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Europäische Union:
Das spanische Semester

Spanien hat am 1. Jänner turnusmäßig die EU-Ratspräsidentschaft von Belgien übernommen. Das Leitmotiv für das nächste halbe Jahr soll "Más Europa" (mehr Europa) lauten - und soll für ein "sichereres und wettbewerbsfähigeres Europa" stehen.

austria.indymedia.org, TATblatt

Ministerpräsident Jose Maria Aznar (PP, Volkspartei) nennt als oberste Priorität die Bekämpfung des Terrorismus. Dabei soll auf die im letzten Jahr geschaffenen Grundlage wie die gemeinsame Terrorismusdefinition, das europäische Auslieferungsabkommen und die am 27. Dezember verabschiedete Liste terroristischer Organisation und deren UnterstützerInnen aufgesetzt werden. Weiteres Hauptanliegen der spanischen Terrorismusbekämpfung sollen dabei internationale Abkommen mit den USA und anderen Nicht-EU-Staaten sein, die die grenzüberschreitende Verfolgung und Auslieferung mutmaßlicher TerroristInnen vereinfachen soll. Dazu kommen noch erweiterte Befugnisse für Europol und der Start von Eurojust, der europäische Richterkoordination. Spanien möchte auch die Überwachung der Festung Europa zentralisieren und eine zentrale europäische Stelle für Visavergabe einrichten.

All diese Maßnahmen zielen natürlich auch auf die so genannte Antiglobalisierungsbewegung, wie die europäische Terrorismusdefinition eindeutig gezeigt hat. Die Gunst der Stunde soll genutzt werden, kritische Bewegungen in die Nähe von Terrorgruppen zu stellen und so zu kriminalisieren.

Ein kurzer Rückblick

Schon letztes Jahr wusste die spanische Polizei zu zeigen was sie von der neu entstehenden Globalen Außerparlamentarischen Opposition hält. Am 25. Juni 2001 demonstrierten 30.000 Menschen gegen die Weltbank, die ihr Treffen "BM Barcelona 2001" kurzfristig ins Internet verlegt hatte. Nachdem als Aktivisten verkleidete Zivilpolizisten die DemonstrantInnen körperlich provoziert hatten nutzten Sondereinheiten zur Aufstandsbekämpfung diesen Vorwand und griffen mit Schlagstöcken die Demo an.

Gleich im Anschluss an die Proteste wurde von der lokalen Rechtshilfe Beweismaterial gegen die Polizei gesammelt und vor Gericht eingereicht. Der von den AktivistInnen angestrebte Prozess richtete sich dabei gegen einen "Polizeiplan der darin bestand, dass Zivilpolizisten Übergriffe auf die Demonstration ausführen, mit dem Ziel die Polizeirepression zu rechtfertigen". Am 7. Jänner 2002 hat der zuständige Richter nun die Strafanträge gegen die betroffenen Behörden fallengelassen.

Überwachen und Strafen

Die Sicherheitsvorkehrungen für die internationalen Gipfel während der EU-Ratschaft in Spanien laufen seit einem Jahr. Laut Innenministerium und El Pais gelten die Globalisierungsbewegung, anarchistische Gruppen und die ETA als die größten Risiken. Für die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen werden zusätzlich über 10 Millionen Euro aufgebracht. Unter anderem sollen während der sechs Monate mehrere tausend Sicherheitsbeamte vor allem für die 26 internationalen Gipfel abgestellt sein. Zusätzlich steht seit 1. Jänner eine schnelle Eingreiftruppe bereit. Die größten Sicherheitsvorkehrungen wird es während der Gipfel in Madrid, Barcelona, Sevilla, Santiago de Compostela, Zaragoza, Valencia, Granada und Oviedo geben.

