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Unser Wien - "Arisierung" auf österreichisch

Herbst in Wien: Da wo sich die Stadt wie jedes Jahr am ehrlichsten zeigt, und zu einer grauen, verregneten, nass-nebeligen, nach Abgasen stinkenden und am Ende schneematschigen Kältehölle wird, sorgt dieses Buch dafür, dass man/frau sich hier nie wieder heimelig fühlen wird, und dass einem bei jedem Apotheken- oder Kinobesuch ein gruseliger Schauer befällt.

Dieser Tage erschien im Berliner Aufbau-Verlag ein Buch, dass sich endlich der umfangreichen, österreichischen Arisierungspraxis populärwissenschaftlich annimmt. Damit erschien (neben Margit Reiters Werk: "Unter Antisemitismus-Verdacht: Die österreichische Linke und ihr Verhältnis zu Israel nach der Shoah") heuer bereits ein zweites wichtiges Buch zu den Auswirkungen der österreichischen NS-Vergangenheit. Wo sich Reiter explizit mit der Linken herumschlägt, kommen linke Institutionen wie der ÖGB oder Persönlichkeiten wie Adolf Schärf in "Unser Wien" nur am Rande vor. Nichtsdestotrotz sind die recherchierten Fälle erschütternd, und lassen keinen Zweifel an der tiefen Verstrickung der österreichischen Linken an der systematischen Beraubung des jüdischen Bevölkerungsteiles, welche in der bis heute verweigerten Restitution der geraubten Güter gipfelt.

Zur Verdeutlichung was "Arisierung" eigentlich bedeutete, sind diverse Fälle akribisch recherchiert und im Buch dokumentiert worden. Die Beteiligung, die Durchführung und die Profiteure auf der Täterseite und die in Vertreibung, Deportation oder Selbstmord endenden Konsequenzen für die Opfer sind faktenreich und quellentechnisch gut belegt aufgelistet. Aus diesen Einzelfällen ergibt sich ein Gesamteindruck, welcher das Bild von der guten, alten Zeit zurechtrückt: Die Begeisterung und Eigeninitiative bei den "wilden Arisierungen" der Wiener und Wienerinnen ging selbst der NS-Bürokratie zu weit. Zu unkontrolliert, zu brutal und zu gierig gingen die WienerInnen sofort nach dem "Anschluss" am 13.3.38 auf ihre jüdischen MitbewohnerInnen, und alle die sie dafür hielten, los. Die NS-Bürokratie stellte dagegen die organisierte Form der totalen Enteignung und Verwertung von jüdischem Eigentum, die ab 1941 in der völligen Vernichtung endete. Dazu gab es diverse Zwangsmaßnahmen wie Sondersteuern, Versteigerungen, Vermögensfestellungen (die teilweise unter Folter erpresst wurden) oder so genannte Liquidierungen: jüdische Betriebe wurden übernommen und in kürzester Zeit wurde alles Verwertbare zu barer Münze gemacht. Die Erfolge wurden dann stolz in Organen wie dem "Völkischen Beobachter" vermeldet. Durch die nahtlose Aneinanderreihung der einzelnen Fälle entsteht ein schockierender, und etwas verwirrender Eindruck. Es scheint sich die These von Phillipe Burrin zu bestätigen. Er beschreibt den NS-Staat als unorganisierten Kompetenzdschungel ohne klare Befehlshierarchie, wo konkurrierende Behörden und Ämter, die als Referenzpunkt nur den idealisierten Führerwillen anerkennen, durch Intrigen und Machtspiele zu Entscheidungen kommen. Durch diese verwirrende Dynamik, aber auch den gnadenlosen Antisemitismus der ausführenden Beamten, entstanden die entmenschlichenden Schikanen der Bürokraten, die sich gegenseitig um die arisierten Werte zankten (um diese als Schmiergelder zu verwenden, oder Parteigünstlingen zuzuschieben), und dies auf dem Rücken der Opfer entluden. Der zweite Teil des Buches besteht aus einer in Bezirke, Straßen und Branchen gegliederten "Topographie des Raubes". In einmaliger Weise wird der LeserIn die Systematik und vor allem der Umfang der Arisierungen ins Bewußtsein gebracht: Über 50% der Wiener Apotheken und Lichtspielkinos hatten nach dem Krieg neue, "nichtjüdische" Eigentümer. Ebenso zahllose Caféhäuser, Immobilien, Druckereien, Hotels, Geschäfte, Arzt- und Anwaltskanzleien usw.

Im Anhang finden sich nützliche Tips und Adressen, für die selbständige Recherche zu den Themen Enteignung und eventueller Restitution. So dient dieses Buch auch als Anregung um genauer hinzusehen und nachzuforschen, wo das Klavier im Wohnzimmer herkommt, oder wann denn Omas günstiger Mietvertrag eigentlich entstanden ist.

Die offizielle österreichische Geschichte, wie sie durch Schulunterricht und Hugo Portisch´ "Österreich II"-Sendungen verbreitet wird, ist das eine. Dieses Buch hilft, eine andere Geschichte, jenseits der Verdrängung und Verleugnung, zu erzählen: Nach der Tyrannei stießen die wenigen Überlebenden auf taube Ohren, denn der Wind blieb gleich: Restitution? Einsicht? Schuldgefühle? Nein, aus den willigen Nazis wurde das "erste Opfer" Hitlers. Die österreichische Lebenslüge entstand. Auch sozialdemokratische Politiker waren und sind tief in das begangene Unrecht verstrickt: die im Buch dokumentierten Aussagen von Bundespräsident Karl Renner, Inneminister Oskar "Ich wäre dafür, daß man die Sache in die Länge zieht" Helmer, Adolf Schärf (der es sich im Nationalsozialismus ja auch gut verbessern konnte) lassen Alfred Gusenbauers Eingeständnis von einigen "braunen Flecken" der SPÖ als Verharmlosung erscheinen. Besonders demütigend muß für die Opfer die Tatsache sein, dass das derzeitige Image der Stadt Wien, das jährlich hunderttausende TouristInnen an die Donaumetropole lockt, wesentlich auf Attraktionen wie z.B. dem Riesenrad (ja, auch Wiens berühmtestes Wahrzeichen ist ein Denkmal der Arisierung und der nach dem Krieg verweigerten Rückgabe der geraubten Güter), der Caféhauskultur, den Museen, dem kulturellen Leben der Jahrhundertwende u.ä. aufbaut. Dies alles wurde wesentlich von den jüdischen MitbürgerInnen mitbestimmt, jetzt profitieren die Erben der NationalsozialistInnen noch immer von den Verbrechen. Die attraktiven Wiener Museen, vollgestopft mit geraubten Bildern. Das Bild der sauberen Mozart- und Kaiserstadt läßt unauffällig verschwinden, was diese Stadt in Wahrheit darstellt: Das größte, existierende Freilichtmuseum der Shoah.

Karl N.

 

Tina Walzer, Stephan Templ
Unser Wien – "Arisierung" auf österreichisch
Aufbau-Verlag GmbH, Berlin 2001
ISBN 3-351-02528-9

aus TATblatt Nr. +180 vom 18. Jänner 2002

 
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