tatblatt.net __

 

     
     
   

Buch:

Geschlecht und Nation.

     
   

TATblatt.

     
Nira Yuval-Davis:
Geschlecht und Nation.
Verlag Die Brotsuppe; 2001.
250 Seiten; 17,50 Euro.
 

Es soll ja tatsächlich einmal Zeiten gegeben haben, als einer gewissen Frau Riess-Passer nicht nur in der VIP-Zone von Schirennen Beachtung in den hiesigen Medien geschenkt wurde. Damals, es mag nun schon wieder ein Jahr oder so her sein, da machte sich die damalige Vizekanzlerin Gedanken ob der österreichischen Nation. Österreich: Staats- oder Kulturnation?
Soweit ich mich erinnere, blieb die Frage letztendlich unbeantwortet. Scheinbar vermochte sie niemanden eine eingehendere Diskussion wert zu sein. Für Interessierte ist jedoch bereits im Vorjahr ein Buch erschienen, das die verschiedenen Dimensionen nationalistischer Projekte eingehend beleuchtet. Um auf obige Frage gleich noch einmal zurück zu kommen: Einer Kulturnation liegt der Gedanke einer gemeinsamen Kultur der ihr angehörenden zu Grunde. Im Unterschied dazu definieren sich Angehörige einer Staatsnation über ihre Staatsangehörigkeit. Und Verfechter einer Volksnation hängen dem Mythos eines gemeinsamen Ursprungs an.
Zu unterscheiden vom Begriff der Nation an sich wäre zudem die Idee (mehr als der politisch-organisatorische Rahmen) des Nationalstaates. Freilich sind moderne Staaten als Nationalstaaten organisiert. Wo der Begriff allerdings von der Übereinstimmung zwischen den Begrenzungen der Nation und den Begrenzungen der BewohnerInnen eines bestimmten Staatsgebietes ausgeht, rückt die Volksnation bereits in greifbare Nähe. Eine wie oben beschriebene Übereinstimmung war und ist so gut wie überall Fiktion.
Theorien zu den Begriffen Nation und Nationalismus sind zahlreich. Die wenigsten davon erachten allerdings für relevant, was die in Israel geborene und nun an der Universität von Greenwich/London forschende Nira Yuval-Davis in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt: die Bedeutung der Geschlechterbeziehungen für den Prozess der Nationswerdung oder nationalistische Projekte. Die Frau und Gebärerin gilt der Nation als ihr Ursprung. Als Hüterin der Keimzelle des Staates reproduziert das Bild der Frau die Nation biologisch, kulturell und symbolisch.
Jede Nation versucht auf die eine oder andere Art auf die Bevölkerungsentwicklung Einfluss zu nehmen. Drei Diskurse kamen in diesem Zusammenhang zu ihrer Bedeutung: Seit der britische Priester und Ökonom Thomas Malthus schon um 1800 herum von Bevölkerungsexplosion sprach, erachten seine AnhängerInnen die Kontrolle des Bevölkerungswachstums für unabdingbar. Weltbankprojekte, die die ideologische Bearbeitung dieses Feldes bis hin zu Zwangssterilisationen von Frauen zur Folge haben, entsprechen bis heute dieser Logik. Im Rahmen des eugenischen Diskurses wird die Frau zur Erhaltung der vermeintlichen biologischen Qualität der Nation angehalten. Das vielleicht bekannteste aber bei weitem nicht einzige Beispiel hat sich als das Projekt Lebensborn der Nazis (zur Zeugung rein arischen Nachwuchses) in die Geschichte eingeschrieben. Im "Menschen-sind-Macht"-Diskurs wird die Zukunft der Nation schlicht von deren kontinuierlichen Wachstum abhängig gemacht, Frauen werden ermutigt oder gedrängt, möglichst viele Kinder zu bekommen. Gleichzeitig werden Frauen zu den Trägerinnen einer nationalen Gemeinschaftsidentität und -ehre erkoren. Zwar bleiben Frauen oft von der Teilnahme an der politischen Gemeinschaft ausgeschlossen, für den symbolischen Gehalt dieser Gemeinschaft spielen sie aber eine bedeutende Rolle. Sie symbolisieren die Erhaltung von Traditionen, sind Hüterin der Gemeinschaft und ihre Unversehrtheit steht für die Ehre der Nation. Vergewaltigungen (z.B. im Kriegsfall) zielen in diesem Sinne nicht nur auf die Verletzung der einzelnen Frau, sie stehen für die Schändung der jeweils anderen Nation. Auch das Bild vom "Anderen" als Vergewaltiger in so vielen rassistischen Diskursen geht von der Vorstellung von Frauen als reinen und beschützenswerten Kern der eigenen Gruppe aus.
Darüber hinaus wird in Zusammenhang mit der Unterdrückung von Menschen in kolonisierten Ländern von einer "Feminisierung" der Unterdrückten gesprochen, wenn die Entmachtung der Männer dieser Länder gemeint ist. In diesem Licht ist Frantz Fanons Aufforderung an den schwarzen Mann zu sehen, "seine Männlichkeit zurückzuerobern". Die besondere Betonung des männlichen Charakters von nationalen Befreiungsbewegungen und die Zurückdrängung von Frauen selbst in eben diesen kann als ein wichtiger Markierungspunkt einer "kulturellen Dekolonisation" betrachtet werden. Wo die westliche Moderne zur Modernisierung in sich befreienden Kolonialländern nachgeahmt wurde, wurde gleichzeitig mit der Festschreibung von Frauen in Rechtlosigkeit bedeutenden Traditionen die notwendige Abgrenzung zur Kultur der einstigen Herren betrieben.

Die Autorin Nira Yuval-Davis kramt allerdings keineswegs nur in der Vergangenheit. In den Kapiteln zum Geschlechtscharakter von Militär und Krieg geht sie auf jüngste Entwicklungen in modernen Armeen wie in Antikriegsbewegungen ein. In ihren Ausführungen zu "transversaler Politik" beschreibt sie, was ein zukunftsgestaltender Ansatz feministischer Politik sein kann.
Auch huldigt das vorliegende Buch nicht nur der Theorie oder akademischen Diskursen. Die zahlreichen Verweise auf und die Einbeziehung von Kämpfen insbesondere feministischer und antirassistischer Bewegungen stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zum umfangreichen Studium von Theorie zum Thema der Autorin dar. Dass das Buch trotz der Vielfalt der eingearbeiteten Aspekte immer gut lesbar bleibt, ist auch einer besonders leserInnenfreundlichen Berabeitung durch die Übersetzer und deren Anmerkungen zu verdanken. Keine Angst vor Theorie!

aus TATblatt Nr. +197 März 2003.    

 

>>TATblatt-Homepage  

©TATblatt, 2003
Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken alternativen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe und Belegexemplar erbeten)!

In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum).