Timur und sein Trupp: Interim 526 Mai 2001 [ zurück ]

(K) ein Ende der Gewalt ...

Was für eine Zeit am Beginn des 21. Jahrhunderts: Ein als Innensenator angestellter ehemaliger Geheimdienstbulle aus dem westdeutschen Biedermeier fängt ein Demonstrationsverbots-Ping-Pong auf der totaldemokratischen Anti-Extremismusfolie an. Weder Nazis noch Autonome sollen am ersten Mai in Berlin demonstrieren dürfen, denn die, so denkt sich das der rheinische Ministerialdirigentendemokrat, sind doch eigentlich "gleich schlimm." Beide vom Demoverbot angegriffenen Seiten klagen vor den Verwaltungsgerichten. Wenig überraschend gewinnt die Nazi-Partei, die autonome Bewegung unterliegt vor Gericht. Denn was ein anständiger deutscher Ober-Verwaltungsrichter ist, der denkt natürlich streng formal und in Systemen juristischer Ordnung: Klar das da die anständigen Nazis von der NPD demonstrieren dürfen, schließlich kämpfen die ja politisch für die Wiedereinführung einer Zeit, in denen in diesem schönen Land bekanntlich mit Hilfe von Konzentrationslagern "Ordnung" auf den Straßen herrschte. Autonome dürfen da natürlich nicht demonstrieren, denn in deren Zusammenhang werden sogar Mülltonnen angegriffen und zuweilen auch mal angesteckt. Und dazu fällt in diesem Land Geheimdienstbullen, Innensenatoren und Ober-Verwaltungsrichtern allemal noch mehr ein, als zu der politisch geltend gemachten übersichtlichen Ordnung von Konzentrationslagern. Denn für letztere hat es bestimmt irgend ein Gesetz gegeben, für das abfackeln von Mülltonnen aber nicht. Das ist dann natürlich "Gewalt". Und für die soll am Ende der Geschichte in der Demokratie kein Platz mehr sein. So wies jener Innensenator den nun schon spätestens seit dem letzten "Antifa-Sommer" vorzüglich mit seinen Bullen kooperierenden NPD-Nazis irgendwo in der Stadt eine Ecke zu. Dort hatten dann die Bullen operativ leichtes Spiel, das öffentliche Bild von der Nazirotte und den Antifa-Gegendemonstranten durch Zulassen und Ingewahrsamsnahmen entsprechend zu choreographieren. Zugleich konnte der Innensenator sich zunächst ganz im Glanz seines gegen die autonome Bewegung juristisch hieb- und stichfest erlassenen Demonstrationsverbotes sonnen. Und so teilte er uns noch über eine Zeitung mit, daß "der Mauerfall, die deutsche Vereinigung, der Regierungsumzug ... Tatsachen (seien), die keine 'rechtsfreien Räume' in Berlin mehr duldeten. Er verstehe auch überhaupt nicht wofür die 'Linksextremisten' eigentlich kämpfen würden. 'Der links-extremistische Block'- der Warschauer Pakt - sei doch zusammengebrochen. Werthebach: 'Die kämpfen gegen die Regierenden. Das ist heute nicht mehr hinnehmbar.'" (Tagesspitzel vom 24.4.001) Das uns ein Ex-Geheimdienstbulle nicht versteht, ist sehr zu begrüßen, aber was das alles mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes zu tun haben soll, versteht man erst mal nicht. Früher sollte man doch nicht demonstrieren, weil man "aus dem Osten kam", heute soll man also nicht mehr demonstrieren, weil es ihn "nicht mehr gibt". Immerhin enthüllt diese Äußerung, daß offenkundig die Existenz des nicht sehr anschaulichen realen Ost-Sozialismus die geheime Geschäftsgrundlage der schönen demokratischen Westfreiheiten gewesen sind. Denkt man die zunächst etwas skurril wirkenden Überlegungen eines Verfassungssenators allerdings zu Ende, so sollen wir nicht nur am Ende der Geschichte stehen, sondern sogar auch am Ende der formalen Fassade der bürgerlichen Demokratie. Denn da ist es wenigstens auf dem Papier noch das gute Recht der Untertanen eben die "Regierung zu bekämpfen", wenn sie denn darauf Lust haben. Und das soll es alles nicht mal mehr auf dem Papier geben, bloß weil das Abfacckeln von Mülltonnen, welches zuweilen Teil eines Kampfes gegen die Regierung ist, "Gewalt" sein soll? Schlechte Aussichten sind das für alle Gegner von Regierungen, selbst wenn sie als Opposition im Parlament irgendwann ganz gerne selber einmal die Regierung übernehmen möchten.

Ein paar Demokraten riechen den Braten ...

So mobilisierte das Demonstrationsverbot ein paar in den Institutionen des bürgerlichen Staates verbliebene Demokraten. Eine sonst ganz witzige Bundestagsabgeordnete der PDS meldete mit einer schönen Unterstützerliste demokratischer Massenorganisationen im Rücken, die von der Humanistischen Union, den Jusos bis hin zu dem sonst unsäglichen AL-Fraktionsvorsitzenden reichte, auf dem Lausitzer Platz eine "Demo gegen das Demonstrationsverbot" an. Dieser Manifestation kam unzweifelhaft für diejenigen Leute, die sonst an der nun erfolgreich verbotenen "Revolutionäre Mai-Demo" teilgenommen hätten, eine Ersatzfunktion zu. Allein, es war eben keine - von was auch immer - unabhängige Demo von Leuten, die ihr "irgendwie revolutionär sein wollen" zum Ausdruck bringen konnten. Statt dessen war es eine Demonstration eines ohnehin schmalen "demokratischen Korridors". Die Diskurse der politischen Macht sollen eben nicht über Leute von unten außerhalb des Parlaments, sondern über die dafür zugelassenen Parteien und die entsprechenden Bundestagsabgeordneten als potentieller, d.h. zukünftiger Ordnungsmacht laufen. Das Demonstrationsrecht in diesem Land ist wirklich eine verteufelt schlaue Erfindung, eröffnet es doch allen selbst in schwieriger Lage immer wieder von neuem die Gelegenheit an dieser schönen, demokratisch genannten Ordnung mitzuwirken und mitzubestimmen. Soweit erst mal so schlecht.

Aber manchmal sind die Verhältnisse in bestimmten politischen Situationen so beschissen, das man sogar dazu bereit sein muß, ein Bündnis mit dem Teufel einzugehen. Und das bedeutete an diesem Tag an diesem Ort ganz konkret: Autonome waren dazu angehalten hinter der von einem Leitransparent mit dem Slogan "Freiheit stirbt mit Sicherheit" angeführten Demo an einem Ort herum zu stolpern, wo zugleich die NATO-Angriffskriegsfahne der Partei Jäger 90 / Die Olivgrünen fröhlich im Wind knatterte.

Nur soviel noch zu dieser von Antifaschistischen Aktion in einer Presseerklärung auch noch als "Erfolg" belobigten "Gegen Demoverbot-Demo": Die von den Demokraten (nicht nur) an diesem Ort vorgebrachte These, der Innensenator wolle mit dem Demoverbot "die Eskalation, um die Grundrechte einzuschränken", ist fast komplett falsch. Die im Zusammenhang mit der gezielten sozialen wie politischen Drangsalierung von Flüchtlingen in diesem Land abgeräumten Schutz- und Grundrechte zeigen, daß der Staatsapparat diese selbst dann wegfegt, wenn es keine sogenannte "Eskalation" von Protesten, geschweige denn Widerstände von wem auch immer dazu gibt. Und gegen den "revolutionären 1. Mai" ist nun seit dem Umzug der Bundesregierung eine zu vielem entschlossene Kamarilla von rheinischen Ministerialdirigenten sowohl aus dem Innenministerium als auch aus dem Bundeskanzleramt angetreten, um diesen - egal wie, d.h. ob nun mit oder ohne "Eskalation" - aus der Wirklichkeit der Stadt zu eliminieren.

Eine Randale im Eins zu Eins-Format

Das dubiose Demonstrationsverbot der revolutionären 1. Mai Demo brachte den schon lange für siechend gehaltenen autonomen Bienenstock zum summen. Und so konnte selbst die Rekordzahl der 9.000 gegen den Kreuzberger Mai eingesetzten Bullen nicht verhindern, das an die 50.000 Pflastersteine gegen sie in Bewegung gesetzt wurden. Selten war die Durchführung einer Randale so richtig, wie die von diesem ersten Mai 2001 bei dem Mariannenplatz. Wie oft hat man sich in den letzten Jahren bei den Maidemos zwischen Baum und Borke gefühlt und nun das: Emotional vom deutlich vernehmbaren zustimmenden brummen Zehntausender von MaifestbesucherInnen und StadtteilbewohnerInnen getragen, haben Hunderte von jungen und alten, dicken und dünnen Leuten einen wirklich schönen und umsichtigen Straßenkampf auf das Parkett gelegt. Dabei war kaum jemand - und ganz im Unterschied zu den vergangenen Jahren - "richtig blau" und viele waren - wie es sich auch für einen solchen bedeutsamen Anlaß gehört - auch noch ganz gut vermummt. Endlich waren die Bullen mal wieder für geraume Zeit in der Defensive. Wenn der historische Begriff "Kampftag" für den ersten Mai jemals gestimmt hat, dann genau an diesem Tag. Wirklich toll, das wir sowas nach der wunderbaren Nacht vom 1. auf den zweiten Mai 1987 noch haben erleben durften. Zu kritisieren wäre an dieser Randale allenfalls, das sie mit ca. 90 Minuten noch viel zu kurz ausgefallen ist. Die so furchtbar schlau und mit aller Offenheit wie Brutalität vom Ex-Geheimdienstchef und seinen Bullen angekündigte Strategie, uns endgültig aus der Stadt zu fegen, und uns fertig zu machen, sind am Mariannenplatz unter den Augen der Weltöffentlichkeit - für's erste! - mustergültig wie überzeugend erstens in den Steinhagel und zweitens vor die Wand gefahren. Weiter so!

Randale und "revolutionäre" Politik?

Was drückte sich aber an diesem ersten Mai in der Randale und in der allseits guten Stimmung im Kreuzberger Kiez an einem "mehr" aus , als lediglich dem Innensenator und seinen Bullen verdientermaßen einfach mal "eine ordentlich 'reinzuwürgen!"?

Klar das in der Randale für Momente der Traum von einem Leben Wirklichkeit wurde, den man nicht kaufen kann und auch nicht soll. Die, die randaliert oder sich mehr als darüber nur gefreut haben, wissen nur zu gut, was viele bei der Bürgerpresse angestellte Nach-68er-ML-Renegaten sogar über sich selbst hinweg schwadronieren müssen: Der Kapitalismus ist und bleibt ein Scheiss-System, in dem die in ihm auch innewohnenden Freiheitsmomente sehr wenigen reserviert werden, und das sich im globalen Maßstab bei vierfünfteln der "überflüssig" erklärten Weltbevölkerung ganz schlicht mit Armut, Ausbeutung, Krieg, Elend und Ungerechtigkeit bedankt. Aber klar ist auch, daß diese - wie überhaupt jede richtig gute - Randale ein ganzes Stück quer zu jedem Ordnungssystem der Politik steht. Und das gilt natürlich auch für jede noch so schlaue Begründung autonomer Politik. Unser naiver Versuch in den 80er Jahren, die nur zu berechtigte Wut über die Verhältnisse mit politischen Parolen im Sinne einer Handlungseinheit zusammen zu kleben, kann nur um den Preis der Lächerlichkeit wiederholt werden. Und doch ist mit dem Ablauf dieses turbulenten ersten Mai erneut mit dem nächsten "revolutionären 1. Mai" anzufangen. Und das ist angesichts der nun offenkundig gewordenen "Gefechtslage" in dieser Stadt allein für das mittelfristige Überleben einer gegen die existierenden ungerechten Verhältnisse gerichteten, wirklichen autonomen Bewegung von existentieller Bedeutung.

Was ist unbedingt zu tun?

Die von ihren unmittelbaren "politischen Inhalten" schon seit geraumer Zeit etwas fade und langweilig gewordene "revolutionäre 1. Mai Demo" wurde diesmal erfolgreich verboten. Der noch amtierende Innensenator hat bereits angekündigt, das im nächsten Jahr erneut so durchziehen zu wollen. Die Zerstörung dieser Form der Öffentlichkeit ist unter keinen Umständen hinnehmbar. Und zwar nicht um in erster Linie die "Demokratie zu retten" sondern deshalb damit die zukünftigen Revolten in der Stadt nicht ihr politisch linkes Gravitationszentrum verlieren. Organisatorisch wurde dieser "revolutionäre erste Mai" ganz wesentlich von zwei Gruppen getragen, die sich zugleich mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gewendet haben. Es handelt sich dabei um die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) und die autonomen Kommunisten. Schon durch den Aufruf der AAB vom letzten Jahr war der Aufstieg eines neuen intellektuellen Sterns am weit leuchtenden autonomen Firmament zu beobachten. Die damals theoretisch außerordentlich gediegenen Überlegungen zum tatsächlichen "Sinn" eines 1. Mai, bzw. dessen Verwerfung, haben ihre kluge, wenn auch philosophisch etwas zu selbst verliebte Fortsetzung in dem aktuellen Aufruf "Das Ende der Gewalt ..." gefunden. Demgegenüber mochte der Aufruf von den autonomen Kommunisten eigentlich kein Thema richtig aussparen; sie reichen vom Kosovo, IWF, Türkei bis hin nach Monaco, und selbst die Rolle der Frauen wurde auch noch mit erwähnt, "da sie im Kapitalismus stark ökonomisch benachteiligt werden." Es ist kein Geheimnis wenn man zugibt, daß es sowohl mit der AAB als auch mit den autonomen Kommunisten in der Vergangenheit eine Reihe von Auseinandersetzungen gab, deren Inhalt wie Form nicht immer von tiefer Liebe gekennzeichnet waren. Die autonomen Kommunisten finden nun mal den Stalinismus so schlecht nicht, und kümmerten sich immer nur sehr bedingt um getroffene Absprachen. Doch der Stalinismus ist lange vorbei und wird ohnehin nicht mehr wiederkommen. Die sich als "Massenorganisation" verstehende AAB radikalisierte in der Vergangenheit ihre strukturelle Unfähigkeit zum führen von Konflikten hin zur Organisierung leerer Rituale von Antifa-Pop-Festivals. Und das alles auch noch unter der dann wirklich verlogen werdenden Parole eines "Zusammen kämpfen!". So weckt natürlich die Vorstellung, sich mit den beiden genannten Gruppen zum nächsten 1. Mai an einen Tisch setzen zu sollen, zunächst einmal nicht die aller größte Begeisterung. Aber auf der anderen Seite steht zu vermuten, daß sich die diversen Dienste der inneren Sicherheit die kollektive Unfähigkeit, sowohl von der AAB wie auch die der alt- und jungautonomen Szenerie zur Führung einer angemessenen Sexualitäts- und sexualisierte Gewalt-Diskussion dafür zu Nutze gemacht haben, ein Counterinsurgency-Programm gegen die AAB durchzuziehen. Wenn die damit durchkommen geht nicht nur die AAB flöten, sondern es verlieren alle, die nach wie vor für das "ganz andere" kämpfen wollen. Im nächsten Jahr muß die 1. Mai-Vorbereitung erheblich öffentlicher gehandhabt werden. Und dann wünschen wir uns, daß am Anfang der revolutionären Mai Demo 02 nicht wieder ein beliebiges neopluralistisches Programm unterschiedlichster Pop-, Haupt- und Nebenwiderspruchsanworten, sondern wenigstens eine radikale Frage steht.

Timur und sein Trupp

Interim 526 Mai 2001