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weitere Texte in TATblatt Nr. +198 zum Irak-Krieg:
>>Vom Krieg der Friedensbefürworter: Mein Täubchen Chirac.
>>Österreich - Irak: Saddam, mein Freund.
>>Kurzmeldungen: Irak - Deutschland - Belgien.

     
     
   

was, warum und wieso?
no blood .... for what?

     
   

TATblatt.

     

"Kein Blut für Öl" - eine Parole erlebt nach zwölf Jahren ein Revival. Und was für eines: Millionen von Menschen in aller Welt - allen voran in den USA - scharren sich hinter den Slogan, um gegen die Kriegspolitik der Bush-Administration zu protestieren. Doch Slogans haben große Nachteil: Zum ersten sind sie unzulässiger Reduktionen der Realität, und zum zweiten beginnen die Leute, die sie prägen - siehe etwa die Bush-Administration - offenkundig bald selbst an die Richtigkeit der Parolen zu glauben, die sie selbst in die Welt gesetzt haben. Der schwachsinnige Sager von der "Axis of Evil" ist der beste Beweis für dieses Selbstläufertum ...

 

Die Slogans der KriegsbefürworterInnen sind schnell entlarvt:
Das irakische Regime ist nicht mit fundamentalistischen Gruppen verlinkt und daher kein Akteur des "Internationalen Terrorismus" (Religiöse aller Spielarten zählen zu den liebsten Opfern des Regimes)
Saddam Hussein ist - trotz offen geäußerter Hitlerbewunderung, trotz Chauvinismus, extremsten Nationalismus, trotz allen Totalitarismus und Antisemitismus - nicht die Reinkarnation Adolf Hitlers.
Und die Situation im Irak ist - trotz der massenhaften Vertreibung der Intellektuellen, trotz des Giftgaseinsatzes gegen persische Soldaten und gegen KurdInnen, trotz der skrupellosen, mörderischen Unterdrückung jeglicher Lebensregung im Irak selbst, nicht mit Nazideutschland vor 1939 zu vergleichen... Zumindest waren in Nazideutschland keine Waffeninspektoren gewesen, die eine weitgehende Rüstungskontrolle durchgesetzt hätten.
Kurz: Das Irakische Regime und sein oberster Vertreter hätten längst schon von der Bildfläche verschwinden, sein oberster Repräsentant vor ein Gericht gestellt werden müssen. Eine unmittelbare Kriegsgefahr geht jedoch weder vom Staat noch vom Staatschef aus...

Weniger einfach ist die Geschichte mit den Argumenten der KriegsgegnerInnen: Die Parole „kein Blut für Öl“ ist quasi ein historisches Relikt, das einen gleich mehrfachen Bedeutungswandel durchgemacht hat. „Kein Blut für Öl“ meinte in den Jahren ab 1990 das kuwaitische Öl. Und nicht zufällig wurden kuwaitische Ölquellen auf der Flucht von irakischen Soldaten angezündet.

Welches Öl?

Heute jedoch ist gar nicht mehr so richtig klar, um welches Öl es eigentlich geht. Im Vorfeld des US-Angriffs auf den Irak hatten sich US-DiplomatInnen – gut dokumentiert von Financial Times bis Herald Tribune - besonders intensiv bemüht, das irakische Öl unter möglichen „Alliierten“ zu verteilen. Verfügungsrechte über irakisches Öl – entschuldigung: Bitten um Unterstützung beim Wiederaufbau des Irak unter Nutzung der natürlichen Ressourcen des Landes im Interesse der Bevölkerung – wurden an große russische und französische Unternehmen herangetragen in der Hoffnung, über handfeste wirtschaftliche Interessen angeblich kriegskritische Regierungen quasi zur Unterstützung zu bewegen. Das Interesse von US-Unternehmen an der eigentlichen Ölgewinnung im Irak scheint hingegen eher geringer ausgeprägt zu sein: Zum einen wird der Rohölbedarf der USA nur zu einem sehr geringen Anteil mit Öl aus dem arabischen Raum gedeckt (14%, was übrigens einen gewichtigen Grund zur Unterstützung des venezolanischen Präsidenten Chavez in den letzten Monaten darstellen dürfte: ein offener Bürgerkrieg in Venezuela würde die USA weit schlimmer treffen als ein gegenwärtig reduzierter Zugriff auf „arabisches“ Öl), zum anderen aber haben sich die UnterstützerInnen der Bush-Administration einem anderen Ölprojekt verschrieben, das gegenwärtig vom Krieg im Irak verdeckt vor sich hin brodelt – der Ölförderung in Alaska. Bereits bei Amtsantritt hat Bush klargestellt, dass er von ihm als lebensgefährdend eingeschätzte Hemmnisse für die US-Wirtschaft zu beseitigen gedenke, darunter das Kyoto-Protokoll wie auch die Nationalparkregelung, die das Bohren nach Öl in Alaska verhindert.

Wenn der Ölpreis fällt....

Die USA ist – wie fast alle hochindustriealisierten Länder – von Öl enorm abhängig. Der im internationalen Vergleich besonders hohe Ölverbrauch der USA ist ein gewichtiger Faktor in der negativen Handelsbilanz der USA (kurz: die Industrie dieses Planeten transferiert weit mehr Produkte und Leistungen in die USA als aus den USA in andere Länder). Auf Dauer ist dies für eine Volkswirtschaft nicht überlebbar. Das Interesse der USA an der Reduktion dieses Defizits durch Ausbeutung „eigener“ Energiequellen ist die logische Konsequenz. Der Haken dabei: Die Vorräte der USA im Süd- wie im Nordwesten sind zwar nicht unerheblich, jedoch eher teuer in der Gewinnung. Will die USA ihr Handelsbilanzdefizit also reduzieren, muss der Ölpreis um einiges über 20 US$ per Barrel liegen, andernfalls kein Mensch das teure Öl kaufen würde. Im Übrigen stellt die Ölindustrie in Texas (immerhin das Kernland der Bushs) einen zentralen Wirtschaftsbereich dar, der vor die Hunde ginge und enorme soziale wie wirtschaftliche Probleme brächte, wenn der Ölpreis unter 20 US$ sinken würde. Ein (etwa als US-„Protektorat“) voll im internationalen Ölhandel engagierter Irak macht die Ausbeutung der US-Ölvorkommen unmöglich und belastet die Handelsbilanz weiter.

...fällt Alaska!

Dieses Problem ist gegenwärtig ein – eben vom Krieg verdeckter – US-interner Kernkonfliktpunkt. Sehr überraschend hat der US-Senat zwei Tage nach dem Angriff auf den Irak gegen den deklarierten Willen der Bush-Administration einen Schritt gesetzt, der die Ölförderung in Alaska zumindest sehr erschwert. Trotz massiver Drohungen der Senatoren aus Alaska und des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses (der es in der Hand hat, Finanzierungsanträge ihm nicht genehmer Abgeordneter einfach nie auf die Tagesordnung zu setzen) wurde die Ölförderung technisch vom US-Budget getrennt und muss einem erweiterten Procedere ausgesetzt werden, das eine schnelle Behandlung unmöglich macht (weil etwa sog. Filibuster, also Dauerreden, möglich sind). In dieser Abstimmung bildete sich der Widerspruch zur Politik der Administration Bush ab: Nicht so sehr Widerstand gegen den Krieg, als vielmehr gegen ökonomischen und politischen Isolationismus, den die Administration etwa bei der Ausbootung der UNO, bei der Ignoranz internationalen Rechts und auch in Zusammenhang mit dem „Wiederaufbau“ des Irak spielt.

Angesichts interner politischer wie ökonomischer Probleme mag es vielen in der US-Administration – und zwar zu allererst jenen, die mit der Ölindustrie verbunden sind (etwa Bush selbst, aber auch Vize Cheney oder Rumsfeld) als interessanter erscheinen, vom der Wiederherstellung der Ölförderung im Irak zwar über technisches Equipement und Support zu profitieren und dabei gleichzeitig einen Schlüssel zur Behinderung ölpreis-reduzierender Förderpraktiken zu haben (die irakischen Ölanlagen sind de facto Schrott; eine Aufrüstung kostet Milliarden und erlaubt es, an der Steuerung der Kapazitätsnutzung sogar noch zu verdienen), als quasi selbst im Land zu stehen und erste Zielscheibe potentieller terroristischer Angriffe zu sein bzw. das Geld zur Wiederherstellung von Infrastruktur selbst aufbringen zu müssen.

Ohne Krieg jedenfalls hätte die US-Administration jedoch dasselbe erreichen können: die irakischen Kapazitäten wären wohl mit oder ohne den nicht absehbaren intern bewerkstelligten Regimewechsel nicht sehr weit zu erhöhen gewesen. Eine Bedrohung angeblicher US-amerikanischer Interessen sehr unwahrscheinlich gewesen.

Warum dann Krieg?

Wenn nun aber der Griff nach dem Öl unmöglich der Grund für den Krieg sein kann, welchen Grund gibt es dann für dieses Engagement der US-Administration in einer Situation, in der sie eigentlich innenpolitisch wie international nur verlieren kann? Warum also führen die USA Krieg?

Ein banaler Gedanke drängt sich auf: Weil einzig die US-amerikanische Gesellschaft die Grundlagen dafür geschaffen hat, dass ihre Regierung einen derartigen Krieg führen kann! Das ist zwar keine Erklärung, aber dennoch eine nicht unwesentliche Erläuterung der Umstände, unter denen dieser Krieg stattfindet. Denn trotz aller Banalität des Gedankens, trotz allen Widerspruchs gegen diesen Krieg und aller Kritik an der Politik dieser wie früherer US-Administrationen bleibt die Tatsache bestehen, dass keine Gesellschaft der Welt es geschafft hat, das Kreativpotential der Menschen derart effektiv zu mobilisieren wie die US-amerikanische. In einer Weise zu mobilisieren, wie der traditionelle Antiamerikanismus von rechts bis „links“ nicht müde wird zu betonen, die Atombomben, „intelligente“ Waffen und McDonalds geschaffen hat. Die aber eben auch Bürgerrechtsbewegung, hochdifferenzierte intellektuelle Auseinandersetzungen um das Verständnis von Mensch und Gesellschaft, den Protest von Seattle und über „Kulturflow“ ein Grundverständnis von antagonistischer Politik geschaffen hat, der „wir“ – metropolitane radikale Linke – im Kern unsere Existenz zurechnen müssen.
Gesellschaften, die sich nur auf die Entwicklung unmittelbar staatlich nutzbarer Potentiale beschränkten (die Sowjetunion), haben jedenfalls den Wettlauf um die gesellschaftliche wie politische Hegemonie auf dem Planeten verloren. Andere Ländern wie Frankreich, Deutschland oder Großbritannien mit weniger effektiven Strukturen der Nutzbarmachung gesellschaftlicher Potentiale finden sich ausschließlich als Anhängsel der US-Gesellschaft wieder und führen entweder entsetzlich peinliche Abwehrkämpfe (wie etwa per Anglizismenverbot und „Friedenspolitik“ in Frankreich) oder geben ein bemühtes Hinterherhecheln (wie GB).

Wenn es also einen Grund gibt, diesen Krieg zu führen, dann den, dass es „die USA“ als einzige vermögen, ihn zu führen. Die eigentliche Begründung des Krieges, sei es nun das offenkundig falsche Argument „Öl“, die fast schon erheiternde Begründung „Demokratieexport“ oder eben die wohl zutreffendste Begründung, dass die Bush-Administration aus dem Schicksal des Vaters gelernt hat und sich interne politische Unterstützung über die Konstruktion des Dauerausnahmezustands verschafft, um auch die nächste Wahl zu gewinnen, ist unerheblich. Unerheblich vor allem deshalb, weil ein Ende der (relativen) US-Hegemonie unter den gegebenen Umständen zu nichts anderes führen kann als zur Hegemonie eines anderen Staates: Vielleicht Frankreichs, dessen augenblicklich so friedlicher Präsident als erste Handlung seiner Amtszeit das Nuklearpotential seiner Grande Nation vergrößern ließ (im Übrigen unter Bruch internationalen Rechts), sehr viel weniger Wahrscheinlich Russlands, dessen Menschenrechtsverständnis gerade in Tschetschenien dokumentiert wird.
Dieser Krieg wird geführt, weil es in der Logik des Systems liegt, wirtschaftliche wie politische Hegemonie zur erlangen. Er wird geführt, weil der „Verbrauch“ von Gütern das zentrale Lenkungsmoment in der Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften darstellt. Er wird von der US-Administration geführt, weil sie als einzige das Potential hat, dies zu tun. Er würde von anderen Regierungen geführt werden, wenn diese das Potential hätten.

Billiger Antiamerikanismus contra komplizierte Welt.

Entscheidend ist diese Tatsache bei der Erläuterung der Frage, warum dieser Krieg geführt wird, schon. Denn gerade in den letzten Wochen ist es wieder en vogue geworden, etwa das US-Engagement gegen den Nationalsozialismus als ökonomisch motiviert darzustellen (ebenso wie dessen Engagement im ersten Weltkrieg).
Gut möglich, dass die Ausrufung des unumschränkten U-Boot-Krieges den Ausschlag zum militärischen Eingreifen der USA im ersten Weltkrieg gegeben hat. Gut möglich auch, dass der Verlust US-amerikanischer Absatzmärkte durch die Schaffung eines NS-Deutschland orientierten Raumes die Antipathie vieler US-amerikanischer Opinionleaders wesentlich beeinflusst hat. Tatsache ist aber auch, dass die US-Administration ganz entscheidend die Niederlage des NS-Regimes betrieben hat und dabei gesellschaftliche Potentiale gefördert hat (und sie daher auch nutzen konnte), auf die wir heute aufbauen (z.B. die Frankfurter Schule, aber auch "Gegenkultur" u.v.a.m.).

Wer führt eigentlich Krieg?

Es mag tausend Gründe geben, warum Kriege zu führen sind. George, das Doppel-W führt sie, weil Gott es ihm aufgetragen hat. Dick Cheney mag mit den Interessen des Halliburton-Konzerns vielleicht wirklich derart eng verknüpft sein, dass ihm das Wohlergehen der Erdölindustrié wirklich einiges an öffentlichen Mitteln wert ist, und Donals Rumsfeld hatte immer schon Spaß daran, in der Welt mitzumischen. Es wäre aber schlichtweg einfältig zu meinen, dass derart trivialen persönlichen Orientierungen einzelner Menschen einen Staat mit 260 Mio. Menschen dazu bringen können, sich in Kriegslogik zu ergehen. Da muss schon etwas mehr her....

Aber damit, mit der Bedeutung der Neo-HeglianerInnen für die "herrschende Ideologie" und was das überhaupt alles soll, damit beschäftigen wir uns rein aus Platzgründen erst im nächsten TATblatt...

aus TATblatt Nr. +198 April 2003.    

 

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