Zellenrevolte, Hausdurchsuchung und Sylvesterprotest

Abschiebegefängnis Glasmoor kommt nicht zur Ruhe

Auch nach der Mißhandlung eines Häftlings im April, der daraufhin erfolgten Suspendierung und Auswechslung der halben Wachmannschaft und der Ablösung des Leiters der Justizvollzugsanstalt Glasmoor kommt der Abschiebetrakt der JVA nicht zur Ruhe. Am 17. Dezember revoltierten 8 kurdische Gefangene und verbarrikadierten sich in ihrer Zelle, zu Sylvester demonstrierten etwa 100 Menschen lautstark vor dem Distanzzaun der Abschiebehaft, während antirassistische Berichterstattung mit Hausdurchsuchung und Rechnerbeschlagnahme geahndet wird.

Es geschah während des regelmäßigen Sonntagsspaziergangs vor den Toren des Abschiebeknastes. Nach dem vorzeitigen Abbruch der Umschlußzeit (geöffnete Zellentüren im Innern) verbarrikadierten sich acht kurdische Gefangene in ihrer Zelle und konnten rund vier Stunden später nur durch ein Sondereinsatzkommando (SEK) der Hamburger Polizei überwältigt werden.

Als zunächst lediglich 15 AntirassistInnen am 17. Dezember einen Redebeitrag in mehreren Sprachen verlesen und sich durch den Anstaltszaun mit einigen Gefangenen verständigt hatten, riefen gegen 16 Uhr mehrere kurdische Gefangene Parolen und entzündeten ein Bettlaken außerhalb ihres Zellenfensters. Wenig später eilten 6-8 Schließer aus dem Normalvollzug in den Abschiebetrakt und wollten den vorzeitigen Abbruch der Umschlußzeit durchsetzen. Nachdem dann zwei Gefangene »freiwillig« aus der betreffenden Zelle gekommen und zwei weitere gewaltsam herausgezerrt worden waren, widersetzten sich einige der übrigen acht Männer der Maßnahme heftig und verbarrikadierten sich schließlich in dem Raum. Bereits kurz nach der lautstarken Auseinandersetzung im Abschiebetrakt hatten die DemonstrantInnen vor der JVA die Anstaltsleitung aufgefordert, keine Gewalt gegen die Gefangenen einzusetzen und Gespräche mit anwesenden VertreterInnen des Hamburger Flüchtlingsrates über die Situation zu führen, was ohne jede Resonanz blieb.

In der Folgezeit riefen Gefangene - inzwischen auch die in anderen Zellen - und DemonstrantInnen immer wieder Parolen, wie »Hoch die Internationale Solidarität«, während ständig mehr Polizeieinheiten in Glasmoor eintrafen. Und auch die Zahl der AntirassistInnen wuchs nach und nach auf über 30 an. Zudem verschärfte sich die Situation durch die Drohung der Verbarrikadierten, sich bei einer Erstürmung der Zelle selbst zu töten.

Als die DemonstrantInnen gegen 18.30 Uhr nach einer längeren Pause - die Revolte dauerte nun bereits zweieinhalb Stunden - wieder Parolen riefen, beteiligten sich plötzlich nahezu alle an den Fenstern stehenden Abschiebegefangenen, einzelne begannen sogar damit, Mobiliar an den Fenstergittern zu zerschlagen. Doch auch diese aufgeheizte Situtation beruhigte sich wenig später wieder.

Gegen 19.30 Uhr nahm schließlich das Erwartete seinen Lauf: 15 Polizeibeamte in Kampfanzügen drängten unter inzwischen großer Medienpräsenz die 30 DemonstrantInnen vom Anstaltszaun ab, die Zufahrtswege nach Glasmoor wurden abgesperrt und selbst weitere JournalistInnen am Erreichen der JVA gehindert, weitere 30 AntirassistInnen mußten an der nahen Glasmoorstraße ausharren. Eine halbe Stunde später meldeten sich die verbarrikadierten Kurden noch einmal mit der Vermutung, ein polizeilicher Zugriff stünde unmittelbar bevor. Sekunden später verlosch nach einigen dumpfen Schlägen das Licht in der Zelle und es wurde still.

Kurz darauf meldeten die vermummten Männer des Sondereinsatzkommandos einen »erfolgreichen Einsatz«. Anscheinend noch in den ersten Minuten nach dem »Zugriff« wurden »alle an der Revolte Beteiligten« in Richtung des UG Holstenglacis vom Gelände verbracht, während die insgesamt 200 PolizistInnen nach Ende einer kurzzeitigen Blockade durch die jetzt 60 DemonstrantInnen langsam abrückten. Mindestens einer der Gefangenen soll während der Fahrt, bzw. nach Ankunft im Untersuchungsgefängnis geschlagen worden sein.

