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Polizeiüberfall auf Schule "Diaz", Indymedia und GSF

In der Nacht zwischen 21. und 22. Juli wurde in Genua das Gebäude, welches das General Social Forum (GSF), Pressebüro, Radio Gap, ManifestoCarta und Indymedia Italy (IMC) beherbergt, von der italienischen Polizeieinheit DIGOS (Dipartimento Investigativo Gruppo Opperativi Speziale) brutal gestürmt. Während die Polizei sich hier noch einigermaßen zurückhielt, hatten rund 50 AktivistInnen, die in einer gegenüberliegenden Schule untergebracht worden waren, weniger Glück.

Um Punkt Mitternacht stürmte die DIGOS-Beamten in Zivil, mit Helmen und schusssicheren Westen bekleidet, das Medienzentrum in der Via G. Battisti und beschlagnahmte dabei vor allem Audio-, Video- und Fotomaterial der Ereignisse rund um die Proteste der vergangenen Tage in Genua. Im Zuge der Amtshandlung wurden zahlreiche Computer und Monitore zerstört, Stühle, Tische und sonstige Einrichtungsgegenstände zertrümmert. Darüber hinaus hatten es den PolizistInnen auch die Datenbanken und Unterlagen aus dem sich ebenfalls im Gebäude befindlichen Büros des GSF, der Rechtshilfe, sowie AnwältInnen, die DemonstrantInnen rechtlich unterstützt hatten, angetan.

Kurz nach der Stürmung des Rechtshilfe- und Medienzentrums begannen die PolizistInnen in das gegenüberliegende Gebäude einzudringen. Die sogenannte "Diaz"-Schule diente knapp über 50 AktivistInnen bis zu diesem Zeitpunkt als Schlafplatz. Zahlreichen AugenzeugInnenberichten zufolge dauerte es von nun an rund 20 Minuten, bis die ersten Rettungsfahrzeuge schwer verletzte AktivistInnen aus der Schule abtransportierten. Während des Polizeiüberfalls wurden 66 Menschen verletzt, davon 31 so schwer, dass sie – teilweise mit Knochenbrüchen und stark blutenden Kopfverletzungen - ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Drei Personen, darunter ein Reporter vom IMC UK, mussten operiert werden, ein Deutscher lag für kurze Zeit gar im Koma. Nachdem die AktivistInnen medizinisch notdürftig versorgt worden waren, wurden sie ohne Rücksichtnahme auf ihren Gesundheitszustand in Haft überstellt, wo sie von den Cops weiter brutalst traktiert wurden.

Die vorerst zu ziehende Bilanz dieses Polizeiübergriffs: von den 51 verhafteten AktivistInnen wurden alle bis auf einen vier Tage später vom zuständigen Untersuchungsrichter entlassen, alle Anklagen gegen sie fallen gelassen. Andererseits gibt es vor allem in Italien, wie auch in vielen anderen europäischen Ländern (mit Ausnahme Österreichs), eine breit geführte Diskussion über die Legitimität dieses Polizeieinsatzes. Die Regierung Berlusconi, die in den ersten Tagen nach Genua durch Stillschweigen und Ignorieren versuchte, jegliche Kritik "auszusitzen", musste auf Grund der massiven kritischen Berichterstattung zahlreicher linker bis linksliberaler italienischer Medien und Intervention ausländischer Behörden (mit Ausnahme der österreichischen) nun immerhin einer Untersuchung des Polizeieinsatzes rund um den 21. und 22. Juli zustimmen.

Bei einer Einschätzung der Hausdurchsuchung im Medien- und Rechtshilfezentrum kann jedoch gar nicht genug betont werde, von welchem Interesse die dort von der Polizei illegaler Weise beschlagnahmten Daten für die Behörden sein müssen. Lassen diese nicht nur auf die lokalen antikapitalistischen Strukturen in Genua sowie in ganz Europa schließen, sondern auch über die Tätigkeit von Indymedia und der Rechtshilfe, die vor Ort Tag und Nacht damit beschäftigt waren, Polizeiübergriffe mittels Video- und Bildmaterial zu dokumentieren und AktivistInnen zu unterstützen, was gerade nach dem Mord an Carlo Giuliani bei der italienischen Polizei nicht gerade auf Gegenliebe gestoßen sein dürfte. Allesamt Punkte, die allerdings die Stürmung der benachbarten Schule nur kaum erklären können. Hier dürfte wohl schlicht und einfach ein Exempel statuiert worden sein, um die polizeiliche Überlegenheit vorzuführen; den AktivistInnen genauso gegenüber wie der neofaschistischen Regierung, die durch das weltweite Medienecho nach dem Tod von Carlo massiven Erklärungsbedarf im Bezug auf das totale Versagen der eigenen polizeistaatlichen Methoden hatte.

Im Folgenden eine Zusammenstellung von zwei (gekürzten) AugenzeugInnenberichten zu dem Polizeiüberfall auf das Medienzentrum und die Schule:

Einige PolizstInnen stürmten erst in den Garten des IMC; das Tor konnte nicht mehr rechtzeitig geschlossen werden. Als Leute die Türe schlossen und begannen, diese zu verbarrikadieren, zogen sie sich wieder zurück. Etwa gleichzeitig versuchten sie auch in die gegenüberliegende Schule einzudringen. Die PolizistInnen in vorderster Front waren von der politischen Polizei DIGOS (Dipartimento Investigativo Gruppo Opperativi Speziale), die in den letzten Tagen schon mehrmals aufgrund ihren Brutalität aufgefallen war. Sie stürmten morgens Camps und wurden auch auf Demos gesehen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige von ihnen auch als ProvokateurInnen auf den Demonstrationen unterwegs waren. Sie treten in ziviler Bekleidung auf und sind oft vermummt. Auch beim Einsatz in der Via Battisti trugen sie keine Uniformen, hatten aber Helme auf und Jacken mit der Aufschrift "policia" an. Zum Teil waren sie vermummt. Während sie die Straße bzw. die beiden Gebäude stürmten, schwangen sie ihre Schlagstöcke und schrieen lautstark.

Im Medienzentrum versuchten einige Leute, sich der anrückenden Polizei entgegenzustellen.

Währenddessen rüttelten die PolizistInnen am Tor der Schule gegenüber des Medienzentrums solange, bis es aufging. Nach einigen Minuten hatten es die 100 bis 150 Terrorpolizisten geschafft, in die Schule gegenüber einzudringen, wo sie sofort mit ihren Prügelorgien begannen. Zum Teil legten sich die Leute freiwillig auf den Boden, andere mussten sich mit erhobenen Händen und Gesicht an die Wand stellen, wie Anwesende berichteten. Sie wurden auch von hinten bzw. am Boden liegend verprügelt. Ein Anwesender gab an, dass er nur noch Blut spritzen sah. Türen und Fenster wurden eingetreten, alle Sachen durchwühlt und am Boden zerstreut - alles verwüstet.

Einige Minuten später drang die Terrorpolizei auch in das Medienzentrum ein. Dort verhielt sie sich anders als im gegenüberliegenden Gebäude. Im dritten Stock, wo sich das Indymediacenter befindet, mussten sich die Leute auf den Gängen mit erhobenen Händen und dem Gesicht an die Wand stellen. Nach einigen Minuten wurden dann alle aufgefordert, sich in einen der Gänge zu begeben. Dann wurden alle Räume oberflächlich durchsucht und einige Taschenmesser, Gasmasken und Motorradhelme "gefunden", die später in einen Sack gepackt wurden. Nebenbei stahl die Polizei Datenträger wie Minidisks, einige Handys, Fotoapparate und dergleichen. Die Polizei, die ins IMC vordrang, war von DIGOS.

Dass im Medienzentrum nicht mehr passierte, hat wohl damit zu tun, dass sich dort zahlreiche JournalistInnen aufhielten, das temporär eingerichtete Haus einen besonderen politischen Stellenwert hat und nach einiger Zeit DiplomatInnen kamen, die die Polizei zum Gehen aufforderten. Als sie abgezogen war, wurde den im IMC Anwesenden erst langsam klar, was gegenüber geschehen war bzw. geschah.

(Quelle: austria.indymedia.org, gekürzter Vor-Ort-Bericht von IMC Austria)

Was in den nächsten 20 Minuten passiert, stellt in Europa einen der brutalsten systematischen Polizeiübergriffe gegen linke politische Strukturen seit vielen Jahren dar. Wahllos stürmten die Polizisten auf die bunt gemischte multinationale mit erhobenen Händen dastehende Menge und prügeln wahllos und mit ungeheurer Brutalität auf alle ein. Ich selbst hielt meinen Presseausweis den prügelnden Einheiten entgegen. Sie lachten und schrieen mich an mit "black bloc" und "Wo ist Giuliani?" und prügelten mit voller Härte auf mich ein. Nach einigen Schlägen fiel meine Pressekarte schließlich zu Boden: Schläge auf den Kopf, die Brust, die Beine, die Schulter - der ganze Körper schmerzt. Bäng, ein Schlag aufs Ohr und beinahe besinnungslos und ohne Gehör winselte ich um Gnade... Ein Schlag mit einem von den Polizisten mitgebrachten Aststock trifft mich, ich werde geschubst und getreten. Um mich herum ein Bild des Grausens und Wimmerns. Blut und Weinen überall. Bereits kurz nach Beginn der Aktion betreten seriös gekleidete Herren in Anzug den Ort des Geschehens, während im oberen Stockwerk noch das Blut der Schlacht an die Wand spritzt. Mit seichter Hand winkt er den prügelnden Mob zurück. Sofort beginnt die Suche. Gepäck wird durchsucht, die blutenden Menschen kauern in der Ecke und wimmern um ärztliche Hilfe. Es dauert einige Minuten bis diese endlich eintrifft. Den SanitäterInnen bietet sich ein Bild des Grauens. Viele kommen erst nach langen Diskussionen in Polizeikrankenhäuser.

Doch für den Großteil der Gruppe ging der Horror nun erst los. Die nächste Station meiner Odyssee war die Polizeikaserne in Bolzaneto, nördlich Genuas. Am frühen Sonntagmorgen kamen wir dort an. Mit Hitler-Gruß empfangen, bespuckt, getreten und erniedrigt begrüßt uns der faschistische Polizeimob. Dort verbrachten wir 30 Stunden, geprägt von psychischer und

physischer Folter, Angst und Erniedrigung. Jeweils etwa 20 Personen wurden in eine Zelle ohne Fensterglas mit kaltem Steinfußboden gesperrt.

Fast stündlich wurden Anwesenheitslisten geprüft, an Schlaf war für die verletzten und total übermüdeten Gefangenen nicht zu denken. Auf die Frage, warum wir überhaupt festgehalten würden, erwiderten die Uniformierten nur höhnisch "black bloc". Innerhalb der nächsten Stunden mussten wir jeweils ca. dreimal mehr als eine Stunde mit erhobenen Händen an der Wand stehen. Wer aus Erschöpfung nicht mehr konnte, wurde ausgeprügelt und geschlagen,

nicht selten auf die Wunden. Viele kauerten in leichter Sommerbekleidung auf dem kalten Steinboden. Der Gang zur Toilette wurde zum Spießrutenlauf.

Immer nur eine/r. Je nach Laune der WärterInnen bespuckt, begrabscht und getreten. Das war vor allem für die über 30 Frauen dieser Gruppe besonders erniedrigend. Bei offener Toilettentür mussten sie vor den Augen der Polizei ihr Geschäft verrichten. Anders erging es einem Insassen, der sich während des Polizeiübergriffs aus Angst in die Hose gemacht hatte. Die gesamte Zeit wurde ihm keine frische Wäsche gegeben. Hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt, steigerte sich die Angst der etwa 70 Bolzaneto-InsassInnen mehr und mehr. Die ständigen pöbelnden Polizeigruppen vor dem Fenster schreckten selbst vor dem Singen faschistischer Lieder nicht zurück.

Am Abend deutete sich dann endlich ein Entkommen aus dieser Situation an. Nachdem alle Personen mit modernsten Geräten erkennungsdienstlich behandelt wurden, fand eine weitere Folterprozedur statt. Männer und Frauen wurden separiert. Pünktlich Mitternacht wird unsere total übermüdete Gruppe wieder aufgeteilt. Ich muss meine auf dem Boden des Ganges verstreuten Sachen suchen, erneut am Rande meiner Kräfte dazu gezwungen, mit erhobenen Händen an der Wand zu stehen. In einer musterungsähnlichen Prozedur muss ich mich nackt ausziehen, meinen Penis von allen Seiten vorzeigen, muss längere Zeit zusammengekauert auf dem Boden verweilen. Als ich meine Hose wieder anziehen darf, ist diese voller kleiner Tiere. Ich muss wieder mit der Nase an die Wand gepresst ruhig stehen, während die Gestalten umher lachen. Endlich darf ich den Raum verlassen. Doch zu früh gefreut - noch zwei weitere Male in dieser Nacht musste ich - wie viele andere auch - diese Prozedur über mich ergehen lassen. Nach 40 Stunden Haft bekommen die Ersten endlich ein Bett zu sehen und auch zu Essen gibt es. Doch es sollte noch einen weiteren Tag dauern, bis es den ersten gelang, an eine Liste in Genua beschlagnahmter Gegenstände zu gelangen.

Erst am Mittwoch – 4 Tage nach ihrer Festnahme - bekamen die meisten Gefangenen frische Kleidung und konnten so ihre blutüberströmte Bekleidung endlich austauschen . Nach langem Druck gelang es für den für Mittwoch eingesetzten Prozess beim Haftrichter einen eigenen Anwalt zu benennen. Die Punkte der Anklage sollten bis zum Moment des Prozesses für alle unklar bleiben. Ebenso, wie es weiter unmöglich war, Kontakt nach Außen aufzunehmen oder mit dem Anwalt sprechen zu können. Erst am Mittwoch wurden wir schließlich zwei Haftrichtern vorgeführt. Bis auf eine Person wurden alle in der Schule Festgenommenen freigesprochen. Nun erfuhren wir auch die Anklagepunkte, welche solche schillernden Punkte enthielt, wie der Besitz von Waffen, die Teilnahme an illegalen Aktionen und die Mitgliedschaft in einer sogenannten Gruppe "Black bloc", die für Krawalle während der G8-Tage verantwortlich gemacht werden soll. Doch Freiheit bedeutete dieser Freispruch noch lange nicht. Vor dem Gefängnis wartete ein Polizeibus auf die "Freien" und brachte uns also ins Polizeihauptquartier. Nach stundenlangem Aufenthalt dort und endlich dem ersten Kontakt zur Öffentlichkeit wurden diese schließlich in einer Nacht und Nebel Aktion aus Italien abgeschoben. Auf dem Armaturenbrett eines Begleitfahrzeugs der Polizei lag offen zu lesen ein Buch mit dem Titel "Auschwitz 1940-45" zur Ansicht.

(Quelle: Bericht eines deutschen Journalisten vor Ort)

aus TATblatt Nr. +171 (rapiditè Sonderausgabe nr. 08/01) vom 3.August 2001

 
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