TATblatt


Freie Medien! Nutzt sie – ermöglicht sie!

Aufruf der Medienkonferenz* an und für Öffentlichkeit.

Die Freiheit des Medienmarktes ist die Freiheit zur einfältigen Vielfalt, zur Ausdifferenzierung des Konsum- und Abstimmungsverhaltens, auf das ein- und zu dem abgestimmt werden soll. Keine Zielgruppe, der sich gemeinsame Konsumneigungen anhängen lassen, soll ohne ihr eigenes Lifestyle-, Freizeit- oder Branchenorgan leben müssen. Keine noch so einfältige Äußerung eines talking head aus Politik, Wirtschaft oder Kultur soll ohne Vervielfältigung bleiben. Unspektakuläres gesellschaftliches Denken und Handeln, gar kritisches, das seinen Sinn und seine Aufgaben ab- und jenseits der Vermarktung sucht,  muß indes schon jetzt weitenteils ohne Öffentlichkeit leben – das bedeutet: auf kurz oder lang verschwinden.

Der Medienmarkt produziert massenhaft Meinung – aber produziert er auch nur einen Gedanken? Der Medienmarkt kolportiert massenhaft Mitteilungen – aber stellt er uns auch nur eine Nachricht zur Verfügung? Die Medien treiben heute als gespenstische Wiedergänger dessen, was man einst als „vierte Gewalt im Staat“ zu bezeichnen beliebte, ihr zombiehaftes Unwesen, das sich in der immerfort in sich selbst zurücklaufenden, mehr oder weniger unterhaltsamen, symbolischen Ausdifferenzierung dessen, was ist, erschöpft, das jeden gesellschaftlichen Sinn negiert, jeden begrifflichen Realitätsbezug hinter sich läßt und jeden gedanklichen Zusammenhang vernichtet.

Es geht heute nicht mehr um die Sicherung, die Hege, Pflege und besorgte Beobachtung dessen, was in einigen Marktmedien gerade noch möglich ist, es geht um die Herstellung und Förderung all dessen, was in diesen nie möglich war und nie möglich sein wird, weil sie dafür nicht gemacht sind. Es geht darum, uns die Medien-Freiheit zu nehmen, die wir wollen und brauchen:

• Freie Medien! sind gegenüber dem Markt genauso ignorant, wie Marktmedien gegenüber der Öffentlichkeit. Freie Medien! wollen Öffentlichkeiten herstellen und sich in Öffentlichkeiten bewähren - unwillkürlich stellen sie dabei auch kleine Märkte her und weil sie geschickt sein müssen, wissen sie das werblich zu nützen. Marktmedien wollen Märkte herstellen und sich auf Märkten bewähren - dabei stellen sie auch noch ein Image von Öffentlichkeit her und wissen das werblich zu nützen.

• Freie Medien! fordern ihre LeserInnen, HörerInen, UserInnen heraus, sie verlangen und bekommen ihre Aufmerksamkeit, ihre Teilnahme und ihren Widerspruch. Marktmedien reizen ihre KonsumentInnen, bis sie gekauft sind - dann haben sie ihre Funktion am LeserInnen- und Anzeigenmarkt erfüllt und werden, so sie von Pappe sind, dem Rohstoffmarkt zugeführt.

• Freie Medien! wollen nicht Zielgruppen anvisieren, sondern LeserInnen, HörerInnen, UserInnen zu Diskussionen anregen, die ihre eigenen sind, und ihnen die dafür nötige Information zur Verfügung stellen.

• Freie Medien! wollen nicht Meinung machen, sondern kritisches vor-, mit- und nachdenken ermöglichen und demgemäßes gesellschaftliches Handeln anregen.

• Freie Medien! müssen nicht hauptsächlich Politik repräsentieren oder beraten, sondern kritisieren. Wenn Politik aus der Kritik lernen und sie in positive Reformkonzepte integrieren kann, ist das zwar mit der größten Selbverständlichkeit auch wieder zu kritiseren, im übrigen aber ein erwünschter Effekt.

• Freie Medien! sind derweil am erfolgreichsten, wenn sie sich auf die konstruktiven Aspekte kapitalistischen Fortschritts beziehen: Aufklärung, sozialer, demokratischer, menschenrechtlicher, kultureller, ökologischer Fortschritt. Marktmedien sind allweil am erfolgreichsten, wenn sie konstruktive wie destruktive Aspekte kapitalistischen Fortschritts zur Unkenntlichkeit belangloser Mitteilungen und begriffsloser Meinungen zerhäckseln - und damit, ohne freilich eine Idee davon haben zu können, zu den destruktiven Aspekten gehören.

• Freie Medien! haben eine Aufgabe, Marktmedien haben eine Auflage.

Schwach sinniger Weise erhalten hierzulande seit jeher jene Medien, die eine Auflage haben, Beachtung und Förderung; jene, die eine Aufgabe haben, hingegen nicht.  Man muß also auch über die Ignoranz derer reden, deren Bedarf an täglich allem durch einige Seiten rosa Papiers offenbar leichtlich zu decken ist, die ihre Meinungen durch etwas wöchentliche Profilierung für ausreichend façonniert halten und die sich unter Kritik kaum noch etwas anderes vorstellen können, als jemanden einen Dolm zu heißen. Sie erbauen sich an Meinungshäppchen (Typ: „Gut/Böse“, Begründung: dürftig bis fehlend), sie verlieren sich in Mitteilungsfetzen (Typ: „In/Out“, Relevanz: vage bis nicht feststellbar) und wähnen sich dabei den anderen täglichen Alleslesern überlegen. Sie beklagen sich gelegentlich darüber, daß die „herrschenden Medien“ die „herrschende Meinung“ wiedergeben und wollen dort ihre eigene - nicht herrschende - Meinung gedruckt und gesendet sehen. Sie begreifen nicht, daß in diesen Medien nur gedruckt und gesendet werden kann, was der Herrschaft des Meinungshaften nicht zuwiderläuft. Innerhalb des Genres „Meinung“ wird die im übrigen gerade „herrschende“ in der Regel die auflagenmaximierende, also bevorzugte sein.

Wie weit und wie lange ist die Tendenz zu größtmöglicher Zerstreuung für die größtmögliche Zahl erträglich? Wie zerstreut müssen wie viele sein, bis sie an dieser Gesellschaft zerbröseln oder diese Gesellschaft an sich und ihnen zerbröselt? Oder werden sich welche wo und wie wieder sammeln?

Sammelpunkte gibt es schon. Unsere Freie Medien! sind, wie sie gegenwärtig sind, auch unzulänglich – das wissen wir. Wir brauchen weniger Gruppenbindung und mehr Diskussion, wir brauchen die qualifizierte, inhaltliche „Vernetzung“ bestehender Teilöffentlichkeiten, wir brauchen die Entwicklung unserer eigenen Aktualität und unserer schnellen Informationskanäle, um nicht bei jedem Anlaßfall der aufgenötigten, spektakulären Aktualität ausgeliefert zu sein. Wir brauchen Verallgemeinerung.

ProduzentInnen: Kümmert Euch darum, womöglich intensiver, besser, geschickter als bisher schon!

LeserInnen, HörerInnen, UserInnen: Öffentlichkeiten, womöglich bessere und größere als bisher schon, können wir nur gemeinsam bilden und entwickeln. Über nennenswerte Werbebudgets verfügen wir nicht. Wir können nicht viel tun, um Euch zu suchen – wir müssen uns von Euch finden lassen. Findet uns! Mehret Euch! Abonniert, was Euch interessiert! Spendet, so ihr könnt! Weist anderen den Weg zu den Freien Medien!, die sie interessieren könnten!

Es gibt keine Gedanken- und Informationsfreiheit, es sei denn, sie zu ergreifen!


Fußnote:

* Die Medienkonferenz wird derzeit gebildet von:
• Verband Freier Radios Österreich (VFRÖ)
• Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften (VAZ)
• kosortium.netz.kultur
• IG Kultur Österreich
unter derzeitiger Beteiligung von:
• Kulturplattform Oberösterreich (KUPF)

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