[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]




Nordirland: Peace off
Das Friedensabkommen für Nordirland wird an der Diskriminierung der katholischen Minderheit wenig ändern.

Karfreitag kam in Nordirland nach einem mehrjährigen Verhandlungsprozeß unter Beteiligung der meisten nordirischen Parteien und der irischen und britischen Regierungen ein Friedensabkommen zustande. Am 22. Mai wurde das Abkommen in einer Volksabstimmung in Nordirland mit 71,1% angenommen, bei einer hohen Beteiligung von 81,1% der Wahlberechtigten. Gleichzeitig stimmten in der Republik Irland bei einem Referendum über die Aufgabe des Gebietsanspruches auf Nordirland 94,4% mit Ja, bei einer Beteiligung von 55,6% der Wahlberechtigten.
Das Friedensabkommen sieht u.a. die Bildung eines Regionalparlamentes in Nordirland und die Schaffung eines gesamtirischen Ministerrates vor. In dem am 25. Juni erstmals gewählten Regionalparlament sollen alle Parteien gemäß ihres Stimmenanteils an der Regierung beteiligt werden.
Der gesamtirische Rat dient dem Austausch und der Kooperation in Fragen der Landwirtschaft, des Umweltschutzes und des Tourismus. Die paramilitärischen Gruppierungen sollen gemäß dem Vertrag bis zum Sommer 2000 abrüsten. Dann sollen, solange die jeweiligen Waffenstillstände halten, auch deren letzte Gefangene freikommen.
Ob es einen oder zwei irische Staaten gibt, wäre nicht weiter wichtig, wenn der nordirische Staat nicht auf einer systematischen sozialen und politischen Diskriminierung der irisch-katholischen Minderheit basieren würde. Die in dem Abkommen vorgesehene Verstärkung des Grundrechteschutzes und der Aufbau einer Gleichstellungskommission benennt keine konkreten Ziele und hängt nicht von gesamtirischen Institutionen ab. Die Gleichstellung soll vielmehr von den neuen nordirischen Institutionen umgesetzt werden, die von den probritischen unionistischen Parteien dominiert werden. Auch lehnt die Hälfte der unionistischen Parteienvertreter das Abkommen grundsätzlich ab und wird dessen Umsetzung mehr oder weniger direkt boykottieren. Solange die unionistische Bevölkerungsmehrheit somit ihre Vormachtstellung nicht aufgeben muß, wird es, zukünftige Gleichstellungsgesetze hin oder her, weiter Diskriminierung geben.
Unmittelbar stellt sich das Problem, daß die Irisch Republikanische Armee (IRA) nach dem Abkommen verlauten ließ, nicht abrüsten zu wollen. Die unionistische Führung knüpft jedoch eine Zusammenarbeit mit Sinn Féin im nordirischen Parlament und die Freilassung der IRA-Gefangenen an die Entwaffnung der IRA und die Fortdauer ihres Waffenstillstandes. Die Freilassung der paramilitärischen Gefangenen bleibt so von der weiteren politischen Entwicklung abhängig. Es ist auch nicht zu erwarten, daß die nordirische Polizei aufgelöst wird oder die britische Armee aus Nordirland abzieht. Eine Kommission zur Polizeireform wird vom ehemaligen konservativen Gouverneur der britischen Kolonie Hong Kong geleitet werden. Die unionistischen Parteien haben klar gemacht, keine Neuorganisation "ihrer" Polizei hinzunehmen. Da kleinere paramilitärische Gruppen weiterhin militant agieren und die IRA sich, was die technischen Voraussetzungen betrifft, diese Option offen gehalten hat, wird auch die britische Armee weiterhin präsent und die Anti-Terrorismusgesetze in kraft bleiben. Das bedeutet, daß wie bisher insbesondere das katholische Proletariat alltäglicher Repression durch die Sicherheitskräfte und diejenigen probritischen Paramilitärs ausgesetzt ist, die das Friedensabkommen ablehnen. Auch insofern wird die nordirische Frage nicht gelöst, sondern werden die strukturellen Probleme nur verschoben.
Die IRA und die Partei Sinn Féin haben dem Abkommen als die maßgeblichen Organisationen der antikolonialen, irisch-republikanischen Bewegung zugestimmt. In der zukünftigen nordirischen Regierung wird Sinn Féin deshalb wahrscheinlich zwei der zwölf Minister stellen, um so auf die gesamtirischen Institutionen Einfluß zu nehmen und sich für eine Wiedervereinigung einzusetzen. Mit diesem Schritt erkennen Sinn Féin/IRA, entgegen ihrer bisherigen Politik, faktisch den nordirischen Staat und das Veto der unionistischer Mehrheit über die weitere politische Entwicklung an. Denn zu einer Wiedervereinigung soll es in Zukunft nur kommen, wenn sich dafür in Nordirland, nicht jedoch wie bisher von Sinn Féin gefordert, in ganz Irland eine Mehrheit findet. Auch Entscheidungen im gesamtirischen Ministerrat werden von der Zustimmung der UnionistInnen abhängen. Es ist deshalb höchst zweifelhaft, daß, wie Sinn Féin meint, durch das Abkommen eine Dynamik entsteht, die in einer Entkolonialisierung Nordirlands mündet. Vielmehr wird Sinn Féin durch eine Mitwirkung an den nordirischen Institutionen ins herrschende System kooptiert.
