für das imperialistische Lager eine Gefahr dar. Der Aufbruch der feudalen Herrschaftsstrukturen, vor allem die emanzipatorischen Schritte in dem weltweit am tiefsten verwurzelten Unterdrückungsverhältnis des Mannes gegenüber der Frau, Respekt gegenüber der menschlichen Entwicklung und der Umwelt tragen eine emanzipatorische Kraft in sich, deren Ausstrahlung schon heute neben Europa u.a. die EZLN in Mexiko, Südafrika und den Fernen Osten erreicht hat.«. Warum derart Schaum geschlagen wird, wenn es um das reale Problem der Kriminalisierung von zwei Leuten aus der Kurdistan-Solidarität durch den deutschen Staat geht, erschließt sich am Schluß: »Die Linke in Deutschland fordern wir auf, sich an die Seite des kurdischen Befreiungskampfes zu stellen.«
Wir haben bei den Diskussionen, die wir im Rahmen der Vorstellung unseres Buches erlebt haben, öfter von Leuten gehört, dass sie gegen den Krieg in Türkisch-Kurdistan und das PKK-Verbot aktiv waren, sich aber zurückgezogen haben, weil sie keinen Platz für ihre eigenen Positionen gesehen haben, eine kritische linke Solidarität nicht erwünscht war. Wir finden es wichtig, dass diese Kritik diskutiert wird.
gruppe demontage,
Postfach 306 132, 20327 Hamburg



[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]