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Patricia Highsmith unkriminell

Sieben Jahre nach ihrem Tod gibt der Diogenes Verlag die ersten unveröffentlichten Geschichten aus dem Nachlass Patricia Highsmiths heraus. Diese sind überraschend unkriminell, keine Morde, kein Verbrechen.

In "Die Stille der Mitte" wurden Kurzgeschichten zusammengefaßt, die in die Frühphase der Schriftstellerin zwischen 1938 und 1949 fallen, nämlich noch bevor sie mit dem Kriminalroman "Zwei Fremde im Zug" schlagartig berühmt wurde. Mehr noch als ihre veröffentlichten Bücher zeigen diese frühen Geschichten ein wesentliches Element der Literatur von Highsmith auf, nämlich die atmosphärische Dichte bis hin zu den neurotisch getriebenen Zwangscharakter der ProtagonistInnen, sowie die Symphatie mit ebendiesen ihren Nöten letztlich gehorchenden TäterInnen.

Patricia Highsmith hatte in Europa stets eine wesentlich treuere AnhängerInnenschar als in den USA. Dazu trug ihr europäisch geprägter Schreibstil bei, der stark durch ihr Studium von Deutsch und Griechisch und durch das Lesen europäischer SchriftstellerInnen beeinflußt war. In ihrer Heimat hatte sie, obwohl sie schon dort relativ bald von ihren Büchern leben konnte, Schwierigkeiten Verlage zu finden. Da sie jedoch tatsächlich ihr Geld mit der Schriftstellerei verdiente, wich sie häufig auf Kriminalmagazine aus. Diese akzeptierten adaptierte Geschichten, die zuvor von anderen Verlagen abgelehnt worden waren.

Dieser frühzeitige ökonomische Zwang erklärt wohl die AußenseiterInnenposition von Highsmith in der Kriminaliteratur, und das obwohl sie eine der berühmtesten ProtagonistInnen ist. Die TäterInnen von Highsmith sind sich ihrer und der LeserInnen Übereinstimmung sicher. Recht und Gesetz stellen nur einen weiteren Zwang dar, den es zu überwinden gilt. Wie auch in der in diesem Band ersten Erzählung "Die Morgen des ewigen Nichts" sind die AkteurInnen strikten sozialen Unterwerfungsmechanismen ausgesetzt, wobei sie sich hier zunächst noch durch Flucht diesem Druck entziehen. Ihr späterer Held Ripley geht in die Offensive und erkämpft sich sein Recht auf etwas aggressivere Art. In der Erzählung "Der Schatz" ist ebenfalls archetypisch für Highsmith der Existenzkampf unterprivilegierter Randfiguren der Gesellschaft und ihre abweichenden sozialen Normen angelegt, die um eine in der U-Bahn gefundene Tasche erbittert kämpfen. Großstadtstreß, Arbeitsdruck, Hypochondrie, unterdrückte Sexualität, Gehäßigkeit und Gemeinheit, Rachsucht, Kindesmißbrauch – Elemente einer Atmosphäre menschlichen Handelns, das sich bei Highsmith nie in moralischer Selbstgerechtigkeit auflöst, sondern entgegen sozialen Vorgaben individuell bewältigt wird.

Das Buch zeigt eine Schriftstellerin, die zwar in späteren Jahren hauptsächlich Kriminalromane schrieb, die aber keine Kriminalautorin war. "Die Stille der Mitte" ist der Anfang der geplanten Werkausgabe aller bisher erschienen Titel in Neubearbeitung und zahlreicher unveröffentlichter Titel bis ins Jahr 2005 hinein.

Patricia Highsmith
Die stille Mitte der Welt
Diogenes Verlag
389 Seiten
22,60 Euro

aus TATblatt Nr. +185 vom 12. April 2002

 
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