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"Wear Seat Belt or Be Executed"

Nach der Erschießung eines jungen unbewaffneten Afro-Amerikaners protestierten Tausende tagelang gegen die rassistische Polizeigewalt in Cincinnati.

TATblatt (The Cincinnati Enquirer, Cincinnati CityBeat, Z Magazine)

Am 7. April erschoss der weiße Polizist Stephen Roach den unbewaffneten Afro-Amerikaner Timothy Thomas aus weniger als fünf Meter Entfernung mit einem Schuss in die Brust, weil er, wie die Polizei später angab, der Meinung war, Thomas sei bewaffnet und deshalb sein Leben bedroht gewesen. Thomas wurde vor dem tödlichen Schuss von einem Dutzend PolizistInnen durch mehrere Straßen gejagt. Thomas wurde von der Polizei gesucht, weil er Vorladungen bei Gericht nicht nachgekommen war. Dort hätte er erscheinen sollen, weil er mehrfach ohne oder mit abgelaufenem Führerschein und einige mal nicht angeschnallt mit dem Auto gefahren war. Timothy Thomas ist der 15. Afro-Amerikaner seit 1995, der in Cincinnati von einem Polizisten getötet wurde oder in Polizeigewahrsam starb. Die Polizei verweigerte genauere Angaben zu der Gewalttat und berief sich auf laufende Untersuchungen. Es existiert ein Video von der Tat, das die Polizei jedoch unter Verschluss hält. Ein Audio-Tape wurde mittlerweile veröffentlicht, darauf fehlen aber genau die 30 Sekunden während denen der Schuss fiel.

Am 9. April stürmten rund 200 Menschen eine Sitzung des Law and Public Safety Committee im Rathaus und verlangten Aufklärung über den Tathergang. Später demonstrierten rund 1000 Menschen vor dem Polizeihauptquartier, die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschoße gegen die Protestierenden ein. In den darauffolgenden Tagen wurden Dutzende Menschen wegen Vandalismus und Plünderungen festgenommen, eine Ausgangssperre wurde verhängt, Hubschrauber kreisten über der Stadt und schwer bewaffnete PolizistInnen versuchten die Proteste niederzukämpfen. Sechs Polizisten der Eliteeinheit SWAT werden nun beschuldigt, ohne Vorwarnung kurz nach dem Begräbnis auf friedliche DemonstrantInnen mit Gummigeschoßen geschossen zu haben.

Die Brutalität mit der versucht wurde, die Proteste gegen die rassistische Polizeigewalt zu unterdrücken, rechtfertigte Keith Fangman, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft FOP (Fraternal Order of Police) folgendermaßen: "Wenn wir diesen Terroristen in der Form von Verhandlungen nur einen Zenitmeter nachgeben, sind wir selbst schuld, wenn sich die Stadt in ein weiteres Detroit oder Washington verwandelt." Ein Kommentator wies darauf hin, dass diese Aussage alleine schon deswegen rassistisch ist, weil es weder in Detroit noch in Washington in den letzten Jahren Aufstände gab, dort aber viele Afro-AmerikanerInnen wohnen im Gegensatz zu vielen College-Städten, wo es in den letzten Jahren öfter in der Folge von z.B. Sportveranstaltungen zu Krawallen zwischen weißen StudentInnen und der Polizei kam. Ganz abgesehen davon, dass bei solchen Krawallen niemals von TerroristInnen die Rede ist und niemals Gummigeschoße eingesetzt werden. Mehrere afro-amerikanische PolizistInnen quittierten nach der Aussage von Fangman ihre Mitgliedschaft in der FOP und der Vorsitzende der Black Police Officers Association entschuldigte sich bei der Schwarzen Jugend von Cincinnati. Die FOP machte in den letzten Jahren vorrangig dann von sich Reden, wenn es darum ging, gegen UnterstützerInnen von Mumia Abu-Jamal vorzugehen (z.B. Boykottaufrufe gegen Konzerte von Rage Against The Machine) und für dessen Hinrichtung einzutreten. Für weiße RassistInnen sorgt sich die Polizei von Cincinnati mit Hingabe. So wird jedes Jahr zu Weihnachten die Aufstellung eines brennenden Kreuzes durch den Ku Klux Klan beschützt und das Kreuz anschließend rund um die Uhr bewacht.

Cincinnati gilt unter Afro-AmerikanerInnen als besonders rassistische Stadt. In der Reihe der Städte mit der höchsten Segregation in den USA nimmt Cincinnati den achten Platz ein. Der durch PolizistInnen verursachte Tod von 15 Afro-Amerikanern in den letzten Jahren hat zu keinerlei Konsequenzen innerhalb der Polizei geführt.
 

aus TATblatt Nr. +164 vom 26. April 2001
 
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