Diese Entwicklung zeichnete sich schon länger ab. Sinn Féin/IRA haben sich 1970 von einer mehrheitlich auf einen innernordirischen Ausgleich bedachten republikanischen Bewegung abgespalten, um die katholischen Viertel in Nordirland gegen Pogrome zu verteidigen und um die britischen Kolonialherren militant zu bekämpfen. Ab Ende der 70er Jahre sicherte sich die republikanische Guerrilla die längerfristige Verankerung in den katholischen ArbeiterInnenvierteln durch die Aufnahme sozialistischer Politikelemente. Anfang der 90er Jahre schwenkten IRA/Sinn Féin jedoch auf ein Bündnis mit der Partei der katholischen Mittelklasse in Nordirland, der SDLP, und der bürgerlichen Regierung in Südirland um. Nachdem der bewaffnete Kampf und der Aufstieg Sinn Féins zur Wahlpartei die Wiedervereinigung nicht zu erreichen vermochten, versucht Sinn Féin nun ausschließlich auf parlamentarischer Ebene, die SDLP in der Gunst der nordirischen Katholiken zu überholen.
Die republikanische Bewegung knüpfte ihre Sozialismusvorstellungen an die Regulationsmöglichkeiten eines fordistischen Staates. Als nationale Befreiungsbewegung sieht sie sich als legitime Vertreterin des irischen "Volkes", weswegen ihr der gegenwärtige Übergang in die konstitutionelle Politik nicht ganz fern liegt. Dieser Staatsreformismus paßte in der Vergangenheit zum fordistischen Sozialismusverständnis. Unter postfordistischen Bedingungen hat die Sinn Féin Führung jedoch zuletzt auch die Ansiedlung multinationaler Konzerne in Irland unterstützt, was sie früher ablehnte. In bezug auf das Friedensabkommen heißt dies, daß sich die Vorstellungen der SDLP durchgesetzt haben. Diese will Nord- und Südirland zukünftig als Euroregion miteinander verbinden. Durch eine ungehindertere Kapitalakkumulation könnte Nordirland gegebenenfalls an den postfordistischen Boom in der Republik Irland anschließen. Solange die unionistische Bevölkerung dafür ihren Suprematismus nicht aufgeben muß, wird sich ein größerer Teil von ihr mit einer solchen Vorstellung anfreunden.
Infolge der Umorientierung von IRA/Sinn Féin haben sich einige Gruppen abgespalten, die den militanten Kampf gegen den nordirischen Staat fortsetzen. Im Gegensatz zur republikanischen Bewegung in der ersten Hälfte der 80er Jahre besitzen diese jedoch weder eine sozialistische Praxis noch eine Strategie, wie die Fortführung des bewaffneten Kampfes die unionistische Vorherrschaft brechen könnte. Wenn schon eine relativ starke und geeinte IRA dies nicht vermochte, ist dies heute einer zersplitterten republikanischen Bewegung erst recht nicht möglich. Insofern ist das Kalkül der britischen Regierung aufgegangen, einen größeren Teil der republikanischen Bewegung zu integrieren, um den Rest militärisch zu zerschlagen oder zumindest noch besser kontrollieren zu können.
Die unabhängige Republikanerin Bernadette McAliskey hat der republikanischen Führung im Februar 1996 als Gegenstrategie vorgeschlagen, den bewaffneten Kampf öffentlich für beendet zu erklären und ein antiimperialistisches Bündnis aufzubauen, das alle antikolonialen und sozialistischen Kräfte auf der Insel umfaßt, um so der durch die Friedensverhandlungen legitimierten unionistischen Vorherrschaft offensiv entgegentreten zu können. IRA/Sinn Féin lehnten erwartungsgemäß dieses Einheitsfrontkonzept von unten ab und blieben bei ihrem Volksfrontbündnis mit der katholischen Mittelklasse. Nur eine Zusammenführung der sozialistischen und anti-kolonialen Kräfte könnte jedoch längerfristig das entlang konfessioneller Linien gespaltene Proletariat einen, anstatt durch konstitutionelle Proporzpolitik dessen Spaltung zu reproduzieren. Wie sagte doch Sinn Féin Präsident Gerry Adams während der Friedensverhandlungen, "bleibt die koloniale Frage ungelöst, wird eine weitere Generation in den bewaffneten Kampf gezwungen."

gruppe demontage


[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]