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    Hinter europäischen Gardinen.
Der Europäische Haftbefehl.

Mit Beginn 2004 wird in allen EU-Staaten der „Europäische Haftbefehl“ den zur Zeit gültigen „Auslieferungsantrag“ ablösen. Der in einem Mitgliedsstaat ausgestellte richterliche Haftbefehl soll in jedem anderen Mitgliedsstaat vollstreckt werden können. Der Europäische Haftbefehl gehört dabei zu einem der vielen Instrumentarien, die im Zuge der Diskussion um die Folgen des 11. September 2001 in der EU zur effizienteren „Terrorismusbekämpfung“ durchgesetzt wurden.

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Der Haftbefehl beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der jeweiligen Gerichtsentscheidungen innerhalb der Mitgliedsstaaten und ist damit ein weitreichender Vorstoß in die gemeinsame europäische Rechtskultur, die im Strafrechtsbereich bisher eben kaum existiert hat. Das wird – im Gegensatz zur vorgeblichen Intention - in erster Linie für BewohnerInnen der EU ohne islamistischen Hintergrund weitreichende Konsequenzen haben.

Prinzip der beidseitigen Strafbarkeit ist Geschichte.

Die wichtigste Änderung im Vergleich zum bisher geltenden Auslieferungsantrag wird dabei das Wegfallen des Prinzips der beidseitigen Strafbarkeit sein. Dabei kann der Haftbefehl ungeachtet irgendwelcher Einwände seitens des Gesuchten oder des Vollstreckungsstaates ausgeführt werden.

Selbst wenn also nach dem Recht des Vollstreckungsstaats gar keine Straftat vorliegt, muss der Staat sogar selbst eigene Staatsangehörige an den antragstellenden Staat überstellen. Problematisch ist das auch vor dem Hintergrund, dass sich Inhaftierte nun auf Grund der Distanz zum mutmaßlichen Tatort kaum verteidigen können.

Beispiele aus der Praxis.

Gerade im Bereich des politischen Strafrechts existieren in der EU bisher immer noch unterschiedliche Vorstellungen davon, mit welchen Mitteln StaatsgegnerInnen oder –kritikerInnen verfolgt werden sollen. Das alte Auslieferungsverfahren bot bisher immerhin die Möglichkeit für kritische RichterInnen oder StaatsanwältInnen, sowie ehemals flüchtlingsfreundliche Staaten wie Frankreich zur Weigerung der Auslieferung in politischen Fällen.

Auch nationale Internetgesetzgebung lässt sich dann spätestens 2004 auf alle EU-BürgerInnen anwenden. Falls einE EU-BürgerIn beispielsweise gegen spanisches Internetrecht verstößt, könnte er/sie wegen Cyberkriminalität nach Spanien ausgeliefert werden. Auch nach Großbritannien könnte jemand zwecks Offenlegung des privaten Kryptoschlüssels ausgeliefert werden.

Was sich noch ändern könnte.

Bürgerrechtsorganisationen wie Fair Trials Abroad oder Justice versuchen zur Zeit, den Vollstreckungsstaat grundsätzlich dazu zu verpflichten, den Haftbefehl am nationalen oder internationalen ordre public, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu messen. Außerdem sollte die gesuchte Person sowohl im Ausstellungsstaat als auch im Vollstreckungsstaat eine/n VerteidigerIn, sowie DolmetscherInnen in Anspruch nehmen können. Beispielsweise kann die für eine effektive Verteidigung erforderliche Akteneinsicht nur im Ausstellungsstaat gewährt werden.

Quellen:
Antifaschistisches Infoblatt, Telepolis.

     

aus TATblatt Nr. +203 Oktober 2003.

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