Gestützt auf ein repressives Antiterrorgesetz versucht Spanien soziale und politische Bewegungen in die Nähe von Terrorismus zu rücken. Das spanische Antiterrorgesetz erlaubt es, vermuteten TerroristInnen lange Haftstrafen aufzubrummen - so geschehen zB. mit Leuten aus der HausbesetzerInnenszene in Barcelona. Diese Entwicklung soll mit der europäischen Terrorismusdefinition auf europäische Ebene gehoben werden.

Wie auch schon vor Prag, Salzburg, Genua und Brüssel findet wieder ein Datenaustausch zwischen den verschiedenen "Hooligandatenbanken" auf europäischer Ebene statt. Dieser Informationsfluss soll durch erweiterte Befugnisse für Europol noch erleichtert werden.

Eine Einsatztruppe speziell für die Überwachung der elektronischen Kommunikation der EU-Kritikerinnen soll darüberhinaus folgende "Kommunikationsorgane der TerroristInnen" systematisch überwachen: Indymedia Barcelona <barcelona.indymedia.org>, Observatorio Global <www.geocities.com/observaglobal>, International Protest Action <int-protest-action.tripod.com>, Nodo50 <www.nodo50.org>, Acción Internacional de Estudiantes <www.antilou.org>, Rebelion Org <www.rebelion.org>, Lahaine <www.lahaine.f2s.com> und Sin Dominio <www.sindominio.net>.

EU im Kampf gegen den "Terror"

Am Morgen des 16. Januar 2001 wurde der 35-jährige Juan Ramón Rodríguez Fernández in Amsterdam festgenommen. Er ist Sänger der linksradikalen Hardcore-Band "KOP" und war lange Jahre in der Hausbesetzer-Szene Barcelonas aktiv. Im Sommer 2001 hat er Spanien verlassen, um sich der Festnahme der spanischen Polizei zu entziehen. Er wurde gesucht, weil er das "Kommando-Barcelona" der ETA unterstützt haben soll. Die Festnahme von Juan war dabei die erste, die im Zusammenhang mit dem seit Januar 2002 eingeführten "eurojust", also den Gesetzesverschärfungen die in Europa als Reaktion auf den 11. September eingeführt wurden, stattgefunden hat.

Gleichzeitig mit der Kriminalisierung von AktivistInnen der radikalen Linken, wird es auch für politische Gefangenhilfsorganisationen immer enger. Die Organisation Gestoras pro-Amnistia war den Behörden unangenehm aufgefallen, da sie wiederholt Folter und Misshandlungen durch die Guardia Civil und andere Polizeikräfte öffentlich machte. Konsequenter Weise wurde sie dieser Tage daher schlicht und einfach verboten.

Schwerpunkte

Schwerpunkte der spanischen PräsidentInnenschft sind unter anderem die "Einführung des Euro" und die "Modernisierung der Wirtschaft" sprich die weitere Liberalisierung und Flexibilisierung des europäischen Wirtschaftsraums, wie es in der 1999 festgelegten "Strategie von Lissabon" festgeschrieben ist. Im Konkreten geht es dabei um die Öffnung des Transportwesens, die Liberalisierung des Gas- und Strommarktes, die Integration der europäischen Finanzmärkte, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und um Verbesserungen der Bildung für StudentInnen und ArbeiterInnen. Weitere Schwerpunkte sind die Erweiterung der Union, eine intensivere gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik und die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union. Außerdem müssen noch drei Kapitel verhandelt werden, die die belgische PräsidentInnenschaft nicht abschließen konnte: die Schaffung eines europäischen Patents, das Programm der europäischen Satellitennavigation Galileo und die Verteilung europäischer Institutionen, die in Laeken nicht ausverhandelt wurden. Spanien möchte außerdem die Lebensmittelkontrolle nach Barcelona holen.

Das Wirtschaftsprogramm des spanischen Semesters enthält eine Reihe von Punkten, die von der WTO forciert werden und die im GATS-Abkommen festgehalten sind.

aus TATblatt Nr. +182 vom 21.Februar 2002

 
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