Timur und sein Trupp: Interim 568 vom 22.3.2003 [ zurück ]

Der Krieg soll nur noch 48 Jahre dauern

Seit dem 11. September 2001 werden durch die Chefs der Welt in einer ganzen Reihe von Inszenierungen die politischen Koordinaten auf dem Globus ziemlich groß gezogen. US-Vizepräsident Cheney, der im Unterschied zu dem Trottel George W. Bush der eigentliche Kommandant im Weißen Haus ist, hat schon kurz nach den Anschlägen verlauten lassen, das der nun von der US-Regierung erklärte Krieg gegen den Terror "ungefähr 50 Jahre dauern" werde. Wir selber sind nach dem 11.9.01 auf viele Gedanken gekommen, darauf aber überhaupt nicht, was wohl unsere Naivität illustriert. Wenn die Aussage von Cheney stimmt, und der ist leider kein Irgendwer, dann müssen wir heute davon ausgehen, das von jenen aussichtsreichen 50 Jahren des Anti-Terror Krieges gerade mal eineinhalb Jahre herum sind. Und es lohnt sich in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, das Cheney eine Zielliste von bis zu 60 Staaten genannt hat, die in den nächsten Jahren unter Umständen das Glück geniessen sollen, in den Bereich militärischer Maßnahmen der Yankee-Regierung zu geraten. Aus deren Perspektive eines jahrzehntelang anhaltenden Kriegszustandes bleibt also noch einiges an sehr mörderischen Dingen zu unternehmen. Dabei ist der auf Dauer angelegte Krieg für die aktuell in Washington herrschende Clique ein ganz wundervolles Mittel, die eigene Gesellschaft permanent zu den eigenen Bedingungen zu mobilisieren und in den eisernen Würgegriff zu nehmen.

Bislang wurden wir in diesem Zusammenhang Zeugen eines großen militärischen Sieges der US-Streitkräfte in Afghanistan, für den diese aber eigentümlicherweise doppelt so lange brauchten, als die Rote Armee zur Jahreswende 1979/80. Und die siegte dort bekanntlich ungefähr 10 Jahre so lange vor sich hin, bis sie dann Ende 1988 mit rund 100.000 Toten das Land geschlagen verlassen musste. Als nächstes steht nun für die US-Regierung der Staat Irak mitsamt seinem ehemals verbündeten Diktator plus Armutsbevölkerung auf der Abschussliste. Hier geht es ganz selbstverständlich in dem vom Weißen Haus seit Frühherbst letzten Jahres choreographierten Drehbuch sicher auch deshalb "um Öl", weil es dem global exklusiven westlich-kapitalistischen Industriemodell Zeit seines Bestehens immer auch "um Öl" gehen muß. Diese bei näherer Überlegung beunruhigende Binse erscheint aber für die Dramatik der aktuellen Lage nicht von unmittelbar ausschlaggebender Bedeutung zu sein.

Durch den geplanten Präventivkrieg soll nicht nur die ansonsten unproduktiv herumstehende mit astronomischen Mitteln hoch getunte US-Militärmaschine erneut in Wert gesetzt werden. Immerhin pumpt die Yankee-Regierung zwischenzeitlich mit einem Drittel des gesamten Staatshaushaltes soviel in die Rüstung, wie die von uns zwischenzeitlich schmerzlich vermisste Sowjetunion kurz vor ihrem Kollaps. Der in Washington regierenden Clique geht um nicht weniger als um einen fundamentalen Umsturz des nach dem zweiten Welt­krieg im System der UNO errichteten Staatensystems. Wer die Souveränität der Entscheidung über Krieg und Frieden auf der Welt beanspruchen kann, der kann darauf rechnen, in Zukunft allen anderen die Spielregeln zu diktieren. Diese Clique, die ihre durch nichts gebremste Aggressivität bereits durch ihren mit Betrug errun­genen Wahlsieg vor zwei Jahren überzeugend unter Beweis gestellt hat, glaubt derzeit davon ausgehen zu können, unmittelbar von niemanden auf der Welt im Zaum gehalten zu werden. Insofern, so steht begründet zu vermuten, vollzieht sich der unmittelbare Entscheidungsprozess zum heißen Krieg aus der Perspektive jener Handvoll Politiker, Militärs und Berater in Washington, die als zum Teil noch aus den 60er und 70er Jahren stammende Kalte Krieger den Sieg über die Sowjetunion kalt kalkuliert haben, in einem Zustand, der als eine Art Hybris der Macht bezeichnet werden kann.

Wie wird die Welt in einigen Jahren aussehen?

