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    Alternative Betriebe?

Gibt es im derzeit herrschenden System die Möglichkeit, Betriebe nicht kapitalistisch zu führen? Können wir unser Wohl in alternativen Betrieben finden, die nicht der unbarmherzigen marktwirtschaftlichen Logik entsprechen? Kurz, ist der Kapitalismus von innen reformier- oder zumindest aushaltbar? Ein Kommentar zur Situation in der existenten Alternativfirmenwelt ohne Mehrwert.

ein LeserInnenkommentar.

Eine andere Welt ist möglich, schallt es uns nun seit einigen Jahren entgegen, und wer keinen Bock auf Selbstorganisation, argentinische Stadteilversammlungen oder wirksame Betriebsbesetzungen hat, kann sich ein bisserl für Tobintax und freespeech engagieren und versuchen, das Kapital ein wenig menschenwürdiger zu gestalten.

Viele bemühten sich etwas Besseres, eine angenehmere Form des Lebens zu probieren, sich aus dem Konsumwahn auszuklinken. Wir sprechen hier nicht nur von den EinsiedlerInnen,  Goareisenden oder FriedrichshofkommunardInnen, die dieser Tage wieder in aller Munde sind.

Nein, auch ernsthafte Bemühungen, aufrichtige Versuche das Wirtschaftssystem links liegen zu lassen, gab und gibt es. Als eine sehr bekannte Form des "Ich-klink-mich-aus-und-alles-wird-dann-besser"-Spiels seien hier die durchaus integeren Kibbuzim genannt. Um es nicht ganz so spannend zu gestalten, sei gleich vorneweg geschickt, dass auch diese Idee, wie alle anderen, keine Kontinuität schaffen konnte und die meisten Kibbuzim dazu übergegangen sind, ihren Swimmingpool zu vermieten und das gemeinsame Kochen wieder bleiben zu lassen.

Spannend ist, dass auch der Kapitalismus selbst etliche Formen für "nichtkapitalistisches" Wirtschaften kennt. Da gibt es die Rechtsform der Genossenschaften, wie der "Konsum" eine war. Oder gar Vereine, die per Gesetz keine Kapitalakkumulation betreiben dürfen. Bedeutet das auch, dass tatsächlich kein Mehrwert abgeschöpft wird? Die Behauptung lautet: Nein! Ganz im Gegenteil, irgendwelche Leute bereichern sich mit Reputation, öffentliche Stellen bereichern sich mit Image, und andere virtuelle Werte werden produziert und abgeschöpft.

Sehen wir uns einige Beispiele an:
Die Stadt Wien ist drauf und dran den Radiosender Orange 94.0 vollkommen unter ihre Knute zu bekommen. Der lustige Vereinsvorstand des Radios legitimiert sein Handeln als einzigen Weg, den Sender überleben zu lassen. Dazu werden handstreichartig fünfzig Prozent der Beschäftigten entfernt, die sich stark engagierten und für Selbstorganisation eintraten (siehe Anmerkung unten). Es wird Macht wie noch nie ausgeübt und mal nebenbei eine hierarchische Struktur inkl. Geschäftsführung installiert. Den ehrenamtlichen RadiomacherInnen wird weiterhin was von freiem Radio vorfabuliert, obwohl heftig zensuriert und unterdrückt wird. Das Beste daran ist: diese Ehrenamtlichen fressen all das, und wollen eigentlich nur ihre Ruhe. Niemand der ach so alternativen Zivilgesellschaft will dem Streikversuch der Beschäftigten etwas Positives abgewinnen, oder sich gar solidarisieren. Die Stadt erhält ein sozialdemokratisch gefestigtes und alternatives Vorzeigeprojekt, das sie ja schließlich auch finanziert, für ihre alternativen WählerInnenschichten.

Oder der Silverserver. Eines der innovativsten Unternehmen in Wien, die dadurch groß wurden, dass sie normale Postleitungen Mitte der Neunziger mit importierten Modems entbündelten und Breitband weiterverkauften, als DSL noch für Drogen oder Diskjockeys gehalten wurde. Entstanden als alternatives Projekt im Kunstwerk, und immer noch nett zur "Gegen Schwarzblau"-Bewegung. Der Silverserver hat einen Mitarbeiter Anfang dieses Jahres auf die Straße gesetzt, weil dieser einen Betriebsrat gründen wollte.

Vom alternativen dritten Arbeitsmarkt, wie von Volkshilfe und Co. vorgemacht, der, was das Finanzvolumen betrifft, mehr ein Projekt für arbeitslose SozialarbeiterInnen darstellt als für langzeitarbeitslose KlientInnen, die gerade mal zehn Prozent mehr als ihre Notstandshilfe bekommen, wollen wir gar nicht erst anfangen.

Alternativ sein ist also ein "normaler" Wirtschaftszweig geworden. Dieser dient dem linken Grafiker zur Beruhigung des Gewissens, da er ja Kunst produziert, anstatt sich damit auseinanderzusetzen, dass er unnötige Waren verkaufen soll. Der gesamte Alternativwirtschaftszweig hat aber auch gewollte systemstabilisierende Wirkung. Die Staatspolizei jubiliert über Attac, die in Plauderrunden radikale Energie binden. Die genervte Konservative engagiert sich weiter in der Kirchengemeinde anstatt über ihr Leben und ihren privaten Patriarchen nachzudenken. Der ungelernte Computerfreak kann's doch noch zu etwas bringen. Arena und WUK werden in Wien auch die nächsten 20 Jahre das Radikalste überhaupt bleiben. Und die Gewerkschaft versucht, Aktien der Vöest zu kaufen, anstatt gegen die Privatisierung zu streiken. Der US-amerikanische Gewerkschaftsbund besitzt übrigens seit Jahren rund zehn Prozent aller US-amerikanischen Aktien,...

Ach ja und um das ultimativ Alternativ-Sein auch noch kurz anzusprechen: Mellowmark wird auch sein nächstes revolutionäres Album gegen den Kapitalismus auf einem kopiergeschützten WarnerMusic "Musikdatenträger" herausbringen, anstatt eine richtige CD (oder gar Schallplatte) zu produzieren.

Ein wenig mutet all das Besprochene wie die Nachwehen der sozialdemokratischen Revolutionsverhinderung nach dem ersten Weltkrieg in Österreich an. Wohin uns nämlich die paar Gemeindebauten und die soziale Marktwirtschaft gebracht haben, sehen wir täglich. Eigentlich sollte es laut Parteiprogrammen ja ein Stück in Richtung Sozialismus sein. Nur ist dieses Staatsgebilde leider genau dort, wo auch jedes andere ist, egal ob es zwischenzeitlich konservativ, faschistisch, monarchistisch oder stalinistisch regiert wurde.

Redaktionelle Anmerkung:
Bei Orange 94.0 wurde im Dezember 2003 der Dienstvertrag eines bezahlten Mitarbeiters gekündigt, was zu Streik und Protestaktionen seiner KollegInnen und einer Zuspitzung eines schon länger schwelenden Konflikts führte, an derem Ende ein großer Teil der MitarbeiterInnen erklärte, unter diesen Bedingungen nicht mehr länger für den Vorstand von Orange 94.0 arbeiten zu wollen. Weitere Informationen dazu sowie Stellungnahmen von allen beteiligten Seiten finden sich in einem offenen Forum im Bereich "Anarchy" der Blackbox: http://blackbox.net/c/Anarchy/Orange/


     

aus TATblatt Nr. +208, März 2004.

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