TATblatt


Neue Nato - alter Kulturkampf

In einer wichtigen Phase vor der politischen Entscheidung zum NATO-Beitritt werden neue Feindbilder in die öffentliche Diskussion eingeführt und alte wieder zum Leben erweckt.

von einer Leserin
Als in Österreich erstmals nach dem zweiten Weltkrieg ernsthaft über einen NATO-Beitrag nachgedacht wurde, ließen sich gerade nach Ende des Kalten Krieges gewichtige Gegenargumente vorbringen, die eine allfällige Entscheidung von vornherein überflüssig erscheinen ließen.

Weder mußten die Grenzen gegen die Truppen des Warschauer Paktes verteidigt werden, wie es zuerst hieß, noch war ein NATO-Beitritt zumindest bis zu diesem Zeitpunkt mit der Neutralität vereinbar, wie es später hieß. Schließlich auch noch die Kosten, die das knapp bemessene Budget unseres kleinen Landes hoffnungslos überfordern würden. Aber es hat sich viel geändert.

Was bis vor ein paar Jahren unmöglich schien, ist heute nur noch eine Frage der Zeit.

Außenminister Schüssel und Verteidigungsminister Fasslabend rechnen mit Beitrittsverhandlungen bis März 1998, eventuell Mai. Wie alle interessierten BeobachterInnen in den letzten Monaten erfahren konnten, ist die Meinung der maßgeblichen Entscheidungsträger, ob ein möglicher Beitritt die Neutralität tangiert, eher geteilt.

Wie auch immer. Nachdem der 26. Oktober als Nationalfeiertag hauptsächlich den Waffenschauen, Angelobungen und Ansprachen des Oberbefehlshabers gewidmet war, wird das Beharren auf die Neutralität auf lange Sicht den Beitritt nicht verhindern. Außenminister Schüssel erklärt nach wie vor die Neutralität für vereinbar mit einem NATO-Beitritt, man müßte nur entsprechende rechtliche Anpassungen vornehmen: Wir müßten den ganzen WEU- sowie den NATO-Vertrag annehmen, was bedeuten würde, daß die Artikel beider Verträge über die Pflicht, (einem anderen Vertragsland) Hilfe zu leisten, vor der Neutralität den Vorrang bekommen, erklärte Schüssel in einer Presseaussendung vom 20. November 1997. Zum einen sind wichtige Einheiten des Militärs ohnehin schon mit den NATO-Kommanden vernetzt, zum zweiten bedeutet die Wahl der Neutralität in der neueren österreichischen Sprache hauptsächlich die Wahl der Bündnisapparate WEU oder NATO. Die WEU ist ein bißchen mehr neutral, die NATO ein bißchen weniger.

Und von exorbitanten Kosten spricht auch kaum noch jemand. Angaben des Verteidigungsministers zufolge würde der "NATO-Beitritt kaum höhere Verteidigungsausgaben erfordern". Im Kurier vom 29. Mai behauptet er, daß "500 Mio bis 1 Mrd S zusätzlich pro Jahr für realistisch" seien.

Es scheint eine ausgemachte Sache zu sein, daß die BefürworterInnen eines NATO-Beitritts vor allem ein Argument für sich geltend machen: Der NATO komme gerade eben deshalb so viel Bedeutung für das europäische Sicherheitssystem zu, weil der Warschauer Pakt gefallen sei. Europaweit machen sich die Früchte des Einigungsprozesses bemerkbar. Der Schengener Vertrag garantiert die Sicherheit vor Flüchtlingen und die Vernetzung der Exekutiven, die WEU und die Partnership for Peace das Zusammenwachsen der militärischen Flügel. Eine Einigung der NATO mit Rußland scheint nach dem Gipfel von Madrid und den Beschlüssen von Sintra, den osteuropäischen Bewerbern Ungarn, Polen, Tschechien in Reichweite. Die Erfolge der Zusammenarbeit der UNO mit den Streitkräften der NATO in Ex-Jugoslawien sind hinlänglich bekannt. Aber all das ist das Bier der anderen,  was hat das mit Österreich zu tun?

Nun, auch Österreich ist bedroht. In einem Interview mit dem Falter vom Juli dieses Jahres sprach der Verteidigungsminister allen Ernstes davon, daß "atomar bestückte Mittelstreckenraketen nordafrikanischer Despoten auch Österreich erreichen könnten". Aber daß solche Ideen nicht einmal auf dem Mist des ÖVP-Politikers gewachsen sind, bezeugt folgende Meldung aus der deutschen Tageszeitung "Die Welt" vom 29. Mai dieses Jahres: Iran entwickelt nach den Worten des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, Raketen mit Reichweiten bis 3000 Kilometer. Diese könnten nicht nur Israel, sondern auch Deutschland treffen, sagte er der Zeitung 'Jerusalem Post'. Iran arbeite außerdem intensiv an der Entwicklung der Atombombe. Wie nahe das Land aber an deren Fertigstellung sei, könne er nicht sagen, erklärte Frisch. Die deutschen Behörden versuchten aber, den illegalen Export waffentauglicher Bauteile nach Iran zu verhindern. Frisch äußerte sich auch über die terroristische Bedrohung Deutschlands durch religiös motivierte Attentäter. Sie stellten für den Verfassungsschutz das größte Problem dar. Nach seiner Schätzung leben in Deutschland rund 200 militante algerische Islamisten, 300 Anhänger der palästinensischen Organisation Hamas und 600 Aktivisten der schiitischen Hisbollah, die vom Iran unterstützt wird.

Andere Meldungen, z.B. eine Warnung des deutschen Ministers, der für die Nachrichtendienste zuständig ist,  in der Kronenzeitung vom 2. November, bestätigen es ebenfalls. Unbeeindruckt vom plötzlichen Friedensausbruch in Osteuropa formieren sich islamische Mullahs, nordafrikanische Despoten und Terroristen aus Nahost, um den europäischen Frieden zu stören. Angeregt wurde diese Sicht der Dinge durch ein aktuelles Buch des US-amerikanischen Politologen Samuel P. Huntington, "The Clash of Civilizations". Die deutsche Übersetzung wurde an mitteleuropäische Verhältnisse  angepaßt und in "Kampf der Kulturen" umbenannt. Neu daran ist eigentlich gar nichts. Was früher die bolschwistische rote Gefahr hieß, nennt sich heute Bedrohung durch den Islam oder die Internationalisierung der Terroristen. Darüber hinaus diagnostiziert Huntington im Stile Oswalt Spenglers ein apokalyptisches Untergangsszenario der westlichen Kultur, das in der schrittweisen Überalterung, der zunehmenden Dekadenz und mangelnden Verteidigungsbereitschaft westlicher Werte (Demokratie, Marktwirtschaft und  Menschenrechte) gegen die Regimes und Despoten der dritten Welt begründet wird

Der österreichische Historiker Heinz Magenheimer, der als Lehrer an der Landesverteidigungsakademie arbeitet, faßt die Situation, wie folgt zusammen: Die zahlreichen Gefahrenherde und Instabilitäten in Regionen der dritten Welt, mit denen sich die westlichen Demokratien konfrontiert sehen, sollten zum Anlaß genommen werden, von den Strategien und Arsenalen des kalten Krieges Abschied zu nehmen. Parallel mit der sinkenden Bedeutung des Nationalstaates muß dem Aufkommen des religiösen Fundamentalismus Rechnung getragen werden, da es sich hiebei nicht nur um eine reine Machtfrage, sondern auch um eine Frage nach den Basiswerten einer Politik handelt. Die "Entwestlichung der Weltpolitik" und der Kampf gegen den westlichen "Kulturimperialismus" schreiten somit zügig voran, wenn man auch zwischen dem islamischen Fundamentalismus und der islamischen Zivilisation als solcher unterscheiden muß. Die Stoßkraft des Fundamentalismus gewinnt ihre Stärke durch Verknüpfung regionaler Kulturen mit der Botschaft des Islam. Die Ausrufung eines "Gottesstaats" in Afghanistan am 27.9.1996 mag als hervorstechendes Beispiel dienen. Die diesbezüglichen Herausforderungen Europas und Nordamerikas hat bereits im Frühjahr 1933, also vor mehr als 60 Jahren, ein Geschichtsphilosoph, der dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstand, solcherart gekennzeichnet: "Denn hinter den Weltkriegen und der noch unbeendeten proletarischen Weltrevolution taucht die größte aller Gefahren auf, die farbige, und alles, was in den weißen Völkern noch an Rasse vorhanden ist, wird nötig sein, um ihr zu begegnen." Hat dieser Philosoph nicht die aktuelle These vom "Kampf der Kulturen" vorweggenommen. (Österreichisch-Militärische Zeitschrift 1/97)

Der Philosoph, den Magenheimer zu Wort kommen läßt, ist natürlich Oswalt Spengler, das Zitat stammt aus dessen Schrift "Jahre der Entscheidung".

Warum der alte Hut vom Untergang des Abendlandes wieder Renaissance hat, liegt wohl an zwei Gründen. Erstens blieb auch der Legitimationsdiskurs der militärischen Apparate nicht ohne Schrammen zurück, als der eiserne Vorhang fiel. Der Einsatz des Bundesheeres an der Grenze, der Vertrag von Schengen, die Erneuerung des eisernen Vorhangs von Westen haben dazu beigetragen, das rassistische Klima der Festung Europa zu verschärfen. Das österreichische Bundesheer hat immerhin schon Karten anfertigen lassen, die die jeweiligen Grenzen nach Huntingtons Anweisungen im "Kampf der Kulturen" festlegen.

Zum zweiten bewegt sich die Diskussion um Sicherheitspolitik innerhalb der NATO schon seit langem um nichts anderes, als ihre Funktion als einzig verbliebener militärischer Macht dieses Planeten. Schon seit dem Golfkrieg bezweifelt niemand mehr ihren friedensstiftenden Charakter. Mit dem möglichen Beitritt Ungarns, Polens und Tschechiens verschwindet die militärische Teilung Europas beinahe vollständig aus den Karten. Rußland wird zwar nicht in die NATO aufgenommen werden, aber zur Zeit auch nicht mehr als Gegner betrachtet. Neue Feinde sind also gesucht.

Der Verweis auf Oswalt Spengler deutet an, daß die Verschiebung zum Begriff der "anderen Kultur" keineswegs nur mehr ein neurechter Gag ist. Der Parardigmenwechsel, der mit dem Ausdruck "kultureller Rassismus" bezeichnet werden kann, beschreibt, was heutzutage an Feinden wirklich gebraucht wird. Kein Mensch, der ernsthaft zu diesem Thema  Stellung nimmt, würde heute noch von minderwertigen Rassen, oder lebensunwürdigen Kulturen sprechen, statt dessen wird die unverrückbare Barriere der Kultur als Konfliktmoment der heutigen Gesellschaften imaginiert. Fundamentalismus, Drogenhandel, Menschenrechtsverletzungen gehen zumeist auf das Konto barbarischer Despoten in außereuropäischen Kulturen. Entsprechende Meldungen, die über (immer geheim gehaltene) Atomwaffen, Raketenprojekte, Giftgasfabriken in Nordafrika oder dem Nahen Osten berichten, erwähnen zumeist nicht, daß Material und Know-How für Waffen dieser Art meistens aus dem Westen kommt, der Waffenhandel blüht zur Zeit schließlich.

Wesentliches Ergebnis dieser Politik ist jedoch die Ausdehnung der militärischen Apparate und deren Übergewicht in der Sicherheitspolitik. Wie schon in Ex-Jugoslawien, wird es in Hinkunft zur Regel gehören, daß sich die Durchsetzung von Demokratie, Menschenrechten und Frieden nur noch mit kriegerischen Mitteln erreichen lassen wird.


aus: TATblatt Nr. +88 (21/97) vom 12. Dezember 1997
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