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EuGH: Prostitution ist Beruf

Diskriminierung verletzt EU-Recht

Viele FreundInnen hat die Europäische Union unter KritikerInnen der auf ökonomische Gesichtspunkte reduzierten Globalisierung nicht. Und dennoch: Der EU-Gerichtshof hat dieser Tage ein wegweisendes Erkenntnis publiziert: Prostitution ist ein Beruf; SexarbeiterInnen haben somit Anspruch auf Anwendung von EU-Rechtsbestimmungen. Das Urteil richtet sich gegen rassistische Rechtsauslegung wie auch gegen Diffamierung und Diskriminierung von SexarbeiterInnen. Die Volksseele kocht!

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Geklagt hatten sechs polnische und tschechische Frauen, die als "Fenster-Prostituierte" in Amsterdam arbeiten wollten. Sie hatten eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt, die mit der Begründung abschlägig beschieden worden war, dass Prostitution verboten, bzw. "keine gesellschaftlich akzeptierte Form der Arbeit" sei. Der EuGH stellte dagegen fest, dass es sich in den meisten EU-Staaten "keineswegs um eine verbotene Tätigkeit" handle, sondern dass sie geduldet und sogar reglementiert sei. Die Gemeinde Amsterdam etwa erlaube Straßen- und Fenster-Prostitution. Aufgrund der Assoziationsverträge der EU mit Polen und Tschechien stehe SexarbeiterInnen als "selbstständig Erwerbstätigen" die Niederlassungsfreiheit zu. Die Richter hielten zugleich fest, dass sie nicht an Stelle der Mitgliedstaaten über eine "angeblich unsittliche, aber in den Mitgliedstaaten rechtmäßig ausgeübte Tätigkeit" zu befinden hätten. Eine Diskriminierung gegenüber Einheimischen sei jedoch unzulässig.

Die EU-RichterInnen (?) lieferten als Fleißaufgabe gleich auch eine Definition des Begriffs "Prostitution" mit: es handle sich um eine "entgeltliche Dienstleistung", die als Erwerbstätigkeit bezeichnet werden könne. Sie bestehe in einer "Tätigkeit, durch die der Leistungserbringer gegen Entgelt eine Nachfrage des Leistungsempfängers befriedigt, ohne materielle Güter herzustellen oder zu verkaufen."

Mit dieser Entscheidung wird Prostitution erstmals ohne diskriminierende Zusätze als Beruf anerkannt. Auf diese Weise werden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, diskriminierende Berufshindernisse aus ihren Rechtsordnungen zu entfernen. Ein Staat, der Prostitution grundsätzlich für möglich hält und sie betreffende gesetzliche Bestimmungen erlässt, wird zukünftig also nicht mehr - wie etwa Österreich - das SexarbeiterInnen zustehende Entgelt für "unmoralisch" oder "sittenwidrig" erklären können. Dies ist u.a. deshalb von Bedeutung, weil Gewalt gegen SexarbeiterInnen in hohem Maß mit der Bezahlung zusammenhängt, die gegenwärtig in Österreich gerichtlich nicht einklagbar ist.

Ärgern werden sich über die Entscheidung insbesondere jene Menschen, die aus den diskriminierenden Umständen, denen SexarbeiterInnen ausgesetzt sind, profitieren: MenschenhändlerInnen, ZuhälterInnen, "Freier". Sie werden in Zukunft (hoffentlich) zu respektieren haben, dass SexarbeiterInnen keine schlechtere Kategorie Menschen darstellen und einen Anspruch auf denselben Schutz durch das Gesetz haben wie alle anderen Menschen, deren Alltagstätigkeit seltsamerweise nicht als Prostitution bezeichnet wird.

aus TATblatt Nr. +178 vom 29. November 2001

 
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