3. antirassistisches Grenzcamp

vom 29.7. - 6.8. 2000 in Forst/ Brandenburg

ìWas mir besonders auff”llt: Man sieht keine L”ndergrenzen. Ich habe schlagartig begriffen, dass die auf Landkarten eingezeichneten Grenzlinien Geburten in den K–pfen von Menschen sind.î

(Ulf Merbold, Astronaut)

 

Einen Ausflug ins All k–nnen wir leider nicht anbieten. Jedoch besteht beim Camp trotzdem die M–glichkeit, sich der oben zitierten Erkenntnis zu vergewissern.

Ein Mensch ¸berquert die Neiþe und es sind keine unsichtbaren M”chte oder Kr”fte, die sein Ankommen in der Bundesrepublik Deutschland verhindern. Diejenigen, die das besorgen, haben Namen und R”nge. Sie sind aus Fleisch und Blut und verstecken sich hinter Pflichterf¸llung sowie nationaler bzw. europ”ischer Verantwortung: BGS. Bundesinnenministerium. Zentrale Ausl”nderaufnahmestelle. Andere vollstrecken den Willen schweigender Mehrheiten, indem sie in der Sprache der Gewalt Menschen anderer Hautfarbe, Nationalit”t oder Weltanschauung angreifen und gelegentlich totschlagen: Deutsche Neonazis und FaschistInnen. Viele tun ihren Teil dazu, indem sie wegsehen und schweigen oder gar die Opfer denunzieren: Deutsche Staatsb¸rgerInnen.

Diese Zusammenballung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und gesellschaftlichem wie staatlichem Verfolgungsinteresse nennen wir das Grenzregime.

Gegen dieses Ensemble bundesrepublikanischen Alltags veranstalten wir erneut ein Camp an der polnisch-deutschen Grenze. Der staatliche Rassismus per Arbeitsverbot, Abschiebung, Internierung, eingeschr”nkter Bewegungsfreiheit und polizeilicher Verd”chtigung wird ebeso Thema sein wie die rassistische Einstellung und Stimmungsmache an Stammtischen und in Wohnstuben.

Das Camp pr¸ft auch das Handlungskonzept ìTolerantes Brandenburgî von der Landesregierung. Wir bieten ein Forum der Kritik f¸r diejenigen, die in diesem Konzept keine Stimme haben oder kein Geh–r finden. Sie sind herzlich eingeladen, mit ihren W¸nschen und Forderungen teilzunehmen. Unser Interesse ist eindeutig:

* Parteinahme f¸r die Interessen von Fl¸chtlingen und Einwander/er/innen.

* Ermutigung, Unterst¸tzung und Zusammenarbeit von und mit Initiativen, die dem rassistischen Straþenterror, schikan–sen Ausl”nderbeh–rdenalltag und der Menschenjagd an der Grenze Einhalt gebieten wollen.

* Eine –ffentliche Kritik der Verh”ltnisse, die solche Zust”nde hervorbringen.

* Die St–rung und Verunsicherung des Grenzregimes.

Auch dieses Jahr wollen wir ein Treffen von Freundinnen und Freunden politischer und kultureller Diskussion und Aktion. Das Zusammenkommen verschiedener pers–nlicher, kultureller und politischer Eigenarten und Erfahrungen ist beabsichtigt. Ein wichtiges Anliegen ist uns die Selbstorganisation der Teilnehmerlnen. Wir erwarten, dass Verantwortung im Campalltag ¸bernommen wird und wir w¸nschen eine freim¸tige Einstellung, die hoffentlich eine ideenreiche Praxis und anregende Begegnungen f–rdert.

Das Camp planen wir als Schauplatz politischer und kultureller Intervention an einer Grenze, die in Europa die Teilhabe am Wohlstand oder die Verurteilung zur Armut markiert.

Beim ersten Mal - 1998 - fand das Camp noch unter dem Kohl-Kabinett statt. Etwaige Hoffnungen auf Ver”nderungen in der Fl¸chtlings- und Einwanderungspolitik durch den Regierungswechsel wurden jedoch umgehend entt”uscht

Die rotgr¸ne Koalition hat in Sachen Abschiebung und Internierung die Linie der CDU/CSU-Innenminister fortgef¸hrt. Die grundlegende Ÿnderung des Staatsb¸rgerschaftsrechtes wurde unter dem Druck der rassistischen Unterschriftenkampagne der CDU kampflos ad acta gelegt. Ðbrig blieb eine windelweiche Modernisierung. Die gegenw”rtige greencard-Debatte l”sst keine prinzipiellen Ÿnderungen im Verh”ltnis zu EinwanderInnen und Fl¸chtlingen erwarten. Als Menschen und PartnerInnen werden sie in dieser Diskussion nicht respektiert, sondern nach ihrer N¸tzlichkeit f¸r die bundesrepublikanische Wirtschaft begutachtet.