Es fehlt gerade an jeglicher Phantasie uns vorzustellen, wie die Welt, die gerade aus den Fugen gerät, in schon naher Zukunft aussieht. Immerhin lehrt ein Blick in die Geschichte, dass aberwitzige Macht ohne den Hauch von Gegenmacht schnell vermessen und dumm macht. Die hektischen und beliebigen Argumentationswechsel der Bush-Administration im Zusammenhang der Irak-Debatte im UNO-Sicherheitsrat, die diese erfreulicherweise zunehmend in die diplomatische Isolation getrieben hat, können vielleicht in diesem Sinne gedeutet werden. Hier könnte man durchaus über Strategiewidersprüche der US-Regierungsclique spekulieren, die sich noch nicht ganz dazu entscheiden konnte, ohne auch nur den Hauch irgend einer Legitimation endgültig als offene militärisch alleine durchmarschierende Bande aufzutreten. In einem formalen Sinn lässt sich dabei die militärische Situation mit der in der Auseinandersetzung des faschistischen Deutschlands mit der Sowjetunion ab dem 22. Juni analogisieren: Nicht nur die Planungshorizonte eines siegreich geführten schnellen Krieges durch die bis dato Blitzkriegsgestählten NS-Generäle gingen von ungefähr drei Monaten aus, um die SU vollständig zu unterwerfen und zu versklaven. Mit diesen Annahmen standen diese Banditen nach den ersten siegreich beendeten grossen Kesselschlachten nicht allein. Alle Welt ging Ende September 1941 davon aus, dass der Roten Armee bereits von den deutschen Faschisten das Genick gebrochen und damit das Ende dieses Blitzkrieges in greifbare Nähe gerückt und damit ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Weltmacht zurück gelegt worden sei. Nun, wir könnten jetzt gar nicht diese Zeilen schreiben, wenn es glücklicherweise nicht alles ganz anders gekommen wäre. Und überhaupt ist man geneigt, den damals ziemlich realistisch aussehenden grauenhaften deutschen Griff zur Weltmacht heute unbekümmert als "größenwahnsinnig" abzubuchen, dessen Scheitern im Grunde vorprogrammiert war. Es gehört mittlerweile zur Religion der herrschenden Verhältnisse auch nur den Anschein einer Gleichsetzung der Bush-Bande mit den Hitlerfaschisten vermeiden zu müssen. Das wird hiermit getan. Natürlich existieren zu der heutigen politischen Situation auf der Welt zu der Anfang der 40er Jahre in vielerlei Hinsicht wesentliche Unterschiede. Mit der hier skizzierten Analogie sollte es auch nur um die Illustration gehen, wie schnell und gründlich sich vermeintlich realistisch aufgestellte Betrachtungsweisen durch die Radikalisierung aller sozialen Beziehungen - und das meint der Begriff Krieg - in Schall und Rauch auflösen können..

Nacktes Leben

Da wo die Machtkoordinaten auf der Welt - wie oben beschrieben - so groß gezogen werden, müssen wir zunächst einmal um Verständnis dafür bitten, dass es uns als einfachen Bewegungsaktivisten weder emotional noch intellektuell ganz leicht fällt, da mitzuhalten. Es ist nun mal auch in einem auch eminent handlungsbedeutenden sozialpsychologischen Sinne nicht leicht zu verdauen, wenn einem die Chefs der Welt via öffentlicher Pressekonferenzen direkt ins Gesicht sagen, dass ihr Ziel in den aktuellen Kriegen darin besteht eine möglichst große Anzahl von als "Feinden" etikettierten Menschen umzubringen. Auf derartige glaubwürdige Aussagen jener Herren muss man wirklich sehr sensibel und vorsichtig reagieren. Denn wenn man hier nicht ganz genau aufpasst, könnte man mit den entsprechenden tödlichen Konsequenzen ganz schnell selbst gemeint sein.

Seit dem 11. September 01 wird man auch in den westlichen Metropolen zunehmend mit einer sich beschleunigenden Entwicklung konfrontiert, in der der Ausnahmezustand mit dem Normalzustand verschmilzt. Noch scheint der Blick auf die ohne konkrete Beschuldigung noch Anklage im juristischen Nirgendwo bis Irgendwann und Ewig inhaftierten mehreren hundert Gefangenen von Guantanamo weit um die Welt schweifen zu müssen, um dieser Aussage Evidenz zu verleihen. Gerne ist man hier noch bereit die juristisch schon ähnlich gelagerte Realität des Abschiebelagers auf dem Frankfurter Flughafen zu verdrängen, das sich bekanntlich gar nicht auf dem Territorium der Bundesrepublik befindet. Doch wo sollen wir denn nun die jüngste erstmals seit dem Herbst 1977 hier wieder - und das eigentlich ohne jede erkennbare politische Not - öffentlich geführte Folterdiskussion einordnen?

Eine politische Situation in der man zunehmend davon ausgehen muss, nicht nur unmittelbar in einem widerständigen oder gar antagonistischen Sine schwach, sondern in jeder Hinsicht auch rechtlos zu sein, droht einem jedes Quentchen Souveränität und das letzte Rest an garantierter Würde zu rauben. Das das eigene Leben aus der Perspektive der machtvoll global operierenden christlich-islamistischen-religiösen Fanatiker gerade nicht mehr in irgend einer Weise qualifiziert sein soll, löst nicht nur Erschrecken und Anzeichen von Depression aus, sondern macht es nackt. Und daran schließt sich schnell die Tötung an.

