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Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken Teil 5

Entwicklung und Perspektiven der türkischen Linken (Teil 6)

Die sozialistische Revolution ist machbar. Es kommt nur darauf an, damit zu beginnen, und nicht darauf zu warten, daß sie als Frucht sozio-ökonomischer und historischer Prozesse vom Baum fällt.
(Botschaft von Che Guevera an die Völker der Welt)

Nach der weltpolitischen Umwälzung Anfang der 90er Jahre änderten sich die Perspektiven für die verschiedenen Richtungen aller Linken schlagartig. Der Zusammenbruch des 'sozialistischen Lagers' hatte ohne Zweifel auf internationaler Ebene verheerende Folgen für die revolutionäre Bewegungen. Angesichts des Imperialismus, der sich aggressiver und ausbeuterischer als je zuvor zeigt(e), führte dieser Zusammenbruch zum Gefühl von Leere und Alternativlosigkeit. Der Grund hierfür ist, daß erhebliche Teile der Linken - Osteuropa als ein sicheres "Rückzugsgebiet der Revolution" betrachteten (auch wenn sie oft kritisch gegenüber der Politik des 'Realsozialismus' eingestellt waren).
Für die Schwäche der revolutionären Bewegungen ist jedoch nicht allein der Untergang des Ostblocks verantwortlich, sondern auch einige der Fehlereinschätzungen -entwicklungen und interner Versäumnisse der Linken selbst. Die äußeren Faktoren kommen als weitere bestimmende Momente hinzu. Für Niederlagen (egal welcher Art) gibt es vor allem innere Ursachen. Dazu kommen feindliche Kräfte von außen, die die Bewegung schwächen.
Die Linke muß ausgehend von der gegebenen Lage über ihre Zukunft neu nachdenken und kreative neue Vorschläge entwickeln. Es ist notwendig, die Ursachen für diese Situation genau zu untersuchen. Wenn wir diese Gründe richtig betrachten und sie zu analysieren verstehen, gibt es kein Hindernis, sie zu überwinden.
Was ist heute zu tun?