Befriedung der Abschiebehaft ... Leitgedanke: »Respekt«

Für die Verantwortlichen in der Hamburger Justizbehörde dürfte dieser »Zwischenfall« einen erheblichen Rückschlag in den Bemühungen um eine »Befriedung« der Abschiebehaft darstellen. Wie empfindlich man auf derartige Vorfälle reagiert, zeigte sich unter anderem am 17. Dezember selber, als nach und nach nicht nur massive Polizeieinheiten in Glasmoor zusammengezogen wurden, sondern auch das »Who is who« von Justiz- und Innenbehörde. Unter anderem sollen laut anwesenden MedienvertreterInnen gleich mehrere PressesprecherInnen, Staatssekretäre und auch der Hamburger Innensenator Wrocklage vor Ort gewesen sein.

Dabei waren nach der mutmaßlichen brutalen Mißhandlung Emine K.´s im April dieses Jahres (Schließer sollen den Gefangenen mit dem Kopf an ein Gitter geschlagen und ihm auf diese Weise einen Jochbeinbruch zugefügt haben) annähernd die Hälfte der Schließer ausgewechselt worden. Mit Frank Düring, der für den ebenfalls geschassten »Hardliner« Gebauer kam, ist zudem ein ausgesprochener Vertreter der »weichen Linie« als neuer Leiter des Abschiebetraktes eingesetzt worden. Der führte die sogenannte Praxis der »Freiheit nach Innen« ein: Als Folge längerer Umschlußzeiten, wohlgeschulter Schließer sowie einer Reihe weiterer »Lockerungen« im Vollzug der Abschiebehaft sollte - so die Hoffnung - die Atmosphäre im Containerknast entspannt werden. So hätten beispielsweise etliche der staatlichen Aufseher Seminare über »Leitgedanken im Umgang mit den Gefangenen« durchlaufen, deren Tenor »Respekt« gewesen sei. »Als ich im Mai 2000 in Glasmoor anfing, das gebe ich gerne zu, habe ich zum Teil menschenunwürdige Zustände vorgefunden« berichtete Düring dann auch während einer Veranstaltung am 15. Januar mit entsprechender Erschütterung in der Stimme. Inzwischen habe man aber erhebliche Erfolge erzielt: »Im Dezember haben wir zum Beispiel das erste Mal überhaupt eine gemeinsame Weihnachtsfeier mit den Gefangenen durchgeführt«, so der nach innen freie Traktleiter. Sein Deeskalationskonzept scheint spätestens am 17. Dezember dennoch gescheitert zu sein, lassen sich Unrechtsbewußtsein und Angst der zu »Schüblingen« degradierten Zivilgefangenen schließlich nicht mit ein paar Zugeständnissen beiseite räumen und versehen doch neben den Staatsdienern auch etliche Beschäftigte der WAKO (»Wachkommando«) - einer privaten »Sicherheitsfirma« - ihren Dienst in Glasmoor.

Proteste in der Folgezeit

Während mittlerweile mindestens einer der an der Revolte vom 17. Dezember beteiligten kurdischen Männer abgeschoben worden ist und ein weiterer Betroffener seine Abschiebung nur durch heftige Gegenwehr auf dem Flughafen zumindest mittelbar verhindern konnte, demonstrierten am 29. Dezember rund 40 Menschen überraschend vor dem Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis, wo zu diesem Zeitpunkt noch einige der an der Revolte Beteiligten einsaßen. Erst nach rund einer halben Stunde konnte die Polizei hier Kräfte zusammenziehen und die Kundgebung mittels Drohgebährden sowie nach einer Personalienfeststellung beenden. Am Sylvesterabend indes versammelten sich sogar mehr als 100 Menschen vor der JVA Glasmoor, um zum vierten mal seit Bestehen der dortigen Abschiebehaft unter dem Motto »Knallen gegen Knäste« gegen die deutsche Ausländerpolitik zu demonstrieren. In einer zweistündigen Kundgebung übermittelten die ProtestlerInnen den Gefangenen Grüße und Solidarität in sieben Sprachen und brannten unter den Augen lokaler Polizeikräfte Feuerwerkskörper am Tor des Abschiebetraktes ab. Mag die Duldung der Kundgebung durch die Polizei zunächst erstaunen (vor vier Jahren war ein ähnlicher Versuch an einem massiven Polizeieinsatz gescheitert), erklärt sich dieser Umstand eventuell daraus, dass zur Kundgebungszeit nur wenige Gefangene an die Fenster kamen. Nach Aussage mehrerer Gefangener war vielen Häftlingen zuvor untersagt worden, die Gardinen in den abgedunkelten Zellen aufzuziehen oder gar die Fenster zu öffnen. Auf den Fluren der Abschiebehaft sollen während der Proteste zahlreiche Schließer und Polizeibeamte die Umsetzung dieser Anweisungen überwacht haben. Schon mehrmals in der Vergangenheit hatte die JVA-Leitung dafür gesorgt, dass KundgebungsteilnehmerInnen zu »sensiblen« Zeiten einen zumindest scheinbar leeren Knast vorfanden. Sylvester scheint die Taktik aufgegangen zu sein, denn zumindest diese Kundgebung verpuffte so beinahe unbemerkt.

