TATblatt


Ökobewegung:

Im Dunkeln ist gut tappen

Ein Sprichwort sagt, es ist am dunkelsten kurz vor der Morgendämmerung. Die Umweltbewegung stolpert schon seit langer Zeit durch finstere Zeiten. In linken Blättern häufen sich Artikel und Briefe , daß der Zustand der Ökogruppen jämmerlich und der Gipfel allen Übels Global 2000 ist. Das alles scheint ein grundlegendes und existentielles Problem zu sein.

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In Deutschland ist in den letzten Monaten eine Debatte über Perspektiven, Methoden und Zensur in der Umweltbewegung ausgebrochen. Zentraler Kritikpunkt: Teile der ehemaligen Umweltbewegung haben es sich in den Versorgungsnischen der "Nachhaltigen Entwicklung", für deren Papierstrategien der Staat Pöstchen für einzelne aus den "Nicht-Regierungs-Organisationen" (NGOs) bereithält, gemütlich gemacht. Schlagworte dazu sind "Ökologische Steuerreform" oder "Umwelttechnologie", also jene Worthülsen, die von Grünen und anderen als Lösung verkauft werden. Paradebeispiele deutscher Organisationen, die mit dieser "Agenda", wie das genannt wird, weitreichende Befriedungsarbeit in der Ökoszene geleistet haben, sind u.a. der BUND und der Deutsche Naturschutzring (DNR).

Die Differenzen erreichten ihren Höhepunkt, als die OrganisatorInnen des Jugendumweltkongresses (JUKß) zu Zensur gegen radikale Umweltgruppen griffen. Zuvor hatte das Umweltbundesamt gedroht, falls bestimmte Inhalte nicht von der Tagesordnung genommen würden, werde das UBA die vorausgezahlten Subventionen zurückfordern. Geduldete Themen waren Psychologie und Gruppendynamik, "Anders Leben"(Kleinprojekte, WGs etc) und vor allem "Ökologische Steuerreform". Absolut verboten waren Siemens-Boykott und Anti-Castor/Atomtransporte. Zusätzlich ließ sich das UBA alle Vortragsmanuskripte, die Zusammenfassungen aller geplanten Veranstaltungen und das Programm vorlegen. Nicht genehmigte Plakate wurden während der Veranstaltung heruntergerissen, einmal mit Räumung durch die Polizei gedroht.

Der JUKß ist aber nur ein trauriger Höhepunkt einer Reihe von ähnlichen Fehltritten etablierter Umweltorganisationen. Daß die ReferentInnen beim JUKß zum Teil vom Chemiekonzern BASF und von der SPD bezahlt wurden, ist wohl nichts im Vergleich zur Annahme von 50 Millionen Schilling durch den BUND Thüringen aus der Kasse des Atomstromkonzerns VEAG. Dafür zog der BUND seine Einwände gegen ein geplantes Pumpspeicherwasserkraftwerk zurück.

Diese seit Jahren in der deutschen Ökoszene diskutierten und von den Radikalen bekämpften Vorgänge haben eine Entwicklung gefördert, daß sich unabhängige Ökogruppen neu gruppierten, insbesondere rund um die Besetzungen von und direkten (nächtlichen) Aktionen gegen Gen-Äcker, sowie um Besetzungen zur Verhinderung von Autobahnprojekten (hauptsächlich das Anti-A33-Hüttendorf) und in Anti-AKW-Gruppen. Die neuen Aktionsgruppen bildeten sich unabhängig von bestehenden Gruppen und folgen damit der radikalen Ökobewegung in den USA, die eine solche Neuorganisierung vor Jahren vollzogen hat.
 

Ausgangspunkt USA

Die USA ist der Geburtsort der neuen Umweltbewegung der Industrieländer. Höhepunkt der ersten Welle war Earth Day am 22. April 1970. An diesem Tag demonstrierten in Washington D.C. 250.000 und in New York weitere 100.000 US-AmerikanerInnen für Umweltschutz, im ganzen Land beteiligten sich 1.500 Universitäten und 10.000 Schulen an Aktionen. In diesem Jahr wurden die ersten umfassenden Gesetze für Umwelt- und Artenschutz in einem Industrieland erlassen.

Die Umweltverbände boomten. Zwischen 1960 und 1970 konnte die größte Umweltorganisation, der Sierra Club, die Mitgliederzahl von 16.000 auf 114.000 steigern. Auch mit der Wilderness Society, der National Audobon Society und der National Wildlife Society ging es aufwärts.

In den Organisationen brach die Zeit der großen Gagen, häufig 100.000 US$ pro Jahr und Vorstandsmitglied, an. In den Vorständen enterten JuristInnen die Positionen und setzten schrittweise AktivistInnen ab. Im Sierra Club wurde Exekutivdirektor David Brower abgesetzt und als Konsulent der Sekretär für Bodenschätze in Kalifornien unter dem damaligen Gouverneur Ronald Reagan, Ike Livermore, angeheuert. Brower gründete daraufhin Friends of the Earth USA, wurde aber auch dort 1986 von einem konservativ besetzen Vorstand abgesetzt.

Zwischen 1973 und 1977 wurden in allen großen Umweltorganisationen reihenweise unbequeme Leute abgesägt. Die neue Elite machte Karriere im Establishment. Rupert Cutler wurde nach seinem Posten bei der Wilderness Society ein Liebkind des Gouverneurs von Michigan und endete als Agrarstaatssekretär unter Präsident Carter. Ebenfalls unter Carter wurde James Moorman, ehemals beim Sierra Club, Generalstaatsanwalt der USA. William Reilly, zuvor bei der Conservation Foundation und beim WWF, avancierte zum Direktor der Bundesumweltbehörde unter Bush.

Dieselbe Seite dieser Karrieren waren unglaubliche "Kompromisse". Die Audubon Society erlaubte Mobil Oil in einem ihrer Vogelschutzgebiete nach Öl zu bohren. Cutler verwendete seinen Ehrgeiz ausschließlich darauf, so wenige Wildnisgebiete als möglich in die nationale Liste aufzunehmen, um Öl-, Bergbau- und Holzindustrie nicht zu behindern. Insbesondere Sierra Club und Wilderness Society setzen kleine Umweltorganisationen unter Druck, keine Umweltverfahren gegen Konzerne und Behörden durch Klagen anzustrengen.

Die erste Generation radikaler ÖkoaktivistInnen setzte sich ausschließlich aus dissidenten ex-Mitgliedern von Sierra Club, Wilderness Society und Friends of the Earth zusammen und führte 1980 eine erste Aktion durch. Dabei wurde am Glen Canyon Dam in Colorado ein riesiges Transparent mit einem großen Riß an der Staumauer herabgelassen. Glen Canyon wurde deswegen gewählt, weil Jahre zuvor der Sierra Club, um nicht "unvernünftig" zu erscheinen, der Verbauung des Glen Canyon zugestimmt hatte, um dafür den Verzicht auf ein anderes Projekt zu erhalten. Glen Canyon symbolisiert daher wie ein Monument sowohl die Industriepolitik und ihre Folgen, wie auch die Fehler der "gemäßigten" Umweltorganisationen.

1982 blockierten 500 Radikale von Earth First! geplante Ölbohrungen von Getty Oil in einem Wildnisgebiet, nachdem es die Firma monatelang nicht geschafft hatte, wegen Sabotage an den Vermessungsmarkierungen eine Zufahrtsstraße anzulegen. Der Erfolg dieser Sabotageaktionen war Anlaß dafür, das Ökosabotageanleitungsbuch "Ecodefense" zu schreiben.

Ecodefense wurde zum Verkaufsschlager, nicht nur in den USA. Während der Sierra Club Prozesse vor den Gerichten zum Schutz von Gebieten verlor, gewann EF! durch Direkte Aktionen. EF! wurde zum Begriff für jene Gruppe von Leuten, die Bäume mit Nägeln gegen Kettensägen spickt und Bulldozer abfackelt. Innerhalb nur weniger Jahre verbuchte der größte Holzkonzern der Welt, Weyerhaeuser, einen Schaden durch Sabotage von geschätzten 10 Millionen US$. Das staatliche Forest Service hält alle internen Berechnungen über Sabotagefolgen strikt geheim, wobei sich diese auf insgesamt 20 bis 25 Millionen US$ pro Jahr im gesamten Holzsektor der USA belaufen dürften. Earth First! hatte, von fünf Personen Anfang der 80er gegründet, 1989 bereits 10.000 Mitglieder.

Gleichzeitig ging auch international ein Ruck hin zur Militanz durch die Bewegung. Auf den Weltmeeren versenkte Paul Watson von Sea Shepherd, der sich auch an Sabotageaktionen gegen Holzkonzerne in den Regenwäldern Kanadas beteiligte, Walfang- und Treibnetzfischerschiffe.

Australiens radikale Ökobewegung verursacht seit Beginn der 80er Jahre Konzernen durch Sabotage Schäden von mehreren hunderttausend Dollars jährlich. In Kanada stellte eine Gruppe namens "Direkte Aktion" die Gründungsaktion von EF! am Glen Canyon Dam weit in den Schatten, als sie 1982 das 4,5 Mio. US$-Wasserkraftwerk von British Columbia Hydro auf Vancouver Island tatsächlich sprengte.

