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    Amstshandlung gegen das Gesetz.
Unverhältnismäßige Gewalt.

In der Nacht von 14. auf 15. Juli 2003 wurde Seibane Wague im Rahmen eines Polizei- und Rettungseinsatzes im Wiener Stadtpark umgebracht. Bis heute wurde noch kein Strafverfahren gegen die Beteiligten eingeleitet. In einer UVS-Beschwerde, die von der Witwe Wagues eingeleitet wurde, stellte der UVS Ende Jänner fest, dass die Amtshandlung rechtswidrig war.

TATblatt.

Anfangs wurde versucht, den Tod Seibanes als Unfall darzu-stellen. Doch bald tauchten Zweifel auf. Wague soll getobt, sich aggressiv verhalten haben? Viele die ihn kannten, wussten, dass dies nicht zu ihm passte. FreundInnen und KollegInnen im Afrikakulturdorf bezeichnen ihn als freundlich und friedfertig. Die anfangs kolportierten Erzählungen des Tatherganges wurden mehr und mehr in Frage stellten. Doch erst das Auftauchen eines Videos führte allen vor Augen, dass in dieser Nacht die Misshandlungen durch Polizei und Rettung zum Tod eines Menschen führten. Trotz dieser Bilder, die teilweise im ORF ausgestrahlt wurden, trotz zahlreicher ZeugInnen, die bereits vom Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) der Polizei befragt wurden, gab es bis heute zu keine Konsequenzen. Lediglich der Notarzt, der sehr schnell als einziger Schuldiger ge- und behandelt wurde, wurde vorübergehend vom Dienst suspendiert. Gegen ihn ist eine Anklage noch am ehesten zu erwarten.
Betrachtet mensch die Vorfälle rund um das Afrikakulturdorf im Stadtpark, dann wird klar, dass es hier mehr aufzudecken gibt. Ursprünglich mit dem Ziel gegründet, gegen die rassistischen Stereotypisierungen von AfrikanerInnen zu wirken, hat das Afrikadorf letztendlich aufgezeigt, wie tief die Rassismen in der Gesellschaft verankert sind.
Dabei war es nicht das erste mal, dass jene Lehmhütten, die im Sommer 2003 das Afrikakulturdorf im Stadtpark bildeten, aufgebaut wurden. Seit die ersten Lehmhütten im Rahmen des Festivals “Zura za Afrika” 1996 in Graz und 1997 beim Hallamasch in Wien vor der Karlskirche errichtet wurden, dienten sie immer wieder dazu, Afrikanische Kultur der Mehrheitsbevölkerung in Österreich näherzubringen. Die Errichtung des Afrikakulturdorfes im Stadtpark ging auf die Idee des Künstlers Alam El Din zurück, ein dauerhaftetes Kulturdorf zu errichten als Zentrum für Afrikanische Kultur, Treffpunkt und Ort des Austausches und der Vermittlung.
Die Umsetzung des Projektes im Stadtpark wurde dann vom Architekten Ahmed El Goni gemeinsam mit dem ehemaligen Entwicklungshelfer Erfried Malle1 realisiert, wenn auch auf eine anderen Weise, als ursprünglich gedacht gewesen war. Von Anfang an gab es interne Kritik am Afrikakultur-dorf, die Rolle Malles war vielen nicht klar. Ein Beteiligter am Kulturdorf krtisiert: “Erfried Malle did not respect the africans, he fought them and this man controlled the village!” So wird Malle für seinen Umgang mit den Angestellten im Kulturdorf kritisiert, auf deren Kosten er sich aufgespielt haben soll. Es kam mehrere Male zu Streitigkeiten zwischen ihm und Seibane Wague, der den Umgangston Malles nicht akzeptierte. Malle hatte mindestens ein mal zuvor die Polizei alarmiert, die jedoch dann unverrichteter Dinge wieder abgezogen war, da kein Anlass zum Einschreiten bestanden hatte.

Die Amtshandlung.