Nach dem Zusammenbruch des 'Realsozialismus' ist die Linke nicht nur in eine schwere Legitimationskrise geraten, sie hat vielerort auch den Mut verloren, über den status quo des scheinbar siegreichen Kapitalismus hinauszudenken und konkrete Vorschläge zu formulieren.
Bei jedem Handeln muß die Revolutionäre Bewegung folgende Punkte berücksichtigen: erstens- der Aufbau des Sozialismus steht gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung, zweitens- die Revolution ist nicht am Horizont zu sehen. Übertreibungen sollten vermieden werden. Es gibt gewisse "revolutionäre" Kreise, die tun so, als ob die Revolution kurz bevor stünde.
Neue Bedingungen machen neue Kampfformen und die entsprechenden Organisationsformen notwendig. Die Linke aber agiert bis heute noch, ohne wahrzunehmen, daß die Türkei und die Welt sich seit Jahren änderten.
Die Linie muß sich von der bisher üblichen Art des Politikmachens verabschieden. Sowohl die Arbeitsmethoden als auch die Organisationsformen der Revolutionären Bewegung müssen sich ändern, damit sie sich (wieder) behaupten kann. Die Bürokratisierung, das Fehlen von innerorganisatorischer Demokratie und die Oberflächlichkeit vieler ideologischer Debatten haben die Linke geschwächt. Dagegen ist die gegnerische Kraft sehr gut organisiert. Die Konsequenz, die aber die Linke daraus zieht, ist genau das Gegenteil zu tun: sie lehnt Organisierung, Disziplin und Ordnung ab. Wenn die Bourgeoisie so gut organisiert ist, die revolutionären Kräfte dagegen so unorganisiert, dann kann nicht mehr als Nichts dabei rauskommen und schon keine Alternative.
Die schärfste Waffe des Konservatismus ist den Menschen zu zeigen, daß es keine Alternative zum bestehenden System gebe, daß das Ende der Geschichte gekommen sei und daß jede Hoffnung lediglich eine Selbsttäuschung sei. Deshalb ist es wichtiger denn je, Kritik am gegenwärtigen Zustand zu üben und davon ausgehend etwas substantielles anzubieten. Die Linke muß heute als Alternative zur Entwicklung des Kapitalismus gesellschaftspolitische Alternativen aufzeigen. Sie muß für eine Alternative Politik Konzepte haben und Stellung nehmen zu allen politischen Schlüsselfragen: zu sozialen Themen, zur ökologischen Frage, zu kulturellen Themen. Bisher hat sie aber wenig zu bieten. Wenn die revolutionären Kräfte keine Antwort auf die Erwartungen und Hoffnungen der überwiegenden Mehrheit der Menschen geben, werden sie auch keine Überlebenschance haben.
Die Linke begeht einen äußerst schwerwiegenden Fehler, wenn sie weiterhin auf die plötzlich auftretenden Veränderungen keine Antworten gibt. Man kann die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mit den Thesen der sechziger und siebziger Jahre bestehen.
Die Linke hat viele Tagesordnungspunkte abzuarbeiten. Es beginnt damit, sich selbst weiterzubilden, die aktuelle Debatten in anderen Ländern wahrzunehmen. Da gilt auch für die richtige Analyse des „eigenen" Landes.
Ein weiteres Problem der türkischen Linken ist, daß sie zu viele "Lenins" hat, aber kaum welche die die Alltagsarbeit verrichten. Mehr Bescheidenheit und Basisanbindung, mehr Teamarbeit sind erforderlich.
Sie muß die Vergangenheit genau und kritisch analysieren. Sie muß ihre Fehler korrigieren.
Seit dem Militärputsch von 1980 ist für die revolutionäre Organisationen viel schwerer geworden, die Massen zu erreichen und zu organisieren. Das stellt natürlich ein großes Problem dar. Die herrschenden haben alles getan und werden weiter alles tun, um die Organisierung der Bevölkerung zu verhindern. Die Zerstrittenheit der Linken macht es zudem den Herrschenden noch einfacher, das unmenschliche System weiter am Leben zu halten.
Heute herrscht in der Türkei ein parlamentarischer Faschismus. Beim Vorgehen macht sie keine Unterschiede zwischen den einzelnen fortschrittlichen Gruppen. Unter solchen Bedingungen ist die erste revolutionäre Pflicht, die Einheit und Solidarität unter den fortschrittlichen Kräften zu verwirklichen. Der faschistische Terror in den Gefängnissen lehrte den politischen Gefangenen, gemeinsam Widerstand zu leisten. Sie leisteten (und leisten) Schulter an Schulter Widerstand. Die Linken draußen müssen ihrem Beispiel der Solidarität folgen. Die Kraft des Feindes liegt in der Unorganisiertheit und der Uneinigkeit der revolutionären Kräfte. Die gegnerischen Kräfte jedoch agieren in so einer engen Zusammenarbeit untereinander, stellen sich einer Organisierung und jedem Kampf der sich irgendwo entwickelt, gemeinsam entgegen. Sie unternehmen alles, was ihnen nur möglich ist, um diesen Kampf zu verhindern und zu unterdrücken.
Trotz der Spaltung in ihren Reihen, stellt die Revolutionäre Bewegung der Türkei eine Gesamtheit dar. Es besteht wichtiger denn je die Notwendigkeit, eine stabile und 'Vereinigte Revolutionäre Linke' aufzubauen. Eine geeinte Alternative aufbauen, die die Gesamtheit der revolutionären linken Kräfte zusammenbringen sollte. Es kann sich dabei um einen festen Zusammenschluß (Front) von Organisationen handeln. Auch wenn sie aus verschiedenen ideologischen Denkrichtungen kommen, müssen sie sich auf eine Reihe grundlegender und strategisch bedeutsamer Abkommen einigen. Man sollte eine einheitliche Bewegung bilden und nicht wie bisher etwa meinen, daß eine einzelne Bewegung im Besitz des historischen Bewußtseins der Werktätigen sei. Die Geschichte der Revolutionären Bewegung der Türkei hat gezeigt, daß keine der revolutionären Kräfte in der Lage war (und ist), sich als die einzige Kraft zu behaupten.
Intoleranz und Sektierertum waren ebenso die Folge wie Tatsache, daß Differenzen innerhalb der Linken immer als antagonistisch betrachtet wurden und immer in Brüchen oder Spaltungen endeten. Jede der revolutionären Organisation glaubt bis heute, alle Erfolge seien ihr, und alle Mißerfolge den anderen zuzuschreiben. Verglichen mit früher, haben wir bessere Chancen, die Einheit innerhalb unserer eigenen Reihen zu verwirklichen. Trotz der Defizite und Schwierigkeiten sind subjektive Potenzen vorhanden, die sich dieser schwierigen Aufgabe annehmen können.
