tatblatt.net    

Rezension

Durchschnittstäter

hobo

"Noch ein Wort zum soldatischen Verhalten", konnte sich ein Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht verkneifen, und schrieb nieder, was nur als allzu typisch gelten kann für den Umgang mit dem eigenen Anteil an den Verbrechen unter der Nazi-Herrschaft: "Ich habe Überläufer, Gefangene und russische Verwundete erlebt. Sie waren alle sehr beeindruckt von der Behandlung, die sie durch uns Frontsoldaten erfuhren. Was später in der Etappe mit ihnen geschah, weiß ich nicht. Die deutsche Militärgerichtsbarkeit war streng."

Das Mitwirken der aus eigener Sicht anständigen, weil gehorsamen und pflichterfüllenden Frontsoldaten wurde zuletzt durch die Ausstellung "Vernichtungskrieg" des Hamburger Instituts für Sozialgeschichte auch hierzulande erhellt. Von nicht minderer Bedeutung ist aber auch die Frage, "was in der Etappe geschah", und welche Motivation kleine und größere Rädchen der Vernichtungsmaschinerie bewegte, nicht nur treu und gehorsam sondern mit Engagement und Eigeninitiative zum Funktionieren des Apparates beizutragen.

Durchschnittstäter. Handeln und Motivation ist also der jüngste der Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus (wie der neue Titel der bisher 15bändigen Reihe Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik lautet) betitelt, der das relativ junge Feld der "Täterforschung" um Untersuchungen zu so verschiedenen Bereichen wie den Streifendienst der Hitlerjugend 1934-1945, die Sozialpolitik des Münchner Wohlfahrtsamtes in der frühen NS-Zeit, den Wachmanschaften in Lagern für sowjetische Kriegsgefangene, den Zollgrenzschutz im NS-Staat und die Zentralbauleitung von Auschwitz bereichert.

Die Erforschung der Motive der AkteurInnen von Weltkrieg und Massenvernichtung wurde insbesondere durch Christopher Brownings Studie über die Ganz normalen Männer der hinter der Front agierenden deutschen Reserve-Polizeibataillone vorangebracht, und noch viel medienwirksamer durch Daniel Goldhagens Hitlers willige Vollstrecker in die öffentliche Diskussion eingebracht. Im neuen Band der Beiträge geht es nun ebenfalls um die "Täter jenseits der sozialen oder ideologischen Eliten der deutschen Gesellschaft in der NS-Zeit".

"Eines der herausragenden Verbrechen des Zweiten Weltkrieges", und fürwahr nicht das einzige, fand nämlich in der "Etappe" (s.o.) statt - und kostete beinahe 60 Prozent der sowjetischen Kriegsgefangenen (3,3 Millionen von 5,7 Millionen Gefangenen) das Leben. "Das exorbitante Massensterben ist mit den 'gewöhnlichen Notständen' im Krieg nicht zu erklären", führen J. Nagel und J. Osterloh dazu aus. "Die Gründe hierfür waren eine völlig unzureichende Unterbringung, chronische Unterernährung, Seuchen, Vernichtung durch Arbeit und Mord." Die Wachmannschaften, die Zeugen dieses Terrors waren, ihn dulteten oder sich aktiv daran beteiligten, rekrutierten sich aus überwiegend älteren Jahrgängen, die als nicht mehr fronttauglich galten. Es waren "ganz normale Männer". Und gerade dieser Umstand sollte es nach 1945 so leicht möglich machen, so rasch wieder in die Normalität des postfaschistischen Alltags zurückzukehren, der Aussagen wie zum Beispiel die folgende über den NS-Zollgrenzschutz so gewöhnlich erscheinen lässt: "Der Zollgrenzschutz hat sich in den besetzten Gebieten den Geboten der Gesetze und der Menschlichkeit entsprechend verhalten." Entsprechend den Geboten bewährten sich die Beamten nämlich nicht nur bei der Vertreibung jüdischer Menschen aus Österreich und Deutschland bis 1941, sondern waren seit dem Sommer jenes Jahres auch direkt in Vernichtungsaktionen von SS- und Polizeidienststellen involviert. (Th. Sandkühler; Von der Gegnerabwehr zum Judenmord. Grenzpolizei und Zollgrenzschutz im NS-Staat.)

