Timur und sein Trupp: Interim 481/Sommer 1999 [ zurück ]

"kein mensch ist illegal" und das Problem des großen JA

Es ist nicht mehr lang hin bis zum Sommercamp der Kampagne "kein mensch ist illegal" im Zittauer Gebirge. Trotz dem weitgehend unsichtbar erscheinenden Grenzregime ist es dort wunderschön; das gut gekühlte Schwarzbier an den Imbißständen schmeckt lecker; die anderen Touristen sind auch irgendwie nett, und überhaupt werden wir da ganz sicher einen Haufen Freunde und Freundinnen treffen. Oh ja, da schwimmen wir alle erst mal in einem riesig großen "Ja". Ja zu allem, ja zu Urlaub, ja zu Fun , ja eben: Wer könnte auch zum Slogan "kein mensch ist illegal" öffentlich "Nein" sagen. Er stammt immerhin von jemandem, dem die eigene grausige Erfahrung in diesem Jahrhundert sehr viel Recht gibt, nämlich von dem Auschwitzüberlebenden, Antirassisten, Friedensnobelpreisträger, Freund des Staates Israel und Dichter Elie Wiesel: "Ihr sollt wissen", schrieb er, "daß kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?" Ist das nicht eine schöne Sache? "kein mensch ist illegal" ist so wahr und schön wie der erste Satz des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Und noch nicht einmal ein gewiefter Bundesgrenzschutzoberbulle würde diesen beiden Sätzen widersprechen. Denn auch für eine solche Charaktermaske sind es nicht die Menschen, die illegal sind. Lediglich deren Handlungen sind illegal, z. B. strafbarer Grenzübertritt ohne Konzession und Reisedokumente; deshalb unternimmt der BGS auch einige Anstrengungen dafür, Migranten und Flüchtlinge mit einem als legal bezeichneten Verfahren wieder aus Schengenland herauszukanten. In diesem Sinne hat diese Organisation im Verlauf der 90er Jahre die Abschiebmaschinerie in der BRD ordentlich auf Touren gebracht: Allein am Jahr 1996 wurde die Zahl der Abschiebungen auf über 90.000 hochgeschraubt. Das heißt: Pro Jahr wird also inzwischen in diesem schönen Land eine Zahl von Leuten zunächst vogelfrei gemacht, und dann ab- und weggeräumt, die der Bevölkerung einer mittleren Großstadt gleichkommt.; eine ungeheure Organisations- und Effiziensleistung der deutschen Bürokratie. Ihre Maschinerie läuft wie geschmiert. Für die, die darin exekutieren, ist diese Praxis inzwischen wohl "das normalste von der Welt". Dennoch eröffnet der Widerspruch zwischen den ‘Härten’ dieser normalen staatlichen Praxis auf der einen Seite und etwas was man spontan gewohnt ist, als "Menschenrechte" zu verstehen, auf der anderen Seite immer wieder von neuem den Raum für moralisch unterlegte Solidaritätskampagnen. Darin müssen die UnterstützerInnen in der Öffentlichkeit "Lebensgeschichten" von "guten" aber abschiebungsbedrohten Menschen erzählen, um in der Bürgerpresse ein für die wirklich Bedrohten eins der begehrten "Medienlose" zu ziehen. Denn nur die haben wenigstens eine minimale Aussicht darauf, nicht ganz so schlecht behandelt zu werden wie normalerweise alle anderen. Und angesichts dieser harten Staatspraxis kommen nun ausgerechnet wir mit einem Vers: "Denn ihr sollt wissen, kein mensch ist illegal". Fast zu schön, um tatsächlich wahr zu sein. Aber bitte: Was heißt denn heute ...

Antira-Politik ?...

Die während der Documenta in Kassel, d.h. im Umfeld eines Kulturevents (!), im Sommer des Jahres 1997 aus der Taufe gehobene Kampagne hat von Beginn an als eine Art Button für bereits bestehende unterschiedliche Antira-Aktivitäten fungiert. Manche davon waren eher "politisch" andere eher "karitativ" oder "sozial" ausgerichtet. Allen diesen Projekten der unterschiedlichsten Qualität und Alltagsintensität ist eigen, daß sie vorher weder über eine gemeinsame politische Antira-Strategie geschweige denn diesbezügliche Taktik verfügt haben. Insofern hätte dieser auf dem zweiten Blick und beim drittem Nachdenken ungeheuer attraktiv wirkende Slogan zwischen den Initiativen tatsächlich einen nicht bloß formalen Zusammenhang stiften können. Er hätte auch zum Focus für eine neue politische Diskussion über den Standort und die Perspektiven eines politischen Antirassismus in der Metropole werden können. Soweit wir aber die Camp-Vorbereitungstreffen haben beobachten können, ist genau das (noch) nicht geschehen. Noch einmal der Umstand, daß die schöne "kein mensch ist illegal-Aussage für sich weder Kritik, Provokation noch Konfrontation enthält, wurde bislang problematisiert. Denn dreht man diese Aussage einfach um, dann heißt sie: "Alle Menschen sind legal." Das wäre wiederum nur eine andere Beschreibung dafür, daß der Zustand der Legalität auf alle ausgedehnt werden soll. Ist nicht genau der Weltstaat, in dem alle einer Art Weltgesetz unterworfen sein sollen? Da reiben wir uns heftig die Augen, denn, die "Assoziation der Freien und Gleichen" wäre das bestimmt nicht.

Das Camp bei Zittau findet zu keinem guten Zeitpunkt statt: (Nicht nur) Antira-AktivistInnen sind mit einer Situation konfrontiert, in der das ursprünglich geplante doppelte Staatsbürgerschaftsmodell ohne nennenswerten Widerstände durch die rassistische Unterschriftenkampagne der CDU/CSU hinweggefegt worden ist. In den "befreiten braunen Zonen" des Ostens sind "anders aussehende" Leute für die Nazis und Rassisten so gut wie vorgelfrei; und die Grüne Staatsbürgerpartei an der Regierungsmacht zieht nicht nur in den Kosovo-Menschenrechts-Krieg, sondern entzieht demzufolge auch in genau diesem Zusammenhang vielen Antira-Initiativen jedwede Unterstützung, oder kriminalisiert sie sogar - wie geschehen bei der jüngsten Besetzung des Grünen-Büros in Köln.

Demgegenüber ist eine politische Antira-Strategie, die moralisch an die Gesellschaft oder die staatlichen Behörden appelliert und sich dabei auf die Menschenrechte beruft, zunehmend in die Defensive geraten. Und zwar dadurch, daß rechtsstaatliche Verfahrens- und Sozialhilfegarantien, die auch einmal für MigrantInnen und Flüchtlinge existiert haben, immer weiter abgeräumt werden. Und diese staatlich unterstützte Entrechtung der MigrantInnen und Flüchtlinge frißt sich quer durch die "Gesellschaft fort. Folgerichtig sind dann auch schon (deutsche) Taxifahrer für die Ausübung ihrer normalen Berufspraxis in die staatliche Repressionsmühlen und von dort aus in den Knast geraten. Und niemand hat ernsthafte Zweifel daran, daß dieser Prozeß des staatlichen Einkassierens von Rechten bald weitere "arm Gemachte" erfaßt, das Herausschieben bestimmter Menschen aus dem öffentlichen Raum ist einer von vielen Anfängen. Und wo sich die Verfassung nicht mehr gegen das politische Herrschaftssystem ausspielen läßt, klingt das im Namen von Verfassungsnormen ausgesprochene "NEIN" der Antira-Politik" einfach wie ein Gedicht, eben: "kein mensch ist illegal!"

... und was "keine Störung ist illegal" damit zu tun haben könnte

Wenn sich die Camp-AktivistInnen bislang auf etwas verstanden haben, dann war es ein aktionistischer Pragmatismus, in dem die Postmodernisten, Autonomen, Antirassisten, Antifas und Femistinnen politischen Auseinandersetzungen und damit einander aus dem Weg gegangen sind. Dabei ist es nicht ohne Ironie, das selbst für die Leute in der Campvorbereitung, die aus einer politischen Tradition kommen, deren Slogan eher "legal - illegal - scheißegal" hieß, keine Irritation von der schönen Parole "kein mensch ist illegal" auszugehen scheint. Diese Parole ist offenbar so schön, daß das große "Ja", das ihr Klang hervorruft, alle Antira-Camp-Katzen in goldenes Licht taucht, so daß die politischen Unterschiede gar nicht mehr sichtbar zu sein scheinen. Und die auf den ersten Blick verflucht professionell brummende Orga-Maschine tut das übrige. Sie verspricht, daß dieses Camp, wie das 98´er auch, "ein Erfolg" wird. Und an "Erfolgen" wollen in dieser Gesellschaft viele beteiligt sein. Sind das nicht verheißungsvolle Aussichten: Goldenes Parolenlicht, eine summende Orgamaschine und schließlich das Gemeinschaftserlebnis bei Aktionen und beim Zelten im Wald?

Hoffentlich lassen sich die Campistas mit dem erwünschten Provokationseffekt gegenüber der Bevölkerung nicht in die perspektivlosen Identitätsidiotien des "Wir gut" gegen "Die doof" treiben. Und dann wäre da noch die Anstrengung, nicht alles in dem großen sprachlosen "JA" untereinander absaufen zu lassen. Gegen alle Harmoniesucht und gegen das nur zu plausible kleinbürgerliche Ordnungsregime wäre auf dem Camp die Gelegenheit beim Schopfe zu packen, für eine "gute Politik" für das 21. Jahrhundert "zu philosophieren.". In diesem Sinne, nur Mut zur Lücke in Lückendorf bei Zittau mit der Parole: "Keine Störung ist illegal.". Zum einen entspricht das unserem politischen Selbstverständnis, zum anderen sind wir aus der Sicht des BGS und großer Teile der rassistischen Bevölkerung genau das, was z.B. Flüchtlinge in ihren Augen auch sind: Störer. Und wir sollten diese repressive Zuschreibung annehmen, anstatt zu versuchen, ihr auf freundliche "kein-mensch-ist-doch-illegal!" Art zu entkommen. Das wäre dann gegenüber den herrschenden Verhältnissen kein gedanklicher Flucht- oder Legalisierungs- und damit Einordnungswunsch mehr, sondern ein politisches Kampfprogramm. Keine Grenze ist für immer! Dem Rassismus und den Rassisten auf die dreckigen Finger!

Timur und sein Trupp

Interim 481/Sommer 1999