Bei jeder Auseinandersetzung müssen wir berücksichtigen, daß die, die wir kritisieren, in den meisten Fällen unsere Kampfgefährten sind. Der Kampf kann nicht zum Sieg geführt werden, wenn sich nicht alle demokratischen Gruppen in der Gesellschaft zu einer einzigen demokratischen Front vereinigen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen bedeutet das die Einheit aller gesunden Elemente der Revolutionären Bewegung der Türkei in einer Organisation. Das kann nur geschehen, wenn man sektiererische Tendenzen in den eigenen Reihen bekämpft. Auf dieser Grundlage sollten sie gemeinsam handeln. Dies ist eine der Möglichkeiten, um aus der Isolation herauskommen und eine bedeutende Kraft zu werden.
Die Hauptverantwortung dafür, diese zu organisieren, liegt auf den Schultern all der konstruktiven Elemente, die bis heute in den verschiedenen Gruppen der türkischen Linken zersplittert sind, die aber nichtsdestoweniger einen unerläßlichen Teil der revolutionären Bewegung der Türkei bilden. Es ist die Aufgabe und die Verantwortung gegenüber den Unterdrückten, gegen das Regime, auf allen Ebenen und in allen Formen die Solidarität und den gemeinsamen Kampf zu entwickeln. Dies wäre ein Ausweg aus dem gegenwärtigen Dilemma.
In der Türkei, wo eine unter einem zivilen Mantel verhüllte "Militärdemokratie" herrscht, darf sich die Linke nicht nur als der Ausdruck einer einzigen Klasse betrachten, darf sich nicht von den übrigen Klassen der Gesellschaft isolieren. Sie muß einen Pol darstellen, um den sich Kräfte summieren (gruppieren).
Man muß weiterhin ein klares Verständnis davon haben, daß importierte Rezepte betreffs Organisation, Taktik und Kampfmethoden in der Türkei (wie auch auf der übrigen Welt) keine Gültigkeit haben. Die Revolutionäre Bewegung der Türkei muß ihre eigene Diagnose stellen und ihre eigene Medizin finden und sie schlucken.
Die türkische "Militärdemokratie" erhält ihre hauptsächliche Kraft nicht im inneren, sondern von außen. Deshalb muß die internationale Solidarität und Zusammenarbeit verstärkt werden. Da zudem auch die kapitalistische Wirtschaft heute globalisiert ist, müssen auch die Gegenbewegungen auf der entsprechenden Ebene zusammenarbeiten (Allianzen). Gerade in einer Zeit wie heute, in der die gegnerischen Kräfte so leicht agieren können, muß die internationale Solidarität, die internationale Diskussion zwischen den Gruppen und Organisationen, die antiimperialistisch und antifaschistisch sind, entwickelt und gestärkt werden. Das ist einfach notwendig.
Die Revolutionäre Bewegung der Türkei muß den Widerstand in Kurdistan richtig analysieren. Ein Teil der Revolutionären Bewegung der Türkei begegnet dem Widerstand in Kurdistan immer noch mit Vorurteilen und Mißtrauen wie vor und in den 80er Jahren. Anstatt von dieser Bewegung (auch) zu lernen, wird sie unangemessen kritisiert, was den Weg der Revolutionären Bewegung der Türkei versperrt. Von diesem Widerstand kann die Revolutionäre Bewegung der Türkei wichtige Lehren ziehen. Hinter diesem Verständnismangel steckt die einsichtige und eingeengte Betrachtungsweise der Befreiungsbewegung. Ein Teil der Linken hat sich von dieser schlechten Tradition immer noch nicht ganz distanziert.
Ein ernstes aber bisher nicht besonders beachtetes Problem stellt das Eindringen von Agenten und Provokateuren in revolutionäre Kreise dar. Es steht fest, daß Agenten und Provokateure viel leichter in Zirkel eindringen, in denen extrem-linke Phrasen Mode sind, und wo diejenigen, die die verwegensten Reden und Vorschläge machen, als die besten Revolutionäre betrachtet werden. Maurice Duverger, ein französicher Schriftsteller der Linken Mitte, der unter bestimmten Bedingungen den Einfluß der "extremen Linken" akzeptierte, sagte in den 60er Jahren folgendes:
"Ihre guten Absichten verhindern das Eindringen von Polizeiagenten in ihre Reihen nicht. Ein Polizeipräfekt hat gesagt, daß der Anteil von Spionen und Provokateuren in solchen 'linken' Gruppen bei zehn Prozent liegt. Er mag geprahlt haben, aber das ändert nichts. Niemand bezweifelt, daß die Regierung auf diese Art (mit Hilfe von Agenten) die Teile der Linken in die gewünschte Richtung lenken kann, die für einen solchen Einfluß besonders anfällig sind, wie z.B. im Universitätsbereich. (...)"
Tatsächlich lag und liegt hier eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Es müssen deshalb Schutzmechanismen geschaffen werden, die das Eindringen solcher Kreise in die Bewegung zumindest erschweren. Bisher gilt dieses Thema als tabu. Gerade im Ausland hat der türkische Geheimdienst leichtes Spiel, um Spitzel und Provokateure in revolutionäre türkisch/kurdische Organisationen einzuschleusen. Der türkische Staat hat im Ausland ein gut funktionierendes Spitzel- und Denunziationssystem aufgebaut, über das türkische Behörden mit Informationen bzgl. politischer Aktivitäten linker türkisch/kurdischer Organisationen versorgt werden. Abgesehen von den zahlreichen freiwilligen Helfern, insbesondere Rechtsradikaler und Islamisten, deren sich die türkischen Konsulate bedienen, werben sie Spitzel und Provokateure häufig mit Hilfe von Pressionen oder Vergünstigungen aus links-revolutionären Kreisen an. In einer Zeit, in der alle Organisationen an Nachwuchsmangel leiden, haben es die staatlichen Stellen einfacher denn je, Spitzel und Provokateure in die Organisationen einzuschleusen.
Wenn die Linke wirklich eine Alternative sein will, reicht es, sich nicht selbst etwas vorzumachen, reicht es, die Realität zu erkennen wie sie ist und vom Kampf nicht abzulassen. Dann gibt es nichts, was sie nicht schaffen könnte.


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