Die Antwort der angepaßten Umweltorganisationen war Denunziation und die Brandmarkung als "Terroristen", so von Greenpeace gegen Sea Shepherd und der National Wildlife Federation gegen EF!.
 

Keine Gruppe macht so deutlich, daß auch Österreich mit 14 Jahren Verspätung gegenüber den USA diese Stadien durchläuft, wie Global 2000.

Organisationen wie Greenpeace (GP) waren u.a. deswegen gegründet worden, weil es den traditionellen Umweltorganisationen weder gelungen war, sich zu modernisieren und den ideologischen Dreck der Nazizeit loszuwerden, noch aus der elenden Abhängigkeit von Subventionen und parteipolitischen Interventionen loszukommen. Doch bald waren die GP-Gründer mehrheitlich der Direktiven von GP-USA leid und gründeten eine Konkurrenzorganisation, Global 2000.

Dann kam Hainburg und damit nicht nur der Triumph der Ökobasis, sondern auch der KarrieristInnen - wenn auch nicht nur bei Global 2000. Nach Hainburg ergoß sich ein Schwall von ehemaligen CheckerInnen und VerhandlerInnen über karriereträchtige Institutionen. Wie in den USA gelangten einige in die Ministerien, etwa Gerhard Heiligenbrunner ins Umweltministerium, andere wie Freda Meissner-Blau wurden grüne Stars.

Die Zeit der Kompromisse begann, die BasisaktivistInnen wurden zur Minderheit und starben auch bei Global 2000 ganz aus. Zu diesen gehörte Michael Undorf, der später Selbstmord beging, Christian Richter, der mit dem Ecodefense-Handbuch herumzog und Blockaden auf Autobahnbaustellen organisierte, ehe er bei einem Tauchunfall ums Leben kam, oder auch Peter Konicek, der Global 2000 mit Tat und Spenden unterstützt hatte, sich später gänzlich abwandte, und 1995 bei der versuchten Sprengung eines 380 kV-Mastes sein Leben verlor.

Mit der AktivistInnenbasis gingen den FunktionärInnen, die mit schönere Regelmäßigkeit auf Posten bei den Grünen abwanderten (zuletzt Brigid Weinzinger zu den Grünen in NÖ), die letzten hemmschwellen gegen unverblümtes Gepackel mit Haider, Dichand und Wirtschaft zur Steigerung der Präsenz in den Medien, verloren. Die Aktionsgruppe wurde für aufgelöst erklärt.

Letzter und absoluter Höhepunkt dieser Entwicklung war die Erklärung von Global 2000 und WWF im letzten Winter, daß "die Umweltbewegung" auf weitere Aktionen gegen den Bau des Kraftwerkes Lambach verzichten würde. Gegen den im Vorjahr begonnenen Bau der 380 kV-Leitung in Niederösterreich und Burgenland regte sich kein Mucks mehr.

Mit Lambach steht Glen Canyon nun auch in Österreich.
 

Dämmert es?

Die Ereignisse in Ländern, die den Niedergang der ehemals aktionistischen Umweltbewegung schon hinter sich haben, zeigen, daß es nicht gelingen kann, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Der JUKß innerhalb der deutschen Jugendumweltbewegung war ein Versuch, traditionelle Umweltverbände von innen heraus zu radikalisieren, und scheiterte. In der Regel geht es umgekehrt; erst der Erfolg von EF! bewirkte in den USA, daß der Sierra Club wieder mehr auf Konfrontation ging und daß wieder etwas radikalere Mitglieder im Vorstand Fuß fassen konnten.

Erfolgsgrundlage der radikalen Ökogruppen in den USA, Großbritannien, Deutschland, aber auch weniger bekannter in Polen, Australien, Rußland, Schweden oder Finnland war und ist die Direkte Aktion jenseits jeglicher gesetzlicher Duldung. Öffentlichkeitswirksame Blockaden und Störaktionen bei Tage und zugleich nächtliche Anschläge auf Sachen und die dadurch verursachten Verzögerungen und Verhinderungen von Projekten haben in allen diesen Ländern zu einem Aufschwung der Umweltbewegung und zu einem Zulauf bei den Aktionsgruppen geführt.

Zwangsläufig ist diese Entwicklung nicht. Die Umweltbewegung in Belgien, Ungarn oder Tschechien hat sich in die Bedeutungslosigkeit verabschiedet.

In Österreich fehlen bisher sowohl die am Tage direkte Aktionen - wie Blockaden - ausführendenarbeitenden Gruppen der radikalen Ökobewegung, als auch die nächtlichen SaboteurInnen.


aus: TATblatt Nr. +99 (11/98) vom 4. Juni 1998
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