Achillesferse »Humanität«

Auch im jüngsten Vorgehen gegen einen IG BAU Gewerkschafter - der die Proteste gegen Abschiebehaft seit Jahren journalistisch wie aktiv begleitet und am 6. Dezember eine Hausdurchsuchung samt Beschlagnahme seines Rechners zur Kenntnis nehmen mußte, könnte man eine hektische »Überreaktion« auf sensible Enthüllungen erkennen. Lediglich mit dem Vorwurf der Beleidigung zweier unter anderem in der JVA Glasmoor tätigen Ärzte hatten an jenem Tag vier KriPo-Beamte eine etwa zweistündige Durchsuchung der Privaträume des Betroffenen durchgeführt.

Den beiden Medizinern war zuvor in Artikeln vorgeworfen wurden, in mehreren konkreten Fällen Gefangene in der Abschiebehaft unzureichend behandelt und damit eine gesundheitliche Gefährdung bis hin zur Lebensgefahr der Betroffenen zumindest billigend in Kauf genommen zu haben. Bei den »falsch Verdächtigten« handelt es sich dabei einerseits um den in Norderstedt praktizierenden Internisten und Anstaltsarzt der JVA Glasmoor - Dr. Hans H. Köhler - und den Oberarzt der forensischen Psychiatrie im Klinikum Nord Ochsenzoll, sowie psychiatrischen Gutachter der Hamburger Justizbehörde - Dr. Wolfgang Pinski.

Seit Jahren beklagen sich Abschiebegefangene in der JVA immer wieder über unzureichende gesundheitliche Betreuung. Angefangen bei »schlechtem Essen« mündete die Kritik dabei ein ums andere mal in der Feststellung, bei jedwedem Krankheitsbild eine in den Containern sogenannte »Einheitspille« verabreicht zu bekommen. Bei dieser Einheitspille soll es sich nach weiteren Berichten um ein schlichtes Schmerzmittel handeln, mal »Paracetamol«, mal »Aspirin«. Zudem formierte sich in den letzten Monaten mehr und mehr Protest gegen die Praxis der Hamburger Ausländerbehörde, ÄrztInnen und auch AmtsärztInnen zumindest mittelbar zu unterstellen, ausreisepflichtige MigrantInnen entgegen den Tatsachen krank - ergo: »reiseunfähig« - zu schreiben. Den daraufhin direkt von der Ausländerbehörde angestellten ÄrztInnen sowie weiteren eng mit dem Amt zusammenarbeitenden MedizinerInnen wie Dr. Pinski, wurden in jüngster Zeit von antirassistischen Initiativen »Gefälligkeitsgutachten« und unlautere Behandlungsmethoden vorgeworfen, was zwischenzeitlich sogar zu einem sogenannten »Koalitionskrach« im rot-grünen Hamburger Senat führte, der jedoch mittels kosmetischer Korrekturen beigelegt werden konnte.

Zuletzt stellte am 25. Oktober letzten Jahres die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Susanne Uhl (REGENBOGEN - für eine neue Linke) eine »Schriftliche Kleine Anfrage« an den Hamburger Senat, die sich ausschließlich mit der Person des Dr. Pinski und seinen Arbeitsbereichen wie -methoden befaßte.

Dazu aus einer Presseerklärung der Hamburger Glasmoorgruppe: »Die ganze Zeit nimmt er [ein Gefangener in Glasmoor, die Red.] unter Aufsicht Psychopharmaka, die Dosis wird zwischendurch erhöht. Aber erst nachdem ein behördenunabhängiger Facharzt für psychotherapeutische Medizin - Dr. Volker Friedrich - ihn in der Haft besuchte und ein [Pinski klar widersprechendes] Gutachten erstellte, womit seine Anwältin Alma Diepholt eine einstweilige Verfügung beantragte, wird der Behörde vom Verwaltungsgericht untersagt, ihn abzuschieben. Mehmet G. sitzt im Flugzeug, als er davon erfährt (...). Die Behörde, vertreten durch Herrn Zettler will das Gutachten von dem Psychiater Pinski noch einmal überprüfen lassen, der ihn schon häufiger für immer nur wenige Minuten gesehen hatte und mit den Worten ðwir sehen uns das letzte Mal, Du fliegst in die TürkeiÐ verabschiedete«.

Die Antwort des Senats vom 3. November fiel dabei denkbar dürftig aus. Vor allem die zentralen Fragen nach Umfang und Art der Behandlung wie Begutachtung von Abschiebehäftlingen und der Häufigkeit der Vergabe von Psychopharmaka an »Schüblinge« blieben nahezu unbeantwortet. Die Verantwortlichen werden wissen warum.



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