Das Land Brandenburg ist Ziel, weil dort sowohl die Brutalit”t rassistischen Alltags als auch das Kalk¸l der Eliten so charakteristisch f¸r die Situation in Deutschland ist. Die Stadt Forst hat 1994 traurige Bekanntheit erlangt, als dort mehrere Fl¸chtlinge in der Neiþe ertranken. Aufschlussreich ist das Handlungskonzept ìTolerantes Brandenburgî der Landesregierung. Sie besitzt die Unverfrorenheit ¸ber Rechtsextremismus sowie Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft zu sprechen und von der staatlichen Verantwortung f¸r rassistische Diskurse, autorit”re Sicherheitsfantasien, Abschiebungen, Internierungen und polizeiliche Aufr¸stung zu schweigen. Des Weiteren kreuzen Einwanderungsrouten nach wie vor die polnisch-deutsche Grenze. Sie kennzeichnet das Gebiet eines Grenzregimes, in dem oben und unten in der Regel eintr”chtig kollaborieren. Zum Beispiel rotteten sich vor einigen Jahren in Forst EinwohnerInnen zu einer B¸rgerwehr zusammen, unterst¸tzt und gebilligt vom Bundesgrenzschutz (BGS). Ðberdies ist die personelle und finanzielle Kooperation des BGS mit der polnischen Grenzpolizei ein Exempel f¸r die Abschottungspolitik der Europ”ischen Union (EU) abseits einer –ffentlichen Diskussion und Einflussnahme.

Das Camp stellt die –ffentliche Ordnung des Grenzregimes grunds”tzlich in Frage. Es ist damit schnell ein politisches Spektakel mit Unterhaltungswert geworden. Ebenso schnell sind dabei die gegenw”rtigen Beschr”nktheiten linker Gesellschaftskritik offenkundig geworden. Ein Merkmal davon ist die ¸berwiegende deutsche Nationalit”t der TeilnehmerInnen. Die Ablehnung des Rassismus in seiner gesellschaftlichen wie staatlichen Auspr”gung tragen wir zwar mit groþer Verve vor, jedoch ist der politische Wille zur Ver”nderung - und wenn welcher - nur als Aufblitzen sichtbar. Bei unseren beiden Camps haben wir feststellen k–nnen, dass nicht viele Menschen Fl¸chtlingen und EinwanderInnen Hilfe gew”hren oder ihnen beistehen. Ebenso wenig gibt es die Bereitschaft, die Befugnisse des BGS zu kritisieren. Selten gibt es Menschen, die Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe die gleichen Rechte zugestehen, wie sie sie selbst in Anspruch nehmen. Wir sagen, Rassismus ist ein Problem von uns - der deutschen Mehrheitsgesellschaft. In ihr sind wir Opposition und unsere krasse Minderheitenposition ist ein Motiv f¸r den Wunsch und die Suche nach Verb¸ndeten. Einerseits sind wir gepr”gt von rassistischen Stereotypen aus Erziehung und Alltag sowie Profiteure dieser Ordnung. Andererseits sind wir entschlossen, Rassismus weder als naturgegeben noch gesellschaftlich unver”nderlich hinzunehmen. Die Fluchten in diverse gesellschaftliche Nischen - egal ob subkulturell, feministisch, autonom begr¸ndet - sind keine politische Antwort auf den rassistischen Angriff der Mehrheitsgesellschaft. Sie sind ebenso kaum Hilfe zum Ðberleben f¸r die Angegriffenen. Diese Hilfe zu organisieren, eine Gegen–ffentlichkeit zu verst”rken, braucht die Zusammenarbeit der verschiedensten Anstrengungen f¸r offene Grenzen und gleiche politische und soziale Rechte. Daf¸r soll das Camp ein Forum sein und Kr”fteverh”ltnisse ”ndern.

In diesem Rahmen muten wir den lokalen Autorit”ten, der Bev–lkerung, dem BGS und den Institutionen von Wirtschaft und Politik erneut freches Auftreten, fantastische Forderungen und utopische Vorstellungen zu. Die heimeligen Natur- und Kleinb¸rgerInnenidyllen werden wir auf ihren barbarischen Gehalt samt der stillschweigenden Duldung und Verharmlosung abklopfen. Wir warten fieberhaft auf die Erkl”rung, warum in Gegenden, in denen kaum Menschen anderer Nationalit”t oder Hautfarbe leben, diese schuld sein sollen an Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Wir werden klarstellen, dass auch in den Gegenden, wo sie leben, die Verantwortung bei anderen liegt.

Unser Kapital werden harte Fakten und der Fundus des linken Anti-Establishment sein. Sachliche Aufkl”rung korrespondiert mit hinterh”ltigem Schabernack. Die Campzeitung wird per Webjournal aller Welt zug”nglich sein und dort ist auch das Geschehen vor Ort zu verfolgen. Video- und Fotok¸nstlerInnen dokumentieren Szenen, die jeder Beschreibung spotten. RadiopiratInnen attackieren die Lufthoheit des –ffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunks im Ÿther. Menschenaufl”ufe blockieren Straþen, definieren den –ffentlichen Verkehr neu und enth¸llen den ganz eigenen Charme absurder Begegnungen. AktivistInnen schrecken vor keinem Experiment zur¸ck, Vorurteile bloþzustellen. PolitstrategInnen nutzen jede Taktik, um dem BGS das Leben schwer zu machen. Und zu guter Letzt sind wir uns nicht zu schade, unseren eigenen M¸ll wegzur”umen, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.

See ya.

die Camporganisation

 

Gleiche Rechte f¸r Fl¸chtlinge und Einwander/er/innen !

Offene Grenzen !

Ende der Abschiebungen !

F¸r Fluchthilfe !

 

Kontakt: c/o FFM, Stichwort: Grenzcamp 2000, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin,

Email: FFM@snafu.de

http://www.nadir.org/camp00



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