Widerspruchspotentiale

Am 15. Februar 03 ist nun eine globale Friedensbewegung von bis zu 10 Millionen Menschen auferstanden. Allein in der BRD potenzierte sich die Friedensbewegung mit mehr als eine halbe Million Teilnehmerinnen im Vergleich zu den zurückhaltenden Protestaktivitäten gegen den Kosovo-Angriffskrieg und der Afghanistan-Kriegsbeteiligung um mehr als das zwanzigfache. Es scheint so zu sein, als formuliert sich derzeit in den Kernschichten der westlichen Wohlstandgesellschaften ein gravierender Widerspruch zu dem auf unabsehbare Zeit proklamierten globalen Kriegsregime. Gegenüber einer unübersehbaren Kette heißer Kriege formuliert sich hier immerhin der Wunsch nach Aufrechterhaltung wenigstens eines beschissen faulen Friedens in den aktuellen ungerechten Verhältnissen.

Dabei birgt diese Bewegung natürlich eine ganze Reihe von weiteren noch völlig ungeklärten Widerspruchspotentialen. Es ist evident, daß der Anti-Kriegsprotest beispielsweise in der BRD ganz im Unterschied zu dem in der USA und in Großbritannien auch deshalb erheblich leichter zu haben ist, weil er sich hier mit einem auch präsenten Wunsch nach nationaler Einordnung im Sinne von "dem Gerd den Rücken zu stärken" verquicken kann. Überhaupt ist die von Schröder auf einer bestimmten, ledig­lich auf diplomatischer und gerade nicht militär-logisti­scher Ebene eingenommene Anti-Irak-Krieg-Position für diesen ein ganz hervorragendes Ablenkungsmanöver für die von ihm geplanten sozialen Angriffe auf die Armen in dieser Gesellschaft. Doch auch wenn dieser Bewegung jeglicher Gedanke die herrschenden Ver­hältnisse hier durcheinander zu bringen völlig fern zu sein scheint, so formuliert sich trotzdem in diesem Aufbegehren gegen das von den Herrschenden der Welt als unausweichlich ja geradezu als normal dargestellte Kriegsregime eine sehr spannende Potentialität. Diese wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass es zunächst einmal als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, das diese Bewegung auf kurz oder lang mit Kräften in dieser Gesellschaft konfrontiert ist, die diese in eine alternative Kriegsbewegung zur Formierung eines auch anti-amerikanisch motivierten eurasischen Militärblockes transformieren wollen. Wahrscheinlich übersteigt sowohl das als auch eine ohnehin ultrakomplizierte Antisemitismusdiskussion zunächst einmal den durch notwendige Naivität begrenzten Horizont vieler Friedensaktivisten. Hanglungspragmatisch sind aber die auch in diesem Zusammenhang selbstverständlich wirkenden Phänomene Antiamerikanismus und Antisemitismus nichts als bloße Nebenwidersprüche gegenüber dem Hauptwiderspruch des global verhängten Kriegsregimes. Und gegenüber dem ist der Wunsch nach der Aufrechterhaltung einer schlechten Mängelverwaltung der herrschenden ungerechten Verhältnisse auf der Welt mit einem wie auch immer faulen Friedensanspruch allemal vorzuziehen.

Trotzdem konfrontiert sich die Friedensbewegung durch ihre schiere Existenz mit dem ansonsten in den herrschenden Verhältnissen der Welt schweigend vorausgesetzten Syndrom ihrer eigenen Überflüssigkeit. Und die operiert mit durchaus unterschiedlichen Gesichtern. Während in diesem Zusammenhang die Überflüssigen der trikontinentalen Massenarmut massakriert werden können, soll gleichzeitig die massenhafte Friedensbewegung hier als "demokratische Kultur" ignoriert werden. Noch ist unklar, wie sich dieses in den Verhältnissen der Welt aufgespeicherte Widerspruchspotential in Bewegung setzen wird, zumal hier niemand daran glauben mag, auch er oder sie würden im Falle eines Bombardements in Bagdad "zerschlagen", um hier einmal einen Gedanken von Rudi Dutschke auf dem Vietnamkongress 68 in der TU Berlin zu variieren. Sicher ist zwischenzeitlich nur, daß ein zentrales Kampfmittel von Ende der 60er Jahre, die Guerilla und die Politik der bewaffneten Gruppen historisch abgedankt hat.

Aber wir kämpfen nicht für die Geschichte, sondern für ein halbwegs glückliches Heute. Und für genau dieses kriegerisch bedrohte Anliegen kämpfen wir, und nicht weil man ein Recht dazu hat, welches von einer Institution konzessioniert wird. Deshalb ist es unbedingt richtig sich als Autonomer nicht zu marginalisieren, sondern sich den kommenden Anti-Kriegs-Protesten dort anzuschließen, wo vor Ort etwas anderes als beispielsweise eine warenförmige Organisierung sichtbar wird. Den Krieg vor der eigenen Haustür zu blockieren, wie es ein Plakat einfordert, ist dafür eine ganz ausgezeichnete und gut begründete Losung.

Auf geht`s zur Besichtigung und Waffeninspektion der Frankfurter Airbase am zweiten Wochenende nach Kriegsbeginn! Für einen Regime­wechsel überall auf der Welt!

Timur und sein Trupp

Interim 568 vom 22.3.2003