Aber in jener Zeit wurde nicht nur vernichtet. Es wurde auch aufgebaut. - Der Lagerkommandant Rudolf Höß über seinen besten Mann in der Zentralbauleitung von Auschwitz: "Bischoff war ein zäher, sturer und eigensinniger Baufachmann. Er sah alles nur vom Standpunkt des Baufachmannes. (...) Gleich von Anfang an hat Bischoff die mißliche Lage von Auschwitz richtig erkannt und stets seine ganze Person oft bis zur Brutalität eingesetzt um die Auschwitzer Bauvorhaben vorwärtszutreiben. (...) Der Häftlingsarbeit wurde er nie gerecht, er war der Meinung, daß die Häftlinge viel zu wenig leisteten - davon war er nie abzubringen. (...) Was in seinen Kräften stand, hat er für Auschwitz getan. Kein anderer hätte mehr erreichen können." Für Auschwitz. Der Baufachmann ...

Baufachmänner, Kaufleute, Buchhalter etc. gab es viele in und um Auschwitz. Und es ist davon auszugehen, dass die Angehörigen der Zentralbauleitung bis zu ihrem Einsatz in Auschwitz über keine vergleichbaren Erfahrungen im Töten von Menschen hatten. "Die Adaption an die Wertvorstellungen von Auschwitz", schreibt Rainer Fröbe in seinem Beitrag Bauen und Vernichten, "war ein psychischer Prozeß, der Monate dauern konnte." Was Fröbe zur Erklärung dieses Prozesses anführen kann, ist die Arbeitsteilung, die "erste und unabdingbare Voraussetzung". Eine "Partikularisierung der Verantwortung und die Reduzierung der Arbeitsvorgänge auf das 'rein Fachliche'", die fehlende Nähe zu den Opfern, und die Entpersönlichung der Opfer hätten einerseits ermöglicht, die persönliche Schuld herunter zu spielen, und hätten andererseits die Opfer austauschbar gemacht.

Über die tatsächliche Verbreitung von Rassenhass und Antisemitismus innerhalb der Zentralbauleitung, muss Fröbe abschließend jedoch einräumen, erlauben die aus dem Bereich Auschwitz vorliegenden Dokumente keine Aussage. Vieles deute aber darauf hin, dass die Weichen für die Entwicklung der später zu Tätern werdenden Männer bereits zu einem früherer Zeitpunkt in ihrer Lebensgeschichte gestellt worden sind. Ein großer Teil von ihnen war frühzeitig und freiwillig der Allgemeinen SS beigetreten, bzw. hatte sich später freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. In diesem Sinne kann Fröbe wie auch die Untersuchungen zu den anderen oben erwähnten Themen im neuen Band der Beiträge die Befunde von Christopher Browning und Daniel Goldhagen im Grundsatz bestätigen.

Die Untersuchungen konzentrieren ihr Forschungsinteresse auf die "kleinen TäterInnen", ohne die das totalitäre Herrschaftssystem des Nationalsozialismus nicht möglich gewesen wäre. Dabei ist viel über das Handeln dieser Personen zu erfahren, vieles, das deren Schuld noch größer macht bzw. uns diese erst vor Augen führt. Oder das, was davon überhaupt fassbar ist. Der Band ist reich an Informationen über das Tun der TäterInnen. Wesentlich schwieriger ist es, das Warum dahinter auszuloten. Es kann natürlich kein eindeutiges oder gar typisches TäterInnenprofil erstellt werden, und manches muss dem Bereich der Vermutungen überlassen bleiben, was die Motivation der Menschen, die zu MörderInnen oder deren HelfershelferInnen wurden, betrifft. In diesem Sinne stellt der jüngste Band der Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus nur einen weiteren Mosaikstein zur Aufklärung dieser Frage dar. Dafür bietet er aber eine Sammlung von Aufsätzen zu weit gestreuten und sonst nicht unbedingt im Mittelpunkt der Forschung und der Literatur stehenden Aspekten des Nationalsozialismus. Ergänzt wird diese noch durch einen umfassenden Rezensionsteil zu verwandten Themen.
 
Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus
Durchschnittstäter

Handeln und Motivation

Assoziation Schwarze Risse Rote Straße; 2000

272 Seiten; ca. öS 220.-

(Dem Vernehmen nach auch im Infoladen X im EKH erhältlich.)

 

aus TATblatt Nr. +164 vom 26. April 2001
 
>> TATblatt-Inhaltsverzeichnis

©TATblatt, 2001
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken alternativen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe undBelegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum)