TATblatt


Scharfe Schüsse an der Grenze

An Österreichs Grenzen stehen tausende Soldaten und Grenzbeamte, um unerwünschte MigrantInnen abzuwehren. Der Staat investiert Milliardenbeträge in die Grenzsicherung, und Innenminister Schlögl will gegen "kriminell gewordene Asylwerber ... energisch vorgehen". Der beinahe tödliche Schuß eines Grenzgendarms auf einen unbewaffneten rumänischen Migranten ist eine Konsequenz dieser rassistischen Politik, und die öffentlichen Reaktionen auf diese Tat fügen sich nahtlos in den rassistischen Grundkonsens in diesem Land ein.

TATblatt, diverse Tageszeitungen

Vor nur wenigen Jahren gehörte die Kritik an der nicht vorhandenen Reisefreiheit der BürgerInnen der Ostblockstaaten in das Standardrepertoire jeder westlichen PolitikerIn. Die Durchtrennung des Stacheldrahtzaunes an der Grenze zwischen Österreich und der CSFR durch Alois Mock wurde zum Medienereignis erster Klasse und war in allen Zeitungen zu sehen.

Dieser Tage löste der Versuch einer zwanzig bis dreißigköpfigen Gruppe von RumänInnen, die grüne Grenze zwischen Kärnten und Italien zu überqueren, eine Menschenjagd sondergleichen aus. Die Gruppe wurde am 26. August gegen 22.00 Uhr von einer Streife des Grenzüberwachungspostens Tschau mit Hilfe von Nachtsichtgeräten entdeckt. Was in der Folge im Detail passierte ist schwer zu eruieren, da die Informationen fast ausschließlich von der Gendarmerie stammen. Sicher ist, daß von Exekutivbeamten Warnschüsse abgegeben wurden, um die Flüchtenden zu stoppen. Sechs Frauen blieben daraufhin stehen. Sicher ist auch, daß der Beamte der den Mann niederschoß, dies absichtlich und gezielt tat (Der Leiter des Landesgendarmerie- kommandos Kärnten, Hugo Reisinger: "Mit letzter Kraft hat er daraufhin einen gewollten und gezielten Schuß auf den Hauptangreifer abgegeben."), und daß der Rumäne unbewaffnet war. Die rumänischen Frauen gaben an, daß der Mann am Boden lag, als der Beamte auf ihn schoß. Von Seiten der Gendarmerie wird behauptet, der Beamte hätte sich in Lebensgefahr befunden, weil er von einem (später wurde behauptet von fünf) Rumänen angegriffen worden wäre und dieser versucht hätte, ihm die Waffe zu entwenden.

Die Schüsse waren erst der Auftakt zu einer Großaktion der Exekutive. 87 Beamte, die zum Teil aus benachbarten Bezirken angefordert wurden, machten sich mit zehn Hunden und später auch mit Hubschrauberunterstützung auf die Jagd, um die Menschen, die im Verdacht standen ein Verwaltungsdelikt (!) begangen zu haben, zu fangen. Die Bevölkerung wurde ersucht, angesichts der "Fremden" nicht in "Panik" zu geraten. Obwohl die ganze Nacht systematisch die Gegend abgesucht, Autos aufgehalten und Personenkontrollen durchgeführt wurden, konnten die Flüchtenden nicht gefunden werden. Sieben RumänInnen, von denen angenommen wird, daß sie aus dieser Gruppe stammen, wurden einen Tag später in Udine von der italienischen Polizei aufgegriffen und den österreichischen Behörden übergeben. Die RumänInnen wurden inzwischen alle nach Ungarn, von wo sie nach Österreich gekommen waren, abgeschoben.

