Freigänger Schill
Resozialisierung in der Bürgerschaft?

Die Inszenierung wird ihm nicht passen und er hält sich in seiner eigenen Rolle für eine glatte Fehlbesetzung die Rede ist von Ronald Schill, suspendierter Amtsrichter und seit dem 18. September vor der 3.Strafkammer des Hamburger Landgerichts angeklagt wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung. Wie schon vor dem Prozeß bot der Angeklagte Schill nach den ersten Verhandlungstagen Wetten auf seinen Freispruch an. Was da selbstsicher zur Schau getragene Siegesgewißheit demonstrieren sollte, ist mittlerweile nur Trotz. Der surfende Jurist und Haiderverschnitt mußte nach dem dritten Verhandlungstag zum ersten Mal zur Kenntnis nehmen, daß eine Verurteilung wegen der ihm vorgeworfenen Delikte nicht mehr außerhalb jeder Möglichkeit steht. Und je deutlich er diese Perspektive realisiert, desto mehr nähert er sich in seiner Rhetorik jenen an, die er so gerne selbst im Gefängnis sieht. Plötzlich ist von »Konstrukten« gegen ihn die Rede, wird über eine »politische Justiz« lamentiert, auf die »höchste politische Kreise« Einfluß nehmen würden. Es ist nicht ohne Komik, daß Schill sich als Opfer einer bürgerlichen Klassenjustiz inszeniert, die er bis vor kurzem selbst prototypisch repräsentierte. Zumal gerade die politischen Ambitionen Schills und die Programmatik seiner neuen Partei lediglich das inhaltliche Substrat seiner bisherigen Urteilsbegründungen darstellt.


Die Anklage gegen Schill - wie ein Kartenhaus ist sie bis jetzt nicht in sich zusammengestürzt. Zur Erinnerung: letztes Jahr im Mai werden zwei Zuschauer eines Schill-Prozeßes wegen angeblich ungebührlichen Verhaltens zu drei Tagen Ordnungshaft verknackt. Obwohl bereits nach einer Stunde eine anwaltliche Beschwerde dagegen vorlag, brauchte Schill 52 Stunden, um diese Beschwerde zu seinem Hauptverhandlungsprotokoll zu heften und diesen Stapel dem Beschwerdegericht über seine Geschäftsstelle zukommen zulassen. Er mußte noch nicht einmal irgendeine schriftliche Stellungnahme zu dieser Beschwerde verfassen oder sonst irgend etwas tun, was ein Berufsrichter nicht in maximal 30 Minuten schaffen könnte. Gegenüber anderen RichterInnen behauptete Schill, er könne die Beschwerde nicht bearbeiten, da die zuständige Protokollantin aus der Sitzung nicht da sei. Die wiederum hat aber tatsächlich einen halben Tag auf Schill gewartet und nachdem die Formalia erledigt waren, wies Schill sie an, die Beschwerde nicht weiterzuleiten, sondern sie in sein Fach zu legen; er würde sich selbst darum kümmern. Hat er ja auch auf seine Art...

Im Zusammenhang mit dem Prozeß kündigte Schill durch seinen Anwalt an, er werde Zeugen benennen, die ihn entlasten werden. Die sollte er schleunigst auftreten lassen, denn bisher ist Richter Gnadenlos mehrheitlich belastet worden. Zwei Journalisten bestätigten, daß Schill ihnen gegenüber deutlich zu verstehen gegeben habe, daß er die Ordnungshaft durch Nichtbearbeitung vollstrecken wolle. Eine Staatsanwältin bescheinigt Schill, daß er schon die Verhängung der Ordnungshaft geradezu provoziert habe. Eine Oberstaatsanwältin gibt zu Protokoll, daß sie klar den Eindruck hatte, daß Schill den Inhaftierten rechtsstaatliche Grundrechte vorenthalten wollte. Im für Schill bis jetzt günstigsten Falle mochten sich Richterkollegen einfach nicht mehr genau erinnern, ob er eigenmächtig das Recht in die Hand genommen hat. Alle scheinen es ihm aber zuzutrauen, denn bisher ist niemand aufgetreten, der diese Möglichkeit bedingungslos ausgeschlossen hätte und für den angeklagten Richterkollegen in die Bresche gesprungen wäre.

Allein die Mehrzahl der bürgerlichen Presse hält bis jetzt dem Angeklagten den Rücken frei. Egal wie belastend einzelne ZeugInnen für Schill sind, in den Springerzeitungen erhält sein Anwalt Wellinghaus großen Raum, sich über die Haltlosigkeit der Anklage zu verbreiten. Augenscheinlich besteht die Taktik Schills und seines Verteidigers darin, den Prozeß nicht mit juristischen Mitteln im Gerichtssaal zu gewinnen, sondern die Schrebergarten-Proschill-Bildfraktion zu mobilisieren und durch den öffentlichen Druck eine Verurteilung zu verhindern. Noch spekuliert die Mehrzahl der Presse darauf, daß ein »Märtyrer Ronald Schill« sich besser verkaufen läßt als das Bild eines Kriminellen in Richterrobe.

Das zuständige Gericht hält sich bisher im Hinblick auf den Ausgang des Verfahrens alle Möglichkeiten offen. Juristisch wird sich eine Verurteilung an der Frage entscheiden, ob Schill ein Vorsatz nachzuweisen sein wird - da bekanntermaßen diese »subjektive Tatseite« unter politischen Vorzeichen bewertet wird, dürfte die Abwägung unter der Frage stehen, ob ein immer noch möglicher Freispruch Schills ihn politisch für den Wahlkampf 2001 nicht stärken würde. Andererseits würde Schill gegen einen Schuldspruch ohnehin bis zum BGH durchklagen, das würde sich bis zu einem rechtskräftigen Schuldspruch einige Zeit hinziehen. Und da selbstverständlich Schill laut dröhnend die Unschuldsvermutung für sich reklamieren wird, müßte ihn ein laufendes Verfahren nicht an einem erfolgreichen Einzug in die Bürgerschaft hindern.

Zur Not kann Schill im Falle einer Verurteilung als Freigänger an den Bürgerschaftssitzungen teilnehmen, die Fraktionssitzungen der P.R.O. könnten dann in Santa-Fu-Knast stattfinden. Da gehören sie sowieso hin.

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