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Der Kurdistan-Konflikt und neue Bündnisse im Nahen Osten

Die Kurden sind mit etwa 30 Millionen die drittgrößte Nation im Nahen Osten. Sie haben aber nie über längere Zeit hinweg Selbstverwaltung ausüben können. Von allen Staaten, in denen sie leben, werden sie verfolgt. Mit der Errichtung der "Schutzzone" durch die Alliierten 1991 schien es kurz, dem Ziel etwas näher gekommen zu sein. Im Frühjahr 1992 wurden in Südkurdistan die ersten "freien" Wahlen durchgeführt, wobei die KDP (Demokratische Partei Kurdistans) und die PUK (Patriotische Union Kurdistans) je 50 % der Stimmen bekamen. Damals hatten viele Kurden Hoffnungen auf die neu entstandene Situation gesetzt.
Doch dieses Experiment war zum Scheitern verurteilt, weil keiner der Anrainerstaaten (Türkei, Iran, Syrien) ein Interesse daran hatten, daß in dieser Region ein teilautonomer Kurdenstaat entsteht. Sie fürchten vor allem die Anziehungskraft einer kurdischen Autonomie auf die Kurden in "ihren" Ländern. Die "Schutzzone" wurde nach Ende des zweiten Golfkrieges in regelmäßigen Abständen sowohl von türkischem als auch von iranischem Militär bombardiert, ohne daß sie mit Konsequenzen rechnen mußten. So sehr die Anrainerstaaten Iran, Irak, Türkei und Syrien miteinander verfeindet sein mögen, in einem sind sie einig: Es darf kein starkes autonomes Kurdistan geben. Auch die internationale Staatengemeinschaft hat an einem Kurdenstaat kein Interesse. Die "Schutzzone" dient den Amerikanern lediglich für ihre eigenen Machtinteressen. Daher sind die jetzigen Zustände ein Produkt der internationalen Politik.
Aber auch die Unfähigkeit der beiden rivalisierenden Parteien in Südkurdistan, KDP und PUK, zur Zusammenarbeit ist im Interesse ihrer Feinde. Abwechselnd schwelt und brennt der Bürgerkrieg zwischen diesen beiden Parteien. Die Führung der KDP hat sich zum willigen Werkzeug des türkischen und irakischen Regimes gemacht, die nicht davor zurückschrecken, mit allen Mitteln jede nationalstaatlichen Ansprüche der Kurden im Keim zu ersticken. Die PKK hat sich inzwischen als politische Macht in der Region etabliert. Seit dem letzten "Hilferuf" Barzanis an die Türkei, ist die PKK die "letzte" Hoffnung auch für die Kurden in anderen Teilen Kurdistan geworden.
Nach dem letzen Einmarsch der türkischen Armee hat die Arabische Liga in einer Erklärung die Besetzung scharf verurteilt und den sofortigen Rückzug der türkischen Armee gefordert. "Zur Lösung innenpolitischer Fragen in einem anderen Land Operationen zu starten, kann schwerwiegende Folgen für die Sicherheit der ganzen Region mit sich bringen, heißt es in der Erklärung der Arabischen Liga (15.05.).
Seit dem ersten Golfkrieg gab es abgekühlte Beziehungen zwischen dem Irak und Syrien. Doch in den letzten Monaten gibt es eine Annäherung zwischen diesen beiden arabischen Staaten. Diese Annäherung ist in erster Linie auf eine Serie von Militärabkommen zwischen der Türkei und Israel zurückzuführen. Türkei und Israel haben mittlerweile 20 Militärabkommen abgeschlossen, die von gegenseitigen Besuchen bis hin zur Kooperation im Rüstungsbereich reichen. Für diesen Sommer sind im östlichen Mittelmeer gemeinsame Manöver geplant. Nicht einmal der frühere islamistische Regierungschef Erbakan wollte aus "strategisch-taktischen" Gründen die Zusammenarbeit stoppen.
Die Türkei hat mit dem Abkommen mit Israel einen Graben zwischen sich und seinen Nachbarländern geöffnet. Syrien, Irak und Iran haben vor einem Erstarken Israels in dieser Region Angst und empfinden die israelisch-türkische Zusammenarbeit als Bedrohung. Schon jetzt forschen israelische Piloten bei ihren Übungsflügen in der Türkei elektronisch die Nachbarstaaten aus. Israel ist bei der Modernisierung türkischer Kampfflugzeuge und bei der Ausbildung türkischer Truppen behilflich, was unter anderem die Bekämpfung der PKK-Kämpfer erleichtern soll.
Falls später Jordanien und Ägypten in die Allianz dazukommen, entsteht ein neues, amerikafreundliches Schwergewicht in der Region. Dies wird dann den Spielraum Syriens, des Iraks und Irans massiv einschränken. Das wäre dann das Ende der regionalen Politik unter arabischem Vorzeichen.
Die Herrschenden in der Region müßten längst begriffen haben, daß sie das Kurdenproblem nicht mit militärischer Gewalt lösen können, sondern nur durch eine Änderung ihrer politischen Haltung gegenüber diesem Volk. Die alte Kurdenpolitik der Anrainerstaaten ist an ihre Grenzen gestoßen. Während die Kurdenfrage noch vor einigen Jahren das Problem weniger Länder des Nahen Ostens war, hat er heute eine neue, internationale Dimension erhalten. Diese reicht von Europa bis zum Nahen Osten, von den USA bis nach Rußland. Die regionalen Staaten, insbesondere aber die Türkei werden früher oder später zu einer Abwendung von seiner harten Politik gezwungen.


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