Reaktionen

Wie leider nicht anders zu erwarten, gab es nur spärliche Kritik an dem Vorgehen der Exekutive. Weitaus größeren Wirbel löste der Umstand aus, daß in ORF-Berichten von "Menschenjagd" gesprochen wurde. ÖVP Bundesrat Franz Richau bezeichnete die Berichterstattung als "skandalös", EU-Sicherheitssprecher Hubert Pirker erkannte eine "unzumutbare Agitation", und FP-Landeshauptmannstellvertreter Grasser ortete eine "perfide Tatsachenverdrehung, die Kärnten schweren Schaden zufügt." Der ORF entschuldigte sich auch gleich hochoffiziell für die Berichterstattung. In den Medien werden MigrantInnen die versuchen, unberechtigt die Grenze zu überqueren, fast durchwegs als "Illegale" und oft als "kriminell" bezeichnet. An dieser Stelle soll einmal der Kolumnist und frühere Herausgeber der "Presse", Thomas Chorherr, erwähnt werden, der als eine Art Staberl für das Großbürgertum seit Jahren regelmäßig gegen AusländerInnen schreibt. In der ORF-Berichterstattung sieht er "fast schon einen kleinen kommunikationspolitischen Skandal ... hart an der Grenze zur Desinformation", und er wähnt sich in einer ver-rückten Welt, weil der Rumäne, wie er meint, als Verbrechensopfer dargestellt wurde. Innenminister Schlögl spricht von "gigantischer sozialer Sprengkraft", wenn er über die Millionen OsteuropäerInnen sinniert, die angeblich wieder einmal alle nach West- und Mitteleuropa wollen, kündigt eine "Aktion scharf" gegen "kriminelle Asylwerber" an und lobt den deutschen SPD-Politiker Schröder, der von Parteikollegen schon als "deutscher Jörg Haider" bezeichnet wird. In dieser Stimmung regt sich selbstverständlich kaum noch eineR auf, wenn einE "IllegaleR" einfach niedergeschossen wird. "Illegale" haben schließlich keine Existenzberechtigung in Österreich.

Auch Berichte von der Ermordung zweier Bosnienflüchtlinge nach ihrer Rückkehr nach Bosnien, oder der durch Minen verursachte Tod von drei Kindern, die ebenfalls von Österreich nach Bosnien zurückgekehrt waren, ändern nichts an der österreichischen Politik. Schließlich haben "wir" schon so viel getan. "Einmal muß Schluß sein", wie Minister Schlögl vor wenigen Wochen via Kronen Zeitung verkündete, daran ändern auch bisher (mindestens) fünf tote RückkehrerInnen nichts.

Großrazzia in Kärnten und Bürgerwehr im Burgenland

Auch legal in Österreich lebende AusländerInnen haben mit ständigen Schikanen zu leben. Ende August wurden in Kärnten in einer Großaktion ab fünf Uhr früh von 300 Gendarmen 2000 in Kärnten lebende ArbeiterInnen ohne österreichischem Paß aufgesucht und kontrolliert. Oberst Hugo Reisinger verwehrte sich dagegen, daß die Aktion als Razzia bezeichnet wird und gab stolz von sich: "Wir haben akribisch genau alle Ausländerunterkünfte eruiert und über die Meldeämter die dort wohnhaften Personen aufgelistet. Die Kollegen waren über ihr vorgehen entsprechend genau instruiert. Immerhin klopfen wir zu nachtschlafener Zeit an die Türen. Die Überprüften zeigten durchaus Verständnis."

Der freiheitliche Gemeindepolitiker Manfred Kölly aus Deutschkreutz im Burgenland will zum Schutz der Gemeinde eine Bürgerwehr gründen. Das Bundesheer an der Grenze reicht anscheinend nicht aus. Zwei, drei Mann sollen von der Gemeinde angestellt werden und in der Nacht patrouillieren. Kölly schildert die Situation in seiner Gemeinde: "Die Alten trauen sich nicht mehr auf die Gasse, die Jungen meiden es, den Ort zu verlassen. Es herrscht Angst." Der SPÖ-Bürgermeister sieht darin ein wahltaktisches Spiel mit der Angst der Bevölkerung. Es habe zwar ein paar Autoeinbrüche und eine Auseinandersetzung mit einem angeblichen "Grenzgänger" gegeben, aber nach einer Verstärkung der Präsenz von Bundesheer und Gendarmerie sei die Lage wieder ruhig.

Ab kommenden Jänner werden im burgenländischen Grenzdienst 60 neue Planstellen errichtet. Ein Jahr später soll dann noch einmal aufgestockt werden, sagt Landesgendarmeriekommandant Brigardier Adolf Kanz.


aus: TATblatt Nr. plus 82 (,15/97) vom 11. September 1997
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