TATblatt


Rätselhaft? Versehentlich? Vertuscht!
Bereits vier Tote seit Anfang Mai 2000.
 
1.    3. Mai: Junger Afrikaner in Wiener Gefängnis unter ungeklärten Umständen gestorben

2.    12. Mai: Tod eines des Suchtgifthandels Verdächtigten in Polizeikommissariat

3.    17. Mai: Flüchtlingskind wegen vorenthaltener medizinischer Hilfe gestorben

4.    19. Mai: Des Suchtgifthandels verdächtigter ehemaliger Jugoslawe "versehentlich" erschossen


4.
19. Mai: Des Suchtgifthandels verdächtigter ehemaliger Jugoslawe "versehentlich" erschossen
Von einem Kriminalbeamten erschossen wurde in Wien in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai ein des Suchtgifthandels verdächtigter Mann. Der tödliche Schuss soll sich laut Polizeiangaben beim Öffnen einer Autotür versehentlich gelöst haben. Suchtgift wurde bei dem Mann oder in seinem Auto keines gefunden. In einem Lokal, in dem sich der Mann zuvor aufgehalten haben soll, sei aber Cannabis sicher gestellt worden, erklärte die Polizei.
Bei dem Toten handelt es sich um Imre B., einem 34 Jahre alten Antifaschisten aus Jugoslawien, der seit Jahren in Österreich gelebt hat.

Nachtrag: Laut Auskunft der Grünen steht mittlerweile fest, dass der Beamte, aus dessen Waffe sich der für Imre B. tödliche Schuss "gelöst" hatte, der Sondereinsatzgruppe Kriminaldienst (SEK) angehört. Diese Spezialeinheit ist seit 1. Februar 2000 in Probebetrieb, und dürfte sich derzeit offenbar durch spektakuläre "Erfolge" beweisen zu wollen. Sie wurde insbesondere durch die Festnahme von DemonstrantInnen nach der der 2.-März-Demo (Opernballdemo) durch vermummte SEK-Männer mit gezogenen Dienstwaffen bekannt.

Wie das Magazin Falter unter Berufung auf einen "sachkundigen Informanten" aus Polizeikreisen und einen Zeugen berichtet, dürfte die Amtshandlung vollkommen anders abgelaufen sein, als bisher offiziell dargestellt.
Der Informant aus Polizeikreisen wird mit den Worten zitiert: "Da wird den Medien eine Variante präsentiert, die so nicht stimmen kann ... Glauben Sie mir, diese Sache stinkt. Der Mann ist nicht so gestorben, wie es die Polizei schildert. Da wurde gepfuscht. Der Erschossene saß -linke Schulter links, rechte Schulter rechts- ganz normal im Auto. Das wird ein ordentliches Nachspiel bei Gericht haben."
Der Zeuge habe die Abgabe des tödlichen Schusses so geschildert: "Der Polizist hat gesagt: 'Bleib stehen Du Sau', auf das Auto gezielt und dann abgedrückt", so der Falter.
Außerdem sei eine unbeabsichtigte Auslösung der Glock-Pistole durch deren Konstruktion verunmöglicht.(mehr über die SEK)
(NEU: siehe auch "Die Paradekiberer" in TATblatt +144)

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3.
17. Mai: Flüchtlingskind wegen vorenthaltener medizinischer Hilfe gestorben
Hamid S., ein fünfjähriger, unter fremdenpolizeilich angeordnetem Hausarrest gestellter Bub aus Afghanistan verstarb am 17. Mai, nachdem ihm viel zu lang entsprechende medizinische Behandlung vorenthalten worden war.
Bekannt wurde dies erst heute nach einem vertraulichen Hinweis an "Asyl in Not", berichtet der Online-Standard.
Hamid befand sich, so der Standard weiter, mit seinen Eltern und Geschwistern auf Veranlassung der Fremdenpolizei Neusiedl am See in einer Pension in Gols unter Hausarrest, einer mildereren Form von Schubhaft. Die Familie war erst vor wenigen Tagen nach Österreich gekommen.
Weiters berichtet der Standard, dass bereits am Samstag vor Hamids Tod die Eltern bei der polizeilichen Einvernahme auf eine Krankheit des Kindes hingewiesen haben. Ein Arzt verschrieb ihm aber lediglich Medikamente. Am 16. Mai ging es Hamid so schlecht, dass die Eltern die Pensions-Wirtin um Hilfe baten. Diese gab ihnen zwar die Adresse einer Ärztin, soll sich aber geweigert haben, das Kind, das nicht mehr gehen konnte, dorthin zu bringen. Daraufhin trugen mehrere in der Pension untergebrachte Flüchtlinge das Kind zur Ärztin, die allerdings ebenfalls nur Medikamente verschrieb und das Kind zurückschickte. Am Morgen des 17. Mai erkannte ein Bruder Hamids den Ernst der Lage. Ein anderer Flüchtling rief den Rettungsnotruf. Die Rettung kam aber nicht, sondern dürfte lediglich bei der Wirtin angerufen haben. Jedenfalls habe die Wirtin den Flüchtlingen später Vorwürfe gemacht, weil ihr diese die Rettung ins Haus schicken wollten. Die Wirtin führte Hamid lieber selbst mit dem Auto - allerdings nicht ins Spital, sondern bloß zur Ärztin. Diese schickte Hamid dann endlich ins Spital. Beim Versuch, ihn per Hubschrauber auf eine Intensivstation nach Wien zu verlegen, versagte schließlich Hamids Herz.
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2.
12. Mai: Tod eines des Suchtgifthandels Verdächtigten in Polizeikommissariat

Wie erst am 12. Mai bekannt  wurde, gab es bereits am 4. Mai einen weiteren Todesfall eines in staatlichem Gewahrsam befindlichen Menschen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft. Wieder sollen Suchtmittel zum Tod geführt haben, wieder dürfte der Betroffene nicht entsprechend medizinisch versorgt worden sein, weder erinnern Schnelligkeit und Inhalt der offiziellen Stellungnahmen an Vertuschung. Bei dem Toten handelt es sich um einen 40-jährigen Mann aus der Slowakei. Der Todesfall trat in einer Zelle des Polizeikommissariats Wien-Landstraße ein.

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1.
3. Mai: Junger Afrikaner in Wiener Gefängnis unter ungeklärten Umständen gestorben

TATblatt
Ein 27-jähriger Mann aus Afrika kam am Mittwoch, den 3. Mai um 3.00 Uhr früh (anderen Quellen zufolge am 4. Mai um 3.00 früh) im Jugendgefängnis in Wien 3, Rüdengasse ums Leben. Bei dem Toten handelt es sich um Richard I., einem 26-jährigen Mann aus Nigeria, der laut Justiz als Peter W. Richards aus Sierra Leone in Österreich um Asyl angesucht hat.

Wie eine Obduktion der Leiche laut Polizeipräsident Stiedl (zitiert nach Online-Standard) mittlerweile ergeben hat, soll I. an einer Opiatvergiftung gestorben sein. Suchtgifthaltige Kugeln seien im Magen-Darm-Bereich entdeckt worden, zwei davon dürften aufgeplatzt sein, so Stiedl.

Wie das Magazin "Falter" hinweist, sind Strafgefangene nach dem Strafvollzugsgesetz "bei der Aufnahme oder alsbald danach ärztlich zu untersuchen [...] Wenn sich ein Strafgefangener selbst beschädigt hat oder wenn sein Verhalten sonst die Annahme nahe legt, dass er körperlich krank sei, so ist davon dem Anstaltsarzt Mitteilung zu machen". Dies wurde laut "Falter" aber unterlassen. Eine Sprecherin des Gefängnisses habe dies mit den Worten "Am Wochenende war eben kein Arzt zu erreichen" erklärt.

Nach Beratung mit ÄrztInnen meinte der Anwalt zur Theorie des Drogentods durch verschluckte Drogenpackerln, wieder laut Online-Standard: Entweder löse sich die Hülle im Körper auf oder sie wandere vom Magen in den Darm. In jedem Fall bedeute dies "einen langen qualvollen Tod, I. kann nicht klammheimlich in der Haftanstalt gestorben sein".

Der Rechtsanwalt des Bruders von I. spricht laut Online-Standard auch von einem Skandal, dass die Justizbehörden keine sofortige Erklärung zum Tod von I. abgegeben haben, sondern es ein "offensichtliches Bestreben" gegeben habe, den Fall "so lange als möglich geheim zu halten".
Einer Geheimhaltung, der anfänglich übrigens auch die bürgerlichen Medien nachkamen: Während bereits Donnerstag Abend Radio Orange und TATblatt von dem Todesfall berichteten, war in bürgerlichen Medien erst Freitag Abend davon zu lesen oder zu hören.
Auf die Geheimhaltung folgten widersprüchliche Aussagen von Seiten der Behörden, bis am 9. Mai das Obduktionsergebnis vorlag, das für Polizei und Justiz nun offenbar die Möglichkeit bieten soll, alle Verantwortung für den Tod von sich zu weisen.

Der Anwalt erinnerte im Online-Standard an die aktive Schutzpflicht des Staates für Häftlinge, die in Artikel 2 der Menschenrechtskonvention verankert sei. Es sei jedenfalls offensichtlich, dass hier einiges nicht in Ordnung ist.

Unklarheiten gibt es auch in Bezug auf die Umstände der Festnahme, die nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten am 29. April um die Mittagszeit bei einer Razzia in einem Wohnheim in Wien Hernals stattgefunden hat. Das Justizministerium sprach laut APA allerdings vom 1. Mai als Zeitpunkt der Festnahme. Laut Polizeipräsident Stiedl - zitiert nach Online-Standard - stand I. unter dringendem Verdacht, mit Suchtgift gehandelt zu haben. Auch ein Aufenthaltsverbot soll bestanden haben.

Augenzeugen sprachen laut einem Bericht von FM Afrique auf Orange 94,0 von schweren Misshandlungen bei der Festnahme. "Ihr könnt mich verhaften, aber bringt mich nicht um!" soll I. dabei geschrien haben.

Die Grünen forderten eine unabhängige Kommission zur Aufklärung der Umstände, die zum Tod des jungen Afrikaners führten, und die baldigste Information der Öffentlichkeit. Die MigrantInnensprecherin der Wiener Grünen, Maria Vassilakou, dazu: "Unter keinen Umständen darf den Fall die heimische Polizei prüfen".

siehe dazu auch:

Zu den zahlreichen offenen Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des am 3. Mai im Jugendgefängis Erdberg gestorbenen Häftlings: Bericht von einer Pressekonferenz der African Community

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