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2003 dürfte der Streit dann eskaliert sein. Bereits am Nachmittag vor dem Tod Wagues drohte Malle damit, die Polizei zu rufen. In der Nacht kam es zu einer weiteren Auseinandersetzung. Malle, der angibt, er und seine Lebensgefährtin hätten sich in der Folge bedroht gefühlt, alarmierte schließlich Polizei und Notarzt. Als diese eintrafen, lag Wague verletzt am Boden, stand dann aber von selbst wieder auf. Malle stellte ihn als psychisch krank dar. Der Notarzt schloss, dass “Wagues Erregungszustand aus seiner medizinischen Sicht dringend einer Behandlung”2 bedürfe. Zu diesem Zeitpunkt waren schon mindestens sechs PolizistInnen anwesend. Sie überlegten, Wague zwecks psychiatrischer Behandlung auf die Baumgartner Höhe zu bringen. Ein Freund und Kollege Wagues aus dem Afrikakulturdorf kam und beruhigte ihn, wurde aber von der Polizei weggeschickt.
Seibane Wague wirkte zwar auf die Beamten nicht “normal”, war aber kooperativ. Erst als ihm bäuchlings auf der Transportliege liegend Handschellen angelegt wurden, leistete er Widerstand. Er wurde mit Gurten festgezerrt und in das Rettungsauto getragen. Für die PolizistInnen schien der Einsatz zu Ende und sie meldeten dies via Funk der Zentrale. Irgendwie schaffte Wague es aber, sich von der Transportliege zu befreien und durch die offene Seitentür des Rettungsautos zu springen. Im UVS-Bescheid ist von einer Panik Wagues die Rede, nachdem er registriert hatte, dass er in die Psychiatrie eingeliefert werden sollte. Bei seinem Fluchtversuch stürzte er gegen einen vor dem Rettungsauto stehende Polizisten und einen Sani, was zumindest vom Polizisten als Angriff interpretiert wurde. Trotz mit Handschellen am Rücken gefesselter Hände schaffte er es, an den beiden im Weg Stehenden vorbei zu rennen, wurde aber wenige Meter später gestoppt. Dabei soll er einen Beamten verletzt haben.
Von da an dauerte es nur Sekunden, bis Seibane Wague zu Boden gerissen wurde und sich mehrere Leute auf ihn stürzten. Er wurde von Sanis und PolizistInnen fixiert, indem diese zum Teil mit vollem Gewicht auf ihm standen oder ihn zu Boden drückten. Verstärkung und Fußfesseln wurden über Funk angefordert. Der Notarzt spritzte ihm das Beruhigungsmittel Haldol, das laut Angabe der Sanis erst nach ca. 20 Minuten wirkt. Der UVS rekonstruierte den Tathergang und kam zum Schluss, dass die Fixierung mehr als vier Minuten dauerte. Ein Beamter stand “mindestens 4 Minuten 25 Sekunden nach Beginn der Fixierung (...) mit dem größten Teil seines Körpergewichtes auf dem Rücken von Wague”. Während dieser Zeit ist für den UVS keine Überprüfung von Lebenszeichen erkennbar.
Als die von der angeforderten Verstärkung herbeigebrachten Fußfesseln angelegt wurden, regte sich Wague bereits nicht mehr. Wie auf dem Video ersichtlich, wurde der reglose Körper in der Folge auf die Transportliege gelegt und in den Rettungswagen gebracht, wo mit Reanimationsmaßnahmen begonnen wurde - zu spät. Seibane Wagues starb in Folge unverhältnismäßiger Gewaltanwendung, stellte der UVS fest.
Für den UVS ist die Lebensge-fährlichkeit der Fixierung des Getöteten schon allein aus den Videoaufzeichnungen ersichtlich. “Das Wissen darum, dass ein derart massives Zu-Boden-Drücken, vor allem eine derartige Behinderung der Brustkorb- und Zwerchfellatmung, zum Tode führen können, ist kein medizinisches Spezialwissen, sondern Allgemeingut, nicht anders als das Wissen, dass das Verschließen der Atemwege eines Menschen zum Tod führen kann.” Weiters sei das Wissen um “die Gefährlichkeit einer solchen Fixierungsform nicht nur Allgemeingut, sondern speziell auch Wissensstand der belangten Behörde”. Einschlägiger Literatur ist laut UVS eindeutig zu entnehmen, dass “vielleicht nicht die Bauchlage allein, aber diese in Verbindung mit Fesselung, und jedenfalls in Verbindung mit anderen Restriktionen wie Gewichts-belastung, lebensgefährlich ist und immer wieder zu Todes-fällen geführt hat.”

Konsequenzen?

Vor dem UVS geht es nicht um strafrechtliche Belange und das Fehlverhalten von Einzelpersonen, sondern um die Verantwortung der involvierten Behörden, also gegen die Bundespolizeidirektion Wien und folglich gegen die Republik Österreich. In einer anhängigen Strafsache ist trotz mehrmaliger An-kündigung bis dato noch keine Ent-scheidung über eine mögliche Anklage der Beteiligten gefallen. Laut Staatsanwaltschaft wird wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Umständen ermittelt. Auch wenn der Spruch des UVS festellt, dass die Amtshandlung nicht gesetzeskonform war, ist die strafrechtliche und politische Verantwortung weiterhin nicht geklärt. Die Plattform Gerechtigkeit für Seibane Wague zeigte sich zufrieden mit dem Urteil des UVS und forderte Inneminister Ernst Strasser dazu auf, “nun die politische Verantwortung für die Causa Seibane Wague zu übernehmen. Solche Vorfälle sind Ausdruck von institutionellem Rassismus. Es darf nicht sein, dass die Behörde nichts aus den tragischen Ereignissen lernt und zur Tagesordnung übergeht.”3
Faktum ist jedenfalls, dass sowohl beteiligte PolizistInnen als auch Sanitäter weiter ihren Dienst versehen. Für die Behördenvertreter ist das Urteil des UVS “nicht nachvollziebar”, so der Sprecher der BPD Wien, Walter Hladik. Der 50 Seiten umfassende Bescheid wird derzeit von Polizeijuristen geprüft, eine Anfechtung von den Behörden nicht ausgeschlossen.


Anmerkungen:
(1) Malle bietet nun im Rahmen einer Agentur “mitarbeitermotivierende” Reisen “mit Kontakt zu Stammesvölkern” an.
(2) dieses und alle nicht näher gekennzeichneten Zitate im Folgenden stammen aus dem Bescheid des UVS.
(3) Presseaussendung vom 30.01.2004, vollständig zu finden auf www.no-racism.net.

Quellen:
- Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, UVS-02/13/6598/2003 vom 29.01.2004
- Es hat angefangen mit Lehm..., in WUK Info Intern 1/04
- Presseaussendungen der Plattform Gerechtigkeit für Seibane Wague
- diverse Medienberichte

Linx:
http://www.no-racism.net
http://www.afrikanet.info
http://www.afrikakulturdorf.com






KünstlerInnen agierten.

Vom 2. - 19. März 2004 fand die gut besuchte Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe "KünstlerInnen AGIEREN nach dem Tod von Weibane" im Wiener WUK statt. Mit Bildern, Filmen, Installationen, Lesungen, Performances usw. wurden das Geschehen rund um den Tod Seibane Wagues und damit verbundenen Themen wie Migration, Rassismen, Gewalt und Entfremdung beleuchtet.
Mehr als 90 KünstlerInnen beteiligten sich an diesem Projekt, das vom Verein gale initiiert wurde. Mit dem Kunstprojekt wollten die KünstlerInnen mit ihren Statements öffentlich Stellung beziehen und dadurch das Geschehene nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Info: http://www.gale.at
     

aus TATblatt Nr. +208, März 2004.

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