Timur und sein Trupp: Interim 342a/1995 [ zurück ]

We 're all punks

In Hangover-Town griff für drei lange Tage das Chaos Platz. In ein paar Titelschlagzeilen der Bürgerpresse lesen wir von dieser oder jener Barrikade, in einem Billig-Supermarkt wurde nach Ladenschluß proletarisch eingekauft, ein paar goldene Automobilkälber sind ausgeglüht und doch soll der Sachschaden bei unter einer Million Deutsch-Maak liegen. Von der Ferne ist es immer schwer eine über die herrschenden Medien transportierte Randale, zu beurteilen. Die Bürgerjournaille hat ja keine Ahnung davon, was bei den Leuten, die diese Randale mit-machen passiert und abgeht. Der schnell jonglierte Pressebegriff der "Punker-Krawalle" schließt ganz sicher nicht aus, daß die Massenzusammensetzung der Randale noch bunter als ein grün-rot-gelb gefärbter Iro-Harrschnitt war. Wer weiß schon, welche Leute und Gruppen in dieser Randale ihre eigenen Karten gespielt haben. Die verflucht hohe Zahl der 1300-Festnahmen läßt aber auch darauf schließen, daß die keineswegs völlig unvorbereiteten Bullen ihren engagierten Anteil an der Randale gehabt haben .

the show is over ...

und das direkt Politische kommt auch in diesem Fall erst einmal in aller Brutalität "von oben": Und zwar in Form eines losgelassenen Bullenapparates von immerhin 3000 Idioten in einer kleinen Provinzstadt. Für die Bullen ist für eine Zeit hohen Medienaufkommens zunächst ein sogenanntes "Deeskalationsprogramm" angesagt , bei dem bereits zu ahnen steht, wie der alltägliche Normalfall für die mit diesem Programm zu Behandelnden ohne die beiden Anfangsbuchstaben "D" und "e" aussieht. Und trotz dieses schönen ausgetüftelten Programms haben sich die Bullen vermutlich wahlweise auf den eigenen Füßen herumgestanden, waren immer zur richtigen Zeit am falschen Ort und umgekehrt, haben sich gegenseitig blockiert, oder haben sich in beliebigen Menschenjägereien unter dem Präzisionsstichwort "Punk" im Stadtgebiet aufgelöst. "Punk", ein Zauberwort für den Sicherheitsapparat, um machen zu können was er will. Über das Radio wird ein "Zutrittsverbot für alle Punker" für das gesamte Stadtgebiet von Hangover verkündet. Was bitte schön ist ein "Punker"; ob das wohl irgendwo im Personalausweis notiert ist? Der Sicherheitsapparat prügelt dem Rechtsstaat eine Gasse, wird terroristisch, schafft diesen ab und erklärt endlich alle die ihm nicht passen zu "Vogelfreien". Endlich können, ohne jede Juristerei, immer so komisch abstrakt erscheinende gesellschaftspolitische Fragen von dem gesunden Menschenverstand der Bullen "praktisch in der Praxis gelöst" werden. Das es dann doch, entgegen allen omnipotenten Bullenwegsperrphantasien, in Hangover-Town da und dort ein wenig gescheppert hat, ist einerseits erfreulich Andererseits muß es den Apparat aber erst Recht in eine gesteigerte Wut versetzen, die er ohnehin zuvor bündelweise, bei zunehmenden Verlust des Unterscheidungsvermögens in einem Zustand der Gesetzlosigkeit - blind exekutiert hat.

What is the political message...

der Chaos-Tage? In einigen Medien wurde doch allen Ernstes den Punks zum Vorwurf gemacht, daß sie ja "überhaupt keine Forderungen" stellen. Ein schöner Spaß die Vorstellung, irgendwann einmal ein paar Punker in der Glotze zu sehen, die einem, treu in die Augen schauend, versichern, daß sie auch nix lieber mögen als einen Ausbildungsplatz, ein Auto, ein Mixer und einen Bausparvertrag ....

Seit es sie gibt, betreiben Punks gegenüber dem Rest dieser anständig sein wollenden Gesellschaft eine provokativ verstandene, radikale Selbstmarginalisierung. Sie machen einfach aus dem normalen knallhart von dieser Gesellschaft betriebenen Ausschluß eine selbstbewußte offensive Haltung. Mit existentialistischen Mut werden öffentliche Plätze einfach besetzt und zuweilen, begleitet von einem demonstrativen Billig-Alk`-Konsum zugemüllt ... "und uns jeht´s jut dabei, eh`". Das wird in diesem Land der vielen volksgemeinschaftenden Anti-Müll- und Grüne-Punkt-Recycling-Bürgerinitiatven als eine ungeheure Zumutung verstanden. Auch wenn Punk als Musikrichtung wahrscheinlich schon lange tot ist, so ist es den Chaostagen in Hangover gerade gegenüber dieser Geld- Hochleistungs- und Anti-Sexualitäts-Sauberkeitskultur des Tecno gelungen, das "Böse" zu besetzen.

Punks sind Ausdruck einer zum Teil sebstzerstörerischen Gegenkultur. Und dieser Begriff meint da wirklich etwas ganz anderes als das Catch-All-Word "Subkultur". Denn die trachtet hauptsächlich danach, wie man es an dem ganzen Tecno-Unsinn ablesen kann, zum Mainstream zu werden, weil dann erst der Rubel so richtig zirkuliert. Auch wenn Punks "unten" sind, so betreiben sie doch keine Politik "von unten"; allerdings auch keine Nicht-Politik" wie die Spießer, sondern schlicht eine Anti-Politik. Nicht nur deshalb ist es mehr als verständlich, das Punks mit der autonomen Polit-Scenerie mit ihren vielen gut erzogenen Benimm-Regel-Kindern und PC-Dribble-Oppression-Freizeit-Theoretikern nicht soviel zu tun haben wollen. Mit Punks "Politik machen"? Ach` was: "Stop making sense!" Schon allein, weil man genau damit, und mit Punks schon gar nicht, keine Kriege führen kann, muß soetwas unbedingt auch auf dem Weg in eine befreite Gesellschaft viel Platz haben. Während sich Teile der herrschende Klasse doch allen Ernstes überlegen, die nächsten "Chaostage" in Hangover zu verbieten, planen andere Kräfte wahrscheinlich ein großes "Anti-Gewalt-Friedensfest". Man weiß gar nicht, über was man sich schon jetzt mehr ärgern soll. (Nicht nur) Das darf man sich alles nicht gefallen lassen. Bei den nächsten Chaostagen, nicht nur in Hangover, wollen wir gerne dabei sein. Das politisch-taktisch antizipierte Chaos erschlägt keineswegs das zu emanzipierende Subjekt und das Anti-Politische durchbricht den begriffslosen Objektivismus der herrschenden Verhältnisse.

Energisch gegen den Normalzustand !

Timur und sein Trupp

Interim 342a/1995