tatblatt.net    

Repression nach Genua und Göteborg:

Enthaftungen, Verhaftungen und weitere Ermittlungen

Am 3.10. wurden die letzten Gefangenen nach den Protesten in Genua endlich freigelassen; drei Leute aus Italien sitzen weiterhin in Hausarrest. Bei den letzten Freigelassenen waren selbst für die Staatsanwaltschaft nicht mehr genügend Gründe für eine Haftverlängerung gegeben. Die Ermittlungen gehen aber weiter. Auch jene gegen Beamte wegen der zahlreichen fälle von Misshandlungen. Es wird damit gerechnet, dass es in nächster Zeit jedenfalls zu weiterer Repression in Italien kommen wird, wie es auch nach den Anti-EU-Protesten in Göteborg der Fall ist. Am 16. Oktober wurden 17 Leute in Schweden verhaftet.

Genua

Nach mehr als 10-wöchiger Haft wurden die letzten der im Zuge der G8-Proteste Verhafteten am 3.10. freigelassen. Bei ihnen wurde sogar von der Anwendung des Zwangsmittles der Abschiebung abgesehen, sie erhielten jedoch die Auflage, so schnell wie möglich das Land zu verlassen. Bereits am 1. Oktober wurde ein Mann überraschend und ohne eine Aussage gemacht zu haben freigesprochen. Bei einigen Personen, wie bei den Mitgliedern der Volxtheaterkarawane hat die Staatsanwaltschaft Berufung gegen die Enthaftung eingelegt. Die Verhandlung darüber wird voraussichtlich erst im Jänner stattfinden. Prozesse gegen zahlreiche AktivistInnen sind abzuwarten, aber durchaus wahrscheinlich. Der Strafrahmen liegt bei den meisten Beschuldigten, denen vorgeworfen wird, Teil des "Schwarzen Blocks" zu sein, bei 18 Jahren. Die Anklageschriften von Polizei und Staatsanwaltschaft stützen sich fast ausschließlich auf Indizien. Auch gegen jene AktivistInnen, die erst in der Scuola Diaz und dann in der Carabineri-Kaserne Bolzanetto schwerst geschlagen und gefoltert wurden, laufen Ermittlungen.

Drei Leute aus Italien sitzen jedoch immer noch wegen schwerer Anschuldigungen in Hausarrest. Die Anklagen reichen von illegalem Besitz von bombenfähigen Materialien, Bewaffnung der Demo am 21.7. bis zu Mordversuch, bei Einem aus Genua läuft ein Strafverfahren wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Nach offiziellen Ankündigungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei sowie nach Einschätzung der italienischen AktivistInnen ist aber in den nächsten Wochen und Monaten mit massiven Repressalien gegen AktivistInnen und politische Strukturen in Italien zu rechnen.

Einen kleinen Vorgeschmack darauf hat die größte Durchsuchungswelle der letzten Jahre in Italien geliefert. Am 18. September wurden in 20 verschiedenen Städten zahlreiche Razzien durchgeführt, zahlreiche Materialien mitgenommen, Einrichtungen zerstört und ca. 60 Personen mitgenommen, verhört und am Abend wieder laufen gelassen. Gegen über 30 Leute wird wegen der Anschuldigung, Mitglied in einer "subversiven Assoziation" zu sein, ermittelt. Die Vorwürfe beziehen sich zum Teil auf Vorkommnisse, die sich schon vor einigen Jahren zugetragen haben sollen. Ausmaß und Zeitpunkt der Polizeiaktion lassen aber vermuten, dass es sich nicht "nur" um alte Anschläge handelt.

Am 24. September wurden in Firenze 13 Wohnungen und Arbeitsstellen durchsucht, zahlreiche Gegenstände beschlagnahmt. Zwei Staatsanwälte ermitteln gegen 8 Leute wegen Paragraf 270 (Subversive Assoziation), versuchten Mordes und einigen anderen Paragrafen. Eine angebliche Assoziation soll für eine Briefbombe verantwortlich sein, die einige Wochen zuvor an den Präfekten Achile Serra geschickt wurde.

Gegen den ehemaligen Pressesprecher der Tute Bianche wurden drei Anzeigen, zum Teil schon wegen älterer Vorkommnisse, erstattet. Ihm wird "Widerstand gegen Beamte" (2000, Anti-Biotech-Demo), "Anstiftung zum Verbrechen" (2001, G8) und "Anstiftung zur Gewalt" vorgeworfen. Dies aufgrund der Aussagen von Casarini in Zeitungen im Vorfeld des G8. Eine dicke Akte, vollgestopft mit Aussagen Casarinis in Tages- und Wochenzeitungen wurde der Staatsanwaltschaft übergeben.

Die italienische Polizei hält immer noch zahlreiche Autos, Kameras, Handys (von denen auch telefoniert wurde), Computer und jede Menge persönliche Gegenstände fest. Mit einer Bankomatkarte, die sich in einem der beschlagnahmten Autos befand, wurde mehrmals größere Geldbeträge abgehoben. Auf ein Auto, das kurz vor der Rückgabe stand, wurde nächtens ein Brandanschlag verübt. Wie bei einigen Anschlägen gegen linke Einrichtungen werden FaschistInnen als TäterInnen vermutet.

In der Nacht vom 15. auf den 16. September wurden das Casa Pinelli, ein besetztes Haus in Genua, und die Wand mit dem Andenken an Carlo Giuliani auf dem Piazza Alimonda mit Molotovcocktails angegriffen. Es wurde dabei zwar niemand verletzt, im Casa Pinelli entstand jedoch erheblicher Sachschaden.

Klagen gegen Polizei

Aufgrund der schweren Misshandlungen während der Polizeieinsätze in Italien wurden in den letzten Wochen zahlreiche Klagen gegen italienische Exekutivbeamte eingebracht. Etliche PolizistInnen wurden schon vernommen, doch brachte dies unseren Informationen nach genausowenig, wie die Sonderkommissionen, die zur Klärung der Übergriffe eingesetzt wurden. Bezüglich der Voruntersuchungen zum Fall der Stürmung der Scuoal Diaz und des Medienzentrums schrieb ein italienischer Anwalt:

"Sobald der Staatsanwalt Nachricht vom Vorliegen einer Straftat hat, macht er sich daran, Beweise zu suchen, um eine Strafverfolgung beginnen zu können. Wenn der Staatsanwalt nach den Voruntersuchungen denkt, dass er ausreichende Beweise hat, um eine Anklage vorzunehmen, fordert er den Richter auf, die Untersuchten Personen vor Gericht zu führen, d.h. er fordert die Eröffnung des Prozesses. Zu diesem Zeitpunkt werden die untersuchten Personen zu Angeklagten. In Bezug auf das Mediencenter 'pascoli', nicht auf den Schlafsaal 'pertini', sind im Augenblick Ermittlungen gegen unbekannt im Gange. Nach dem, was uns an Informationen vorliegt, ist bis jetzt noch kein Polizist als Person, gegen die ermittelt wird, aufgelistet.

Die Phase der Voruntersuchungen ist geheim, daher haben wir keinen Einblick in den Informationsstand des Staatsanwaltes. Eine der zum GSF gehörenden Organisationen, die Vereinigung der demokratischen JuristInnen, denen wir zuarbeiten, hat ein Exposé veröffentlicht, in dem sie Diebstahl, Beschädigung, Nötigung, Missbrauch der Amtsgewalt anprangert. In dieser Phase des Verfahrens ist es notwendig, Beweise zu sammeln im Hinblick auf das Media-Center. Die Polizei hat von der Durchsuchung kein Protokoll geführt und die Rekonstruktion hängt daher ausschließlich von den Zeugenaussagen ab." (Genuainfos vom 7.10.)

Schwer belastet wegen Körperverletzung wurde Alessandro Perugini, Ex-Vicecapo der Digos (politische Polizei in Italien) von Genova, der während der 'guerriglia urbana' gefilmt wurde, wie er einem minderjährigen Jungen aus Ostia einen Tritt versetzte. Die Fristen für die Anklagen sind in den meisten Fällen schon abgelaufen. Es bleibt abzuwarten, ob es zu Anklagen gegen einzelne PolizistInnen kommen wird. Auf der Procura von Genua liegen jedenfalls ca. 300 Fotos von PolizistInnen und Gefängnispersonal (aus Bolzanetto) auf. Die StaatsanwältInnen werden voraussichtlich in verschiedene europäische Länder reisen, um mit Hilfe dieser Fotos Opfer zu befragen und mögliche TäterInnen zu eruieren.

Die UntersuchungsrichterInnen, die durch die zahlreichen Anzeigen zu den Übergriffen der Ordnungskräfte aus dem Ausland unter Druck geraten sind, haben beschlossen, die Verfahren um internationale Amtshilfe zu beschleunigen, um möglichst bald die Demonstranten vernehmen zu können.

Mittlerweile gab es aber auch schon Besuche bei Eltern und Angehörigen von Genuagefangenen. Ihnen wurden Fotos zur Identifikation vorgelegt, die von den Gefangenen in den Gefängnissen aufgenommen wurden.

Alleanza Nazionale macht Stimmung

Die rechte Polizeigewerkschaft "Sindacato autonomo di polizia" (Sap), beste Verbündete der rechtsextremen Alleanza Nazionale (AN), forderte den Genueser Stadtpräsidenten und den Präsidenten der Provinz Ligurien auf, beim GSF Schadenersatz für die G8-Schäden zu fordern. Die AN und die Sap verbreiten im Moment ihre "Wahrheit über die Tage des G8", u.a. mit Medienmitteilungen und einem Propagandavideo. Laut Polizeigewerkschaften stecken alle Non Global Fraktionen ("Black Block", Tute Bianche/Disobbidienti und PazifistInnen) unter einer Decke. Eine Art "linke Verschwörung" gegen die Polizei, welche gnadenlos von "Black Blockern" niedergeknüppelt, von Tute Bianche provoziert und von den Medien in den Dreck gezogen worden sei, wird konstruiert.

Für AN-PolitikerInnen sind die Attentate vom 11. September und die Demonstrationen gegen den G8-Gipfel "zwei Gesichter derselben Medaille" - wenn es wahr sei, dass bei den Demos, wie in den Medien berichtet, auch in islamischen Guerrilla-Camps ausgebildete Terroristen dabei gewesen seien und wenn es wahr sei, dass nur durch die Schließung des Luftraums während dem G8 Genua vor noch größeren Zerstörungen gerettet worden sei. In Genua, so die AN, habe mensch die Guerrilla gesehen - und der Guerrilla müsse man mit Anti-Guerrilla-Techniken anworten...

Festnahmen in Schweden

In Schweden gab es erneute Festnahmen wegen des EU-Gipfels in Göteborg. Am Morgen des 16.10. wurden in verschiedenen schwedischen Städten insgesamt 17 Personen von der Polizei verhaftet. Ihnen wird die Vorbereitung der Krawalle bzw. die Beteiligung daran in Göteborg anlässlich der Proteste gegen den EU-Gipfel im Juni vorgeworfen. Für drei weitere die nicht angetroffen wurden, besteht ein Haftbefehl. Zwei der Festgenommenen wurden nach Geständnissen noch am selben Tag wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Festgenommenen sind alle sehr jung, der Älteste ist gerade mal 21.

Die Polizei hat angekündigt, weitere Festnahmen in Schweden, Norwegen, Dänemark, Deutschland und Finnland vorzunehmen. Innerhalb der nächsten 9 Monate rechnet sie mit 60-80 Festnahmen. Laut einem Artikel in der schwedischen Zeitung "Aftonbladet" plant die deutsche Polizei in Zusammenarbeit mit ihren schwedischen KollegInnen eine Gruppe aus Deutschland festzunehmen, die verdächtigt wird mit sog "pen pistols" - vermutlich Leuchtspurstifte - auf PolizistInnen geschossen zu haben.

Nach wie vor sitzen in Schweden zahlreiche Personen ein. Sie wurden zum Teil in Schauprozessen, die allein auf Indizien oder Aussagen von PolizistInnen beruhten, zu langen Haftstrafen verurteilt (siehe TATblatt plus 172/173). Da Gefängnisse in Schweden offensichtlich ein stark begrenztes Fassungsvermögen haben, werden vier zu zwischen einem und zwei Jahren Verurteilte nach wie vor bei der Polizei festgehalten.

Diesen vier Gefangenen sind Besuche von Angehörigen erlaubt, während anderen diese noch immer verwehrt werden. Es ist möglich, den Gefangenen Briefe, Postkarten, Bücher und Geld zu senden. Je länger die Leute sitzen, desto weniger Post erhalten sie leider. Deshalb gibt es von UnterstützerInnen den Aufruf, ihnen zu schreiben und Bücher auf Deutsch und Englisch zu senden.

Kontakt:
Solidarity Group GBG
c/o Syndikalistiskt Forum
Box 7267
SE-402 35 Gothenburg
SWEDEN

e-mail:
solidaritaetsgruppen@hotmail.com

Spenden:
Postgirobank
405 06 Stockholm, Sweden
Swift "number": pgsisess
Account Name: Nisse-Latts minnesfond
Account number: 27602-2

 

Spenden für die Genuagefangenen:

Österreich:
VolxTheaterKarawane
PSK KtoNr. 786 538 43, BLZ 60.000, Verwendung: noborder

Deutschland:
Rote Hilfe e.V.
Konto 19 11 00 462, Postbank Dortmund, BLZ 440 100 46, Verwendungszweck: "Genua-Gefangene"

Schweiz:
PC-Konto: G8-Solikonto, 87-630087-0


weitere Infos:
>>>http://www.lorraine.ch/genua

>>>http://www.no-racism.net

>>>http://austria.indymedia.org

und andere indymedia-sites

aus TATblatt Nr. +176 vom 2. November 2001

 
>>TATblatt-Inhaltsverzeichnis

©TATblatt, 2001
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken alternativen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe und Belegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum)